Unter Feuer
Streit um Plutoniumfunde am AKW Krümmel
Die Medien überschlugen sich: Plutoniumfunde in der Umgebung des AKW Krümmel. Bremer Professorin geht davon aus, daß nur das AKW Krümmel Verursacher der gehäuft auftretenden Leukämieerkrankungen in der Elbmarsch sein kann. Eindeutig seien die Plutoniumfunde auf den Reaktor zurückzuführen, so die zentrale und entscheidende Bewertung der Studie. Ein heftiger Streit wurde über die Medien ausgefochten und innerhalb weniger Tage wurde die Studie der Bremer Strahlenphysikerin Inge Schmitz-Feuerhake auseinander genommen. Die - nicht angezweifelten - Plutoniumfunde stammen nicht aus Krümmel, sondern sind Reste der Atombombenversuche der 50er Jahre, behauptet die rot-grüne Hamburger Umweltbehörde nur wenige Tage nach der Veröffentlichung der Studie. Und schließlich wurde auch die wissenschaftliche Integrität der Wissenschaftlerin heftig angezweifelt. Wenn sich Atomunternehmen wie die HEW daran beteiligen ist das nicht verwunderlich. Erstaunen muß jedoch, wenn der grüne Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Energieministerium sich daran beteiligt. Was ist eigentlich los in Krümmel und Umgebung?
Von Ende 1989 bis 1996 erkrankten zehn Kinder in der Umgebung der Geesthachter Atomanlagen an Leukämie, einer sonst überaus seltenen Blutkrebskrankheit. Gleich zwei Atomanlagen stehen am Elbhang von Geesthacht. Neben dem AKW Krümmel, das eines der größten Siedewasserreaktoren der Welt ist und Ende 1984 in Betrieb ging, befindet sich die Atomforschungseinrichtung GKSS. Seit Ende der 50er Jahre wurden in der GKSS zwei Forschungsreaktoren betrieben, mit denen u.a. Experimente zur Materialforschung betrieben wurden. Einer dieser Reaktoren ist inzwischen stillgelegt.
Als eine Ursache für die Leukämieentstehung kommt radioaktive Strahlung in Frage, Hinweise auf andere Ursachen sind vor Ort derzeit nicht erkennbar. Und klar ist auch, das das sogenannte Leukämiecluster in der Elbmarsch ein überaus auffälliges Cluster ist und das ein Zufall auszuschließen ist. Kein Wunder, daß angesichts der Tatsache, daß alle erkrankten Kinder in einem Umkreis von nur fünf Kilometern Entfernung von den Geesthachter Atomanlagen leben, diese Anlagen in Verdacht gerieten. Seit 1990 werden nun - immer wieder durch die Forderungen der örtlichen Initiativen initiiert - umfangreiche gutachterliche Untersuchungen durchgeführt, um die Ursachen für die Leukämieerkrankungen aufzudecken. Einige Ergebnisse stehen noch aus.
Seit Jahren spielt Prof. Inge Schmitz-Feuerhake als quasi wissenschaftlicher Beistand der örtlichen BI eine entscheidende Rolle und ist Mitglied in den bestehenden Untersuchungskommissionen, die die Landesregierungen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen eingerichtet haben. Immer wieder haben von ihr durchgeführte Untersuchungen den Verdacht erhärtet, daß radioaktive Emissionen aus dem Atommeiler für die Erkrankungen verantwortlich sind. Es würde hier den Rahmen sprengen, die einzelnen Untersuchungen, Ergebnisse und die folgenden erbitterten Auseinandersetzungen nachzuvollziehen. Als Fazit ließe sich jedoch festhalten, daß es eine Menge Hinweise auf radioaktive Spuren in der Umgebung des Atommeilers gibt. Ein direkter Beweis, also eine eindeutig auf den Reaktorbetrieb zurückführbare Emission jenseits üblicher Grenzwerte, konnte bislang nicht ermittelt werden.
