"crossover" konkret
Neue Weltordnung - Europäische Linke
Der Versuch, sich die vielfältigen Trennlinien bewußt zu machen, um sie im Hinblick auf Projekte "rot-grüner" Reformansätze in ein "produktives Spannungsverhältnis" zu bringen, grüne Positionen mit sozialen Inhalten zu verknüpfen und einer "rot-grünen" Regierungsmehrheit nicht nur den Weg zu ebnen, sondern ihr auch radikalere Inhalte abzuverlangen, kann selbstverständlich nach dieser "crossover"-Konferenz noch nicht vom Ergebnis her beurteilt werden. Erst wenn im Zuge weiterer Diskussionen konkrete Politik entwickelt werden kann, die dann auch in die Praxis umgesetzt wird - und dies soll die Debatte im Endeffekt bezwecken - kann Bilanz gezogen werden.
Die erste Debatte ließ durchaus Rückschlüsse zu, ob ein solches Projekt überhaupt die Chance hat, den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden und welche inhaltlichen Schwerpunkte dabei eine Rolle spielen könnten. Das gemeinsame Terrain, auf dem sich dieser Versuch bewegt, umfaßt die Gesellschaftskritik am Kapitalismus in ihrer reformerischen Variante, aber durchaus mit Gegensätzen und unterschiedlichen Reichweiten und verschiedenen Akzentuierungen des systemübergreifenden Stellenwertes.
Ein Grenzbereich, der es durchaus in sich hat, besteht aus der Differenz zweier Grundlinien, die sich an gegensätzlichen Orientierungen reiben. Soll die Reformstrategie dem alten Muster von selektiver Wachstums- und Industriepolitik mit sozial- (und) demokratisch und umweltpolitisch unterfütterten Vorgaben folgen, oder muß der Schwerpunkt der Reformpolitik nicht viel stärker auf die Freiräume lebensweltlicher Bezüge gerichtet werden? Ist die Orientierung linker Politik an der Teilhabe der ProduzentInnen an richtungsbestimmenden Entscheidungen und einem durch staatliche Wirtschaftspolitik flankierten wachsenden materiellem Wohlstand auszurichten (den Kampf um industrielle Vollbeschäftigung eingeschlossen), oder diktieren ökologische Wachstumsgrenzen und die ökonomische Wachstumserschöpfung nicht das schrittweise Umsteigen vom korporatistisch organisierten Industriesystem auf einen gemeinwirtschaftlichen Sektor mit dem Ziel einer gesamtgesellschaftlichen Umorganisation menschlicher Arbeit über den eng gefaßten Sinn von Erwerbsarbeit hinaus? Geht es um die Befreiung in der Arbeit oder um die Befreiung von der Arbeit? Sind der Dualismus von staatlicher Reformpolitik nach linken reformorientierten Vorstellungen und gesellschaftlicher Selbstorganisation, von Etatismus und Anti-Etatismus zu versöhnen? Können solch unterschiedliche Positionen miteinander verbunden werden oder schließen sie sich grundsätzlich aus?
Gestaltungsmöglichkeiten der Neuen Weltordnung?
Im Forum "Neue Weltordnung" ging es in erster Linie um die
konservativ-reaktionäre Politik als einem organisierten Prozeß auf
internationaler Ebene, welcher die ökonomische wie
sozial-ökologische Gestaltung auf staatlicher Ebene verdrängt. Die
dadurch verschärften Krisen werden durch ein Krisenmanagement mit
rigiden (national-)staatlichen sowie international abgestimmten
militärischen Sanktionen im Zaum gehalten. So, wie sich der Staat
aus der ökonomischen wie sozialen Verantwortung herausziehe, so
baue er seinen Gewaltapparat aus.
Einig waren sich die Vertreter der drei radikalreformerischen
Strömungen, daß die Deregulierung durch die konservativen Blöcke
mit der Gewinnung linker politischer Mehrheiten in den
Industrienationen der nördlichen Halbkugel beendet und rückgängig
gemacht werden muß. Die Linke dürfe sich nicht gegen die
Internationalisierung sperren - im Gegenteil - aber ihre aktuelle
Aufgabe bestehe darin, wichtige Instrumente für die Regulierung der
sozial-ökologischen Erfordernisse und der internationalen
Kapitalströme durchzusetzen.
