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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 515 / 16.3.2007

"crossover" konkret

Neue Weltordnung - Europäische Linke

Der Versuch, sich die vielfältigen Trennlinien bewußt zu machen, um sie im Hinblick auf Projekte "rot-grüner" Reformansätze in ein "produktives Spannungsverhältnis" zu bringen, grüne Positionen mit sozialen Inhalten zu verknüpfen und einer "rot-grünen" Regierungsmehrheit nicht nur den Weg zu ebnen, sondern ihr auch radikalere Inhalte abzuverlangen, kann selbstverständlich nach dieser "crossover"-Konferenz noch nicht vom Ergebnis her beurteilt werden. Erst wenn im Zuge weiterer Diskussionen konkrete Politik entwickelt werden kann, die dann auch in die Praxis umgesetzt wird - und dies soll die Debatte im Endeffekt bezwecken - kann Bilanz gezogen werden.

Die erste Debatte ließ durchaus Rückschlüsse zu, ob ein solches Projekt überhaupt die Chance hat, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und welche inhaltlichen Schwerpunkte dabei eine Rolle spielen könnten. Das gemeinsame Terrain, auf dem sich dieser Versuch bewegt, umfaßt die Gesellschaftskritik am Kapitalismus in ihrer reformerischen Variante, aber durchaus mit Gegensätzen und unterschiedlichen Reichweiten und verschiedenen Akzentuierungen des systemübergreifenden Stellenwertes.

Ein Grenzbereich, der es durchaus in sich hat, besteht aus der Differenz zweier Grundlinien, die sich an gegensätzlichen Orientierungen reiben. Soll die Reformstrategie dem alten Muster von selektiver Wachstums- und Industriepolitik mit sozial- (und) demokratisch und umweltpolitisch unterfütterten Vorgaben folgen, oder muß der Schwerpunkt der Reformpolitik nicht viel stärker auf die Freiräume lebensweltlicher Bezüge gerichtet werden? Ist die Orientierung linker Politik an der Teilhabe der ProduzentInnen an richtungsbestimmenden Entscheidungen und einem durch staatliche Wirtschaftspolitik flankierten wachsenden materiellem Wohlstand auszurichten (den Kampf um industrielle Vollbeschäftigung eingeschlossen), oder diktieren ökologische Wachstumsgrenzen und die ökonomische Wachstumserschöpfung nicht das schrittweise Umsteigen vom korporatistisch organisierten Industriesystem auf einen gemeinwirtschaftlichen Sektor mit dem Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Umorganisation menschlicher Arbeit über den eng gefaßten Sinn von Erwerbsarbeit hinaus? Geht es um die Befreiung in der Arbeit oder um die Befreiung von der Arbeit? Sind der Dualismus von staatlicher Reformpolitik nach linken reformorientierten Vorstellungen und gesellschaftlicher Selbstorganisation, von Etatismus und Anti-Etatismus zu versöhnen? Können solch unterschiedliche Positionen miteinander verbunden werden oder schließen sie sich grundsätzlich aus?

Gestaltungsmöglichkeiten der Neuen Weltordnung?

Im Forum "Neue Weltordnung" ging es in erster Linie um die konservativ-reaktionäre Politik als einem organisierten Prozeß auf internationaler Ebene, welcher die ökonomische wie sozial-ökologische Gestaltung auf staatlicher Ebene verdrängt. Die dadurch verschärften Krisen werden durch ein Krisenmanagement mit rigiden (national-)staatlichen sowie international abgestimmten militärischen Sanktionen im Zaum gehalten. So, wie sich der Staat aus der ökonomischen wie sozialen Verantwortung herausziehe, so baue er seinen Gewaltapparat aus.
Einig waren sich die Vertreter der drei radikalreformerischen Strömungen, daß die Deregulierung durch die konservativen Blöcke mit der Gewinnung linker politischer Mehrheiten in den Industrienationen der nördlichen Halbkugel beendet und rückgängig gemacht werden muß. Die Linke dürfe sich nicht gegen die Internationalisierung sperren - im Gegenteil - aber ihre aktuelle Aufgabe bestehe darin, wichtige Instrumente für die Regulierung der sozial-ökologischen Erfordernisse und der internationalen Kapitalströme durchzusetzen.
Hierzu zählen Kapitalverkehrs- und Zinsdifferenzsteuern, die Einführung international abgestimmter und gültiger Sozial- und Ökostandards, die Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen sowie grenzüberschreitende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Elemente einer globalen politischen Öffentlichkeit sind die NGOs. Hier eröffneten sich Interventionsmöglichkeiten. Internationale Regelungen blieben aber nach wie vor durch nationalstaatliche Institutionen vermittelt, u.a. mit Hilfe rot-grüner Regierungen.

