Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 419 / 22.10.1998

Zwischen Hausputz und Putzkolonne

Frauen am deregulierten Arbeitsmarkt

Im Juni 1998 zählte die Bundesanstalt für Arbeit 33,8 Mio. Erwerbstätige. Sozialversicherungspflichtig sind 27,1 Mio. Menschen beschäftigt. Zwischen 1970 und 1992 war im Westen die Zahl der weiblichen Erwerbstätigen um 2,7 Mio. auf 12,2 Millionen gestiegen. Doch diese Beschäftigungszuwächse bieten keinen Anlaß zu ungetrübter Freude. Die Arbeitsplätze liegen in Dienstleistungsbereichen, in denen niedrig entlohnte Teilzeit überproportional wuchs; Frauen werden überwiegend in prekäre Billigjobs gedrängt.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung weist den Anteil der Normalarbeitsverhältnisse an der Gesamtheit der Beschäftigungsverhältnisse nur noch mit 52,1 % aus; prekäre Beschäftigung wird zur Normalarbeit. Unter dem Eindruck der Ausbreitung sozialversicherungsfreier Jobs insbesondere für Frauen sprach Carola Möller 1990 von "ungeschützter Beschäftigung": Beschäftigung ohne arbeits-, sozial- und tarifrechtlichen Schutz, ohne Anlage auf Dauer und ohne langfristige Existenzsicherung. Im engeren Sinne bezeichnet prekäre Beschäftigung ungesicherte oder nicht sozial abgesicherte geringfügige Beschäftigung unter 15 Wochenstunden (bzw. einem monatlichen Einkommen bis zu 620 DM West/ 520 DM Ost) sowie die sog. Scheinselbständigkeit. Das Deutsche Institut für Wirtschaft (DIW) zählt 1997 6,8 Mio. sozialversicherungsfreie Beschäftigungsverhältnisse.

Im weiteren Sinne beschreibt prekäre Beschäftigung eine breite Palette von Arbeitsverhältnissen wie "normale" Teilzeit ab 15 Stunden, Leiharbeit, illegale bzw. untertarifliche Beschäftigung, Befristungen, Heimarbeit, Zeitarbeit, Telearbeit und Teleheimarbeit. Aber auch ABM, Strukturanpassungsmaßnahmen oder Arbeitsmaßnahmen für SozialhilfeempfängerInnen zählen dazu. Zu prekärer Beschäftigung gehören weiterhin unständige Beschäftigung von Werk- bzw. HonorarverträglerInnen bzw. JobberInnen. All diese Beschäftigungen weisen verschiedene Merkmale der Prekarität auf. Die bisher als "normal" geltenden Absicherungen wie Mitbestimmungsrechte, Sozialversicherungsansprüche, Urlaubsgeld, Mutterschaftsurlaub, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall etc. sind bei diesen Jobs eingeschränkt. Zudem sind sie meist niedrig bezahlt.

Die Bandbreite der Prekarität drückt sich in der ganz "normalen" Teilzeit aus. Sie reicht von der schlechtbezahlten Kollegin mit 19 Stunden Wochenarbeitszeit und schlechten Aufstiegschancen bis hin zur hochqualifizierten Dreiviertelstelle mit BAT 2a, aber befristetem Arbeitsvertrag. Von den jetzt rund 34 Mio. Erwerbstätigen sind derzeit 16,26 Mio. Menschen - also nahezu die Hälfte - prekär beschäftigt, darunter mehrheitlich Frauen.

Dieser Boom sozialversicherungsfreier Beschäftigung ist nicht etwa auf die Tendenz einer generellen Verkürzung der Arbeitszeit zurückzuführen. Durch die Deregulierungspolitik der bisherigen Bundesregierung wurde einerseits die Arbeitszeit bei Erwerbstätigen mit Überstunden immer weiter ausgedehnt. 1998 leisteten bundesdeutsche ArbeitnehmerInnen 1,8-2,0 Mrd. Überstunden . Andererseits wurden massenhaft Arbeitskräfte aus gesicherten Voll- und Teilzeitarbeitsstellen entlassen. Ein Teil davon - meist Frauen wurden als geringfügig Beschäftigte wieder angestellt .

Arbeiten für 'n Appel ohne Ei

Arbeitslosigkeit wird immer weiblicher. Im Mai 1998 waren über 1,2 Mio. westdeutsche Frauen arbeitslos. Die Anzahl der arbeitslosen Männer betrug 1,59 Millionen. Obwohl die Frauenerwerbsquote stark zugenommen hat, liegt die Arbeitslosenquote bei Frauen seit 1969 permanent über der der Männer. Während die Arbeitslosigkeit in den westlichen Bundesländern seit 1992 von 1,8 Mio. auf 2,82 Mio. gestiegen ist, schnellte parallel dazu die Arbeitslosenquote bei Frauen/West von 7,2% im Jahr 1992 auf 10,2%.

