Hurra, wir regieren!
Angetreten zum Jubeln: die staatstreue Linke
Der Koalitionsvertrag war noch gar nicht unterschrieben, als sich die rot-grüne PR-Abteilung schon mächtig ins Zeug legte - vorneweg jene ehemaligen Linken, die aus ihrer Vergangenheit ein mehr oder weniger gutes Geschäft gemacht haben. Derzeit ist die Nachfrage nach "Renegaten-Literatur" besonders groß. Im Kampf gegen die linken Miesmacher leisten die Ehemaligen Erstaunliches, getreu dem Sprichwort: "Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche."
Den Anfang machte der Spiegel-Redakteur Reinhard Mohr aus der Frankfurter "Fischer-Gang" (vgl. ak 418). Hatte er es in der "Schwarzbuch"-Debatte (Spiegel 27/1998) den "linken Geschichtsverdrängern" und "Tabuwächtern" so richtig gegeben, zog er nun über "Untote", "Zombies", "Irrläufer" und "exotische Schwundformen" her. Gemeint sind kritische Geister im weiteren Sinne, unter ihnen Wiglaf Droste, Klaus Bednarz, Klaus Staeck und Jutta Ditfurth, sowie namenlose "verbitterte Alt-Jusos und Ex-Alternative". Sie alle macht Mohr dafür verantwortlich, daß nach Schröders Wahlsieg "keine Euphorie, keine kühnen Visionen, kein tanzendes Volk" zu bemerken waren. Dabei habe "die deutsche Linke" (abzüglich der genannten "Zombies und Irrläufer") in den vergangenen Jahren einige "überfällige politische Korrekturen vornehmen" können. Sie ist jetzt "für Luftangriffe der Nato im Kosovo-Konflikt", für "soziale Grausamkeiten" und für "Gemeinsinn". Innerhalb der Regierungskoalition gehe es vor allem um die Frage, die Mohr von Cora Stephan (ehedem Pflasterstrand und taz) übernimmt: "Setzt sich der moderne oder der linkskonservative Flügel bei SPD und Grünen durch?" "Modern" steht für "pragmatische Veränderung der Wirklichkeit", "linkskonservativ" für "ideologische Grabenkriege" - da kann die Wahl nicht schwer fallen. (Spiegel, 12.10.)
Während Mohr die persönliche Anbiederung an den alten Kumpel und Minister vermeidet, schließt Mariam Lau, bis vor kurzem taz-Redakteurin, die Regierenden fest in die Arme. Schließlich sind das - namentlich J. Fischer, Trittin und Schily - "unsere Leute". Keine falsche Zurückhaltung also: "Man spricht die gleiche Sprache." Man? Natürlich nicht alle; Mohrs "Untote" geistern auch durch Laus Kommentar, heißen hier aber anders: "Ausgerechnet in dem Moment, in dem ein echter, verblüffender Sieg zu verzeichnen ist, reckt der alte Fundamentalismus sein Haupt." Letzterer ist "ein tödliches Prinzip", da es ihm "nicht um ein besseres Leben geht". Viel und besseres Leben finden wir bei den rot-grünen Koalitionären: Sie packen's an, nehmen die Dinge "umstandslos in Angriff", darunter den "Ausstieg aus der Atomenergie", die "Revolution des Staatsangehörigkeitsrechts" und die "Steuerreform". Das "Grundrecht auf Asyl" haben sie nur deshalb "nicht noch einmal bekräftigt", weil es von ihnen "als selbstverständlich angenommen" wird. Mariam Laus Artikel ist rundum gelungen - als Arbeitsprobe bei einer Bewerbung als Regierungssprecherin. (taz, 17./18.10.)