Hierzu zählen Kapitalverkehrs- und Zinsdifferenzsteuern, die
Einführung international abgestimmter und gültiger Sozial- und
Ökostandards, die Regionalisierung von Wirtschaftskreisläufen sowie
grenzüberschreitende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Elemente
einer globalen politischen Öffentlichkeit sind die NGOs. Hier
eröffneten sich Interventionsmöglichkeiten. Internationale
Regelungen blieben aber nach wie vor durch nationalstaatliche
Institutionen vermittelt, u.a. mit Hilfe rot-grüner
Regierungen.
Gestaltung oder Gegenmacht
Fritjof Schmidt von den Grünen lenkte das Augenmerk auf die bestehenden internationalen Institutionen, die durchaus für eine internationale Struktur- und Interventionspolitik nutzbar gemacht werden könnten. Trotz der grundlegenden Kritik an der Verfaßtheit wie der Unterordnung dieser Institutionen unter kapitalbestimmte Interessen, sah er die Notwendigkeit und die Chance, durch eine fortschrittliche Politik auf nationaler Ebene, diese Institutionen zu beeinflussen.
Die zwei Entwicklungshilfephasen nach dem Zweiten Weltkrieg hätten gezeigt, daß internationales Handeln im Interesse der Entwicklung transnationaler Konzerne, etwa bei dem Ausbau globaler Infrastrukturen wie Flughäfen oder Kommunikationsnetze, möglich war. Und auch in Zukunft sei der Ausbau eines Netzwerkes der transnationalen Konzerne ohne politische Gestaltung auf internationaler Ebene nicht möglich. Hieraus ergebe sich zusätzlicher politischer Handlungsspielraum, der zur Herausarbeitung einer internationalen Strukturpolitik mit den erforderlichen Eingriffsmöglichkeiten genutzt werden müsse.
André Brie sah das Problem, daß die international durchgesetzte
Deregulierung des Kapitalverkehrs zu einem internationalen
Manchester-Kapitalismus führe, dem aber keine sich formierende
Arbeiterklasse gegenüberstehe, die einen weltpolitischen Überbau
für die Regulierung der Weltwirtschaft auf absehbare Zeit mit
durchsetzen könne. Die Frage, inwieweit mit der Implosion des
Staatssozialismus auch die Möglichkeit eingeschränkt werde, dem
Kapital eine "sozialere" Politikvariante aufzuzwingen, wurde
angesprochen, aber nicht weiter vertieft.
Auch der Maastrichter Vertrag wurde kritisiert, aber die
mehrheitliche Meinung war offensichtlich nicht gegen eine
gemeinsame Währung eingestellt, sofern der Währungsunion eine
sozial-ökologische Union hinzugefügt werde und der
Integrationsprozeß mit Mittel- und Osteuropa auf gleichberechtigter
Ebene vorangebracht werde. Betont wurde, daß der europäische
Integrationsprozeß - gefördert durch "rot-grüne" Mehrheiten - ein
Durchbruch sein könne, das Verhältnis von regionaler und globaler
Politik neu zu definieren und auch umzusetzen.
Die knapp bemessene Zeit und die begrenzte Aufnahmefähigkeit
ließen in Anbetracht der Komplexität weder in die Tiefe gehende
noch sehr streitbare Debatten zu. Allenthalben entstand
Ratlosigkeit ob der Vermittelbarkeit dieser Komplexität in der
Öffentlichkeit. So blieben lediglich die unterschiedlichen
Akzentuierungen und die Stimmungen der Beteiligten.
Die Lösungsansätze blieben in der Projektion auf die
institutionalisierten Ebenen von "rot-grünen" Regierungen,
internationalen Betriebsräten und international agierenden
Organisationen stecken. Die Unkenntlichkeit der handelnden
Betroffenen manifestierte sich in aufflackernder Ratlosigkeit. Die
Orientierung zentrierte sich immer wieder auf die Notwendigkeit
einer "rot-grünen" Ablösung der konservativ-liberalen
Vorherrschaft, um der Dominanz der Ökonomie Einhalt zu gebieten und
die politische Handlungsinitiative zurückzugewinnen.
