Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 417 / 27.8.1998

Ein Jahr Asienkrise:

Heißes Geld bekommt kalte Füße

Den 2. Juli 1997 wird man in Ost- und Südostasien nicht so schnell vergessen. An diesem Tag sah sich die thailändische Regierung gezwungen, die Bindung des Baht an den US-Dollar aufzuheben. Eine Abwertung von 15 Prozent war die Folge. Noch im gleichen Monat gerieten auch die Währungen der Nachbarstaaten unter Druck: der philippinische Peso, Indonesiens Rupiah und Malaysias Ringgit. Was zunächst nur eine Währungskrise war, griff bald auf die Aktienmärkte über. Die Kurse begannen auf breiter Front zu purzeln. Der Hongkonger Hang Seng-Index verlor innerhalb von drei Wochen 15 Prozent. Auch an der New Yorker Wallstreet wurden die Broker nervös. Am 15. August 1997 erlebte der Dow-Jones-Index seinen stärksten Rückgang seit Oktober 1987. Am 24. Oktober 1997 gab es einen erneuten, noch stärkeren Einbruch.

Ein Jahr nach Beginn der Krise zeigt sich, daß die Programme des Internationalen Währungsfonds (IWF) weniger den gebeutelten asiatischen Ländern als den Schnäppchenjägern aus Europa und den USA helfen, die auf den doppelt entwerteten Aktienmärkten in Ost- und Südostasien einkaufen. Wolfgang Pomrehn zieht Bilanz.

Während sich die Aktienkurse an der New Yorker Börse wieder erholten, sackten die Notierungen an den Märkten Ost- und Südostasiens weiter ab. Die Region schlitterte immer tiefer in die Krise. Bis zum 31. Dezember 1997, schätzt man bei Morgan Stanley Capital International, haben die Aktien in Thailand, Südkorea, Hongkong und Indonesien rund 200 Milliarden US-Dollar an Wert verloren. Doch damit war das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Nach einem Zwischenhoch im Frühjahr ging die Talfahrt allerorten weiter. Selbst in Australien und Neuseeland begannen Aktienbesitzer zu schwitzen.

In Bangkok, wo alles seinen Anfang nahm, ist der Index Anfang August bei 234 Punkten angelangt: ein rasanter Absturz von 650 im Juni 1997 bzw. von 850 Punkten im Dezember 1996. In Hongkong, wo man noch vor Jahresfrist davon träumte, der Hang-Seng-Index könnte bald die Marke von 20.000 erreichen, schloß die Börse am 11. August bei 6.780 Punkten. Mit anderen Worten: Seit dem 8. August 1997, als der Index mit 16.647 Punkten seinen historischen Höchststand erreicht hatte, haben Hongkonger Aktien rund 60 Prozent an Wert verloren.

Voraussehbarer Absturz

Dabei hatten in Thailand noch vor kurzem die meisten Wirtschaftsindikatoren recht gut ausgesehen: Mit einem jährlichen Wachstum des Bruttoinlandprodukts (BIP) von 9,8 Prozent in den Jahren 1985 bis 1995 hatte das südostasiatische Land die weltweit am schnellsten wachsende Wirtschaft. Zudem nahm die relative Verschuldung gegenüber dem Ausland seit Jahren ab, und die Weltbank stufte Thailand in die Kategorie "weniger verschuldete Länder" ein. Die Regierung in Bangkok verfolgte eine strikte Haushaltspolitik, so daß sie 1995 einen Überschuß erwirtschaftete, der immerhin 2,5 Prozent des BIP ausmachte.

So scheint die Asiatische Entwicklungsbank als eine der großen internationalen Finanzinstitutionen gute Gründe gehabt zu haben, als sie wenige Wochen vor dem Crash optimistische Einschätzungen verbreitete: In ihrem "Ausblick für 97 und 98" (veröffentlicht im Juni 1997) hieß es: "Die Wirtschaft (Südostasiens) wird im allgemeinen als gesund angesehen, und das Eingreifen der Verantwortlichen hat wahrscheinlich eine breitere monetäre Krise von der Art, wie sie Mexiko 1994 erlebte, vermieden." Wenige Tage später war diese Aussage Makulatur.

Strukturelle Probleme

Voraussehbar, meinen einige Kritiker. Narong Pretpasert von der Chulalongkorn-Universität in Bangkok weist z.B. darauf hin, daß Thailands Handelsbilanz chronisch defizitär ist. Das Defizit hat in den letzten Jahren sogar zugenommen, und zwar trotz erheblicher Wachstumsraten bei den Exporten. 1996 betrug es 9 Prozent des BIP.