Gestaltung oder Gegenmacht

Fritjof Schmidt von den Grünen lenkte das Augenmerk auf die bestehenden internationalen Institutionen, die durchaus für eine internationale Struktur- und Interventionspolitik nutzbar gemacht werden könnten. Trotz der grundlegenden Kritik an der Verfaßtheit wie der Unterordnung dieser Institutionen unter kapitalbestimmte Interessen, sah er die Notwendigkeit und die Chance, durch eine fortschrittliche Politik auf nationaler Ebene, diese Institutionen zu beeinflussen.

Die zwei Entwicklungshilfephasen nach dem Zweiten Weltkrieg hätten gezeigt, daß internationales Handeln im Interesse der Entwicklung transnationaler Konzerne, etwa bei dem Ausbau globaler Infrastrukturen wie Flughäfen oder Kommunikationsnetze, möglich war. Und auch in Zukunft sei der Ausbau eines Netzwerkes der transnationalen Konzerne ohne politische Gestaltung auf internationaler Ebene nicht möglich. Hieraus ergebe sich zusätzlicher politischer Handlungsspielraum, der zur Herausarbeitung einer internationalen Strukturpolitik mit den erforderlichen Eingriffsmöglichkeiten genutzt werden müsse.

André Brie sah das Problem, daß die international durchgesetzte Deregulierung des Kapitalverkehrs zu einem internationalen Manchester-Kapitalismus führe, dem aber keine sich formierende Arbeiterklasse gegenüberstehe, die einen weltpolitischen Überbau für die Regulierung der Weltwirtschaft auf absehbare Zeit mit durchsetzen könne. Die Frage, inwieweit mit der Implosion des Staatssozialismus auch die Möglichkeit eingeschränkt werde, dem Kapital eine "sozialere" Politikvariante aufzuzwingen, wurde angesprochen, aber nicht weiter vertieft.
Auch der Maastrichter Vertrag wurde kritisiert, aber die mehrheitliche Meinung war offensichtlich nicht gegen eine gemeinsame Währung eingestellt, sofern der Währungsunion eine sozial-ökologische Union hinzugefügt werde und der Integrationsprozeß mit Mittel- und Osteuropa auf gleichberechtigter Ebene vorangebracht werde. Betont wurde, daß der europäische Integrationsprozeß - gefördert durch "rot-grüne" Mehrheiten - ein Durchbruch sein könne, das Verhältnis von regionaler und globaler Politik neu zu definieren und auch umzusetzen.

Die knapp bemessene Zeit und die begrenzte Aufnahmefähigkeit ließen in Anbetracht der Komplexität weder in die Tiefe gehende noch sehr streitbare Debatten zu. Allenthalben entstand Ratlosigkeit ob der Vermittelbarkeit dieser Komplexität in der Öffentlichkeit. So blieben lediglich die unterschiedlichen Akzentuierungen und die Stimmungen der Beteiligten.
Die Lösungsansätze blieben in der Projektion auf die institutionalisierten Ebenen von "rot-grünen" Regierungen, internationalen Betriebsräten und international agierenden Organisationen stecken. Die Unkenntlichkeit der handelnden Betroffenen manifestierte sich in aufflackernder Ratlosigkeit. Die Orientierung zentrierte sich immer wieder auf die Notwendigkeit einer "rot-grünen" Ablösung der konservativ-liberalen Vorherrschaft, um der Dominanz der Ökonomie Einhalt zu gebieten und die politische Handlungsinitiative zurückzugewinnen.
Die radikal-reformerische Linke habe ihre Aufgabe darin, die schlimmen Auswüchse abzumildern und eine Repolitisierung der Gesellschaft zu fördern, in deren Klima sich Gegenbewegungen bilden, auf deren Basis auch radikale Reformen möglich seien. Dabei sei die Mobilisierung im nationalen Kontext für die Realisierung globaler oder großregionaler Projekte ebenso notwendig wie deren internationale Vernetzung.

