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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 420 / 19.11.1998

Biblis A:

Grüne Nagelprobe für Atomausstieg

Im Dezember 1988 wurde der Öffentlichkeit bekannt, daß die Betreiber des AKW Biblis ein Jahr lang einen schweren Störfall verschwiegen hatten. Um Haaresbreite war der Reaktor am Super-GAU vorbeigeschrammt.

Durch die Vertuschung kamen RWE und die damalige CDU-Landesregierung derart unter Druck, daß eine umfassende Sicherheitsanalyse für den Block A angeordnet werden mußte. Selbst der traditionell atomfreundliche TÜV Bayern mußte in der Folge über 100 Mängel feststellen. Als Konsequenz erließ Umweltminister Weimar (CDU) 55 Sicherheitsauflagen, die bis heute nur zu einem sehr geringen Teil erfüllt sind. Dabei hatten der TÜV Bayern als auch der hessische CDU-Umweltminister ohne ihre Umsetzung einen Weiterbetrieb über das Jahr 1993 hinaus nicht für verantwortbar erklärt.

Mit der Anordnung der Sicherheitsauflagen wenige Tage vor Amtsübergabe im März 1991 an den frischgewählten neuen hessischen Umweltminister Josef (Joschka) Fischer erwies Weimar dem RWE einen letzten Dienst: zwar erteilte er durchaus auch scharfe Auflagen gegen die RWE, allerdings wurden keinerlei Sanktionen für die Nichterfüllung der Auflagen festgelegt. Somit war sie völlig zahnlos, da sie keine Handhabe enthielt, gegen RWE vorzugehen.

Diese Sicherheitsauflagen führten zu einem sich bis heute hinziehenden Hickhack. Zunächst verhalf die Fristsetzung für die Umsetzung der Auflagen bis zum Brennelementewechsel (Revision) 1993 dem RWE zu einer fast dreijährigen Schonzeit, da das nun grüne Umweltministerium seine ganzen Hoffnungen für die Stillegung auf die Sicherheitsauflagen setzte. Die RWE nutzten diese Frist gut. Erst im Herbst 1993, kurz vor Revisionsbeginn, klagten sie gegen die Auflagen. Obwohl die Klage schließlich scheiterte, konnte Zeit gewonnen werden. Die für eine Abarbeitung der Auflagen notwendigen Genehmigungsunterlagen reichte RWE erst spät und unvollständig ein, so daß mit Ende der Revision 1993 keine Genehmigungen vorliegen konnten und sie damit auch keine zu erfüllen brauchten. Die RWE schienen sich aber des Erfolgs ihrer Taktik nicht wirklich sicher zu sein, sie betrieben Block A bis zum letztmöglichen Termin, dem 31. Dezember 1993, bevor sie dann endlich die Revision einleiteten!

Im März 1994 versuchte das hessische Umweltministerium eine erste Abschaltverfügung gegen Block A zu erlassen, die sich zusätzlich auf weitere Recherchen stützte. Ein zentraler Punkt dabei ist der sogenannte Rangierverteilerraum, durch den sämtliche Kabelstränge von der Steuerwarte ins AKW selbst führen. Ein Brand an dieser Stelle könnte innerhalb weniger Minuten das ganze AKW unkontrollierbar machen - der Super-Gau wäre dann unabwendbar. Doch aus der Stillegung wurde nichts: Der damalige Bundesumweltminister (BMU) Klaus Töpfer (CDU) verhinderte dies wenige Stunden vor dem geplanten Erlaß per bundesaufsichtlicher Weisung.

In den folgenden Jahren ereigneten sich in beiden Blöcken, wie in anderen AKWs auch, eine Reihe ernsthafter Störfälle. Brände, Risse in Rohrleitungen u. a. bedrohliches mehr führten immer wieder zu phasenweiser Abschaltung. Das hessische Umweltministerium (HMU) versuchte in den folgenden Jahren noch zweimal das AKW Biblis A stillzulegen. 1995 mit einer weiteren Abschaltverfügung, da das AKW wesentlich anders errichtet wurde, als genehmigt und 1997 sogar mit einer Stillegungsverfügung: Die notwendigen Nachrüstungen auch bei Block B und der Bau der fehlenden Notstandswarte würden eine derart lange Abschaltung erforderlich machen, daß sich die ebenfalls notwendigen Nachrüstungen von Block A während der verbleibenden Restlaufzeit nicht mehr rentieren könnten, so daß eine sofortige Stillegung als gerechtfertigt angesehen wurde.

