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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 418 / 24.9.1998

Drei Jahre nach Dayton:

Nationalismus und Kalter Friede in Bosnien

Die Altstadt von Sarajevo war in der letzten Augustwoche Schauplatz zahlreicher Kulturereignisse. Hier eine Pantomime, dort eine Installation, und Filme gab es en masse. Das Filmfestival, daß in diesem Sommer zum vierten Mal stattfand, hat seine Wurzeln in den Kriegstagen, als KünstlerInnen aus ganz Europa nach Bosnien fuhren. Heute will die über die Soros-Stiftung finanzierte Kulturschickeria jedoch nicht mehr an den Krieg erinnert werden, wundern sich einige FilmkritikerInnen in den Feuilletons von Freitag, taz und Jungle World.

Kriegserlebnisse sind out - schrille Provokation ist in. In Sarajevos Altstadt wurden während des Kulturevents drei dem Eingang von Auschwitz nachempfundene Torbögen mit der Inschrift Kunst macht frei installiert. Nicht alle BewohnerInnen konnten darüber lachen. "Wir haben schon am ersten Tag empörte Anrufe von Überlebenden aus den Konzentrationslagern erhalten", sagt eine Mitarbeiterin von Benevolencija, der ältesten jüdischen Organisation Sarajevos. Während des Bürgerkrieges hat die Organisation über ein breites Netzwerk in zahlreichen europäischen Ländern Lebensmittel und Medikamente gesammelt und an bedürftige Menschen aller Nationalitäten verteilt. Die kleine jüdische Gemeinde lebt jetzt in Bosnien, ebenso wie in Jugoslawien, ohne Diskriminierung. Antisemitische Stimmungen könne sie nicht feststellen, meint die Frau. Antisemitische Töne in den Schriften des bosnischen Präsidenten Izetbegovic seien ihr auch nicht aufgefallen.

Super-Sound in Ruinen

Wenige hundert Meter vom Büro der Organisation ist die Erlebnisgeneration in Aktion. Viele Jugendliche treffen sich allabendlich zur Technodisko an einer der großen Brücken, die Sarajevos beide Stadthälften verbinden. Noch vor wenigen Jahren trauten sich die Menschen nicht aus ihren teilweise zerstörten Wohnungen. Jeder Aufenthalt im Freien barg wegen der Heckenschützen tödliche Gefahren. Gerade die heutige "Technobrücke" war eine solche Todesfalle. Darauf hat im letzten Jahr eine KünstlerInnengruppe mit Farbmarkierungen auf dem Boden aufmerksam machen wollen. Mittlerweile sind diese Spuren allerdings schon verblaßt.

Andere Kriegsspuren hingegen prägen unübersehbar das Stadtbild. Von vielen Hochhäusern an der Ausfallstraße ist nur eine ausgebrannte Fassade übriggeblieben. Am Stadtrand reiht sich Ruine an Ruine. Vereinzelt richten sich Familien in den zerstörten Häusern ihre Wohnungen wieder her. Im Stadtkern werden einige Ruinen für Technoparties genutzt. Der Sound sei wunderbar, schwärmt ein Besucher.

Sarajevo ist das Kernland des muslimischen Teils von Bosnien. Um religiöse Implikationen zu vermeiden, wird von bosniakischer Nationalität gesprochen. Das in den Medien vor Jahren so oft beschworene multinationale Sarajevo ist zumindest zur Zeit eine Schimäre. Von den serbischen BewohnerInnen hat der größte Teil die Stadt verlassen.

"Transit durch die Türkei"

Den Zustand des bosnischen Staates fast drei Jahre nach Dayton macht eine Busfahrt vom serbisch bewohnten Bergort Pale nach Sarajevo deutlich. Der Bus fährt durch einen Tunnel um Sarajevo herum und hält erst hinter der Stadtgrenze. Den Grund erklärt uns der Busfahrer: "Transit durch die Türkei", sagt er, auf Sarajevo zeigend. "Serbien", sagt er, während er zur Republik Srpska zeigt, die nach dem Abkommen von Dayton bosnisches Staatsgebiet ist.

