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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 418 / 24.9.1998

Anfang vom Ende der Ära Jelzin

Die aktuelle russische Krise und ihre Vorgeschichte

Ob der Ruf, der Rußland vorauseilt, ein besonders mieses und abschreckendes Exemplar des real existierenden Kapitalismus zu sein, nun gerechtfertigt ist oder nicht: Selten wurde in der Geschichte des modernen Kapitalismus ein Land in so kurzer Zeit - ohne heißen Krieg - so schonungslos, so tiefgreifend und so nachhaltig zugrunde gerichtet. Im folgenden geht es nur um die wesentlichsten ökonomischen Grundzüge der "Schocktherapie in Permanenz", der Rußland seit sechs Jahren ausgesetzt ist und deren Resultat die aktuelle wirtschaftliche und politische Krise ist. Diejenigen, die Rußland die Schocktherapie verordneten, saßen in den höheren Etagen internationaler Unternehmensberatungen, des IWF, der Großbanken. Sie waren die Berater Jelzins und anderer gewendeter Angehöriger der sowjetischen Nomenklatur (Gaidar, Tschubais, Fjodorow etc.), die ein paar Versatzstücke Neoliberalismus aufgeschnappt hatten und die Ratschläge ihrer Berater in die Tat umsetzten. Die Resultate dieser Taten sind bis heute eindrucksvoll.

Die Verschuldung des russischen Staates belief sich Ende 1997 auf mehr als 230 Mrd. Dollar, wovon ca. 130 Mrd. Auslands- und 100 Mrd. Inlandsschulden waren. Zwischen 1992 und 1997 stiegen die Auslandsschulden nur um 20%, die Inlandsschulden aber um 500% an - die Hauptgläubiger sind also in Rußland selbst zu orten. Es sind einige wenige Großbanken, die über den Löwenanteil jener Staatspapiere verfügen, die der russische Zentralstaat jahrelang ausgegeben hat, um sich die liquiden Mittel für die Deckung des chronisch defizitären Haushalts zu beschaffen.

Die Sommerkrise 1998 kam wie ein Paukenschlag: Die Regierung Jelzin/Kirienko konnte die aufgelaufenen Inlands- und Auslandsschulden nicht mehr bedienen und verhängte einen vorläufigen Zahlungsstop. Der Schuldendienst (die Zinsen) konnte nur aus vier Quellen finanziert werden: nämlich den Erträgen aus Staatsbeteiligungen an Unternehmen, dem Verkauf von Staatsunternehmen, den Steuereinnahmen und weiteren Krediten des Auslands oder des IWF. Nennenswerte Erträge aus Staatsbeteiligungen und dem Verkauf von Staatsbetrieben kamen nur aus dem Energiesektor. Die Steuereinnahmen versiegten infolge des sinkenden Bruttoinlandproduktes und eines nur noch stotternden Steuerflusses aus den Regionen. Warum sollten diese auch Steuern zahlen?

Die Moskauer Zentrale selbst zahlt die erforderlichen Zuweisungen an die Budgets der Regionen, die Löhne, Gehälter der Staatsangestellten (darunter auch der Soldaten), die Renten, das Kindergeld, die zugesagten Subventionen für einzelne Wirtschaftsbereiche und die Rechnungen an zahllose Unternehmen für bereits geleistete Staatsaufträge nur zögernd oder gar nicht. Infolgedessen treten in regelmäßigen Abständen die betroffenen Berufsgruppen in den Streik. Zuletzt waren es die Bergleute.

Die neue Bourgeoisie

Die aktuelle Zahlungsunfähigkeit und das folgende Moratorium waren das Ergebnis mehrerer gleichzeitiger Ereignisse. Dazu gehören: der Verfall der Weltmarktpreise für Erdöl, weiter absinkende Steuereinnahmen und die Auflagen des IWF, der weitere Kredite nur bei einer Reform des Steuerwesens herausrücken wird. Da die Regierung Jelzin/Kirienko politisch zu dieser Reform nicht in der Lage war, beschränkte sie sich auf den polizeilichen Teil derselben: Ausbildung einer Prügeltruppe (genannt "Finanzpolizei"), die durch razzia-artige Überfälle auf säumige Steuerzahler viel Pressewirbel und wenig fiskalische Resultate verursachte, womit sich der IWF natürlich nicht zufrieden gab.