Mit der jetzt von Schmitz-Feuerhake verfaßten und von der "BI gegen Leukämie" veröffentlichten Studie zu den Plutoniumfunden schien zunächst der Nachweis erbracht, daß Krümmel die Ursache sei. Aber schnell wurden die Bewertungen der Studie massiv angezweifelt. Die Behauptung von Schmitz-Feuerhake, daß die gefundenen Isotopenverhältnisse eindeutig auf Reaktorplutonium zurückzuführen seien und die zweite Behauptung, daß in dem Fallout aus den Atombomben "praktisch" kein Plutonium enthalten war, wurden massiv und teilweise glaubhaft widerlegt, mindestens aber stark in Zweifel gezogen. Zwar bedeutet das nicht, daß die ermittelten Plutoniumfunde nicht doch mit Krümmel in Zusammenhang stehen könnten, aber die Eindeutigkeit, mit der Schmitz-Feuerhake diesen Zusammenhang behauptete war widerlegt.
Allein dies hätte die Bewertung der Plutoniumfunde durch die Strahlenphysikerin in Zweifel ziehen müssen. Verschärft wurde die Kontroverse, die immer mehr das wissenschaftliche Vorgehen von Schmitz-Feuerhake ins Rampenlicht rückte, als der Leiter des Meßlabors, Gerald Kirchner, sich öffentlich von der Studie distanzierte (für die er gar nicht verantwortlich war) und darauf hinwies, daß ein Meßwert von Schmitz-Feuerhake unterschlagen wurde. Dabei störte ihn jedoch nicht, daß er selbst diesen Meßwert als nicht verwertbar bezeichnet haben soll, weil die Probe nicht den Anforderungen entsprach. Allerdings soll Kirchner von einer Veröffentlichung der Studie abgeraten haben, da er die Behauptung, daß es sich um Reaktorplutonium handele, als nicht belegt ansah. Er will Schmitz-Feuerhake darauf hingewiesen haben, daß auch der Atombombenfallout als Ursache in Frage komme.
Egal, wie die Auseinandersetzung weiter verläuft: Der politische Schaden, den die Studie angerichtet hat, ist enorm. Zwar ist es mehr als ekelhaft, wie nun auf die Person Schmitz-Feuerhake eingeschlagen wird. Aber sie hat - wie auch die "BI gegen Leukämie" und andere Aktive im Umfeld - mit Festlegungen und Postulaten immer wieder (unnötigerweise) ausreichende Angriffsflächen geliefert. Wer eine Studie vorlegt, in dem ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Reaktorbetrieb und Plutoniumfunden als Erklärung der Leukämieerkrankungen behautet wird, der muß wissen, daß es um einen Angriff auf eine Kapitalanlage in Höhe von ca. 4 Mrd. DM geht. Da sollte man sich so weit irgend möglich absichern. So naiv kann eigentlich niemand sein, anzunehmen, daß die Gegenseite nicht die gesamte Zunft aufwenden wird, um derartige Ergebnisse aus der Welt zu schaffen. Wenn sich aber herausstellt, daß trotz Widersprüchen aus dem eigenen Umfeld eine solche Studie nicht einer eingehenden Diskussion unterzogen wird, dann ist dies grob fahrlässig. Und zwar auch aus politischen Gründen. Damit keine Mißverständnisse entstehen: Zweifel an Bewertungen von Schmitz-Feuerhake sind kein Beweis, daß es Krümmel nicht war oder das das Plutonium tatsächlich aus dem Fallout der Atombombenversuche stammt.