Pale und Sarajevo sind nur wenige Kilometer voneinander entfernt und könnten doch unterschiedlicher nicht sein. Die drei wichtigsten Reformen des "Hohen Repräsentanten" der internationalen Gemeinschaft, Carlos Westendorp, konnten daran wenig ändern. Er verordnete Bosnien in diesem Sommer eine gemeinsame Währung, eine gemeinsame Fahne und ein einheitliches Autokennzeichen, um so Fundamente einer bosnischen Staatlichkeit zu legen.

Die neuen Autokennzeichen werden allgemein gelobt. Dadurch ist nicht mehr sofort zu sehen, aus welchem Teilstaat jemand kommt, und der Pendelverkehr zwischen den drei Teilen Bosniens hat zugenommen.

Bei der gemeinsamen Währung hapert es hingegen mit der Umsetzung. Bis zum Sommer war die DM (bosnische Bezeichnung: Deutschmark) das landesweite Zahlungsmittel. Sie wurde durch die neue bosnische Währung, die Konvertible Mark (KM) ersetzt, die sich mit einem Kurs von 1:1 ebenfalls an der DM orientiert. Allerdings ist im serbischen Teil weiterhin der Dinar und im kroatischen weiterhin der Kuna im Umlauf.

Auch die bosnische Flagge hat sich bisher außerhalb von Sarajevo nicht durchgesetzt. In Banja Luka, der Hauptstadt der Republica Srpska, weht die alte jugoslawische Flagge, die auch das Banner der Serbischen Republik ist. Der kroatische Teilstaat hat die Flagge aus Zagreb importiert.

In Mostar, das in eine kroatische und eine bosniakische Hälfte geteilt ist, hat sich der heiße Krieg durch die SFOR-Besatzung in einen kalten Frieden verwandelt, dem viele BewohnerInnen nicht trauen. Kaum ein Kroate geht in den bosniakischen Teil und umgekehrt. Für jeden der beiden Stadtteile braucht man eine eigene Telefonkarte. Die touristische Vermarktung der Kriegsruinen allerdings macht in ganz Mostar große Fortschritte, wenn auch in unterschiedlichen Währungen bezahlt werden muß.

Mit Spuckis für Karadzic

Das einst weltweit als Karadzic-Hochburg geschmähte Pale kann da nicht so recht mithalten. Von Zerstörungen blieb es verschont, und seit der serbische Nationalistenführer untergetaucht ist, hat sich auch die internationale Presse verzogen. Doch Sympathien in der Bevölkerung hat Karadzic noch. Zwar darf er nach dem Willen der internationalen Gemeinschaft nicht auf Wahlplakaten auftauchen. Dafür kleben Aufkleber mit seinem Konterfei und der Aufschrift "He ist Freedom" (Orthographie im Original) und "Don't touch him" auf Laternenpfählen. Auch Karadzics ehemaliger Militärchef Mladic ist fern von Pale auf serbischer Seite im Kosovo-Konflikt involviert.

Trotzdem hat es bei den Wahlen am 13. September an nationalistischen KandidatInnen auf allen drei Seiten nicht gemangelt. Die nationalistischen Hardliner sind als Sieger hervorgegangen. Das wird vor allem die internationalen Organisationen enttäuschen, die auf einen Sieg der nichtnationalistischen Opposition gesetzt haben. Gerade diese Parteien hatten sich die freie Marktwirtschaft und die Westanbindung auf ihre Fahnen geschrieben.

Im Lande selbst gibt es kaum Hoffnung auf positive Veränderungen. Vor allem die jüngeren Leute wollen so schnell wie möglich auswandern. Sie ziehen das Exil dem kalten Frieden vor.

Peter Nowak, Sarajevo