Die Abwärtsspirale der russischen Wirtschaft, die mit der Schocktherapie der Regierung Gaidar 1992 begann und bis heute anhält, hat die industrielle Produktion auf weniger als 50%, die landwirtschaftliche Produktion auf 70% des Niveaus von 1990 heruntergedreht und soziale Verelendung hinterlassen.

Aber diese Abwärtsspirale hat auch zur traumhaften Bereicherung einer dünnen Schicht von Krisengewinnern aus dem Banken-, dem Öl- und Gassektor und einigen anderen Bereichen der Rohstoffproduktion geführt. Diese Schicht, nennen wir sie vorläufig Finanzkapital und betrachten wir sie als Teil einer neuen Bourgeoisie, ist das Produkt einer Verfilzung von Bankkapital, exportfähigem Industriekapital, Staatsfunktionären und Mafia. (1) Das Finanzkapital dominiert den Regierungsapparat, die meisten Staatsapparate und vor allem die Medien. Die Machtbasis des Finanzkapitals ist die neue Bourgeoisie aus den leitenden Staatsbediensteten, Militärs und noch akkumulationsfähigen Kapitalisten in profitablen Branchen von Produktion, Zirkulation und Dienstleistungen.

Das Finanzkapital konnte bis 1996 diese neue Bourgeoisie zu einem Machtblock vereinigen, sie vielleicht ein letztes Mal hinter sich zusammenschließen, als es um die gemeinsame Finanzierung von Jelzins Wahlkampf ging. Daß Jelzin nicht nur durch das Finanzkapital, sondern durch die Mehrheit der neuen Bourgeoisie gefördert wurde, hat gezeigt, daß er noch ihr Repräsentant und zugleich der Vermittler ihrer sehr widersprüchlichen Interessen war. Eine Rolle, die er seitdem verspielt hat. Der Machtblock zerfiel, weil seine Basis in den letzten zwei Jahren einer beschleunigten Erosion ausgesetzt war. Das Finanzkapital alimentierte durch den Kauf von Staatsanleihen den Zentralstaat und dieser durch astronomische Zinsen das Finanzkapital, während die Kredite für Unternehmen in den Regionen, für die Bezahlung der Regionalverwaltungen, für Regionalbudgets im Rest des Landes immer dürftiger flossen.

Regionalgouverneure, Republikpotentaten, Unternehmensdirektoren, Generäle und Verwaltungsstäbe wollten nicht nur selber konsumieren, sondern mußten sich auch legitimieren, indem sie wenigstens eine minimale Versorgung gewährleisteten und für die Instandhaltung eines Grundstocks der Infrastruktur sorgten. Sie forderten seit Jahren ihren rechtmäßigen Anteil am Zentralbudget, beklagten die Verrottung der wirtschaftlichen Basis in ihren Regionen und drohten damit, der Moskauer Zentralregierung die Unterstützung aufzukündigen. Und das ist in den letzten zwei Jahren auch geschehen. Die Sommerkrise 1998 dürfte der Anfang vom Ende der Ära Jelzin sein.

Dieses mit groben Strichen gezeichnete Bild der aktuellen Situation des "Staatsbankrotts" zeigt die vorerst letzte Station einer Abwärtsentwicklung, deren Ursachen im Zerfall der UdSSR und in der 1992 von der Regierung Jelzin/Gaidar vorangetriebenen "Schocktherapie" zu suchen sind. Die Initiatoren der Schocktherapie beabsichtigten, Rußland in kürzest möglicher Zeit in eine exportkräftige Nation mit international konkurrenzfähiger Industrie nach dem Modell der USA zu verwandeln. Heute, sechs Jahre danach, sind wesentliche Bestandteile der russischen Wirtschaftsmechanismen wieder weiter davon entfernt als zu den Spätzeiten der Perestroika. Zur Schocktherapie gehörte:

Die Schocktherapie
ist fehlgeschlagen

1. Die Freigabe der Preise, durch die quasi über Nacht das sowjetische System der zentral vorgegebenen Preise im Netz der Warenzirkulation bis hin zum Einzelhandel völlig aufgelöst wurde. Die Unternehmen reagierten auf diesen Schlag, der ohne Anpassungszeit erfolgte, mit massiven Preiserhöhungen, weil sie von Preiserhöhungen anderer überrascht wurden, die sie an ihre Kunden weiterzureichen versuchten. Den dadurch forcierten inflationären Druck versuchten die Schocktherapeuten mit einer Politik des knappen Geldes (des "harten Budgets") aufzufangen.