Die Erklärung ist einfach: Die Industrie des Landes ist sehr einseitig und hängt stark von Importen ab. Die Fertigungstiefe ist gering. Vorprodukte, Maschinen und Anlagen - fast alles muß importiert werden. Ein Problem, mit dem auch andere asiatische Tiger zu kämpfen haben, wie z.B. die Philippinen, die bisher für wenig Schlagzeilen gesorgt haben. Selbst das vergleichsweise hochindustrialisierte Südkorea ist vor allem bei Hightech-Komponenten auf Importe angewiesen, da seine Unternehmen Forschung und Entwicklung vernachlässigt haben.

Ein anderer Faktor, der die Alarmglocken schon frühzeitig hätte läuten lassen müssen, war das Stagnieren der Exporte, meint der indische Wissenschaftler Kavaljit Singh. Nach einem Wachstum von 22,2 und 24,7 Prozent in den beiden Vorjahren hat es 1996 praktisch keine weitere Zunahme mehr gegeben. Zwei Gründe nennt der Ökonom dafür: Zum einen sei die Nachfrage nach Elektronik-Artikeln zurückgegangen; zum anderen habe ein Anstieg der Löhne in Thailand zu einem Wettbewerbsnachteil geführt, weil die Unternehmer nicht in Produktivitätssteigerungen investiert hätten.

Das deckt sich mit einer Analyse des Wirtschaftswissenschaftlers Alwyn Young, der 1992 und 1995 in zwei Arbeiten daraufhingewiesen hat, daß Asiens Boom einzig auf dem Zufluß von Kapital statt auf einer Steigerung der Produktivität beruht und daher nicht besonders nachhaltig sein kann.

Heißes Geld bekommt kalte Füße

Vor allem dann nicht, wenn wie in Thailand und auf den Philippinen das ausländische Kapital vor allem Anlage-Kapital ist, d.h. in Aktien, Krediten und Anleihen steckt und daher rasch abgezogen werden kann. Genau das ist letztes Jahr in Thailand passiert, als die Probleme des dortigen Bankensektors offensichtlich wurden. Anfang 1997 begann das, was nicht nur Narong Pretpasert eine "bubble economy" nennt, zu platzen.

Seit Beginn der 90er Jahre hat sich Thailand zunehmend verschuldet. 1996 betrugen die Schulden 123 Prozent des BIP, während es 1992 nur 39 Prozent waren. Der Löwenanteil davon entfiel auf Private und bestand aus Krediten mit geringer Laufzeit. Viele Kredite wurden zudem für Investitionen in den besonders boomenden Immobilienmarkt aufgenommen. Die Rechnung schien einfach: Man nahm einen Kredit auf, um Land zu kaufen, dessen Marktwert schnell steigen und die Kreditzinsen mehr als wettmachen würde. Doch Ende 1996 war Schluß mit diesem spekulativen Geschäft. Die Bodenpreise fielen wieder. Mit fatalen Folgen: Viele Kredite konnten nicht mehr bezahlt werden. Ein Siebtel aller Kredite soll nach Angaben der Bank of Thailand bereits Ende 1996 "faul" gewesen sein. Beobachter meinen allerdings, daß die tatsächlich Rate fast doppelt so hoch gewesen sein muß.

Als diese Fakten durchzusickern begannen, verloren ausländische Investoren ihr Vertrauen in die Wirtschaft des Landes, und der Angriff auf den Baht begann. Zunächst versuchte man in Bangkok noch, den Wechselkurs zu verteidigen. Die thailändische Zentralbank kaufte für mehr als 23 Milliarden US-Dollar Baht auf - nur um ihre Devisenreserven ohne nennenswerten Effekt dahinschmelzen zu sehen. Am 2. Juli 1997 gab sie schließlich auf.

Spekulation leicht gemacht

Devisenspekulation haben bei der Abwertung des Baht und der anderen Währungen, die ihm bald darauf folgten, sicherlich eine Rolle gespielt. Allerdings muß man deshalb nicht gleich dem malaysischen Premier Mahathir Mohammad folgen, der George Soros, den Chef eines großen Investment-Fonds, zum alleinigen Verantwortlichen erklärt. Es wird geschätzt, daß im Juni und Juli 1997 Spekulanten rund 10 Milliarden US-Dollar auf die Abwertung gesetzt haben. D.h., sie haben Schulden in Baht aufgenommen und mit dem Geld "harte" Währungen gekauft, um die Kredite nach der Abwertung zurückzuzahlen und den Kursgewinn einzustecken.

