Tödlicher Abschiebeversuch
Sémira Adamu wurde von Polizeibeamten getötet
Abschiebungen werden unter Einsatz von Gewalt gegen die Abzuschiebenden durchgeführt - das ist nicht neu. Daß die Polizei und Behörden dabei auch Tote in Kauf nehmen, zeigt der Tod von Sémira Adamu in Belgien. Am 22. September wurde die 20jährige Nigerianerin bei einem Abschiebeversuch von Polizeibeamten erstickt. Um die Frau in das Flugzeug verfrachten zu können, hatte die Polizei elf (!) BeamtInnen aufgeboten. Adamu sollte per Flugzeug nach Togo abgeschoben werden. Als sie zu schreien begann, wollten die BeamtInnen sie mittels eines "kleinen Kissens" beruhigen, so die offizielle Stellungnahme. Wenige Stunden nach dem Versuch, die junge Frau ruhigzustellen, starb sie an ihren Verletzungen. Als Todesursache diagnostizierten Ärzte Gehirnblutungen.
Sémira Adamu war im März geflohen, weil ihre Familie sie gegen ihren Willen mit einem über vierzig Jahre älteren Mann verheiraten wollte. Der Asylantrag wurde vom belgischen Innenministerium "nach eingehender Prüfung als unbegründet erachtet". Nach Ansicht der Behörde habe die Frau in Nigeria keine Gefahr zu befürchten. Für die Ausländerpolizei war es bereits der fünfte Versuch, die Frau abzuschieben. Dagegen hatte sie sich bis dato erfolgreich zur Wehr gesetzt. Beim letzten Abschiebeversuch seien, so die Behörden, "durchaus übliche Methoden" angewandt worden. Der Gebrauch eines Kissens, das zur Ruhigstellung von Abzuschiebenden auf deren Gesicht gepreßt wird, sei nach Aussagen einer Polizeisprecherin legitim. Im Fall von Frau Adamu sah dies nach Aussagen von Fluggästen allerdings so aus, daß zwei Beamte die Frau auf den Boden drückten, bis sie keine Gegenwehr mehr leistete. Daß Frau Adamu ums Leben kam, so die Sprecherin weiter, "tut uns wirklich leid". Rückendeckung bekamen die Polizeibeamten auch aus dem Innenministerium. Deren Sprecher verteidigte die Methoden der Polizei als "üblich und normalerweise gefahrlos." "Wenn die Polizisten keinen Zwang mehr ausüben dürfen, ist das für ausgewiesene Asylbewerber eine Ermutigung, noch gewalttätiger vorzugehen", sagte er.
Der belgische Innenminister Tobback erklärte wenige Tage nach dem Vorfall seinen Rücktritt, nachdem bekannt wurde, daß einer der beteiligten Polizisten im letzten Jahr wegen Mißhandlung von Asylbewerbern disziplinarrechtlich verurteilt worden war. Damals wurde der Polizist von seinen Kollegen angezeigt, weil er wiederholt Asylsuchende durch Fußtritte verletzt hatte. Den Rücktritt des Ministers hatten zuvor schon Demonstranten gefordert. Die Mitte-Links-Regierung versuchte noch, Tobback von seinem Vorhaben abzubringen. Er galt als Reformer des korrupten Polizeiapparates.
An der Trauerfeier für Sémira Adamu nahmen über 5.000 Menschen teil. Einige DemonstrantInnen hatten schon vor Beginn der Feierlichkeiten das Parlament gestürmt und es bis zum Ende der Trauerfeier besetzt gehalten. Ein breites Bündnis aus Nichtregierungsorganisationen wie z.B. amnesty international forderte eine Reform der Ausweisungspraktiken und der Gesetze in Belgien. Das "Belgische Komitee gegen Abschiebungen" (Brüssel) fordert darüber hinaus die vollständige Aufklärung der Vorgänge des Abschiebeversuches. Damit dies nicht den Behörden überlassen wird, hat das Komitee selbst die Recherche aufgenommen. "Wir sind nicht mit einem Ausrutscher konfrontiert, sondern mit einer alltäglichen und schändlichen Praxis, die sich im Falle von Sémira als bedauerliche Konsequenz der Drohungen, die ihr gegenüber seit ihrer Ankunft in Belgien ausgesprochen wurden, erwiesen hat. Dies macht einen Prozeß erforderlich, bei dem über die Verantwortlichen für diese "Verbrechen" geurteilt werden kann. Auf jeder Ebene der Verantwortung. Die Verantwortung muß unserer Meinung nach bei den Ausführern (Gendarmen), den Helfern (SABENA) und vor allem bei den Entscheidern (Innenminister und Ausländerbehörde) dieser Terrorpolitik gesucht werden." (aus der Presseerklärung des Komitees)
Im Gegensatz zu den deutschen Behörden, die 1994 nach dem Tod von Kola Bankole keine Konsequenzen aus der Abschiebepraxis zogen, haben die belgischen Behörden zumindest vorläufig das Aussetzen von Abschiebungen erklärt. Selbst die Gewerkschaft der Polizei rief ihre Mitglieder auf, die Mitarbeit an zwangsweise durchgeführten Abschiebungen zu verweigern - auch dies ist in der BRD unvorstellbar. Ob die Proteste und Empörung über den Tod von Sémira Adamu zur Änderung in der Abschiebepraxis führen werden oder gar die Anerkennungspraxis zur Diskussion gestellt wird, wie es die Tageszeitung De Morgen forderte, ist gegenwärtig allerdings auch weiterhin nicht vorstellbar. Bislang wurden 1998 über 3.800 Flüchtlinge aus Belgien abgeschoben.
ch.