Jobs für Frauen gibt es vor allem in niedrig entlohnter Teilzeit. Während 1970 noch etwa jede vierte abhängig beschäftigte Frau einen Teilzeitjob hatte, ist es heute mehr als jede Dritte. 88% aller TeilzeitarbeiterInnen sind Frauen. Ähnliche Zahlen zeigen sich bei der geringfügigen Beschäftigung. Diese nahm von 1990 bis 1996 in den neuen Bundesländern um 105%, im Westen um 56% zu. Die Zuwachsraten bei Frauen betrugen hier 66 % im Westen und 139% im Osten . Im Einzelhandel ist die Anzahl von Frauen von 250.000 auf mehr als 500.000 im Jahr 1995 gestiegen. Von vier Mio. JobberInnen, die in 620 DM/ 520 DM-Jobs ausschließlich geringfügig tätig sind, sind 80 % Frauen.

Niedriglöhne für Frauen werden in der BRD als Kavaliersdelikt betrachtet. Nicht einmal für die Gewerkschaften ist es ein Thema, wenn die Äpfelpflückerin im Havelland nur 5,95 DM pro Stunde verdient; beim Thüringer Wachschutz erhalten Frauen bei einem Zwölfstundentag mit Wechselschicht nur 6,60 DM die Stunde. Die Entwicklung von Arbeit für 'nen Appel ohne Ei zeigt sich in der Bekleidungsindustrie Sachsens, wo Frauen in nicht tarifgebundenen Betrieben Hosen und Röcke für einen Leistungslohn von 7,50 pro Stunde nähen. Durch die Leistungsnorm wird ihr Lohn schließlich auf maximal 5,62 DM pro Stunde oder 955 DM brutto pro Monat gedrückt. Diese Armut trotz Arbeit hat nicht nur bei untertariflicher Arbeit stark zugenommen. "Working poor" finden sich zunehmend auch bei tariflicher Erwerbsarbeit oder bei Beschäftigung im Bereich der Arbeitsförderung (SGB III) und des Bundessozialhilfegesetzes; inzwischen sind mehrere Millionen Menschen trotz Arbeit arm.

Nach Mikrozensusergebnissen erhielten 1996 7,4 Mio. Menschen Nettoeinkommen unterhalb von 1.400 DM, darunter ca. 5,5 Mio. Frauen. Das sind z.B. Zimmermädchen und Topfspülerinnen im Frankfurter Grand Hotel mit nur 1.600 DM Brutto-Monatsverdienst. Das sind die Putzfrauen ohne deutschen Paß, die als Scheinselbständige im Maritim Hotel Hannover arbeiten und mit maximal 900 DM Brutto nach Anzahl der Zimmer pro Stunde bezahlt werden, unabhängig von Verschmutzung oder Belegungsdauer der Zimmer. Neben ihrer offensichtlich gering geschätzten Erwerbsarbeit leisten Frauen häufig den Löwenanteil der Familienarbeit. Die von den Frauen unbezahlt geleistete Familienarbeit übertrifft dem Umfang nach die bezahlt geleistete Arbeit bei weitem. Laut statistischem Bundesamt hatte die bezahlte Erwerbsarbeit im Jahr 1992 einen Umfang von 48 Mrd. Stunden, die unbezahlte dagegen einen Umfang von 77 Mrd. Stunden.

Und Unternehmer träumen immer öfter davon, die winzigen Frauen-Löhne zur allgemeinen Norm zu machen. Sie fordern immer nachdrücklicher eine stärkere Lohnspreizung in den unteren Lohngruppen. Von niedrigen Löhnen für arbeitslose Geringqualifizierte, Kombi-Löhne für Sozialhilfe- oder ArbeitslosenhilfeempängerInnen und besonderen Anreizlöhnen für "BerufseinsteigerInnen" ist die Rede. Die Arbeitgeber des Einzelhandels schlugen die Einführung neuer Tarifgruppen unter dem derzeitigen Tarifniveau vor, das bereits jetzt kaum zum Leben reicht.