Leicht gemacht hat ihnen das die vom Internationalen Währungsfond (IWF) und anderen Apologeten des freien Welthandels empfohlene Liberalisierung des Finanzsystems. Mit der Einrichtung der Bangkok International Banking Facilities hat die Regierung 1993 praktisch den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr freigegeben.

Als im Sommer letzten Jahres die Blase aus privater Überschuldung, kurzfristigen Krediten, Bodenspekulation und einseitiger Exportorientierung platzte, dürfte manch einer in Bangkok die Einrichtung dieser Finanzdrehscheibe bereut haben. Jetzt konnte das Anlage-Kapital - anders als die Direktinvestitionen - genauso schnell abfließen, wie es gekommen war. Thailand hatte seine Liquiditätskrise und mußte beim IWF betteln gehen.

Kreditschwemme

Das sollte sich in den nachfolgenden Monaten in Indonesien, Südkorea und Malaysia wiederholen. Denn die Probleme der "Tiger"-Ökonomien ähneln sich. Auch Süd-Korea leidet z.B. unter einer übermäßigen privaten Verschuldung, und die Banken sitzen auf einem Berg unbezahlbarer Kredite. Das ist doppelt problematisch, denn ähnlich wie in Thailand haben sich auch die süd-koreanischen Finanzinstitute einen nicht unerheblichen Teil ihres Kapitals im Ausland geborgt: Ende 1996 hatte Süd-Korea bei ausländischen Banken Schulden in Höhe von insgesamt rund 100 Milliarden US-Dollar. Mit 33,8 Milliarden entfiel davon der größte Brocken auf die Europäische Union. Japan und die USA folgten mit 24,3 und 9,4 Milliarden US-Dollar.

In den letzten zwei bis drei Jahren haben vor allem europäische und japanische Banken die Region mit Krediten überschwemmt, denn hier war mehr zu verdienen als zu Hause, wo die Zinsen niedrig waren. Besonders in Japan, so viele westliche Kritiker, hat den seit dem Zusammenbruch der Bodenspekulation Ende der 80er Jahre aufgelaufenen Berg "fauler" Kredite mit einer "Null-Zinsen-Politik" versteckt. Allein von Dezember 1994 bis Dezember 1996 stieg die in Asien ausgezahlte Kreditsumme um rund 52 Prozent auf 367 Milliarden US-Dollar. Der größte Teil ging in die "Tigerstaaten", denen zuvor Weltbank und IWF die Liberalisierung ihrer Finanzmärkte nahegelegt hatte. Die beiden Riesen Indien und China hielten sich hingegen bei der Verschuldung stark zurück und bevorzugen statt dessen ausländische Direktinvestitionen.

Die Folgen dieses Kreditbooms werden sozialisiert: Nicht die leichtfertigen Kreditgeber, sondern die öffentliche Hand in den Krisenstaaten wird zur Verantwortung gezogen. "Es ist doch bemerkenswert," meint Kang Moon Kyu, der in Seoul am Aufbau eines Netzes ökologischer Nachbarschaftszentren arbeitet, "daß der IWF auf der einen Seite die Liberalisierung und Deregulierung unserer Wirtschaft verlangt, während auf der anderen Seite der Staat für die privaten Schulden geradestehen soll." Plötzlich sind selbst Staaten wie Südkorea und Thailand hochverschuldet, die einen ausgeglichenen Haushalt vorzuweisen hatten, deren öffentliche Kassen in manchen der vergangene Jahre sogar Überschusse erwirtschaftet haben. Um Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, wird eine Kreditaufnahme beim IWF unvermeidlich.

Der springt ein - den mit 58 Milliarden US-Dollar größten Kredit bekam Seoul -, doch der Preis ist hoch: Um die Währung zu stützen, verlangt der Fonds Zinserhöhungen. Außerdem sollen die öffentlichen Ausgaben gekürzt und die Mehrwertsteuer angehoben werden. Weitere Bedingung: Die Grenzen müssen für Importe geöffnet und die Politik der Importdiversifizierung soll aufgegeben werden. Schließlich sind auch die Beschränkungen für ausländische Beteiligungen an koreanischen Aktiengesellschaften auf 55 Prozent anzuheben, und der Finanzmarkt ist vollständig zu öffnen.

