Abwehrkampf gegen Umstrukturierung
Streik beim US-Autokonzern General Motors endet "unentschieden"
Streik bei General Motors. Acht Wochen lang war das größte Industrieunternehmen der Welt lahmgelegt, bis sich am 28. Juli Gewerkschaft und GM-Vorstand auf eine Beilegung des Konflikts einigten. Das Ziel der Streikenden, die Umstrukturierung des Konzerns aufzuhalten, wurde nicht erreicht.
"What's good for the country is good for General Motors, and what's good for General Motors is good for the country." So tönte der GM-Manager Charles Wilson vor 50 Jahren und prägte damit ein US-amerikanisches Sprichwort. Jahrzehntelang war GM das größte Privatunternehmen in den USA, mittlerweile wurde es - nach der Beschäftigtenzahl - von der Handelskette Wal-Mart und von der Zeitarbeitsfirma Manpower überholt.
Auch heute noch ist GM der größte Automobilhersteller in den USA, verliert aber stetig an Marktanteil. 1960 stammte noch mehr als die Hälfte aller in den USA verkauften Autos aus einer GM-Fabrik, heute ist es weniger als ein Drittel. Nur noch etwa 223.000 Menschen verdienen derzeit bei GM ihren Lebensunterhalt, vor 25 Jahren waren es noch mehr als doppelt so viele. Und der Konzern will weiter Arbeitsplätze in Nordamerika abbauen - die Rede ist von noch einmal 50.000 Stellen weniger in den kommenden Jahren.
Dies ist der Hintergrund für den achtwöchigen Streik, der Anfang Juni in zwei GM-Werken in Flint (einer Nachbarstadt der Auto-Metropole Detroit) begann. Die rund 9.200 Streikenden legten bald fast den gesamten Konzern lahm: Weil die Komponenten aus Flint fehlten, mußten auch die meisten anderen GM-Fabriken die Produktion einstellen. Der Konzern sperrte etwa 190.000 Beschäftigte aus, nur drei von insgesamt 29 Montagewerken blieben in Betrieb. Hier kam der Gewerkschaft die "Just-in-time"-Produktion der Autoindustrie entgegen: Weil kaum noch Komponenten gelagert werden, sondern nur noch "gerade-noch-rechtzeitig" zur Endmontage geliefert werden, legt der Ausfall eines Produktionsgliedes die ganze Kette lahm. Dadurch konnte die Gewerkschaft auch einen längeren Arbeitskampf finanziell durchhalten: Nur die 9.200 Streikenden erhielten Streikgeld (allerdings nur 150 Dollar pro Woche); die 190.000 Ausgesperrten bekamen Arbeitslosengeld. Gleichzeitig mußte GM riesige Verluste einstecken: angeblich 75 Millionen Dollar pro Tag (oder fünf Mrd. Mark für die acht Wochen), wobei ein Großteil davon wohl in den kommenden Wochen wieder "hereingearbeitet" werden wird.
Anders als bei vielen Arbeitskämpfen der vergangenen zwanzig Jahre stieß die UAW dieses mal auf relativ große Zustimmung in der Öffentlichkeit. Laut einer Umfrage des Fernsehsenders CBS sympathisierten 46 Prozent der US-Bevölkerung mit den Streikenden, 37 Prozent mit GM. Bei den unter-30-jährigen sprachen sich sogar 52 Prozent für die Ziele des Streiks aus. Diese Umfrageergebnisse blieben zwar hinter der breiten Sympathie mit dem Streik beim Paketdienst UPS im vergangenen Sommer zurück, bei dem es vor allem gegen die Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten ging (siehe ak 405). Aber auch der Flint-Streik betraf ein Thema, das viele Lohnabhängige in den USA unmittelbar berührt: Relativ gut bezahlte und tariflich abgesicherte Industrie-Arbeitsplätze werden abgebaut und in mehr oder weniger entgarantierte Zulieferbetriebe ausgelagert.
"Gewerkschaftsfreie" Zulieferer
Formal entzündete sich der Ausstand Anfang Juni an "lokalen" Fragen in Flint: Sicherheitsvorschriften, Gesundheitsprobleme, Fließband-Geschwindigkeit und Stellen-Beschreibungen (während des laufenden Tarifvertrags sind Streiks für "umfassende" Ziele nicht zugelassen). Tatsächlich ging es jedoch um nicht weniger als um die Zukunft der US-amerikanischen Automobilindustrie und ihrer traditionsreichen Gewerkschaft UAW (United Auto Workers).
