Nach dem Castor-Skandal:
Aktionstage gegen Atom
Am Wochenende vom 12. und 13. September führte die Anti-AKW-Bewegung ihre bundesweiten und dezentralen Aktionstage durch. Beschlossen wurden diese auf einer Sonderkonferenz der Initiativen, die im Juni in Marburg abgehalten wurde, nachdem Grenzwertüberschreitungen bei Castortransporten bekannt geworden waren. Um sich auf den ersten Atomtransport nach der zu erwartenden Aufhebung des Castor-Stopps vorzubereiten, sollten Demos und Aktionen an vier Standorten stattfinden: in Greifswald wegen des dortigen Zwischenlagers, in Gronau als Standort einer Urananreicherungsanlage, am Schrottreaktor Stade, der aufgrund seines vollen Lagers akute Entsorgungsprobleme hat und schließlich in Saarbrücken, weil dort fast alle Atomtransporte auf dem Weg zu den Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und Endland durchkommen.
Dieses Programm war Ergebnis einer längeren Auseinandersetzung auf der Marburger Konferenz um die Ausrichtung des Aktionstages. Ein Spektrum verschiedener norddeutscher, eher autonomer Gruppen hatte dafür plädiert, eine zentrale Veranstaltung an der Urananreicherungsanlage in Gronau, nahe der holländischen Grenze, durchzuführen. Hauptargument für diese im Zusammenhang mit dem Castor-Skandal nicht ohne weiteres nachvollziehbare Orientierung war, daß so ein weiterer Teil der nuklearen Transport- und Brennstoffspirale thematisiert werden sollte (vgl. den Artikel "Es muß nicht immer Castor sein"). Die Anti-AKW-Bewegung sei keine Anti-Castor-Bewegung, sondern richte sich gegen das ganze Atomprogramm, - dies solle in Gronau herausgestrichen werden.
Die Gegner dieser Position wandten ein, daß angesichts des Castor-Skandals nun eine verstärkte Mobilisierung entlang der Atomtransportestrecken zu den Wiederaufarbeitungsanlagen sinnvoll sei. Viele durch den Skandal aufgewachte Menschen könnten so in die Aktionen eingebunden und der Widerstand verbreitert werden.
Nach anstrengender Debatte war eine inhaltliche Verständigung auf einen oder zwei Aktionspunkte nicht zustande gekommen. So "einigte" man sich auf ein Sammelsurium von Standorten, die zwar alle was mit Atomwirtschaft zu tun haben, aber eine Bündelung der Kräfte konnte damit nicht erreicht werden. Zudem wurden Standorte ausgewählt, an denen es bis heute kaum entwickelte Ansätze einer Widerstandskultur und -praxis gibt. Hinzu kam, daß mit der Terminierung für das Wochenende 12./13. September nicht eben viel Zeit zur Mobilisierung an den für die Bewegung schwierigen Standorten blieb. Überall standen Sommerferien bevor, so daß sich nur wenige Leute an den Vorbereitungen beteiligen konnten.
Politisch stellen die Aktionstage die erste koordinierte Reaktion der Anti-AKW-Bewegung auf den Castor-Skandal dar. Wenige Wochen vor der Bundestagswahl hätte man damit gleichzeitig eine deutliche und starke Positionsbestimmung für den sofortigen Ausstieg formulieren können. Auf dieses Ziel hätte die Mobilisierungsarbeit ausgerichtet werden müssen. Doch davon war in der Praxis kaum die Rede. So blieben die AktivistInnen der Bewegung weitestgehend unter sich und führten vor, über wie wenig Mobilisierungskraft und Durchschlagskraft sie ohne Gorleben und Ahaus verfügen.
Allerdings ist davon auszugehen, daß der nächste Castortransport erheblich mehr Menschen mobilisieren wird. Will die Anti-AKW-Bewegung aber auch jenseits von Atomtransporten nach Gorleben oder Ahaus Aktionen mit Massencharakter durchführen, dann muß sie sich verstärkt bündnispolitisch betätigen.
DSe