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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 577 / 16.11.2012

Aufgeblättert

Asiatische Deutsche

Dem Herausgeber des Buches »Asiatische Deutsche«, Kien Nghi Ha, geht es nicht nur um die verhöhnten und getöteten Opfer von Nazi-Angriffen, wie etwa Anh Lan Do, Mahmud Azhar, Nguyen Van Tu oder Pham Duy Doan. Der Kulturwissenschaftler erwähnt das Denken in Problemkategorien, wenn Medien und Politik sich mit diasporischen Communities befassen: Deutschland sei bei zentralen gesellschaftlichen Aufgabenstellungen immer noch migrationspolitisches Entwicklungsland ohne eine funktionierende politische Kultur der Nicht-Diskriminierung. Der Band dokumentiert Debatten von engagierten WissenschaftlerInnen und AktivistInnen zu den Themen Identität und Repräsentation von asiatischen Deutschen. So gehen Ha, Nivedita Prasad, Urmila Goel und Jee-Un Kim der Frage nach, wie sich Asiatisch-Sein in Deutschland über rassistische Fremdzuschreibung vermittelt, wie die Betroffenen damit umgehen und inwieweit auch Selbstkonstruktionen und produktive Zusammenschlüsse von Menschen mit etwa indischen, chinesischen, thailändischen, koreanischen oder pakistanischen Wurzeln sinnvoll sind und gelingen. Andere Beiträge führen in die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der nord- und südvietnamesischen Einwanderung in die DDR und die BRD ein. Das anregende Lesebuch versammelt Fotos, Porträts, Analysen und Gespräche. Es bietet wertvolle Beiträge zur Rassismusforschung und einen tiefen Einblick in die Vielfalt der deutsch-asiatischen Präsenzen.

Anke Schwarzer

Ha, Kien Nghi (Hg.): Asiatische Deutsche. Vietnamesische Diaspora and Beyond. Verlag Assoziation A, Berlin/Hamburg 2012. 344 Seiten, 18 EUR.

Sinti und Roma

Nachdenkliche Reden zur Einweihung des Mahnmals, 67 Jahre nach Kriegsende, können nicht darüber hinwegtäuschen: Der Genozid an den Sinti und Roma ist bis heute nicht in das kollektive Gedächtnis der Deutschen eingegangen. Das von der KZ-Gedenkstätte Neuengamme herausgegebene Buch »Die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus« fasst zum einen wichtige Fakten zusammen und ordnet die Verfolgung der Sinti und Roma in die »Rassenpolitik« Nazideutschlands ein; zum anderen zeigt es an Beispielen, wie diese Verfolgung konkret ablief: in Hamburg und Berlin, in den KZs Ravensbrück, Mittelbau-Dora, Bergen-Belsen und anderen. Es wendet sich gegen die lange unangefochtene »Deutungsmacht der Täter« bei der (Nicht-)Erinnerung an die Verbrechen, beschreibt aber auch Bemühungen, den Opfern gerecht zu werden. Die AutorInnen sind nicht nur ExpertInnen auf ihrem Gebiet; sie machen ihr Wissen auch seit Jahren für die Gedenkstättenarbeit nutzbar. Dass es ihnen nicht um eine Konkurrenz der Opfer - der Sinti und Roma auf der einen, der Jüdinnen und Juden auf der anderen Seite - geht, wird in Hans-Dieter Schmids einleitendem Aufsatz deutlich. Zwar würden »Gemeinsamkeiten und Unterschiede« in den Blick genommen; bei dieser »vergleichenden Perspektive« gehe es aber nicht darum, »eine allgemeine These zu beweisen - weder die Singularität des einen noch die Identität der beiden Genozide.«

Jens Renner

KZ-Gedenkstätte Neuengamme (Hg.): Die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland 14. Edition Temmen, Bremen 2012. 232 Seiten, 14,90 EUR.