Jahrzehntelang galt die Autoindustrie als Bastion der US-Gewerkschaftsbewegung. Genauer: Seit den legendären Betriebsbesetzungen ("sit-down strikes") von 1936 und 1937, wovon übrigens die spektakulärste ebenfalls bei GM in Flint stattfand. Die UAW handelte mit den "Big Three" (die drei marktbeherrschenden Autokonzerne GM, Ford und Chrysler) Tarifverträge aus, die für die gesamte Branche galten und den Beschäftigten einen relativ hohen materiellen Lebensstandard sicherten.
In den vergangenen 20 Jahren kam diese Bastion unter Beschuß. Die UAW-Mitgliedschaft wurde seit 1979 halbiert (von 1,5 Millionen auf heute knapp 770.000 Mitglieder). Dies ist zum Teil dem allgemeinen Beschäftigungsrückgang in der Industrie geschuldet, zum anderen aber dem Auftauchen "gewerkschaftsfreier" Autohersteller (meist japanischer). Vor allem aber lagern die "Big Three" systematisch Fertigungsstufen an (oft ebenfalls gewerkschaftsfreie) Zulieferbetriebe aus. GM hängt bei dieser Entwicklung hinterher, hier werden noch rund 70 Prozent aller Einzelteile im eigenen Haus gefertigt. Bei Ford sind es nur noch rund 50 Prozent, bei Chrysler 35 Prozent. Entsprechend gilt GM als relativ unproduktiv, fährt aber trotzdem gigantische Profite ein: schätzungsweise sechs Milliarden Dollar im Jahr.
Die Umstrukturierung der Autoindustrie und der Mitgliederschwund haben die UAW (einst eine der mächtigsten Gewerkschaften) stark geschwächt. In den 80er Jahren machte man zahlreiche Zugeständnisse an die "Big Three" (Flexibilisierung, untertarifliche Einstiegslöhne, usw.). Inzwischen gibt es auch keinen Branchen-Tarifvertrag mehr: Die UAW verhandelt nun separat mit den jeweiligen Konzernen und ist so weiteren Erpressungen ausgesetzt.
Mageres Streikergebnis
Die Beschäftigten in Flint mußten nun befürchten, daß auch ihre Arbeitsplätze durch Auslagerung vernichtet werden sollen. Noch im vergangenen Jahr hatte GM versprochen, den Standort Flint zu halten und rund 300 Millionen Dollar in die Modernisierung der beiden Werke zu investieren. Dies ist bisher nicht geschehen - was einer der Auslöser für den Streik war.
In Flint gibt es zudem die Regel, daß die Beschäftigten vorzeitig nach Hause gehen können, sobald sie ihre tägliche Produktionsquote erfüllt haben (manchmal auch schon nach fünf oder sechs Stunden), und trotzdem für acht Stunden bezahlt werden. Diese Regel gilt weiterhin, allerdings stimmte die UAW zur Beendigung des Streiks Ende Juli einer Erhöhung der Produktionsquoten um 15 Prozent zu. Jetzt soll die Modernisierung in Flint anlaufen. Zudem hat GM versprochen, drei Komponenten-Fabriken in Flint und in Ohio frühestens im Jahr 2000 (und nicht schon 1999, wie bisher geplant) zu verkaufen.
Die wichtigsten Konflikte sind damit nur aufgeschoben: Wenn im September 1999 der konzernweite Tarifvertrag zur Neuverhandlung ansteht, wird es wohl neue Auseinandersetzungen geben. Solange will die UAW allerdings auf weitere Kampfmaßnahmen verzichten. Obwohl die US-Wirtschaftspresse beklagte, daß sich GM nicht eindeutig gegenüber der Gewerkschaft durchgesetzt hätte, waren die Anleger offensichtlich zufrieden: Der GM-Aktienkurs blieb im wesentlichen stabil.