Frauen als "Reform"opfer

Die "Reformen" bei Sozialversicherungen haben die Jobchancen von Frauen weiter verschlechtert. Das "Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung", 1996 als Artikelgesetz verabschiedet, hieß im Klartext: Umverteilung der Einkommen von Frauen zu Männern und Abbau demokratischer Rechte vor allem von Frauen. Diskriminierend für Frauen erweist sich dabei, daß Zeiten der Berufsausbildung bei der Rentenversicherung nur noch ab dem 17. Lebensjahr und für nur drei Jahre anerkannt werden. Längere Ausbildungszeiten wie z.B. ein Studium werden nicht mehr berücksichtigt. Dabei haben viele junge Frauen in den letzten 10 - 15 Jahren gerade deshalb eine Fach- oder Hochschulausbildung absolviert, um berufliche Diskriminierung und vorhersehbare Ungleichheiten in der Karriere sowie im sozialem Status und im Einkommen zu mildern. Diese Bemühungen von Frauen, die unter schwereren Bedingungen als Männer studiert haben, werden nachträglich zunichte gemacht. Hauptbetroffene sind jetzt jüngere Frauen aus den alten Bundesländern, die ihr Studium mit eigener Arbeit finanzierten, länger als zehn Semester studierten und mitunter anschließend noch längere Zeit in der Arbeitslosigkeit verharren mußten.

Auch die Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle belastet Frauen mehr, da sie meist über geringere Einkommen verfügen. Sie sind durch die Doppelbelastung mit Familie, Haushalt und Erwerbsarbeit stärker gesundheitsgefährdet als Männer und betreuen überdies häufig ihre kranken Kinder zu Hause. Gleiches gilt für die Lockerung des Kündigungsschutzes und die Aufweichung der Sozialplanregelungen, die sich ebenfalls vornehmlich gegen Frauen richten: Frauen arbeiten mehrheitlich in tariffreien Klein- oder Kleinstbetrieben. Durch Kindererziehungs- und Pflegezeiten haben sie in der Regel eine kürzere Betriebszugehörigkeit als Männer und weniger Chancen, überhaupt länger im Betrieb zu arbeiten.

Die Förderung hauswirtschaftlicher Beschäftigungsverhältnisse ("Dienstmädchenprivileg") erwies sich als Beschäftigungsprogramm für Frauen im Niedriglohn-Segment. 1997 sind 1.259 zusätzliche sozialversicherte Arbeitsplätze in privaten Haushalten entstanden. Dabei hat der Staat letztlich jeden einzelnen dieser Jobs mit 236.000 DM in Form vorn Steuervergünstigungen für wohlhabende Haushalte bezuschußt.

Auch die neuen Zumutbarkeitregelungen im Arbeitsförderungsrecht enteignen vor allem die Qualifikation und Berufserfahrung von Frauen. Mittlerweile gelten nach sieben Monaten Erwerbslosigkeit Löhne als zumutbar , die gerade das Niveau der Arbeitslosenunterstützung erreichen. Da Frauen i.d.R. länger erwerbslos sind als Männer, wird auf sie auch ein höherer Druck zur Aufnahme sog. zumutbarer Beschäftigung unabhängig von ihrer Qualifikation und Berufserfahrung ausgeübt. "Armut durch Arbeit" wird auf diese Weise mit staatlichen Mitteln produziert.

Zurück an Heim und Herd

Die Ansprüche von Frauen an eine "vollwertige" und existenzsichernde Erwerbsarbeit gelten häufig genug als lästig. So benennt die "Zukunftskommission der Freistaaten Sachsen und Bayern" (federführende Vordenker: Meinhard Miegel und Ulrich Beck) die Erwerbsbeteiligung von Frauen wird als Hauptgrund der hohen Arbeitslosigkeit im Osten: Zuviele Frauen wollen arbeiten. Der gewünschte Rückzug vom Arbeitsmarkt findet einfach nicht statt, obwohl angeblich "sowohl in den alten wie in den neuen Bundesländern die meisten Frauen davon überzeugt (sind), daß sie sich in der Rolle als Mutter, die nebenbei noch teilweise berufstätig ist, am wohlsten fühlen." Der ungebrochene Wunsch ostdeutscher Frauen nach qualifizierter und existenzsichernder Erwerbsarbeit wird auf die Zwänge der sozialistischen Ideologie und der Einkommenssicherung reduziert. Die Leiterin einer sächsischen Dienstleistungsagentur beklagt z.B. ein "von der DDR geprägtes Weltbild, in dem es für Haushaltshilfen keinen Platz gab". Wenn Frauen nach wie vor nicht nur materielle Ansprüche, sondern auch individuelle Entfaltung und Selbstverwirklichung in der Erwerbsarbeit anstreben, so erscheint das unter diesem Blickwinkel als "mentale Barriere".