2. Die Politik des "harten Budgets" schränkte den Geldumlauf und damit automatisch auch den Kreditzugang für die Unternehmen ein. Diesen war also der Weg versperrt, um über Investitionen Produktivitätsfortschritte zu erzielen, die längerfristig durch Kostensenkung den inflationären Druck hätten mildern können. In dieser Zwickmühle antworteten die Unternehmen mit Produktionseinschränkungen, um weitere Verluste durch sinkende Binnennachfrage zu vermeiden. Was die Schocktherapeuten nur für einen vorübergehenden Mechanismus der Anpassung gehalten hatten, erwies sich als Erdrutsch. Ihre erste Annahme, daß durch freie Preise und eine harte Geldpolitik die Industrie-Unternehmen zu Rationalisierungen und sparsamem Ressourcenumgang gezwungen werden könnten, ging nicht auf - weil auch die zweite Annahme nicht zutraf, die Unternehmen besäßen genug stille Reserven, um Investitionen und Anpassungen auch ohne Rückgriff auf Kredite selbst tätigen zu können.

Statt dessen mündeten die Maßnahmen der Preisfreigabe und des harten Budgets in weiteren Produktionseinschränkungen, Unternehmenszusammenbrüchen und galoppierender Inflation, was noch durch eine vorübergehende vollständige Weltmarktöffnung beschleunigt wurde.

3. Durch die Weltmarktöffnung wurde der russische Binnenmarkt von internationalen Produkten überschwemmt, deren Konkurrenz das normale russische Unternehmen in zusätzliche Bedrängnis brachte. Zugleich konnten Unternehmen des Rohstoffsektors ihre Produkte devisenträchtig und zu Weltmarktpreisen auf dem Weltmarkt absetzen. So existierte zeitweilig ein außerordentlich prosperierender Rohstoffsektor inmitten einer schwindsüchtigen Wirtschaft.

Eine weitere Folge dieser Weltmarktöffnung war das schnelle Scheitern des Projektes, einen Binnenmarkt der GUS an die Stelle der UdSSR zu setzen. Die nichtrussischen Republiken, die mit wenigen Ausnahmen (Turkmenistan, Aserbaidschan) von Lieferungen des russischen Energiesektors abhingen, mußten plötzlich Weltmarktpreise für diese Lieferungen zahlen und wurden so in den Strudel der wirtschaftlichen Abwärtsentwicklung hineingezogen; Hauptopfer war die Ukraine. Die zentralasiatischen Republiken verlangten daraufhin für ihre Lieferungen ebenfalls Weltmarktpreise, lockerten ihre Bindungen an Rußland und wandten sich regionalen asiatischen Märkten zu (China, Iran etc.). Die Zerstörung des ehemaligen Binnenmarktes war allerdings auch die erklärte Absicht der vom neoliberalen Geist erfüllten Reformer um Gaidar, Tschubais und Fjodorow. Denn sie wollten die sowjetische Umverteilung zerstören, die zu sowjetischen Zeiten über die Lieferpreise von den reichen (Rußland, Ukraine, Baltikum) zu den armen Republiken (Zentralasien) erfolgte. Aus ihrer Sicht konnte ein Abhängen der "Schmarotzer" nur Rußlands Wohlstand befördern. Daß Rußland damit auch Zuliefer- und Absatzkanäle sowie den Zugang zu Fertigprodukten und Rohstoffen (z.B. Baumwolle) unter den Weltmarktpreisen verlieren würde, nahmen sie im Glauben an einen baldigen Erfolg ihrer Schocktherapie in Kauf.

4. Die Privatisierung der Wirtschaft wurde mit der Absicht betrieben, die Unternehmen von staatlichen Zuwendungen abzukoppeln und den Boden für eine freie Konkurrenz vorzubereiten, aus deren Spiel sich ein neues System marktbezogener Preise herausbilden sollte. Aus diesem Prozeß könnte, so die Schocktherapeuten, eine Kapitalistenklasse entstehen, die nicht identisch wäre mit der sowjetischen Nomenklatur.