Soziale Katastrophe

Es ist klar, wer am meisten unter den Krisenfolgen zu leiden hat: "Die südkoreanische Wirtschaft ist in ein schwarzes Loch gefallen, und die Arbeiter haben die Konsequenzen zu tragen," schreibt Lee Jai Yun in der jüngsten Ausgabe der "Asian Labour Updates". In der Region nehmen Arbeitslosigkeit und Lohnabbau zu. "Die Unternehmen drücken die Löhne weiter und weiter, so daß sie kaum noch für Nahrung und Fahrtkosten reichen," klagt man bei der Hongkonger Arbeiterinnen-Vereininigung. Thailands Finanzminister hat dem IWF sogar in einem "Letter of Intent" versprochen, den Anstieg des Mindestlohns 1998 auf zwei bis drei Prozent zu beschränken.

In Süd-Korea können sich indes die Arbeiter glücklich schätzen, wenn sie überhaupt noch bezahlt werden. Vor allem in kleineren Betrieben muß mancher oft monatelang auf seinen Lohn warten. Die Alternative heißt Arbeitslosigkeit: Von Dezember 1997 bis April 1998 verdoppelte sich die Zahl der Erwerbslosen. Derzeit spricht die Regierung von sieben Prozent Arbeitslosen, während die Gewerkschaften den informellen Sektor und die Beurlaubten mitzählen und auf 16 Prozent kommen. Die Betroffenen stehen, wenn sie nicht von ihrem Unternehmen ausgezahlt werden, zumeist ohne jede Unterstützung da. Einige wählen den letzten Ausweg: Im ersten Quartal 1998 stieg die Selbstmordrate, so Yoo Jae Hyun, um rund 36 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

In Thailand demonstrieren die Bauern für Regierungshilfen. Während sich die Früchte des Booms vor allem in der Hauptstadt Bangkok und dort in den Händen der Reichen konzentriert haben, hat man auf dem Land nun darunter zu leiden, daß sich Importgüter in Folge der Abwertung drastisch verteuert haben. Düngemittel und Maschinen müssen nach wie vor eingeführt werden, ein weiteres Indiz dafür, wie unsolide der nun implodierte exportorientierte Industrialisierungs-Boom gewesen ist.

Am schlimmsten ist die Situation in Indonesien: 1996 lebten 22,5 Millionen Indonesier in Armut. Gegenwärtig zählt das Land, das 200 Millionen Einwohner hat, schon 79,4 Millionen Arme, und bis zum Ende des Jahres wird erwartet, daß diese Zahl um weitere 20 Millionen steigt.

Als arm gelten Familien, deren Einkommen unter 227.720 Rupiah (ca. 28 DM) pro Monat in der Stadt bzw. 177.997 Rupiah (ca. 22 DM) auf dem Lande liegt. Zum Vergleich: Auf Java verkaufen Kinder Grashüpfer, die angesichts grassierenden Hungers ihren Weg zurück auf den Speisezettel der Armen gefunden haben, für 6.000 Rupiah (ca. 70 Pfennig) pro Kilogramm. Ein Liter Speiseöl kostet 8.000 Rupiah (ca. 1 DM). Mitarbeiter der Weltgesundheitsorganisation befürchten, daß Ende 1998 die Hälfte der indonesischen Bevölkerung nicht genug zu essen haben wird.

Wie immer in Krisenzeiten trifft es die Frauen besonders hart: In Boom-Zeiten wurden sie zu Niedrigstlöhnen in den Sonderwirtschaftszonen eingestellt, weil sie billiger und gewerkschaftlich weniger erfahren waren. Jetzt landen sie als erste auf der Straße. Doch damit nicht genug: "Get your husband energized" ("Baue deinen Ehemann wieder auf"), wird in einer Kampagne gefordert, mit der in Süd-Korea seit einigen Monaten Frauen an ihre "Verantwortung" erinnert werden. "Die Scheidung einzureichen ist im Zeitalter des IWF für eine Frau zum teuflischsten aller moralischen Verbrechen geworden," schreibt Choi Soung Ai im "Asian Woman Workers Newsletter". Frauen werden als kaufsüchtig verurteilt, sie sollen auf Selbstmordabsichten bei ihren Männern achten und ihre Kinder ermuntern, in der Schule nicht abzurutschen. Und bei alledem müssen sie sich noch einen Job suchen, um die Familie zu ernähren.

