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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 419 / 22.10.1998

Umweltminister hilft PreussenElektra

Neues Atommüllager im AKW Stade

Das AKW Stade bis zum Abschalten zu blockieren, dürfte ein langwierigeres Unternehmen werden als bislang angenommen. Der Grund: Das interne Kompaktlager für abgebrannte Brennelemente kann vergrößert werden.

Als die ehemalige Bundesumweltministerin Angela Merkel im Mai dieses Jahres aufgrund der zahlreichen Grenzwertüberschreitungen bei Castortransporten einen vorläufigen Stopp verhängte, begann die Anti-AKW-Bewegung auch schon mit den Vorbereitungen für den Tag X, den Tag, an dem der erste Atomtransport wieder rollen würde.

Überlegungen zum Tag X

Damit verbunden war die Frage, von welchem AKW denn möglicherweise mit dem ersten Transport zu rechnen sei. Bei einigen AKWs (Biblis, Isar bzw. Ohu) waren zum Zeitpunkt des Transporte-Stopps bereits leere Behälter angeliefert worden. Diese könnten also sofort nach der Aufhebung des Transporte-Stopps mit Brennelementen beladen und auf die Schiene gesetzt werden.

Heikler wurde bislang die Situation im AKW Stade beurteilt. Denn anders als bei den anderen AKWs, so der bisherige Stand, würde Stade angesichts eines überfüllten internen Zwischenlagers den im Januar/Februar 1999 anstehenden Wechsel der Brennelemente nicht vollständig durchziehen können. Der Platz für die rund 48 auszutauschenden verbrauchten Brennelemente würde nicht ausreichen. Für den Betreiber, die PreussenElektra, eine ärgerliche Lage. Entweder kommt die Aufhebung des Transporte-Stopps vor dem Wechsel der Brennelemente - oder es geht ins Geld. Ohne die Möglichkeit, das interne Lager durch den Abtransport des Atommülls zu "erleichtern", hätten nur noch zwei Varianten zur Verfügung gestanden:

- Der geplante Brennelementewechsel wird verschoben und die Leistung des AKW Stade langsam abgesenkt. Damit könnte das AKW zwar noch für eine gewisse Zeit Atomstrom produzieren, aber die Kosten pro erzeugter Kilowattstunde Strom würden sich für PreussenElektra erhöhen. Unklar ist bei diesem Modell, inwieweit "wiederkehrende Prüfungen" zwingend vorgeschrieben sind, die eine Abschaltung zum bislang geplanten Termin erzwingen.

- Der Brennelementewechsel wird soweit wie möglich durchgeführt, das interne Lager bis auf den letzten Platz gefüllt. Auf diese Weise könnte das AKW Stade wieder ans Netz, würde jedoch nicht auf die volle Leistung kommen. Auch dieses würde den Atomstrom in der Herstellung teurer machen, allerdings gegenüber dem Modell eins vermutlich etwas günstiger sein. Das Problem bei dieser Variante wäre aber, daß dann möglicherweise ein weiterer Brennelementewechsel erfolgen müßte und damit die Anlage noch einmal für einige Tage abgeschaltet werden müßte. Auch dies würde Geld kosten.

Das formulierte Ziel verschiedener Anti-AKW-Initiativen, das AKW Stade durch die Verhinderung des Abtransports von Atommüll gleichzeitig "vom Netz zu blockieren", dient so vor allem der Mobilisierung. Wichtig sind die geplanten Aktionen in jedem Fall, da mit ihnen die Anti-AKW-Bewegung wieder einmal das Desaster der Atommüllentsorgung deutlich macht.