Schon wenige Tage nach dem Ende des Streiks machte der GM-Vorstand deutlich, daß er die Umstrukturierung des Konzerns weiter vorantreiben will. So soll 1999 die GM-Tochter Delphi Automotive Systems (sozusagen ein konzerninterner Zulieferer) vollständig ausgegliedert und als Aktiengesellschaft an die Börse gebracht werden. Unter dem Dach des UAW-Tarifvertrags verdienen Delphi-Beschäftigte bisher etwa doppelt so viel wie ihre Kollegen bei anderen Auto-Zulieferern. Die Gewerkschaft fürchtet nun (wohl zu Recht), daß eine selbständige Delphi AG die Löhne massiv kürzen würde.
Außerdem will GM die Produktpalette einschränken. Bisher werden 77 verschiedene Modelle hergestellt (inklusive der Marken Buick, Cadillac, Chevrolet, Oldsmobile, Saturn und Pontiac). Ford und Chrysler produzieren jeweils nur zwei Dutzend Modelle. Vor allem aber will GM schrittweise auf eine "Modul-Bauweise" umstellen. Damit könnte man zum Beispiel für verschiedene Autotypen die gleichen Fahrgestelle oder Armaturen verwenden - und damit weiter Arbeitsplätze abbauen.
Wer entscheidet über Investitionen?
Trotz des "unentschiedenen" Ergebnisses hatte der Arbeitskampf von Flint einen hohen Symbolwert. Ähnlich wie schon bei einem 17tägigen Streik im März 1996 (damals legten streikende GM-Arbeiter in Ohio ebenfalls fast den ganzen Konzern lahm) erhob die UAW in Flint den Anspruch, nicht nur über Löhne, Sozialleistungen und Arbeitsbedingungen mitzubestimmen, sondern auch über die Investitionspolitik des Konzerns.
Damit kratzt die UAW am Nachkriegskonsens in der US-Autoindustrie. 1945/46 kam es zur großen Kraftprobe zwischen Industriegewerkschaften und Konzernen. Entscheidend war damals ein fast viermonatiger Streik (ebenfalls bei GM), der mit einer Niederlage der UAW endete. Damals gaben die Gewerkschaften ihren Anspruch auf, unternehmerische Investitionsentscheidungen zu beeinflussen und beschränkten sich fortan auf die Lohnpolitik (dies allerdings durchaus mit Erfolg; die Einkommen der US-IndustriearbeiterInnen waren jahrzehntelang die höchsten in der Welt).
Außerdem setzten die großen Industriegewerkschaften relativ weitgehende Mitbestimmungsrechte am Arbeitsplatz durch - sozusagen als ein Gegenstück zur gesetzlich geregelten Betriebsverfassung in der BRD. Durch detaillierte job classifications (Stellen-Beschreibungen), durch das seniority-System (das interne Umbesetzungen, Beförderungen, betriebsbedingte Kündigungen und Wiedereinstellungen nach der Dauer der Firmenzugehörigkeit regelt) und durch eine umfassende grievance procedure (innerbetriebliches Beschwerdeverfahren - Arbeitsgerichte gibt es in den USA nicht) bekamen Vertrauensleute der Gewerkschaft relativ großen Einfluß auf innerbetriebliche Abläufe.
Auch diese Regeln standen jetzt beim GM-Streik in Flint zur Disposition. So wollte der Konzern die job classifications aushebeln, um Facharbeiter je nach Bedarf flexibler einsetzen zu können. Dies konnte der Streik verhindern.
Ende der Partnerschaft?
Innerhalb der UAW scheint sich allmählich eine andere Haltung zur "Kooperation" zwischen Management und Beschäftigten durchzusetzen. In der Autoindustrie gibt es eine Vielzahl von (angeblich hierarchiefreien) Modellen (Qualitätszirkel, Teamarbeit, etc.), die in der Regel zu einer unglaublichen Intensivierung der Arbeit führen. Beim landesweiten UAW-Gewerkschaftstag Mitte Juni übten erstmals nicht nur einzelne Basis-DissidentInnen, sondern auch einzelne Vorstandsmitglieder deutliche Kritik an den verschiedenen "Partnerschafts"-Modellen.
GMs Vorzeigebetrieb für "Labor-Management Cooperation" ist seit zehn Jahren das hochmoderne Saturn-Werk in Tennessee. Die Politik dieses Betriebs wird offiziell so beschrieben: "Wir, das Saturn-Team, im Einklang mit der UAW und General Motors, glauben, daß es fundamental zur Erfüllung unserer Mission gehört, die Bedürfnisse der Kunden, der Saturn-Teammitglieder, Zulieferer, Händler und Nachbarn zu befriedigen."