Trotzdem zeigt sich Süd-Koreas neuer Präsident Kim Dae Jung, der in den letzten Monaten wiederholt Polizei gegen streikende Arbeiter einsetzen und Dutzende Gewerkschaftsfunktionäre verhaften ließ, weiter optimistisch: "Es gibt keinen anderen Weg. Die Arbeitslosigkeit wird durch die Umstrukturierung von Banken und Firmen weiter steigen. Wenn wir dieses Jahr leiden, können wir den IWF bald hinter uns lassen." Unbeirrt hält er an dem vom Währungsfond diktierten Privatisierungs-Programm fest.

IWF in der Kritik

Dabei, so Kritiker, ist die IWF-Kur nicht einmal geeignet, die Krise zu überwinden. Vor allem die vom IWF verordneten hohen Zinsen sind Gift für die koreanische Ökonomie, die vom kleinen Ladenbesitzer bis zum großen Industriekonglomerat im wesentlichen auf Kreditbasis arbeitet. Yoo Jae Hyun von der Semin Foundation in Seoul schätzt die Kreditrate der Großunternehmen auf stattliche 400 Prozent.

"Die strikten Bedingungen des IWF-Programms," so Kavaljit Singh, "führen zu mehr und mehr Bankrotten und werfen Millionen von Menschen auf die Straße. Das Beharren des IWF auf Zinsanhebung führte dazu, daß diese jetzt mit 19 bis 20 Prozent nahezu 15 Prozent über der Inflationsrate liegen. Die Folge ist ein Anwachsen der Zusammenbrüche."

Auch Walden Bello von der Universität der Philippinen in Manila kritisiert die IWF-Politik des knappen Geldes und der hohen Zinsen, die allenfalls geeignet sei, die krisengeschüttelten Staaten in eine Rezession zu treiben. Außerdem, wendet Singh ein, wende der IWF zweierlei Maßstäbe an: Einerseits bestünde er mit seinen Auflagen darauf, daß die Regierungen ihren angeschlagenen Banken nicht zur Hilfe kommen, sondern sie an den "faulen" Krediten bankrott gehen lassen. Wenn es aber um die internationalen Banken gehe, die so leichtfertig verliehen haben, würde der Fonds auf einmal auf der Bedienung der Kredite bestehen - möglichst noch mit Zinsen. Von einigen Kritikern wird er deshalb auch schon als Hauptschuldeneintreiber für die Banken der Industriestaaten bezeichnet. "Tatsächlich," so Singh, "werden viele Gläubiger durch die Umstrukturierung der Banken und Finanzinstitute in diesen Ländern noch zusätzliche Profite machen." Wenn sie für ihre exzessive Kreditvergabe auch noch belohnt werden, so der Inder pessimistisch, könnten sie sich schon bald neue Wege für ähnliche Aktionen suchen. Es fragt sich also, wer nach Mexiko und Südostasien das nächste Opfer sein wird. Afrika?

Erholung in Sicht?

Selbst Weltbank-Chefökonom Joseph Stiglitz reiht sich in die Front der IWF-Kritiker ein. Statt enger Haushaltspolitik sei eine Ausweitung der öffentlichen Ausgaben gefordert, meint er. Soziale Sicherungssysteme müßten her, um den Abstieg von Millionen in die Armut zu verhindern.

In einigen Staaten folgt man inzwischen diesem keynesianischen Ansatz. Hongkong, Singapur, Malaysia und Japan haben milliardenschwere Infrastrukturprogramme aufgelegt, die zumeist darauf abzielen, die Bauwirtschaft wieder anzukurbeln. In Jakarta, Bangkok und Seoul würde man gern diesem Beispiel folgen, wenn man denn die Mittel dafür hätte oder der IWF es zuließe.

Doch ob die Programme ausreichen werden, die Länder aus der Krise herauszuführen, ist zweifelhaft. Von einer baldigen Erholung spricht jedenfalls inzwischen kaum noch jemand in der Region. Walden Bello meint sogar, Asien stünde vor einem verlorenen Jahrzehnt.