Europäische Linke: Anspruch und Wirklichkeit

Die Schere zwischen Ansprüchen, Hoffnungen und Wirklichkeit eines "radikalreformerischen Neuanfangs" wurde erst am Abend deutlich thematisiert, als Hilary Wainwright aus Großbritannien und Jean-Marc Brulé aus Frankreich über ihre Erfahrungen berichteten. Die Tatsache einer sich längst im konservativ-liberalen Fahrwasser befindlichen Sozialdemokratie wurde von beiden Gästen anhand konkreter Entwicklungen in ihren Ländern verdeutlicht.
In Großbritannien fördere das reine Mehrheitswahlrecht die dramatische Verschiebung der politischen Achse der Labour-Party nach rechts, während sich die Linke innerhalb der Labour-Party gelähmt passiv verhalte. Die Linke außerhalb der Labour-Party sei zersplittert, und darüber helfe auch der - nach Ansicht Wainwrights - undemokratische Ansatz des in Teilen der ArbeiterInnenschaft populären Arthur Scargill nicht hinweg, eine sozialistische Labour-Party zu gründen. Demgegenüber beständen bescheidene Versuche, möglichst viele AktivistInnen der undogmatischen und demokratischen Linken aus allen gesellschaftlichen Bereichen und Bewegungen zusammenzuführen, um neue Handlungsspielräume zu gewinnen.

Die Linke innerhalb der Parti Socialiste sei durch die Politik Mitterrands weitgehend korrumpiert, und die KP habe wegen ihrer stalinistischen Tradition an Ansehen verloren - so Jean-Marc Brulé. Die KP sei inzwischen populistisch und nach wie vor kopflastig auf die traditionelle ArbeiterInnenschaft orientiert. Dies treffe auch auf einen Teil der TrotzkistInnen zu, die dogmatisch und apodiktisch in ihren alten Traditionen verharrten.
Eine neue Bewegung von demokratischen, undogmatischen Linken versuche nun in der "CAP", - Komitee für einen alternativen Fortschritt - die verschiedenen Strömungen aus traditioneller ArbeiterInnenbewegung, der Grünen, der Friedens- und Frauenbewegung, in einem "crossover"-Projekt zusammenzubringen und grüne Ideen mit den Inhalten der sozialen Emanzipation zu verbinden. Diese Bewegung verstehe sich im Unterschied zum Mainstream innerhalb von SP und KP auch als konsequent antinationalistisch. Keine Regierung habe sich wie die jetzige innerhalb von wenigen Monaten nach ihrem Machtantritt so diskreditiert, was sehr gute Chancen für einen Machtwechsel nach den Parlamentswahlen 1998 böte.
Die große Gefahr bestehe allerdings darin, daß ein weiteres Scheitern der Sozialisten in Frankreich die ganz Rechten an die Macht bringe, was für ganz Europa verheerende Auswirkungen habe. Folglich gehe es jetzt darum, Möglichkeiten zu finden, um die alternative Linke zu stärken, so daß sie auf die künftige Regierungspolitik Einfluß ausüben könne, um einen tatsächlichen sozial-ökologischen Umbau und eine Demokratisierung der Gesellschaft auf allen Ebenen einzuleiten.

Werner Ruhoff, Köln, 24.2.96