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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 418 / 24.9.1998

"Vollstrecker des Volkszorns"

"Normale" Jugendliche in "national befreiten Zonen"

Spätestens seitdem Der Spiegel im März dieses Jahres den Artikel über die rechtsextreme Subkultur im Osten mit "National befreite Zonen" getitelt hatte, geistert der Strategiebegriff der Nazis auch durch die bürgerliche Medienlandschaft. Der Wahlerfolg der DVU in Sachsen-Anhalt, die steigende Zahl rechtsextremistischer Straftaten in den neuen Ländern und vor allem die Feststellung, daß es Gegenden in der Ex-DDR gibt, in denen sich MigrantInnen und andere "undeutsche" Menschen nicht mehr gefahrlos bewegen können, schreckte die Öffentlichkeit auf. Die Versuche des Staates, dem Problem mit Jugendprojekten und der Einrichtung von Polizeisondereinheiten zu begegnen, wirken angesichts der bereits verankerten rechtsextremistischen Struktur oft hilflos und können wohl vor allem als Antwort auf einen möglichen Ansehensverlust im Ausland angesehen werden. Die antifaschistische Bewegung scheint fast ebenso ratlos. Allein die Bildung von breiten Bündnissen mit und die vorbehaltlose Kontaktaufnahme zwischen Ost- und Westantifas könnten helfen, die Ausbreitung der Nazisubkultur einzudämmen.

Der Strategiebegriff der "national befreiten Zone" entstammt dem nationalrevolutionären Spektrum. Eine "befreite Zone" aufzubauen, heißt für Neonazis die "Etablierung einer Gegenmacht": "Wir müssen Freiräume schaffen, in denen wir faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d.h. wir bestrafen Abweichler und Feinde ... Befreite Zonen in unserem Sinn sind Bereiche, wo der zentrale Widerspruch unserer Zeit, nämlich der Widerspruch Identität/Entfremdung zugunsten der Identität aufgelöst wird. ... Befreite Zonen sind sowohl Aufmarsch- als auch Rückzugsgebiete für die Nationalisten Deutschlands. ... Aus militanter Sicht befinden wir uns dann in einer befreiten Zone, wenn wir nicht nur ungestört demonstrieren und Info-Stände abhalten können, sondern die Konterrevolutionäre dies genau nicht tun können."

Diese Gebiete gibt es schon. In zahlreichen Dörfern und Kleinstädten Ostdeutschlands dominieren die Rechtsextremen den Alltag. Die wenigen MigrantInnen wurden von dort vertrieben, und linke Jugendliche wanderten nach Berlin oder Leipzig ab, so daß die Normalität auf der Straße von Nazis geprägt ist.

Der Ex-Polizist Bernd Wagner erläutert die Entstehung einer "national befreiten Zone" am Beispiel der sächsischen Kleinstadt Wurzen: "Im August 1991 wurde das Flüchtlingsheim in Wurzen Ziel eines Übergriffs. Eine größere Gruppe Rechtsradikaler drang mit Gasdruckpistolen, Baseballschlägern und Schlagringen bewaffnet ins Haus, schlug die Bewohner zusammen und zerstörte die Inneneinrichtung. Nur vier Tage später sprach ein 54jähriger Wurzener telefonisch eine Bombendrohung gegen das Flüchtlingsheim aus. Die Mehrzahl der Bewohner siedelte daraufhin nach Hessen über. Ein Flüchtlingsheim gibt es in Wurzen inzwischen nicht mehr." In den folgenden Jahren gab es immer wieder Angriffe gegen MigrantInnen, Flüchtlinge und AussiedlerInnen. Linke Jugendliche in Wurzen und Umgebung wurden regelmäßig von den Nazis angegriffen und zusammengeschlagen. Nachdem die Stadt der alternativen Szene die Unterstützung entzog und den Vertrag mit dem linken Jugendzentrum nicht verlängerte, gab es keine Möglichkeit mehr, eine Gegenkultur zur rechten Dominanz aufzubauen. Den rechten Jugendlichen wurden von der Stadt Räume geboten, in denen sich die "Kameraden" entfalten konnten. Dennoch behauptete der Bügermeister gegenüber der Presse: "Mir ist nicht bekannt, daß es bei uns Rechtsradikale gibt."