Rettungsanker setzen Rost an

Selbst in Hongkong und China, die bisher als Rettungsanker gelten, mehren sich die Krisenanzeichen. Hongkong-Dollar und chinesischer Yuan sind die einzigen Währungen in Ost- und Südostasien, die dem Abwertungsdruck bisher haben widerstehen können. Sowohl in Peking als auch in der ehemaligen britischen Kolonie ist seit Ausbruch der Krise keine Woche vergangen, in der nicht die Verteidigung der jeweiligen Währung versprochen worden wäre. Sollten nämlich auch noch Hongkong-Dollar und Yuan fallen, da sind sich alle Analysten einig, stünde eine neue Abwertungsrunde ins Haus, die eventuell sogar eine globale Rezession auslösen könnte. Schon jetzt mehren sich vor allem in den USA die Anzeichen, daß die asiatische Krise nicht auf die Region beschränkt bleiben wird.

In Hongkong spricht man inzwischen von einer einsetzenden Rezession. Der Einzelhandelsumsatz geht rapide zurück, die Bodenpreise sinken besorgniserregend, und die Arbeitslosigkeit erreicht Rekordwerte. In China ist man offiziell zwar noch zuversichtlich, auch in diesem Jahr das hohe Wachstumsziel zu erreichen, doch bleibt fraglich, ob die dafür notwendigen ausländischen Direktinvestitionen (30 Milliarden US-Dollar im Jahr 1998) eingeworben werden können. Die Hauptherkunftsländer befinden sich nämlich selbst in Schwierigkeiten: Hongkong, Taiwan und jetzt auch Japan.

Die sich verschärfende Krise der japanischen Wirtschaft und die Abwertung des Yen üben weiteren Druck auf den Yuan aus. Man schätzt, daß die japanischen Direktinvestitionen um 2 Milliarden US-Dollar zurückgehen werden, falls der Kurs des Yen auf 150 Yen/US-Dollar absacken sollte - was nicht so unwahrscheinlich ist.

So verwundert es auch nicht weiter, daß Mitte Juni aus Peking zum ersten Mal verlautete, man werde den Yuan nicht um jeden Preis verteidigen, wenn Tokio dem Verfall seiner Währung weiter tatenlos zusieht. Nur Stunden später griff die US-Notenbank in Absprache mit der japanischen Regierung ein und kaufte für mehrere Milliarden Dollar Yen. Doch der Kursgewinn des Yen schmolz binnen Wochenfrist wieder ab. Seitdem fährt die Nippon-Devise einen irren Zickzackkurs, der Analysten und Fondsmakler in der Region in Atem hält.

Zu Beginn der Währungskrise hatten einige Regierungen noch gehofft, daß die Abwertung den Export ankurbeln würde. Auch die IWF-Programme sollten auf diesem Weg die Staaten aus der Krise führen. Doch das, zeigt sich jetzt, war ein Irrglaube.

Übersehen wurde dabei zum einen, daß die hohe Importabhängigkeit der Exportwirtschaft die Produktion verteuert - eine Verbilligung der Ausfuhren findet hier ihre Grenzen. Zum anderen bleibt ein erheblicher Teil der Exporte in der Region. Deren krisenbedingt nachlassende Kaufkraft macht sich also in den Bilanzen bemerkbar. Schließlich überschneidet sich der Exportmix der verschiedenen Länder zum Teil erheblich, d.h. nicht nur die jeweils eigenen Exporte werden durch die Abwertungen billiger, sondern auch die der Konkurrenz.

Sollte z.B. der Yen auf 150 Yen pro US-Dollar fallen, erwartet das Hyundai Wirtschaftsforschungszentrum einen Rückgang der südkoreanischen Ausfuhren um zwei Prozent für das laufende Jahr. Auch Singapur und Taiwan gehören zu den auf diese Weise von der Yen-Krise Betroffenen. Fumiyuku Sasaki vom japanischen Nomura Forschungsinstitut: "Für jeweils 10 Yen, die der US-Dollar steigt, gehen Singapurs Exporte um zehn Prozent zurück." Andere Staaten wie China haben eher mit der abnehmenden Nachfrage in Japan zu kämpfen.

Japan wiederum leidet unter der geschrumpften Kaufkraft seiner wichtigsten Kunden: Vor der Krise gingen 45 Prozent der japanischen Exporte nach Asien, das meiste davon in die Krisenstaaten. Der Tiger beißt sich also in den Schwanz.