Genau das Gegenteil trat ein: Gerade jene Teile der Nomenklatur, die am schnellsten die neue postsowjetische Windrichtung begriffen und sich ihr angepaßt hatten, verfügten über ein weit verzweigtes System von Beziehungen, Zugang zu mafiosen oder sonstigen Geldquellen, Kenntnisse und Einflußmöglichkeiten, die es ihr erlaubten, sich die lukrativsten Brocken anzueignen. Die exportträchtigen Sektoren wurden die begehrte Beute des entstehenden Finanzkapitals oder internationaler Konzerne. Die daraus gezogenen Profite flossen allerdings niemals in nennenswertem Umfang auf einen Binnenkapitalmarkt zurück, auf dem sich russische Unternehmen mit Krediten zu Investitionszwecken hätten bedienen können. Die erzielten Profite flossen entweder auf den internationalen Kapitalmarkt oder über die Kanäle russischer Großbanken in Staatsanleihen, wo sie astronomische Zinsen erbrachten.

Allerdings ist aktuell auch eine Gefährdung des Energiesektors als Zugpferd der Exporte in Sicht, weil dieser selbst zum Opfer spekulativer statt investiver Kapitalverwendung geworden ist und mit völlig maroder, überalterter Ausrüstung arbeitet; Ersatz- oder gar Erweiterungsinvestitionen fanden zuletzt in sowjetischen Zeiten statt, die vernutzte Technik ist zum Sicherheits- und Produktivitätsrisiko geworden. Die neu entstandene Finanzbourgeoisie zieht höhere Profite aus der Spekulation und betrachtet die übrige Wirtschaft des Landes dabei als Schrottplatz zum Ausschlachten.

Regionalisierung
und "Resowjetisierung"

Diejenigen Regionen und industriellen Ballungszentren, die nur über wenige exportträchtige Industrien (2) verfügen, haben sich in den Jahren nach 1993/94 schrittweise aus dem geldvermittelten gesamtrussischen Binnenmarkt zurückgezogen. Unternehmen, die Teil einer Produktions- und Versorgungskette sind, haben ein komplexes Netz von Tauschbeziehungen mit Zulieferern und Kunden entwickelt, dessen Struktur nahtlos an Traditionen aus der UdSSR anknüpfen konnte (auch wenn diese Strukturen in den ersten Jahren der Schocktherapie vom Zerbrechen bedroht waren). Ohne dieses feingewebte Netz, das sich aus persönlichen Beziehungen der Betriebsleiter, z.T. jahrzehntelangen Geschäftsverbindungen auf der Basis von sowjetischen Vertragspreisen und informellen Transfers (dem außerplanmäßigen Beschaffungssystem bei Engpässen in der Produktion) zusammensetzte, wären die Wirtschaft und insbesondere die Versorgung großer Teile der Bevölkerung infolge der Schocktherapie bereits vor Jahren völlig zusammengebrochen.

Dieses Netz lebt heute von dem Bewußtsein seiner Mitglieder, daß jeder auf jeden angewiesen ist und es außerhalb dieses Netzes nur ein politisch und wirtschaftlich unsicheres Umfeld gibt. Jedem Unternehmen, das aus Gründen des Augenblicksvorteils durch Veränderungen der Tauschrelationen oder durch Lieferverzögerungen das ungeschriebene Gesetz der Vertragstreue verletzt, drohen Sanktionen bis zum Liefer- und Absatzstop. Im Gegenzug kann dieses korporativistische Netz notfalls um Unterstützung angegangen werden. In dieses Netz haben sich in den vergangenen fünf Jahren so viele Unternehmen integriert, daß heute mehr als ein Drittel der industriellen Produktion und Zirkulation in diesen geldlosen Notstandssystemen stattfindet (3).