"Befreite Zone" Wurzen

Bernd Wagner resümiert: "Ganz ähnlich wie in Schwedt herrscht in Wurzen und im Muldentalkreis eine Hegemonie rechter Jugendkultur. Sonnenwendfeiern und die obligatorischen Geburtstagsfeiern für einen ,guten Kumpel` alljährlich am 20. April scheinen neben Zeltlagern, Übergriffen gegen alle, die sich diesem rechten mainstream widersetzen, Musikkonzerten mit Bands wie ,Oithanasie`, ,Kroizfoier`, ,Oiphorie` und ,Störenfried` die kulturellen Höhepunkte im Leben vieler ,normaler` Jugendlicher zu sein. Der ,normale` Wurzener Jugendliche hat etwas gegen Ausländer und sich ,undeutsch` gebärdende Deutsche, aber ,rechtsextremistisch` ist er in der Regel nicht: ,Ich bin doch kein Faschist. Ich bin stolz auf meine Heimat und ich will, daß ich hier als Deutscher unter Deutschen leben kann.` (Äußerung eines Wurzener Jugendlichen)."

Die Neonazis im Osten verstehen sich als militanter Arm des Volkswillens. Mit ihren Angriffen gegen MigrantInnen und Flüchtlinge würden sie letztlich die Interessen der Bevölkerung vertreten. Das drücken die Rechtsextremen auch in ihrem Strategiepapier aus: "Während wir mit dem Volk uns solidarisieren, mit ihm kämpfen und siegen werden, versuchen sich die Genossen vom anderen Ufer von genau diesem Volk abzukoppeln, sie kämpfen gegen das Volk, weshalb sie verlieren werden." Bei den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock fühlten sich die (Jung)faschos bestätigt.

"Negativ-dekadente Jugendliche"

Die Erklärungen für mögliche Ursachen der rechten Dominanzkultur in Teilen der fünf neuen Bundesländer sind vielfältig. Ein Faktor ist sicher der fehlende Umgang der DDR mit der rechten Skinkultur. Faschistische Bewegungen im Sozialismus durfte es nicht geben. Es gab nur die "negativ-dekadenten Jugendlichen", zu denen die DDR-Skins genauso gezählt wurden wie Punks oder Grufties. Nach der Wende konnten sich die geduldeten Nazis frei entfalten, vor allem in den Regionen, in denen es auch schon vor 1989 eine rechte Szene gegeben hatte, wie zum Beispiel im Muldetalkreis (Wurzen), in Magdeburg und der Nordharzregion oder im Südosten und Norden von Brandenburg. Dort setzte schon Mitte der 80er Jahre eine Politisierung der Skinszene ein, die sich in Angriffen gegen VertragsarbeiterInnen, Homosexuelle, Punks und Grufties äußerte. Auch in einigen Jugendzentren domierten die Naziskins bereits damals.

Die DDR bevorzugte unter den "negativ-dekadenten Jugendlichen" die Skinheads, da sie "ordentlich arbeiten und vernünftig aussehen". Die militärische Ausbildung in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) und der Schule wurde von den Neonazis zu legalen Wehrsportübungen genutzt. Punks mußten Zwangshaarschnitte über sich ergehen lassen, da sie durch ihr "Äußeres und die Art des Auftretens eine Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit verursachen und somit das sozialistische Zusammenleben der Bürger in der Öffentlichkeit stören." Mit der wachsenden Dominanz der Naziskins wechselten Teile der Punks zur rechten Szene, andere gründeten die ersten Antifagruppen und nutzten die Strukturen der "Kirche von unten" für ihre Arbeit.

Akzeptierende Jugendarbeit

Ein weiterer Faktor für das Erstarken der Rechtsextremen im Osten ist die Jugendarbeit. Nachdem nach der Wende zunächst die DDR-Jugendklubs geschlossen und die FDJ aufgelöst wurde, erfand Angela Merkel, damalige Bundesministerin für Frauen und Jugend, den ersten Gewaltexzessen der Neonazis das "Aktionsprogramm gegen Agression und Gewalt" (AgAG). Die "vernachlässigten Jugendlichen" sollten so "von der Straße geholt werden". Mit diesen inhaltsleeren Zielvorgaben wurden Gelder in die Jugendarbeit im Osten gepumpt.