Biblis B stand immer im Schatten seines "älteren Bruders", ein grundsätzliches Vorgehen gegen diese Anlage hat das hessische Umweltministerium ernsthaft nicht versucht. Lediglich auf aktuelle Störfälle wurde seitens des HMU reagiert. Immer wieder kündigte das HMU eine Sicherheitsanalyse auch dieses Blocks an, doch bis heute wurde dies keine Realität. Damit fehlt immer noch eine gutachterlich/wissenschaftliche Grundlage, um konsequent auch gegen Block B vorgehen zu können.

Der Konflikt um Biblis zog sich die nächsten Jahre mit relativ ähnlichen Mustern hin. Die RWE versuchten jede Maßnahme gegen die beiden AKWs durch Verzögern oder mit der Drohung von Schadensersatzklagen auszubremsen. Potentiell erfolgreiche Ansätze des HMU wurden von Bonn per Weisung kassiert, wobei sich das HMU (wie auch andere rot-grüne Umweltministerien in den Ländern) nie auf ernsthafte Konflikte bis hin zum Bundesverfassungsgericht einließ, so daß in der Anti-AKW-Bewegung der Eindruck entstand, daß es sich mehr um Schaukämpfe als ernstgemeinte Stillegungsversuche von AKWs handelte.

Nach der Bundestagswahl im September 1998 wurde bei den folgenden Koalitionsverhandlungen schnell klar, daß es nicht zu sofortigen Abschaltungen von Atomanlagen kommen wird.

"Dem Energiekonsens sieht man in Biblis gelassen entgegen." So titelte dann auch die Regionalzeitung "Südhessische Post" am 17. Oktober 1998. Es steht zu befürchten, daß die RWE auch nach rot-grüner Machtübernahme zu dieser Gelassenheit durchaus Anlaß haben.

Da die Leitung des Bundesumweltministeriums jetzt in grüne Hände übergeht, sollte die Aufhebung der Weisungen zu Biblis A eine reine Formsache sein, insbesondere, da der Posten des beamteten Staatssekretärs durch Reiner Baake übernommen wird. Baake hatte das entsprechende Amt in Wiesbaden durchgängig seit J. Fischers Zeiten inne und war maßgeblich für die hessische Atompolitik der letzten Jahre verantwortlich. Seine Chefs machten Karriere, seine Chefinnen stürzten, Reiner Baake blieb.

Auf seinem neuen Posten hätte er jetzt die Möglichkeit, Biblis zum Vorzeigeprojekt der AKW-Politik des grünen BMU zu machen. Aber schon am Tag der Regierungsvereinbarungen zum Thema Atom wurde deutlich, daß andere Interessen wohl mehr Gewicht haben. Ursula Schönberger, damals noch atompolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion, wies darauf hin, daß zu Biblis A mehrere, blockierte Stillegungsverfügungen vorlägen, so daß dieses AKW nicht unter das vereinbarte Einjahresmoratorium fallen würde. Sie wurde sofort mit dem Hinweis, die Konsensverhandlungen sollten doch nicht unnötig belastet werden, zurückgepfiffen.

Koalitionsgezackere um Ausstieg

In das gleiche Horn stieß Norbert Schmitt (SPD), der energiepolitische Sprecher der Landtagsfraktion in Hessen und Abgeordneter des Kreises Bergstraße, in dem Biblis liegt. Auch er forderte, daß mit einer endgültigen Stillegungsverfügung gewartet werden solle, bis die Ergebnisse der Konsensgespräche vorlägen, die Sicherheitsdefizite seien für diesen Zeitraum noch hinnehmbar. Eine heftige Wendung, denn noch im März vertrat er die durchaus korrekte Position, daß "von der Sachlage her der Weiterbetrieb von Block A nicht zu verantworten ist, da erhebliche Sicherheitsdefizite schon 1991 vom TÜV Bayern festgestellt wurden". Auch sein Fraktionsvorsitzender Armin Clauss warnte vor "übereilten Schritten" in Sachen Atomausstieg.

