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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 421 / 17.12.1998

Dynastie statt Demokratie

In der US-Transportgewerkschaft Teamsters hat die Alte Garde wieder das Sagen

Die US-Gewerkschaft Teamsters hat einen neuen Präsidenten: James Hoffa. Für die US-amerikanische Gewerkschaftsbewegung und die Linke bedeutet das wenig Gutes.

Mit seiner Wahl Anfang Dezember ist Hoffa zum bekanntesten Gewerkschaftsfunktionär in den USA geworden - zumindest vom Nachnamen her. Denn die Berühmtheit des 57-jährigen Rechtsanwalts geht auf seinen Vater zurück - den legendären Jimmy Hoffa, der von 1957 bis 1971 die Teamstergewerkschaft führte (und währenddessen beste Kontakte zur Mafia pflegte) und seit 1975 spurlos verschwunden ist. Hoffa Jr. ist der Nachfolger des reformorientierten Teamster-Präsidenten Ron Carey, der vor einem Jahr wegen Korruptionsverdachts zurücktreten mußte (siehe ak 409).

Die International Brotherhood of Teamsters ist - nach den LehrerInnen - die größte Gewerkschaft in den USA. Sie hat etwa 1,4 Millionen Mitglieder vor allem aus dem Transportsektor, aber auch aus anderen Dienstleistungsbranchen - bis hin zu den Micky-Maus-Darstellern von Disney World.

Anders als bei anderen Gewerkschaften wählen bei den Teamsters die Mitglieder ihren Bundesvorstand direkt (per staatlich überwachter Briefwahl). Die innergewerkschaftliche linke Opposition Teamsters for a Democratic Union (TDU) hatte dieses Verfahren seit den 70er Jahren gefordert, um die Macht des reaktionären und korrupten Gewerkschaftsapparats zu brechen. Denn bis dahin wurden die Teamster-Präsidenten auf Delegiertenkongressen (auf denen die hauptamtlichen Funktionäre dominierten) bestimmt - und verließen ihr Amt dann nur noch im Sarg oder in Handschellen (wegen Mafia-Verwicklungen).

Reformen bei den Teamsters

1991 erreichten die TDU-Reformer eine gerichtliche Anordnung für die Direktwahl des Teamster-Vorstandes. Diese Wahl gewann dann überraschend der linke Kandidat Ron Carey, der in den folgenden Jahren etliche korrupte Teamster-Funktionäre entließ und vorsichtige demokratische Reformen innerhalb der Gewerkschaft einleitete. 1996 wurde Carey (erneut durch Briefwahl) mit knapper Mehrheit wiedergewählt. Sein Gegenkandidat war schon damals Hoffa Junior.

Bekannt wurde Carey vor allem durch den erfolgreichen Streik gegen den Paketdienst UPS im August 1997. Damals streikten rund 185.000 Teamsters zwei Wochen lang und erzwangen dadurch vor allem Verbesserungen für die vielen Teilzeit-Beschäftigten bei UPS (siehe ak 405). Nur wenige Tage nach Streikende annullierte ein US-Gericht jedoch Careys Wiederwahl von 1996 - wegen illegaler Wahlkampfspenden. Im November 1997 mußte Carey zurücktreten; im Juli 1998 schloß ihn ein Gericht ganz aus der Gewerkschaft aus. Die einjährige Führungslosigkeit hat die Teamsters sehr geschwächt. So konnte UPS den im letzten Jahr erkämpften Tarifvertrag einseitig aufkündigen - ohne großen Widerstand. (1)

Die fällige Präsidenten-Neuwahl hatte das Gericht zunächst für Anfang 1998 angesetzt, verschob den Termin aber mehrfach. Erst Anfang November bekamen die 1,4 Millionen Teamsters ihre Briefwahlunterlagen zugeschickt; knapp ein Drittel davon beteiligte sich an der Abstimmung. Anfang Dezember begann die Auszählung. Nach dem vorläufigen Endergebnis erreichte Hoffa 55%, der Reform-Kandidat Tom Leedham 39%. Ein dritter Kandidat (John Metz) bekam nur wenige Stimmen (6%).