An den Brennpunkten der rechten Szene wurden Treffs eingerichtet, Freizeitangebote entworfen und für Verständnis in der Öffentlichkeit geworben. Die Akzeptanz faschistischer Ideologie durch die Streetworker führte dann zu einer Festigung der dortigen Naziszene. Die von den Nazis besetzten Jugendklubs wurden geschickt in die örtlichen rechten Strukturen eingebunden und dien(t)en der Rekrutierung des Nachwuchses. Das geht mittlerweile soweit, daß SozialarbeiterInnen "ihre" Neonazis auf den Aufmärschen betreuen, wie etwa in Saalfeld (Thüringen) im März dieses Jahres.

Auf der anderen Seite erkennen die Verantwortlichen nicht, daß die subkulturelle rechte Szene politisch ist. Ein Beispiel aus einem Urlaubsdorf in Mecklenburg-Vorpommern verdeutlicht das: Nach den wiederholten Angriffen rechtsextremer Jugendlicher auf TouristInnen an Stränden und auf Camping-Plätzen, glaubt die dortige Kurdirektorin noch 1998: "Es wird ja immer wieder dieser rechtsradikale Hintergrund mit reingebracht. Ich denke, daß der hier auch nicht mehr als anderswo ist. Und daß die Jungs hier vor allem kurzgeschoren herumlaufen, liegt größtenteils wohl am Strand und an der Sonne."

Derartige Verharmlosungen durch BürgermeisterInnen, Polizei, JugendamtsmitarbeiterInnen oder Streetworker lassen sich allerorts beobachten. Sie führen dazu, daß die Ausbreitung einer rechtsextremen Dominanzkultur nicht ernstgenommen wird und gleichzeitig andere verdrängt und vertrieben werden - schließlich sind die Nazis "normal". An solchen Orten werden AntifaschistInnen auch schnell als "linksradikale Chaoten" abgestempelt und ihre Veranstaltungen verboten. Der Umgang mit den von einem breiten Bündnis organisierten antifaschistischen Demonstrationen im Oktober 1997 und im März 1998 in Saalfeld zeigt sehr deutlich, wo die Verantwortlichen den Hauptfeind sehen. Die Bemühungen, Polizeisondereinheiten gegen Rechtsextreme einzurichten (z.B. die "Soko Rex" in Sachsen oder die "MEGA" in Brandenburg), erscheinen deshalb manchmal als Farce - zumal die Behörden oft nur da Nazis sehen, wo sie in Parteien oder anderen Gruppen organisiert sind. Die rechtsextreme Subkultur wird von Polizei und Verfassungsschutz nicht als solche erfaßt.

In Westdeutschland gibt es zwar auch Nazis und rechtsextreme Gewalt, aber eine rechte Hegemonie hat sich auch in den Orten mit starker rechter Szene nicht herausbilden können. Denn fast überall im Westen gibt es zumindest junge MigrantInnen, die sich gegen die Jungfaschos zur Wehr setzen, wenn die ihnen den Raum auf der Straße streitig machen.

Die NPD betreut die Nazi-Kids

In der NPD haben die militanten Neonazis eine Organisierungsplattform gefunden, die es ihnen ermöglicht, relativ ungestört von staatlicher Repression ihre Aktivitäten auszuweiten. Eine über die Jahre stärker gewordene rechte Jugendsubkultur ermöglicht den Kaderstrukturen heute zum einen den organisatorischen Ausbau ihrer Führungsriege und zum anderen den Rückgriff auf ein nicht unerhebliches Mobilisierungspotential. Der Zusammenschluß verschiedener Nazi-Gruppierungen hat diese in eine Aufbruchstimmung versetzt, die alle momentan zu spüren bekommen: Zu verstärkten Aktivitäten unter der Führung der NPD kommt es derzeit nahezu jedes Wochenende irgendwo. Neben der NPD etablieren sich in der Neonaziszene auch zunehmend die "freien Nationalisten", die sich nach den Verboten ihrer Gruppierungen jetzt außerhalb der faschistischen Parteien organisieren. Natürlich gibt es viele Überschneidungen mit der NPD - den meisten "freien Nationalisten" ist die Partei aber zu autoritär und legalistisch. Wo "freie Nationalisten" marschieren, wehen meist schwarze Fahnen, die für die Nazis ein "Symbol der Not in unserem Reich" darstellen. Es gilt ihnen als Zeichen ihrer "erbarmungslosen Kampfbereitschaft".