Die radikal-reformerische Linke habe ihre Aufgabe darin, die
schlimmen Auswüchse abzumildern und eine Repolitisierung der
Gesellschaft zu fördern, in deren Klima sich Gegenbewegungen
bilden, auf deren Basis auch radikale Reformen möglich seien. Dabei
sei die Mobilisierung im nationalen Kontext für die Realisierung
globaler oder großregionaler Projekte ebenso notwendig wie deren
internationale Vernetzung.
Europäische Linke: Anspruch und Wirklichkeit
Die Schere zwischen Ansprüchen, Hoffnungen und Wirklichkeit
eines "radikalreformerischen Neuanfangs" wurde erst am Abend
deutlich thematisiert, als Hilary Wainwright aus Großbritannien und
Jean-Marc Brulé aus Frankreich über ihre Erfahrungen berichteten.
Die Tatsache einer sich längst im konservativ-liberalen Fahrwasser
befindlichen Sozialdemokratie wurde von beiden Gästen anhand
konkreter Entwicklungen in ihren Ländern verdeutlicht.
In Großbritannien fördere das reine Mehrheitswahlrecht die
dramatische Verschiebung der politischen Achse der Labour-Party
nach rechts, während sich die Linke innerhalb der Labour-Party
gelähmt passiv verhalte. Die Linke außerhalb der Labour-Party sei
zersplittert, und darüber helfe auch der - nach Ansicht Wainwrights
- undemokratische Ansatz des in Teilen der ArbeiterInnenschaft
populären Arthur Scargill nicht hinweg, eine sozialistische
Labour-Party zu gründen. Demgegenüber beständen bescheidene
Versuche, möglichst viele AktivistInnen der undogmatischen und
demokratischen Linken aus allen gesellschaftlichen Bereichen und
Bewegungen zusammenzuführen, um neue Handlungsspielräume zu
gewinnen.
Die Linke innerhalb der Parti Socialiste sei durch die Politik
Mitterrands weitgehend korrumpiert, und die KP habe wegen ihrer
stalinistischen Tradition an Ansehen verloren - so Jean-Marc Brulé.
Die KP sei inzwischen populistisch und nach wie vor kopflastig auf
die traditionelle ArbeiterInnenschaft orientiert. Dies treffe auch
auf einen Teil der TrotzkistInnen zu, die dogmatisch und
apodiktisch in ihren alten Traditionen verharrten.
Eine neue Bewegung von demokratischen, undogmatischen Linken
versuche nun in der "CAP", - Komitee für einen alternativen
Fortschritt - die verschiedenen Strömungen aus traditioneller
ArbeiterInnenbewegung, der Grünen, der Friedens- und
Frauenbewegung, in einem "crossover"-Projekt zusammenzubringen und
grüne Ideen mit den Inhalten der sozialen Emanzipation zu
verbinden. Diese Bewegung verstehe sich im Unterschied zum
Mainstream innerhalb von SP und KP auch als konsequent
antinationalistisch. Keine Regierung habe sich wie die jetzige
innerhalb von wenigen Monaten nach ihrem Machtantritt so
diskreditiert, was sehr gute Chancen für einen Machtwechsel nach
den Parlamentswahlen 1998 böte.
Die große Gefahr bestehe allerdings darin, daß ein weiteres
Scheitern der Sozialisten in Frankreich die ganz Rechten an die
Macht bringe, was für ganz Europa verheerende Auswirkungen habe.
Folglich gehe es jetzt darum, Möglichkeiten zu finden, um die
alternative Linke zu stärken, so daß sie auf die künftige
Regierungspolitik Einfluß ausüben könne, um einen tatsächlichen
sozial-ökologischen Umbau und eine Demokratisierung der
Gesellschaft auf allen Ebenen einzuleiten.
Werner Ruhoff, Köln, 24.2.96