Wer mit vermeintlich schwerem Geschütz gegen die Atomwirtschaft zu Felde rückt und sich dann sogar aus den eigenen Reihen sagen lassen muß, daß der Vorwurf so nicht haltbar ist, der leistet der Anti-AKW-Bewegung einen Bärendienst. Denn immerhin stellt es nicht nur die Glaubwürdigkeit einer einzelnen Forscherin in Frage, sondern letztlich auch des Anti-AKW-Widerstandes. Doch auch die BI gegen Leukämie, keine ausgewiesene Anti-AKW-Initiative, muß sich fragen lassen, wie sie ein Gutachten veröffentlichen kann, daß bereits intern kritisiert worden ist und warum sie selbst nicht zunächst eine "interne" Debatte gesucht hat. Immerhin sitzen in dieser BI durchaus Fachleute, denen einige Ungereimtheiten hätten auffallen können. Man mag angesichts der Medienbereitschaft, den Leukämieverdacht gegen Krümmel egal unter welchen Umständen zu publizieren und immer wieder betroffene Kinder und ihre Eltern vorzuführen zu der Auffassung kommen, daß man den Krümmel-Reaktor immer nur in negative Schlagzeilen verwickeln muß. Da wird schon genug hängenbleiben. Aber nicht Medien prüfen letztlich die Stichhaltigkeit der vorgetragenen Argumente. Dies nützt weder den an Leukämie erkrankten Kindern, noch dem Ziel eines Ausstiegs aus der Atomenergie.
Und die Anti-AKW-Bewegung, die bei jeder passenden Gelegenheit auf Krümmel verweist, wenn es um gesundheitliche Risiken durch den Reaktorbetrieb geht, sollte sich tunlichst eine eigene Position erarbeiten. Wer das Feld nicht länger nur einigen WissenschaftlerInnen überlassen und sich mit geradezu religiöser Gläubigkeit für die eine oder andere Sicht der Dinge entscheiden will, der kommt nicht daran vorbei.
Nur um einen letzten Hinweis auf die Komplexität der Lage in Sachen Ursachenforschung zu geben. Das Öko-Institut Darmstadt hat das AKW Krümmel begutachtet. Dabei haben die Gutachter keinerlei Anhaltspunkte gefunden, daß eine radioaktive Wolke Krümmel unbemerkt hätte verlassen können. Bei der benachbarten Atomforschungsanlage der GKSS, die nach Krümmel mit gleichen Methoden untersucht wurde, stellten die Darmstädter jedoch fest, daß erstens ausreichend radioaktive Stoffe vorhanden gewesen sind, um Leukämien in der vorhandenen Zahl zu erzeugen und daß es für die GKSS keine ausreichende Überwachung gegeben hat (allerdings haben sie keine Beweise gefunden, daß es die Emission wirklich gegeben hat). Mit anderen Worten: aus der GKSS hätte die radioaktive Wolke kommen können. Doch dieses Ergebnis hat bis heute keineswegs dazu geführt, daß die BI und die umstehenden Experten mit aller Macht die Stillegung der GKSS gefordert hat (außer natürlich in Presseerklärungen). Wieso?
Das alles soll nun keineswegs bedeuten, daß Krümmel nicht für die Leukämieerkrankungen verantwortlich sein kann. In vielen Einzelfragen steht derzeit lediglich Aussage gegen Aussage und auszuschließen ist nicht, daß das bis heute fehlende Bindeglied zu Krümmel noch aufgespürt werden kann - wenn es eins gibt.
Und verschiedene Untersuchungen legen den Verdacht, daß Krümmel tatsächlich ein Leukämiereaktor ist, nahe. Beispielsweise hat eine epidemiologische Untersuchung einen deutlichen Anstieg der Leukämierate innerhalb der fünf Kilometerzone von Krümmel nachgewiesen. Das ist sicher kein Zufall, zumal auch in der direkten Umgebung anderer AKW-Standorte erhöhte Leukämieraten bei Kleinkindern nachgewiesen werden konnten.
Aber wer Fehler und Irrtümer in Einzelpunkten (oder Studien) nicht eingesteht, wenn sie denn begangen worden sind, der/die wird es schwer haben, seine/ihre Interessen durchzusetzen. Das gilt auch für die Anti-AKW-Bewegung, und es hilft absolut gar nichts, abzutauchen, die auch öffentliche Kontroverse um das eigene Vorgehen zu tabuisieren (weil es angeblich nur der Gegenseite nützt) und sich als Opfer des Kapitals und der Regierenden selbst zu bemitleiden.
DSe
Zum weiterlesen: Akte X, die unheimlichen Risiken des AKW Krümmel, Dirk Seifert, September 1998, Preis: 5 DM, Herausgeber: GAL Bergedorf: Tel 040-7244224