Für das beteiligte Unternehmen ist diese Integration das einzige Mittel, um dem drohenden Bankrott zu entgehen. Und ein Bankrott in Rußland bedeutet mehr als ein Bankrott in irgendeinem westlichen Land. Zu russischen Unternehmen gehört bis heute eine - aus UdSSR-Zeit stammende - Vielzahl von Einrichtungen, die vom Kindergarten über medizinische Einrichtungen, betrieblichen Einzelhandel bis hin zu Wohnungen reichen. Besonders in kleineren Städten sind diese Unternehmen aufgrund der Mittellosigkeit der Kommunalverwaltungen oft die einzigen Institutionen, die für die Instandhaltung der Infrastruktur (Wasserversorgung, Straßen, öffentliche Einrichtungen) sorgen.

Weder der Zentralstaat noch die Regionalverwaltungen sind in der Lage, eine soziale Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Die doppelte Einbindung der Unternehmen in das komplexe Tauschnetz und die kommunale/regionale Sozialstruktur hat negative Konsequenzen: Da finanzielle Ressourcen fehlen, hat, unabhängig von der Rentabilität, das Umsatzvolumen Priorität, um den Verpflichtungen von Zulieferern und Kunden zu genügen, von denen das Unternehmen völlig abhängig ist. Um dies zu gewährleisten und solange die Netze des Tausches in der gegenwärtigen Notstandswirtschaft bestehen, ist eine soziale Verpflichtung des Unternehmens gegenüber seiner Belegschaft genauso selbstverständlich wie gegenüber seinem übrigen sozialen Umfeld. Die relativ geringe Arbeitslosenquote, derzeit auf 8% geschätzt, ist in diesem System begründet.

Diese Tendenzen zeigen einen Schub in Richtung "Resowjetisierung" an, die von den Schocktherapeuten und ihren westlichen Beratern nicht gewollt, aber objektiv gefördert wurde. Es gibt in der heutigen Notstandswirtschaft einen unausgesprochenen Sozialpakt zwischen regionalpolitischer Macht (den Gouverneuren und Republikpräsidenten), Lohnarbeit und regionalen/lokalem Kapital, der sich zunehmend gegen die Politik des Moskauer Machtblocks richtet. Infolgedessen sind Streiks gegen Unternehmensdirektoren wegen Schließungen oder ausbleibenden Lohnzahlungen recht selten. Meist ist die Moskauer Regierung der Adressat.

Ein weiterer Schritt zur Abkoppelung von der Zentrale ist die Schaffung eigener Währungen in den Regionen, die innerhalb umgrenzter Gebiete zirkulieren, aber unabhängig von der Zentralbank, dem Finanzministerium und der Moskauer Währungspolitik. Sie haben auch die Funktion, das wenig elastische System der Tauschwirtschaft zu schmieren.

Was in der westlichen Presse als Widerstand des tradierten Systems oder der "sowjetischen Direktoren" beklagt wird, findet in diesen Zwängen seine Erklärung. Und die Wirkung dieser Zwänge verstärkt gleichzeitig die zentrifugalen Tendenzen ganzer Regionen gegenüber den politischen und ökonomischen Ansprüchen Moskaus. Unternehmen, deren Arbeitskräfte den ganzen oder einen Teil des Lohns in Naturalform erhalten, die Produktion und Investition über Tauschbeziehungen tätigen, zahlen keine Steuern. Sie werden von ihren eigenen Regionalgouverneuren auch nicht dazu angehalten, weil alle wissen, daß der fiskalische Transfer nach Moskau eine Sackgasse ist.

AKE

Anmerkungen:

1) Exponenten des Industriekapitals sind Leute wie Tschernomyrdin, Chodorowski und Kirienko, die alle aus dem Umfeld des Energiesektors kommen; Exponenten des Bankkapitals sind Smolenski (SBS-Agro), Beresowski (bis November 1997 Vorsitzender des Sicherheitsrates und Präsident der Unternehmensgruppe Logowas) und W. Potanin (langjähriger Handelsminister und Hauptaktionär der Investmentbank MFU-Renaissance).

2) so Wolgagebiet, ferner Osten, Kalmükien, Udmurtien u.a.

3) Sapir, Jacques (1996): Le chaos russe, Paris. In Sapirs Arbeiten, darunter diesem Buch, wird u.a. die Rückkehr zu sowjetischen Korporativismusformen analysiert.

Literatur:

Die Ausgaben der Moskowskie novosti und Argumenty i fakty der letzten Wochen; Le monde diplomatique März 1998; Die Monatszeitschrift Osteuropa.