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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 421 / 17.12.1998

Mumia Abu-Jamal: Die Hinrichtung rückt näher

Öffentlich Druck notwendiger denn je

Das Oberste Gericht von Pennsylvania lehnt eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen den zum Tode verurteilten Mumia Abu-Jamal mit fadenscheinigen Gründen ab.

Im Wahlkampf zum US-Kongreß räumte der Gouverneur von Pennsylvania, der Republikaner Thomas Ridge, vor seinem Wahlvolk alle Ängste aus, er sei "soft on crime" - nachgiebig gegenüber dem Verbrechen. Das gewohnte Angstmachen vor den Terroristen, den Drogen, den Schwarzen und dem Antichrist - sowie dem Mann, der mit dem Bösen Schluß macht - zieht auch dort. 57 Prozent der Wähler belohnten ihn am 3. November mit der Wiederwahl.

Wenige Tage zuvor hatte das Oberste Gericht von Pennsylvania beschlossen, das Hinrichtungsverfahren gegen den schwarzen Journalisten Mumia Abu-Jamal voranzutreiben. Die Richter wiesen den jüngsten Vorstoß von Abu-Jamals Anwälten, ein Berufungsverfahren anzustreben, mit einer ebenso eiskalten wie zurechtgelogenen Begründung zurück. Auf 72 Seiten gestand das Gericht zwar ein, daß es zu Verfahrensfehlern gekommen sei. Doch in ihrer Summe, so die Logik des richterlichen Irrsinns, stellten sie doch keinen so großen Fehler dar, der eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertige.

Zeugen seien unter Druck gesetzt, von Ermittlern und Polizei zu Falschaussagen genötigt und so zu ganz anderen Schlüssen als zuvor gebracht worden, gaben die Richter zu. Aber die Zeugenausagen, selbst wenn sie korrekt gewesen wären, hätten die Geschworenen nicht umstimmen können, meinten sie. Darüber hinaus gestand das Gericht ein, daß sich der Schlüsselzeuge des gesamten Verfahrens, ein Polizist, widersprüchlich geäußert habe. Der hatte in einer ersten Zeugenaussage von einem angeblichen Mordgeständnis Mumia Abu Jamals nichts gewußt und erst später behauptet, zwei andere Kollegen hätten Mumia Abu Jamals Geständnis vom Mord an dem Polizisten Faulkner mitgehört.

Daß ein Polizist ein Mordgeständnis zunächst vergißt und sich erst später wieder daran erinnert, schien dem Gericht laut Urteil "verständlich". Der merkwürdige Zeuge war, als sich der Prozeß dem Ende genähert hatte, zudem "im Urlaub" und konnte sich nicht im Zeugenstand zu seinen widersprüchlichen Aussagen äußern. Daß der Richter im Prozeß gegen Mumia die Verhandlung deshalb nicht verschoben hatte, um den "verschwundenen" Schlüsselzeugen suchen zu lassen, schien dem jetzigen Bericht nach nicht "gekünstelt", wie Mumias Anwälte behauptet hatten. Die Beweise dagegen, die das Gericht damals als Begründung für das Todesurteil heranzogen hatte, hielt das Berufungsgericht erneut für schlüssig, nämlich die Wortwahl Mumias als junger "Black Panther" in den 70er Jahren. "Diejenigen von uns - vor allem die Journalisten - die als Jugendliche oder junge Erwachsene eine unangemessenere Sprache als heute verwenden, finden es erschreckend, wenn alte Texte dazu herhalten müssen, um Geschworene davon zu überzeugen, daß jemand hingerichtet werden soll", empörte sich die liberale Nation.

Und schließlich lehnten die Richter den Befangenheitsantrag gegen den Exekutionsrichter Albert Sabo rundum ab. Die ehemalige Mitgliedschaft des Mannes in der Polizeigewerkschaft Fraternal Order of Police lasse nicht auf Voreingenommenheit schließen. Unter Druck entstandene Zeugenaussagen, ein "verschwundener" Schlüsselzeuge, ein Richter, der sich seinen Polizei-"Brüdern" verpflichtet sieht - kein Grund für das Oberste Gericht von Pennsylvania, für eine Neuaufnahme des Verfahrens zu stimmen. Aber ein Grund für die Generalstaatsanwältin, ihre Zufriedenheit über das Urteil auszudrücken.

Das erneute, rassistische Skandal-Urteil gegen einen afroamerikanischen Linken beweist zwar die Kumpanei zwischen Richtern, polizeilichen Institutionen und Politikern, die ihre Wiederwahlchancen maximieren wollen. Das geht im Falle Mumia Abu-Jamals seit 16 Jahren so, wie der Prozeß von 1982 und die Anhörung für ein Neuverfahren 1995 beweisen. Und doch steht es in einem größeren Zusammenhang. Hinrichtungen und Hinrichtungsverfahren in den USA haben sich beschleunigt, und Todesurteile in den US-Einzelstaaten können von Bundesrichtern, selbst wenn sie ausgesprochene Todesstrafengegner sind, nur noch mit Mühe revidiert werden. Konnte ein Bundesrichter das Verfahren in einem Kapitalverbrechen bisher ausschließlich auf der Basis des vorliegenden Tatbestands neu verhandeln und dabei neue Beweise hinzuziehen, so schränkte ein Gesetz namens "Antiterrorism and Effective Death Penalty Act" nun den Spielraum von Verteidigern ein. US-Präsident Clinton unterschrieb es im April 1996. Nach den neuen "Habeas Corpus"-Regeln muß die Verteidigung zur Wiederaufnahme eines Verfahrens einen Bundesrichter davon überzeugen, daß das Gericht irrational handelte. Das Gesetz schränkt die Zahl von Berufungsmöglichkeiten ein und setzt dem Zeitraum, innerhalb dessen ein Todeszellen-Häftling Berufung einlegen darf, enge Grenzen.