Nun haben die Grünen im niedersächsischen Landtag jedoch herausbekommen, daß PreussenElektra noch ganz andere Möglichkeiten hat, mit dem drohenden Lagerengpaß umzugehen. Ist das normale Lagergestell voll, können die Stade-Betreiber auf ein schon vor Jahren genehmigtes "mobiles Zusatzgestell" zurückgreifen. Die unbefristete Genehmigung wurde nach §7 des Atomgesetzes erteilt. Zum Einsatz dieses Gestells bedarf es jedoch einer ausdrücklichen Zustimmung durch die zuständige Atomaufsichtsbehörde, dem Umweltministerium in Hannover. Voraussetzung für diese Zustimmung ist, daß es keine anderen Entsorgungsmöglichkeiten für den Betreiber gibt. Dies ist u.a. der Fall, wenn es Schwierigkeiten beim Abtransport der hochradioaktiven Brennelemente gibt, die nicht durch den Betreiber selbst verschuldet sind, und er darüber hinaus seinen Verpflichtungen zur Entsorgung des AKWs nachgekommen ist. Entscheidet das Umweltministerium, daß diese Voraussetzungen erfüllt sind, dann gilt die Einsatzgenehmigung unbefristet.

Das Einsatzgestell kann 42 abgebrannte Brennelemente aufnehmen. Zwölf freie Lagerplätze existieren zusätzlich noch im eigentlichen Lager. Bei einer durchschnittlichen Wechselmenge von 48 Brennelementen ist der Entsorgungsengpaß für Stade also beseitigts und der Atommeiler könnte ungestört bis zum nächsten Wechsel der Brennelemente im Frühjahr 2000 weiter laufen.

SPD muß entscheiden

Es liegt also in der Hand des niedersächsischen Umweltministeriums, wie groß die (wirtschaftlichen) Probleme des AKW Stade werden. Ist das Umweltministerium der Auffassung, daß die Stade-Betreiber für das zu volle normale Lager nicht verantwortlich sind, dann ist mit einer Einsatzgenehmigung für das mobile Gestell zu rechnen.

Dabei wäre eine solche Zustimmung durch Umweltminister Jüttner (SPD) natürlich kurios: Denn durch die permanenten Grenzwertüberschreitungen bei den Atomtransporten auch aus dem AKW Stade kann wohl ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß die Betreiber selbst schuld an dem Transporte-Stopp sind und damit eine Genehmigung für das mobile Zusatzgestell gar nicht in Frage kommt. Sollte das AKW Stade also seinen Lagerengpaß durch die Genehmigung des Einsatzes dieses Zusatzgestells überwinden können, so liegt es an einem SPD-Umweltminister in Niedersachsen, wenn PreussenElektra mit dem Schrottreaktor auch weiter Geld drucken kann.

Schluß mit Castor?

Spannend ist nun, ob auch andere Atomreaktoren über derartige Zusatzgestelle verfügen und damit ihre internen Zwischenlager von heute auf morgen vergrößern können. Sollte sich herausstellen, daß dies eher die Regel denn die Ausnahme ist, so bedeutet dies eine erheblich größere Lagermöglichkeit an den Standorten als bislang bekannt. Mit Blick auf die rot-grüne Bundesregierung und die zur Zeit laufende Debatte um eine verstärkte Zwischenlagerung an den AKW-Standorten würde diese neue Lagermöglichkeit (als Zwischenmodell) von großer Bedeutung sein. Denn möglicherweise könnten die AKW-Betreiber durch diese zusätzlichen Lagergestelle für längere Zeit ohne jeden Castortransport auskommen. Hinzu kommt, daß Siemens seit einiger Zeit an neuen Möglichkeiten zur Erhöhung der internen Lagerkapazitäten in den AKWs arbeitet. In Spanien sollen bereits einige Nachrüstungen stattgefunden haben.

Möglicherweise könnten diese Zusatzgestelle innerhalb kürzester Zeit in den AKWs nachgerüstet und genehmigt werden und so das Problem der quer durch Deutschland nach Frankreich und England bzw. zu den deutschen Zwischenlagern rollenden Castortransporte schlagartig beseitigen. Damit wäre zwar die Entsorgung des Atommülls faktisch immer noch keinen Deut besser gelöst, allerdings würden die leidigen Castortransporte aus der Öffentlichkeit verschwinden (und nur noch auf dem Kraftwerksgelände hin und her geschoben). Damit wäre ein wichtiges Symbol für die Auseinandersetzungen um die Nutzung der Atomenergie "aus der Welt".

DSe