Diese Frauenbilder verfestigen traditionelle Rollenmuster: Männer als "hochkompetitive Kernarbeiter" mit "extremer Arbeitsverdichtung" in "fraktalen Fabriken" mit einem Arbeitstag bis zu 16 Stunden und Frauen als personenbezogene Dienstleisterinnen mit niedrigen Zuverdiensten. Wenn Frauen wirklich Arbeit suchen, werden sie auch Arbeit finden, so die sächsisch-bayrische Zukunftskommission: als selbständige Unternehmerin mit eigenem Risiko beim Autoscheibenputzen, als abhängig beschäftigte Tüteneinpackerin im Supermarkt zum Stücklohn, als ehrenamtliche Gemeinwesenhelferin mit Bürgergeld in Höhe des Sozialhilfesatzes, als Putzfrau, Waschkraft, Pflegeperson im Altenheim oder Kinderfrau.

Auch der neue Bundeskanzler setzt auf einen massiven Ausbau des Niedriglohn-Sektors. In einem kurz vor der Wahl veröffentlichten Wirtschaftspapier konturierte Gerhard Schröder die Vision einer neuen sozial-reaktionären Arbeitsgesellschaft und eines "Welfare to work"- Staates. Niedriglöhnen sollen mit Sozialtransfers wie Lohnkostenzuschüsse (LKZ) aufgestockt werden. Durch die Kombination von niedrigen Löhnen, LKZ und Sozialhilfe soll subventionierte Erwerbsarbeit im privaten Billiglohn-Sektor entstehen. Schröder will dafür sorgen, "daß mehr Menschen von personenbezogenen Dienstleistungen leben können ". Vor allem Frauen sollen demnächst Klinken putzen, um zur "existentiellen Grundversorgung" ein paar Mark hinzuzuverdienen.

Schluß mit Brot und Rosen?

Was eine rot - grüne Koalition an frauenpolitischen Innovationen auf die Beine stellen wird, bleibt zunächst abzuwarten. Bisher gehen die unterschiedlichen Konzepte der Sozialdemokratie - und übrigens auch der Bündnisgrünen - zur Verbilligung des Faktors "Arbeit" durchaus in neoliberalen Politikprojekten auf. Produktivitätswachstum führt dann nicht zu mehr freier Zeit für alle, sondern bringt weniger freie Zeit besonders für Frauen. Regulär Erwerbstätige erwarten längere Arbeitszeiten, die Frauen wegen familiärer Aufgaben und Kinderbetreuung immer weniger leisten können. Für Erwerbslose und Geringverdienerinnen wird sich der Zeitaufwand für die bloße Existenzsicherung ebenfalls vergrößern, wenn immer öfter in mehreren ungesicherte Jobs gearbeitet werden muß. Je geringer staatliche Leistungen zur sozialen Absicherung werden, desto größer wird der Zwang zur Annahme jeder Arbeit. Niedriglohnarbeitsmärkte werden so ausgeweitet und prekäre Jobs von der Ausnahme zur Regel.

Obwohl - oder gerade weil - die Arbeitsproduktivität für Frauen eigentlich eine gleichberechtigte Teilhabe an der Erwerbsarbeit und ihren Ergebnissen sowie an tatsächlich freier Zeit möglich macht, dominiert ein völlig überholtes Streben nach "Arbeit". Alternativen zur Gleichstellung von Frauen sind nur in Konzepten mit einer ganz andere Organisation gesellschaftlicher Arbeit und Aneignung zu finden. Eine Richtung solch anderer Organisation ist eine andere Verteilung von Erwerbsarbeit, eine Neu- und Umbewertung der Arbeit sowie eine Entkoppelung von Arbeit und Einkommen. Das beinhaltet eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit auf 25 Stunden bei vollem Lohnausgleich und die Einführung einer sozialen Grundsicherung.

Auf dem gegenwärtigen Stand von Wissenschaft und Technik wächst die Arbeitsproduktivität alle 10 Jahre um 100%. Eine wichtige Voraussetzung, insbesondere für Frauen gesellschaftliche Teilhabe zu sichern, ist deshalb weniger Erwerbsarbeitszeit bei gleichzeitiger allgemeiner sozialer Absicherung. Das kann aber nur mit einer Konsolidierung der sozialen Versicherungssysteme gelingen, nicht aber durch ihre Abschaffung. Zur Organisation von gleichberechtigter Teilhabe an gesellschaftlichen Arbeit gehört die Schaffung von bedarfsorientierten Beschäftigungsfeldern nach arbeits-, sozial- und tarifrechtlichen Maßstäben, die für Frauen und Männer gleichberechtigt zugänglich gemacht werden müßten.

Anne Allex