Sie reagierten damit auf Pläne aus dem hessischen Umweltministerium, jetzt die Stillegungsverfügungen der letzten Jahre in die Praxis umzusetzen. Dafür hatte die hessische Umweltministerin Priska Hinz, den Januar anvisiert, wofür sie sich Rückendeckung seitens der Bundesregierung erhoffte. (Dies sagte sie allerdings vor den Koalitionsgesprächen.) In Wiesbaden wurde sich von diesem Vorgehen ein schnellerer Erfolg erhofft, als bis zur Einführung eines neuen Atomgesetzes zu warten. Zur Zeit wird im Umweltministerium angeblich mit Hochdruck an einer neuen Stillegungsverfügung gearbeitet, da die früheren Verfügungen dem RWE nur als Entwürfe zugestellt wurden. Kleiner Hinweis: in Hessen ist im Februar Landtagswahl ...

Die Differenzen über den zukünftigen hessischen Kurs beim Thema Atomkraft gehen bis in die SPD, S. Pawlik, der umweltpolitische Sprecher beharrte darauf, daß das bisherige Vorgehen gegenüber Biblis "eine gemeinsame Veranstaltung von SPD und Grünen" sei und daß es keinen Rabatt in Sicherheitsfragen geben könne.

Über das zukünftige Verhalten hüllt sich neue Spitze des Bundesumweltministeriums in Schweigen. Man müsse erstmal sorgfältig die Aktenlage studieren, hieß es aus Trittins Umfeld. Auch Rainer Baake lehnte vor seiner offiziellen Ernennung jede Stellungnahme ab.

Die grüne Atompolitik scheint zur Zeit in Hessen in eine Gemengelage sich widersprechender Interessen zu geraten. Jahrelang wurde zumindest bei Block A publikumswirksam die Stillegung angestrebt. Die Verantwortung für die Erfolglosigkeit wurde allein auf die Weisungen aus Bonn geschoben, die die hessische Politik eben blockieren würde. Eine rot-grüne Regierung in Bonn, so wurde argumentiert, sei also die Voraussetzung für eine Stillegung von Biblis. J. Fischer versprach noch im Wahlkampf die sofortige Stillegung von Block A.

Diese Vorbedingung ist nun gegeben, schnelle Erfolge wären jetzt eigentlich zu erwarten. Aber: in Bonn wurde ein einjähriges Moratorium für die geplanten Konsensverhandlungen vereinbart. Eine von Hessen initiierte Stillegung von Biblis A würde in der Tat Zeichen setzen und damit die Bundesregierung unter Druck setzen. Kungeleien mit der Atommafia würden dadurch erschwert und der Verhandlungsspielraum stark eingeschränkt. Verhandlungsergebnisse mit endlosen Restlaufzeiten wären öffentlich kaum vermittelbar. In diesem Sinne wäre eine Stillegung von Biblis in der Tat eine Belastung der Konsensgespräche, also aus rot-grüner Sicht nicht wünschenswert. Außerdem wäre eine zu konfrontative Haltung gegenüber der Atom- und Energiewirtschaft gerade zu Anfang der Regierungszeit einer bequemen Amtsführung nicht zuträglich.

Andererseits: in Hessen sind im Februar Landtagswahlen und die Grünen haben bei der Bundestagswahl Stimmen verloren. Bei den Koalitionsverhandlungen in Bonn wurde außer Pöstchen nichts wirklich erreicht, am Punkt Atomkraft schon gar nichts (Es sei denn, der erklärte Wille bis zu 15 neue Atomanlagen (Zwischenlager) zu errichten, würde als Erfolg betrachtet.). Die Stillegungsbestrebungen der letzten Jahre jetzt in Bonn zu Schaufensteraktivitäten zu degradieren, wäre für Rainer Baake als Staatssekretär ziemlich peinlich, für die hessischen Grünen aber wahlschädigend. Vorweisbare Erfolge sind also sehr notwendig. Es wird interessant werden, wie der Gegensatz zwischen der Machtbeteiligung und der Notwendigkeit, die Wahl der eigenen Partei noch irgendwie zu begründen, aufgelöst wird.

DKa+ RP,

Regionalplenum HessenBaden