Die Tradition der Selbst- und Rachejustiz christlicher Siedler aus Europa im 19. Jahrhundert, die in Amerika wüteten, und der Lynchjustiz an entlaufenen schwarzen Sklaven ist Jahrzehnte nach Abschaffung der Sklaverei auf der staatlichen Ebene deutlich sichtbar. Hängen durch Strangulieren und öffentliche Hinrichtungen sind inzwischen zwar verboten, aber die barbarischen Bestrafungsrituale, mit denen der Staat seine absolute Macht über das Individuum zelebriert, bevor er seinem Leben nach Jahren in der Todeszelle ein Ende bereitet, sind demokratisch legitimiert. Und sie modernisieren sich permanent. Der jüngste Akt, das Todesstrafengesetz unter Clinton, trägt nicht zufällig den Zusatz "effectice" und erleichtert den Behörden die raschere Abwicklung des Rituals.

So steht eine beispiellose Hinrichtungswelle bevor, die weniger tatsächliche Mörder, Vergewaltiger, Entführer, Spione und Drogenbarone trifft. Die Ermordung "unschuldiger", aufgrund von Justizirrtümern verdammter Todeszellen-Insassen, die aufgrund eines konstruierten Tatvorwurfes vom Staat erschossen (Utah und Idaho), auf dem elektrischen Stuhl ermordet (z. B. Alabama), in einer Gaskammer vergiftet (Arizona) oder mit einer tödlichen Injektion (über zwei Dutzend US-Staaten) umgebracht werden sollen, wird sich beschleunigen, falls die amerikanischen Todesstrafengegner ihre Kräfte nicht bündeln.

In den USA warten 3.517 Menschen auf ihre Hinrichtung. Die Opfer stammen fast immer aus den unteren sozialen Schichten. Darunter befinden sich überdurchschnittlich viele Afroamerikaner und zunehmend Latinos sowie geistig Behinderte. Kaum ein Gefangener aus diesen gesellschaftlichen Schichten hat die ausreichenden Mittel zu seiner Verteidigung. Niemand weiß, wieviele Menschen unschuldig in den USA hingerichtet wurden. Anwälte können keinen Fall mehr aufrollen, denn die Akten stehen nach jeder Urteilsvollstreckung unter Verschluß.

Noch 13 sollen dieses Jahr von staatlich bestellten Henkern ermordet werden. Der US-Exekutionszug rast mit hoher Geschwindigkeit. Wenn ihn schon nicht stoppen, so zumindest seine Beschleunigung verhindern wollen die Organisatoren der National Conference on Wrongful Convictions and the Death Penalty, die Anfang Dezember in Chicago stattfand. Die großen Menschenrechtsorganisationen, Mitglieder der US-Anwaltskammer, Angehörige von Jura-Fakultäten, Journalisten und Hilfsorganisationen für Gefangene haben beschlossen, die Öffentlichkeit für unschuldig zum Tode Verurteilte zu sensibilisieren. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Mehrzahl der Amerikaner unterstützt seit jeher die Todesstrafe.

Noch hat der alte und neue Gouverneur Thomas Ridge keinen neuen Hinrichtungsbefehl ausgestellt. Wenn das Oberste Gericht von Pennsylvania eine neue Anhörung, wie von Mumias Rechtsanwalt Len Weinglass verlangt, ablehnt, dann besteht kein Zweifel, daß Ridge das Todesurteil bestätigt. Denn Ridge hatte zu Beginn seiner Amtszeit per Gesetz persönlich dafür gesorgt, daß Gouverneure in Pennsylvania sich der Unterschrift unter den Exekutionsbefehl kaum entziehen können. Er wird es also tun. In diesem Fall werden die Anwälte vor einem Bundesgericht die Aussetzung beantragen und dort die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Eine Entscheidung könnte ein Bundesrichter dann innerhalb weniger Tage fällen. Die Berufung gegen ein bundesrichterliches Negativurteil würde die Zustimmung der Berufungskommission (Appellate Division) erfordern. Und falls die nicht erfolgt, dann könnte Mumia Abu-Jamal innerhalb von 30 bis 45 Tagen hingerichtet werden.

Dan Williams, einer von Mumias Anwälten, weist darauf hin, daß die Zeit drängt. "Öffentlicher Druck auf nationaler wie internationaler Ebene ist wichtig, weil er dem Bundesrichter wenigstens die Unterbrechung gibt, um den Fall unvoreingenommen anzugehen." In mehreren US-Städten fanden Anfang November Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern statt, um auf das Urteil des Obersten Gerichts von Pennsylvania aufmerksam zu machen.

Max Boehnel, New York