Diese rechte Offensive geht Hand in Hand mit einem allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsruck. Da sind fast wöchentlich die Parolen der NPD zu hören, über fremdenfeindliche Übergriffe ist regelmäßig in den Zeitungen zu lesen (wenn auch nur als kleine Randnotizen), und auch linke Jugendliche, Punks und Obdachlose sind vermehrt Ziel rechter Angriffe. Deshalb darf sich antifaschistische Arbeit nicht nur darauf beschränken, die federführenden Nazi-Kader aus ihrer Anonymität zu reißen und sie auf verschiedenste Weisen anzugreifen (denn die rechten und rassistischen Ideen verbreiten sich längst auch ohne Kader und Parteien wie die NPD), sondern es ist notwendig, eine engere Zusammenarbeit der Antifa mit anderen Linken wie zum Beispiel antirassistischen Gruppen, Arbeitsloseninitiativen, Gewerkschaften etc. aufzubauen. Ziel hierbei ist es keineswegs, BündnispartnerInnen zu funktionalisieren, sondern sich gegenseitig den Rücken zu stärken.

Unterstützung der Ost-Antifas

Darüber hinaus müssen Wege gefunden werden, gerade die wenigen verbleibenden linken und antifaschistischen Menschen im Osten zu unterstützen, ohne ihnen fertige Konzepte zu präsentieren und sie zu bevormunden. Leider ist es nicht damit getan, dann und wann rechte Jugendcliquen zu verprügeln. Das schüchtert vielleicht ein, aber ist nicht genug, um die rechte Hegemonie auf den Straßen bestimmter Stadtteile oder in verschiedenen Kleinstädten auf Dauer zu durchbrechen. Die Ortsansässigen stehen kurze Zeit später dem rechten Straßenterror wieder alleine gegenüber. Heute geht es dringender denn je darum zu überlegen, wie die Anziehungskraft und Akzeptanz der rechten Jugendsubkultur gebrochen werden kann. Antifa-Konzerte und das Verteilen von Flugblättern sind Aktionsformen, mittels derer eine antifaschistische Präsenz aufgebaut werden kann. Erfolgversprechend ist dies jedoch nur, wenn hierbei konkret und auf Dauer mit den vorhandenen Gruppen vor Ort zusammengearbeitet wird.

"Lost areas"?

Leider müssen wir gestehen, daß uns für jene Regionen, in den es absolut keine antifaschistischen Zusammenhänge oder kleinste linke Strukturen mehr gibt, keine Aktionsformen mit dauerhafter antifaschistischer Perspektive einfallen. Solche Gegenden sind wohl für die nächste Zeit als "lost areas" zu deklarieren und können so den "national befreiten Zonen" zugeschrieben werden. In solchen Regionen können sehr wohl sogenannte "Export-Aktionen" organisiert werden (wie etwa in Grevesmühlen), doch die sind ohne regionale Einbindung nur von kurzer Dauer und provozieren somit auch nur eine kurzlebige Diskussion. Die meisten dieser Geschichten haben eher den Charakter, den Menschen vor Ort zu verdeutlichen: "Ihr seid scheiße", anstatt eine funktionierende antifaschistische Gegenwehr zu mobilisieren.

Städte- und Gruppenpartnerschaften sind eine Möglichkeit, eine gemeinsame Handlungsperspektive langfristig aufzubauen. Ziele einer solchen Partnerschaft könnten sein, das Antifa-Potential in der Region zu vernetzen und den öffentlichen Raum mit linken Inhalten zu besetzen. Gemeinsam können breite Bündnisse aufgebaut werden, um die regionale Integration der Nazis (z.B. in der Gemeinde oder im Jugendzentrum) öffentlich zu machen. So sollten den Nazis ihre Treffpunkte und Jugendzentren streitig gemacht werden. Schließlich ist es unabdingbar, eigene alternative linke Projekte aufzubauen oder bereits vorhandene für kulturellen und politischen Widerstand zu nutzen.

Anna Bartels und andere

Literatur:
Bernd Wagner: Rechtsextremismus und kulturelle Subversion in den neuen Ländern, Zentrum demokratische Kultur, Berlin 1998.

Burkhard Schröder: Im Griff der rechten Szene, Reinbek 1997.

Andreas Buderus: Fünf Jahre Glatzenpflege auf Staatskosten, Bonn 1998.

Antifaschistisches Infoblatt