Proteste und Revolten

Ist die Welle von Sozialprotesten und Ghettorevolten Vorbote eines »kommenden Aufstandes«, wie im gleichnamigen Manifest französischer Linksradikaler prognostiziert? Sieben AutorInnen kommen in einem Sammelband zu abweichenden Antworten. Anja Steidinger thematisiert die 2011 hochkochenden Sozialproteste in Spanien. Die massenhafte Forderung nach Arbeit und bezahlbarem Wohnraum sei nicht von der organisierten Linken, sondern von unmittelbar Betroffenen ausgegangen. Die Autorin schildert allerdings auch, dass die Bewegung schnell wieder in sich zusammenfiel. Ähnlich beschreibt Mathias Wåg die Situation in Italien: Die Parteilinke spiele bei der Organisation von Sozialprotesten kaum noch eine Rolle. Randall Amster und Gabriel Kuhn schildern verhalten optimistisch den Aufstieg von »Occupy Wall Street« zu einer politisch sehr heterogenen Massenbewegung. Bernhard Schmid erteilt dem Manifest »Der kommende Aufstand« eine Absage. Die Jugendrevolte in den französischen Banlieues 2006 habe eher der radikalen Rechten genützt. Ähnlich kritisch äußert sich Gerrit Hoekman über die Riots vom August 2011 in den englischen Suburbs. Der Sozialprotest der Jugendlichen sei zu Ausbrüchen sinnloser Gewalt eskaliert - Anlass für verschärfte Repression durch die Staatsgewalt. Herausgeber Wolf Wetzel sieht die arabische Revolte als Auslöser für eine ähnliche Bewegung in Europa. Als erstes Land stehe Griechenland an der Schwelle zu einer Revolution.

Gerd Bedszent

Wolf Wetzel (Hg.): Aufstand in den Städten. Krise, Proteste, Strategien. Unrast Verlag, Münster 2012. 255 Seiten, 16 EUR.

Häuserkampf

Die Geschichte der Kämpfe um besetzte Häuser zu schreiben, bedeutet oft, über gescheiterte Verteidigungen gegen polizeiliche Räumungen zu berichten. Das gilt auch für das nach acht Jahren Besetzung 2009 geräumte Projekt auf dem historischen Gelände der Firma Topf und Söhne in Erfurt. Umso erfreulicher, dass nun ehemalige AktivistInnen versucht haben, das Lebensgefühl, die Erfahrungen und Diskussionen dieser Zeit zusammenzutragen. Das Ergebnis dokumentiert Kontroversen und Zerwürfnisse, die zuverlässig dort auftreten, wo der Versuch unternommen wird, Gegenentwürfe zum kapitalistischen Normalzustand praktisch zu leben. Ob es um die Konfrontation mit Behörden, Medien, interne Debatten, Plenumsstrukturen, Definitionsmacht oder Israelsolidarität ging: Punks mussten sich mit Bewegungsintellektuellen arrangieren wie VeganerInnen mit FleischkonsumentInnen und SchlauschwätzerInnen mit ProletarierInnen. In einem lesenswerten Kapitel wird der Umgang mit dem historischen Erbe der Firma Topf, die u.a. Krematoriumsöfen nach Auschwitz lieferte, nachgezeichnet. Hier bleibt offen, ob es wirklich bei allen ein Bewusstsein für die besondere Konstellation eines linken antifaschistischen Projekts an einem expliziten NS-Täterort gab. Insgesamt ist das Buch der gelungene Versuch, einen Teil linker Bewegungsgeschichte zu schreiben. Offene Fragen sind weniger den AutorInnen anzulasten; sie spiegeln eher den Stand der Bewegung wider.

Andreas Blechschmidt

Karl Meyerbeer/Pascal Späth (Hg.): Topf und Söhne. Besetzung auf einem Täterort. Verlag Graswurzelrevolution, Heidelberg 2012. 187 Seiten, 12,90 EUR.