Weil Saturn innerhalb von GM relativ autonom ist, konnte das Werk trotz des Flint-Streiks weiterproduzieren. Aber ausgerechnet in den heiligen Hallen der "Labor-Management Cooperation" stimmten die mehr als 7.000 Beschäftigen Mitte Juli mit 96-prozentiger Mehrheit dafür, ebenfalls in den Ausstand zu treten (wozu es allerdings nicht mehr kam). Auch bei Saturn geht es darum, GMs Pläne für eine "Modul-Bauweise" und für eine Auslagerung an Zulieferer aufzuhalten. Ob die weit verbreitete Enttäuschung über die bitteren Früchte der bisherigen "Partnerschaft" und die offensichtlich weit verbreitete Streikbereitschaft nun zu einem konfliktfreudigeren Kurs der UAW insgesamt führen wird, läßt sich noch nicht sagen.
"Schwarze" Rebellion in der Autoindustrie
Der Arbeitskampf in Flint hat auch einen "ethnischen" Aspekt. In der Autoindustrie fanden früher besonders viele Afro-AmerikanerInnen einen Job. Detroit, das traditionelle Zentrum der US-Autoindustrie, ist eine mehrheitlich "schwarze" Millionenstadt, aber auch andere Großstädte in der Region (wie Flint) haben einen hohen afro-amerikanischen Bevölkerungsanteil. Nach der "Great Migration" in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, als Millionen Schwarze aus den agrarischen Südstaaten in den industriellen Norden umzogen, war die Autoindustrie (trotz aller rassistischen Diskriminierungen) wohl der wichtigste "Aufstiegspfad" für Afro-AmerikanerInnen.
Dies zeigte sich auch 1967, als nach der blutigsten "schwarzen" Revolte der 60er Jahre die großen Auto-Konzerne in den Ghettos von Detroit Anwerbebüros eröffneten, um die rebellierenden Jugendlichen "von der Straße zu holen". Damit holten sie sich freilich die Revolte in die eigenen Werkshallen. Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre war der Großraum Detroit wohl die "revolutionärste" Region der USA, mit unzähligen wilden Streiks in der Autoindustrie. Noch heute läßt die Erinnerung an die damalige "League of Revolutionary Black Workers" manches linke Herz in den USA höher schlagen.
Der hohe "schwarze Anteil" in den Auto-Belegschaften schlug sich auch in der UAW nieder, die in den 50er und 60er Jahren die schwarze Bürgerrechtsbewegung finanziell und politisch unterstützte (die wilden Streiks in Detroit bekämpfte die Gewerkschaft allerdings oft mit brachialer Gewalt).
Die Rebellion des industriellen Proletariats im US-Norden dürfte einer der Gründe gewesen sein, weshalb die Autohersteller in den 70er Jahren mit ihrer Abwanderung in die US-Südstaaten begannen. Im dortigen "sun-belt" winkten ein reaktionäres politisches Klima, niedrige Löhne und fehlende Gewerkschaften (auch BMW und Daimler-Benz bauten ihre neuen Werke in den Südstaaten South Carolina und Alabama). Die Folge: Massive Arbeitsplatzverluste und soziale Verelendung in den alten industriellen Zentren, gerade auch in "schwarzen" Metropolen wie Detroit oder Flint. Alleine Flint hat in den vergangenen 20 Jahren zehntausende von Auto-Jobs verloren (von 78.000 auf heute 30.000).
Eine wirksame Strategie gegen Umstrukturierung und Auslagerung (in die US-Südstaaten oder ins Ausland) ließe sich nur entwickeln, wenn die UAW (und andere US-Gewerkschaften) internationaler agieren würde. So will GM seine Kapazitäten in Mexiko (wo die Löhne nur einen Bruchteil des US-Niveaus ausmachen) in den kommenden Jahren verdoppeln. Bisher ist von einem gewerkschaftlichen Internationalismus allerdings nur wenig zu sehen. So propagieren die US-Gewerkschaften weiterhin "Buy American". Und vor vielen UAW-Versammlungshallen herrscht Parkverbot - für "japanische" Fahrzeuge.
Michael Hahn