Ihre Loyalität gegenüber der neuen Regierung wird von Sibylle Tönnies noch übertroffen. Wir, die "alten Linken", sollen nun auch den Staat liebhaben, "dürfen uns nicht mehr genieren, staatstragend zu sein" - "denn wir haben gesiegt. Joschka Fischer ist Außenminister! Unsere Leute, die aussichtslosen, querulatorischen, chaotischen alten Linken, sind plötzlich ganz oben." Nur Neid kann uns die Freude daran verderben - schließlich "könnte man das doch genauso gut selber sein". Sibylle Tönnies hat bemerkenswerte (und wahrscheinlich zutreffende) Vorstellungen von den Anforderungen an eine ehemals linke Ministerin, wenn sie sich selbst für geeignet hält: Nach eigener Aussage (geschrieben in der Wir-Form) ist sie "jetzt erst wirklich erwachsen geworden" und zugleich "resigniert"; "die unteren Schichten interessieren uns nicht mehr"; "unser erster Lebensschwung - der unserer Jugend - hat ins Nichts geführt", "wir sind über die Klimax hinaus und im Abschwung". Ein Ministeramt als Verjüngungskur wäre da genau das Richtige gewesen - "vielleicht hätte man sich doch etwas mehr engagieren sollen..." Wem höhere Ämter versagt blieben, soll nun auf unterer Ebene "staatliche Tätigkeit als Möglichkeit erkennen". Vielleicht als Hilfspolizist? Dann schon lieber Minister. (taz, 31.10./1.11.)
Daß die Beteiligung an der "Macht" auch "ihren Preis" hat, räumt Jürgen Gottschlich ein: "Der bündnisgrünen Partei stehen harte Zeiten bevor. (...) Wenn jetzt der nächste Castor rollt, gibt es keine Angela Merkel mehr, die schuld ist." Der innergrüne Konflikt zwischen Basis und Führung, "auf Dauer der größte Sprengsatz des grünen Reformprojekts", erfordert professionelle Moderation: "Grüne Spitzenpolitiker müssen mehr als alle anderen Parteienvertreter ihre Entscheidungen transparent machen. Da sie im Streß sind, müssen sie dazu gezwungen werden." Transparenz einklagen und gleichzeitig den MacherInnen den Rücken freihalten ist "vor allem die Aufgabe der Parteilinken". In Zukunft, fordert Gottschlich, müsse auch mit dem folgenlosen Dampfablassen auf Parteitagen Schluß sein - in der Tat harte Zeiten für die grüne Basis. (taz, 3.11.)
"Der Partei fällt die Rolle der reflexiven Begleitung zu", hatte schon Dieter Rulff scharfsichtig erkannt. (taz, 26.10.) Die taz ihrerseits setzt Themen, über die reflektiert werden darf - z.B. pro und contra Stollmann (20.10.): Ist es gut oder schlecht, daß er nicht Wirtschaftsminister geworden ist? "Schade eigentlich", findet das Ulrike Fokken. Schließlich "will Stollmann Hierarchien abbauen, um flexibel zu gestalten" - flexibel gleitet die Autorin vom "alternativen" in den neoliberalen Jargon hinüber.
Natürlich druckt die taz hin und wieder auch kritische Beiträge. Während in den Texten von Wiglaf Droste (19.10.) und Klaus Walter (7./8.11.) ein rüder Ton vorherrscht, liefert Markus Franz ein subversives Meisterwerk, das allerdings schon in der Überschrift verdächtig nach Satire klingt: "Die SPD hält Wort. Mit der künftigen Regierung wird vieles besser. Dem Wechsel eine Chance". (19.10.) Köstlich ist seine Bewertung der durch die "Ökosteuer" versprochenen Entlastung von 10 Mrd. DM: "Allen Unkenrufen zum Trotz wird irgendwer von dieser Summe profitieren." Der Schlußabsatz ist Kabarett vom feinsten und soll hier ungekürzt dokumentiert werden:
"Auch atmosphärisch weht ein neuer Wind. Die künftigen Koalitionäre scheinen überraschend gut zu harmonieren, und Gerhard Schröder führt erfrischend anders als der alte Bundeskanzler. Wie er Kohl zu Tränen rührte, als er dessen Verdienste lobte, wie er der alten Regierung für die Behandlung der Kosovo-Krise dankte, wie er Joschka Fischer von sich aus auf seine Amerikareise mitnahm, wie er die Zusagen an seinen Ministerkandidaten einhält, wie er die Scharping-Krise löste, das läßt darauf hoffen, daß er sich zu einem fairen, integrativen Staatsmann entwickelt. Der Wechsel ist da. Wir wollten ihn. Nun soll er seine Chance bekommen." Und nicht nur er. Auch seine total kreativen Propagandisten müssen Gelegenheit erhalten, sich in das rot-grüne Projekt einzubringen. Fähige Leute, die mitmachen wollen, gibt es genug; die zitierten Arbeitsproben stellen nur eine kleine Auswahl dar.
Js.