Schnäppchenjäger

Wie jede Krise hat auch diese ihre Gewinner. Die Belohnung der Kredithaie wurde bereits oben erwähnt. Daneben sind die europäischen und US-Amerikanischen Schnäppchenjäger zu nennen, die nun an den doppelt entwerteten Aktienmärkten Ost- und Südostasiens auf Pirsch gehen. Dort wo ihnen bisher noch Fesseln angelegt waren, sorgen die IWF-Auflagen für "Liberalisierung".

Die Firma Bosch etwa hat ihr Gemeinschaftsunternehmen mit den koreanischen KIA-Werken vollständig übernommen. BASF erwirbt Chemiebetriebe des Hanwha Chaebols, und dessen Raffinerien gehen an Shell, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch bei den anstehenden Privatisierungen, wie z.B. der südkoreanischen Telecom, werden finanzkräftige Unternehmen aus den Industrieländern sicherlich nicht leer ausgehen. George Soro, der als inoffizieller Berater des neuen Präsidenten in Seouls Blauem Haus fungiert, hat bereits sein Interesse angemeldet.

Die sozialen Bewegungen Ost- und Südostasiens tun sich derweil noch schwer, eine eigene Antwort zu finden. Allenthalben beschränkt man sich auf die Kritik der IWF-Auflagen und auf Abwehrkämpfe. Nicht selten tappt man - vor allem Mann - dabei in die nationale Falle: "Manchmal müssen Arbeiter eben zurückgeschickt werden," meint Premesh Chandran vom (regierungsnahen) malaysischen Gewerkschaftsverband. In seinem Land gebe es zuviele Arbeitsimmigranten, und seine Basis würde es nicht akzeptieren, wenn er sich gegen die Deportationen aussprechen würde, kommentiert er die Vertreibung indonesischer Flüchtlinge und Arbeiter aus Malaysia. Nur sollten dabei internationale Standards eingehalten werden, die auf europäischen Erfahrungen (!) beruhen.

Auch in Süd-Korea initiieren ehemalige Oppositionelle Kampagnen, die dazu aufrufen, koreanische Waren zu Kaufen. Sie appellieren an den Nationalstolz und sammeln Gold, um die Währung zu stützen. Ausgeblendet wird dabei, daß Süd-Korea nicht nur zu den Opfern, sondern durch exzessiven Kapitalexport vor allem nach Indonesien auch zu den Verursachern der Krise gehört. Im Gewerkschaftsdachverband KCTU gibt es derweil erhebliche Auseinandersetzungen zwischen Vertretern einer sozialpartnerschaftlichen Linie, die den nationalistischen Argumenten folgen, und solchen Kräften, die auf einen kompromißlosen Kampf gegen Massenentlassungen setzen.

Ebenfalls in Süd-Korea beginnen inzwischen einige Frauen zu verstehen, daß die untrennbar mit dem Nationalismus verwobenen patriarchalen Ansätze für sie wenig Gutes verheißen. "Laßt uns Frauen uns selbst organisieren," schreibt Choi Soung Ai. "Laßt uns darüber sprechen, wie soziale, politische und wirtschaftliche Entwicklung und Gerechtigkeit aus der Perspektive der Frauen aussehen sollte."

Andere haben ihre Antwort bereits gefunden. "Am Protektionismus führt kein Weg vorbei," meint Edberto Villegas, Direktor des Institute of Development Studies an der Universität der Philippinen und zugleich Chef-Berater der Guerilla für ökonomische Fragen in den Friedensverhandlungen mit der Regierung. Die Liberalisierungsgesetze für Bergbau und Bankwesen müßten zurückgezogen werden, so Villegas, und bei der Vergabe von Konzessionen müßten zuerst einheimische Gesellschaften berücksichtigt werden. Vor allem müsse eine Landreform, die den Namen verdient, eingeleitet und die Plantagen der Multis und der alteingesessenen Großgrundbesitzer müßten enteignet werden. Die Industrialisierung schließlich, so beschreibt er das klassische national-demokratische Programm kommunistischer Parteien in kolonialen und neo-kolonialen Ländern, müsse auf die Bedürfnisse der Landwirtschaft zugeschnitten sein.

Doch wie ein solche Politik gegen den Druck von Wirtschaftskolossen wie Deutschland und den Vereinigten Staaten durchgesetzt werden kann, die allenthalben mit Verlockungen und Erpressung die Regierungen der Welt zur Öffnung der Grenzen für Kapital und Waren drängen, bleibt unklar. Aber diese Frage ist wohl auch eher den Metropolenbewohnern zu stellen.

Wolfgang Pomrehn