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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 420 / 19.11.1998

Rotbuch gegen Schwarzbuch

Auf das "Schwarzbuch des Kommunismus" (vgl. ak 419) folgte ein Anti-Schwarzbuch, herausgegeben von Jens Mecklenburg und Wolfgang Wippermann - eine Streitschrift gegen das mit dem Schwarzbuch verfolgte politische Projekt: die Relativierung des Holocaust und die Delegitimierung der Linken.

Im Vorwort stellen die Herausgeber die Frage, ob das Schwarzbuch als "Medienereignis" oder als "neue Etappe des keineswegs beendeten Historikerstreits" zu begreifen ist, und ob es darin eher um "geschichtswissenschaftliche" oder "geschichtspolitische" Fragen gehe. Eine rhetorische Frage - das Anliegen der Schwarzbuch-Autoren ist offensichtlich politisch: Es geht ihnen nicht nur um die Diskreditierung der "linken Idee" und die Verkündung der "Totalitarismustheorie", sie wollen auch den "während des ,Historikerstreits` keineswegs nur von Linken vertretenen Konsens aufkündigen, wonach der Holocaust das zentrale und vielleicht sogar singuläre Makroverbrechen dieses Jahrhunderts war."

Letzteres gilt insbesondere für Stéphane Courtois, dessen provokatorische Thesen daher in mehreren Beiträgen ein ums andere mal zitiert und widerlegt werden - ein legitimes, aber ermüdendes Verfahren. In den Beiträgen von Wolfgang Wippermann (",Rassen-Genozid` gleich ,Klassen-Genozid`") und Brigitta Huhnke ("Die Singularität des Holocaust") ist zu diesem Thema alles Nötige gesagt. Matthias Küntzel und Hermann L. Gremliza wiederholen die Courtois-Zitate, verflachen aber die politische Kritik. Küntzel setzt die "neue deutsche Linke" auf die Anklagebank: Diese habe "ihr Verständnis von Links-Sein schon immer auf eine Weigerung gestützt, dem Volk der Täterinnen und Täter tatsächlich ins Gesicht zu sehen." Dazu wäre wohl die "antinationale" Brille nötig - und die Bereitschaft, die eigene ",kommunistische` Vergangenheit auch als den Versuch einer Flucht vor Auschwitz zu interpretieren". Auf Argumente, die diese bizarre These stützen könnten, verzichtet der Autor.

Während Küntzel die ganze "neue deutsche Linke" in den großen Sack der Auschwitz-Verdränger steckt, sind bei Gremliza vor allem die "Maoisten" die Übeltäter: "Die paar deutschen Maoisten, die mehr im Sinn hatten als Rabbatz auf dem Campus und den Eltern ein Wohlgefallen, hätten in einer Telefonzelle Platz gefunden. Dasselbe gilt für ihre französischen Kameraden." Alte Feindschaft rostet nicht, allein der politische Verstand des "Polemikers" (Gremliza über sich) nimmt auf Dauer Schaden.

Die LeserInnen des Anti-Schwarzbuchs werden durch einige gute bis vorzügliche Beiträge entschädigt. Was Wippermann schreibt, hat Hand und Fuß; auch die Aufsätze von Bernhard Schmid (über die Schwarzbuch-Autoren und über die französischen Reaktionen), Mario Keßler (über die angebliche "Einheit des Kommunismus") und Rudolf Walther (über die "Legende von der linken Lebenslüge") sind fundiert und lesenswert. Aus dem Beitrag von Mark B. Tauger wurde schon in ak 419 zitiert. Tauger belegt, daß die 6 Millionen Hungertoten in der Sowjetunion (1932/33) nicht zu den "Mordopfern des Kommunismus" zu zählen sind.

Etwas aus dem Rahmen fällt der Artikel von Daniel Bensaid, Mitglied des ZK der trotzkistischen Ligue communiste révolutionnaire (LCR). Bensaid schildert die Geschichte der Sowjetunion als Geschichte von Klassenkämpfen. Der Sieg der stalinistischen Fraktion der KPdSU sei der Sieg der Konterrevolution und markiere einen "Bruch, eine eindeutige Diskontinuität sowohl in der Innen- als auch in der Außenpolitik". (Was auf eine andere Diskussion verweist: Die noch ausstehende historisch-kritische Würdigung des "Konterrevolutionärs" Stalin, der zugleich Massenmörder und Befreier war.)

Am Ende des Anti-Schwarzbuchs steht Mecklenburgs und Wippermanns Resümee, in dem die Kritik am Schwarzbuch zusammengefaßt wird: "Kritisiert wird einmal, daß die kommunistischen Verbrechen keineswegs immer überzeugend nachgewiesen werden. Kritisiert wird zweitens, daß die kommunistischen Verbrechen nur beschrieben und nicht vor dem jeweiligen historischen Hintergrund interpretiert und erklärt werden. Kritisiert wird drittens, daß die Anprangerung der Verbrechen des Kommunismus an der Macht der Delegitimierung der gesamten Linken dient. Kritisiert werden schließlich viertens die im wörtlichen Sinne aufrechnenden Vergleiche mit dem Holocaust, dessen singuläre historische Bedeutung damit relativiert wird."

Fazit: "Die in unserem Titel gestellte Frage, ob es einen ,Roten Holocaust` gegeben hat, muß eindeutig verneint werden." Dem ist ohne Einschränkung zuzustimmen.

Js.

Jens Mecklenburg und Wolfgang Wippermann (Hrsg.): "Roter Holocaust"? Kritik des Schwarzbuch des Kommunismus; Konkret Literatur Verlag, Hamburg, 294 Seiten, 39 DM