Hoffas Basis

Hoffa Jr. repräsentiert die sogenannte Old Guard (Alte Garde) des Teamster-Apparats: Funktionäre, von denen viele sechsstellige Jahresgehälter einstreichen (2). Diese Funktionäre haben wohl auch einen großen Teil der rund eine Million Dollar aufgebracht, die Hoffa für seinen Wahlkampf ausgegeben hat (sein Gegenkandidat Leedham hatte nur etwa eine Viertelmillion Dollar zur Verfügung). Als Rechtsanwalt war Hoffa selbst nie Gewerkschaftsmitglied. Vor einigen Jahren stellte ihn ein (als korrupt bekannter) regionaler Teamster-Boß als "Berater" an - dadurch konnte Hoffa Mitglied werden und so überhaupt erst für die Präsidentschaft kandidieren.

Obwohl etwa ein Siebtel aller Teamsters weiblich sind, standen auf Hoffas 18-köpfiger Kandidatenliste für den Teamster-Vorstand nur Männer, davon 16 Weiße (wieviele davon gewählt wurden, war bei Redaktionsschluß noch unklar). Trotzdem bekam Hoffa eine Mehrheit unter den Teamster-WählerInnen - und dies nicht nur wegen seines größeren Bekanntheitsgrades. Viele Mitglieder verbinden mit Hoffa Jr. die Vorstellung eines "starken Gewerkschaftsführers", der wie weiland Hoffa Senior im harten Verhandlungspoker in irgendwelchen Hinterzimmern das Beste für seine Mitglieder herausholt - und bei Bedarf auch vom Faustrecht gegen Dissidenten (oder Streikbrecher) Gebrauch macht. Politisierung und Kampfbereitschaft an der Basis wären damit überflüssig.

Allerdings sind die goldenen Teamster-Zeiten von Hoffa Senior längst vorbei. Die Zahl der Mitglieder sank in den vergangenen 25 Jahren von 2,3 Millionen auf jetzt 1,4 Millionen. Unter Hoffa Senior kontrollierten die Teamsters praktisch den gesamten Transportsektor und konnten entsprechend hohe Renten und Pensionen durchsetzen. Inzwischen hat die Deregulierung im Transportgewerbe jedoch die Macht der Teamster gebrochen. Die meisten Lkws sind heute "non-union", also im Besitz von "gewerkschaftsfreien" Betrieben oder (Schein-)Selbständigen. Daneben hat die Gewerkschaft Mitglieder in einem ganzen Gemischtwarenladen von Branchen. Dort kann sie aber solange keine Gegenmacht entfalten, so lange sie nicht einen ganzen Sektor dominiert und so die Konkurrenz der Beschäftigten untereinander weitgehend ausschalten kann.

Diesen Niedergang in den vergangenen 25 Jahren teilen die Teamsters mit vielen anderen US-Gewerkschaften. US-weit beträgt der Organisationsgrad heute weniger als 14 Prozent. Im Privatsektor sind sogar weniger als zehn Prozent gewerkschaftlich organisiert. Nur im öffentlichen Dienst spielen Gewerkschaften noch eine gewisse Rolle. Aber auch hier gibt es scharfen Gegenwind - durch Privatisierung kommunaler Aufgaben und einen systematischen Abbau der staatlichen Sozialbürokratien unter Clinton. Der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO setzte diesem Niedergang wenig entgegen. (3)

Der "neue" AFL-CIO

Vor drei Jahren deutete sich jedoch eine Wende an. Mit Hilfe des "linken" Teamsters Carey wurde die alte, stramm antikommunistische AFL-CIO-Spitze abgewählt und der bisherige Dienstleistungs-Gewerkschaftsvorsitzende John Sweeney zum neuen AFL-CIO-Präsidenten gewählt. Sweeney hat einige innergewerkschaftliche Reformen eingeleitet - von der Streichung der bisherigen Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit der (zahnlosen) US-KP bis zur stärkeren Vertretung von Frauen und Nicht-Weißen in Führungspositionen.

