Bombe gegen die IRA
Das Massaker in der nordirischen Kleinstadt Omagh, bei dem am 15. August mindestens 28 Menschen durch eine Autobombe getötet wurden, war ein bedauerliches Versehen, sagen seine Urheber von der "Real IRA". Menschen sollten nicht zu Schaden kommen, heißt es in ihrer Erklärung vom 19.8.: "Es war ein wirtschaftliches Angriffsziel, ein Bestandteil unseres Krieges gegen die Briten". Wie es zu der blutigen Panne kam, konnten sie allerdings nicht erklären; der aus linksradikaler Sicht immer naheliegende Verdacht, die Polizei habe auf die Warnung der Bombenleger nicht oder falsch reagiert, scheint nach Lage der Dinge gegenstandslos. Ein solcher Vorwurf wird von der "Real IRA" auch nicht erhoben. Tatsächlich hat die nordirische Polizei in der letzten Zeit mehrfach Sprengsätze der "Real IRA" rechtzeitig entdeckt und entschärft. Mit "Glück" hätte das auch diesmal geschehen können, wäre erst die nächste oder übernächste Bombe detoniert.
Wer Autobomben in belebten Gebieten plaziert, nimmt tödliche "Pannen" in Kauf. Die Einlassung der "Real IRA", man habe nur ökonomischen Schaden anrichten wollen, ist angesichts dieses Risikos armselig. Sie entspricht auch nicht der Wahrheit. Denn die Bombe von Omagh hatte durchaus einen politischen "Sinn". Sie richtete sich gegen den Friedensprozeß, insbesondere gegen IRA und Sinn Féin, die mit ihrer Zustimmung zum Belfaster Abkommen vom April dieses Jahres ein hohes Risiko eingegangen sind. Die Bombe von Omagh sollte eine erneute Eskalation herbeiführen: Protestantische "Vergeltungsschläge" und polizeiliche Repression gegen die gesamte republikanische Bewegung sollten auch Teile der IRA in die militärische Auseinandersetzung zurückzwingen; die "Real IRA" hätte sich das Verdienst gutschreiben können, illusionslos am bewaffneten Kampf festgehalten zu haben, und damit Prestige und Zulauf gewonnen.
Das Kalkül ist nicht aufgegangen. Die Loyalisten/Protestanten halten sich mit Gegenschlägen bisher zurück; allein die Staatsmacht in London, Dublin und Belfast erfüllt die Erwartungen. Bei der Suche nach den Attentätern werde "jeder Stein umgedreht", drohte die britische Nordirlandministerin Mo Mowlam. Tony Blair will auf der grünen Insel "ein Klima schaffen, in dem es für die Täter kein Versteck mehr gibt", und Irlands Ministerpräsident Bertie Ahern will "ohne Rücksicht" durchgreifen - ohne Rücksicht auch auf rechtsstaatliche Prinzipien. Terrorismus-Verdächtige sollen künftig statt zwei sieben Tage lang festgehalten werden dürfen; geprüft werden Organisationsverbote, Verurteilungen allein aufgrund der Aussage eines einzigen Polizisten und die Aufhebung des Zeugnisverweigerungsrechts. Letzteres richtet sich direkt auch gegen die Anhänger von Sinn Féin, die von der Parteiführung aufgerufen wurden, Spitzeldienste zu verweigern. Weniger wahrscheinlich ist, daß die Internierung von Verdächtigen ohne Anklage wieder eingeführt wird. Das fordern vor allem protestantische Hardliner, die - wie Blair, Mowlam, Ahern etc. - mit ihren Reden den Volkszorn anheizen.
In Teilen des Landes soll sich regelrechte Lynch-Stimmung breitgemacht haben. Der als Mittäter, wenn nicht gar Anstifter des Anschlags verdächtigte Paul McKevitt ist aus Angst vor Racheakten untergetaucht. Auch er distanzierte sich, gemeinsam mit seiner Frau Bernadette Sands, der Schwester des IRA-Märtyrers Bobby Sands, von dem Attentat. Die "Real IRA" und die übrigen Fortsetzer des bewaffneten Kampfs scheinen am Ende. Sie haben jede Unterstützung auch in den Teilen der republikanischen Community verloren, die den Fortgang des Friedensprozesses mit mehr Skepsis als Hoffnung beobachten. Seite 4