Vor allem aber steckt die neue AFL-CIO-Führung sehr viel mehr Geld und Personal in die Organisierung neuer Mitglieder und setzt neben den üblichen sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen verstärkt auch auf direkte Protestaktionen der Mitglieder. Bei den Mitgliederzahlen hat sich dieser Schwenk zu mehr Basisaktivitäten allerdings noch nicht niedergeschlagen: Die Mitgliedschaft in den AFL-CIO-Gewerkschaften ist in den vergangenen Jahren nur stabil geblieben - trotz der rasanten Zunahme bei der Zahl der Erwerbstätigen (US-"Jobwunder").

Jedoch hat die neue Ausrichtung der AFL-CIO-Führung wahrscheinlich zu dem neuen kämpferischen Klima an der Basis beigetragen. So gab es nach 20 Jahren Niederlagen und Lethargie in den vergangenen anderthalb Jahren einen deutlichen Aufschwung an (zumindest teilweise erfolgreichen) Arbeitskämpfen - nach dem UPS-Streik 1997 noch der sechswöchige Arbeitskampf beim Autohersteller General Motors im Sommer 1998 (siehe ak 417), größere Pilotenstreiks, etc.

Auch für die nicht-gewerkschaftliche Linke ist die neue Ausrichtung im AFL-CIO von Bedeutung. So träge und reformistisch viele Gewerkschaften sein mögen, sind sie doch die einzigen Großorganisationen, die zumindest begrenzte Ressourcen auch für linke Initiativen zur Verfügung stellen. So wären zum Beispiel die Kampagnen für die Rechte von EinwanderInnen (auch in den USA gibt es eine Kampagne "No human being is illegal") kaum vorstellbar ohne die geld- und tatkräftige Unterstützung von linken Einzelgewerkschaften wie der Textilgewerkschaft UNITE, in der viele ImmigrantInnen organisiert sind. Viele linke und linksliberale Zeitschriften könnten ohne gewerkschaftliche Zuwendungen kaum existieren. Und auch bei Parlamentswahlen und Volksentscheiden wäre ohne das "linke" Gegengewicht der Gewerkschaften wohl fast überall ein reaktionärer Durchmarsch angesagt.

Auch tun manche basisorientierte Gewerkschaften wohl mehr für die politische Bildungsarbeit als die versammelte organisierte Linke. Und nicht zuletzt sind die Gewerkschaften wohl die am ehesten "multiethnischen" Großorganisationen - anders als etwa die Kirchen, die oft ziemlich strikt nach Hautfarben getrennt sind.

Mit Hoffas Wahl stehen nicht nur die Reformen innerhalb der Teamsters in Frage. Auch der Kurswechsel im Dachverband AFL-CIO dürfte nun an Schwung verlieren - oder ganz zurückgenommen werden. Denn mit Hoffa an der Spitze werden die Teamsters wohl wieder ins Lager der "Traditionalisten" im AFL-CIO wechseln und der dortigen "Alten Garde" wieder Auftrieb verschaffen. Für linke Politik in den USA verheißt das nichts Gutes.

Michael Hahn

Anmerkungen:

1) Nach dem Streik 1997 hatte UPS zugesagt, jedes Jahr mindestens 2.000 Teilzeitjobs in Vollzeitstellen umzuwandeln. Dies ist bisher nicht geschehen - im Gegenteil wurden sogar Arbeitsplätze abgebaut.

2) TDU hat eine Liste des "100.000-Dollar-Clubs" veröffentlicht, also die Namen aller 132 Teamster-Funktionäre, die mehr als 100.000 Dollar im Jahr verdienen. 98 davon unterstützten Hoffas Wahl.

3) Ein weiterer Gradmesser für den gewerkschaftlichen Niedergang: Im Jahr 1970 gab es in den USA noch 381 größere Streiks (mit jeweils mehr als 1.000 Beteiligten) mit zusammen 2,5 Millionen Beteiligten. 1982 gab es davon noch 96 mit insgesamt 650.000 Beteiligten. 1995 waren es nur noch 31 größere Streiks mit knapp 200.000 Beteiligten.