Hanauer Nuklearbetriebe stillgelegt, aber:
Alles strahlt weiter
Wer erinnert sich nicht in Anti-Atom-Kreisen an den Schmiergeldskandal von Transnuklear und Nukem 1988 - also genau vor 10 Jahren. Daß diese von der Nuklearindustrie selbstgestrickte Falle der Anfang vom Ende der bekannten Nuklearfirmen Nukem, Alkem, RBU und Hobeg sein würde, hätte selbst in Insiderkreisen niemand zu hoffen gewagt. Und wenn unter Rot-Grün vom Atomausstieg "in bescheidenen Schritten" die Rede ist, so sei der Wahrheit halber vermerkt, daß die Schließung der Mutterfirma Nukem in Hanau unter einer CDU-Regierung in Bund und Hessen-Land erfolgte. Rot-Grün muß sich also mächtig anstrengen, um diesen Vorsprung von CDU/FDP erst einmal wettzumachen.
Wenn gar der ehemalige Staatssekretär Helmut Stahl (Forschungsministerium) noch drei Tage vor Ende der Kohl-Ära die Räumung des berüchtigten Plutoniumbunkers in Hanau-Wolfgang für Mitte 2001 ankündigte, so sollte dies für den grünen Minister Trittin ein Termin sein, den er einhalten müßte, wenn er es ernst mit dem Ende der Plutoniumära meint. Dazu hat er sich zwei Experten ins Bonner Umweltministerium geholt, die das Ende des Plutoniumzeitalters ohne frühere Merkelsche Bremsversuche durchziehen sollen. Doch Rainer Baake, ehemaliger hessischer Umweltstaatssekretär, und Wolfgang Renneberg, sein Abteilungsleiter Reaktorsicherheit, hatten bereits genug Probleme, mit den Plutoniumaltlasten der Vergangenheit fertig zu werden.
Ob es ihnen gelingt, Hanau bis 2001 "plutoniumfrei" zu machen, vermag heute niemand zu sagen, denn keiner weiß, wohin der strahlende Abfall aus den Hanauer Atomfabriken soll. So ist völlig unklar, was mit den derzeit im Hanauer Bunker lagernden 123 plutoniumhaltigen Brennstäben geschehen soll, die für den "Schneller Brüter" in Kalkar (SNR 300) gedacht waren. Noch schlimmer könnte es für Trittin werden, wenn die derzeit im schottischen Dounreay gelagerten 82 SNR-300 Brennelemente 1999 zurückgeschickt würden. Dies könnte geschehen, weil man in Schottland nicht bereit zu sein scheint, eine Verlängerung der Lagerverträge über das Jahr 1999 hinaus zu gestatten. Eine dann notwendige "Entsorgung" dieser Brennelemente - wohin auch immer - stößt auf erhebliche Schwierigkeiten, da ein Abnehmer nicht in Sicht ist. Von Haushaltsmitteln für ein solches Projekt ganz zu schweigen.
Langwierige Stillegung
Die Stillegung der Plutoniumfabrik am Standort Hanau vollzog sich in mehreren Schritten. Neben der fast fertiggebauten, aber nicht genehmigten neuen MOX-Anlage stand die alte, kleinere MOX-Anlage, die 1991 nach mehreren Störfällen abgeschaltet werden mußte. Außerdem produzierte Siemens in einer benachbarten Anlage auch herkömmliche Uranbrennelemente. Doch die frühere Alkem - nach dem Skandal "Siemens-Brennelementwerk Hanau, Abteilung Plutoniumverarbeitung" genannt - war den Firmenchefs offensichtlich nicht mehr lukrativ genug. Im Zuge des geplanten Stopps der Uranverarbeitung in Hanau äußerte die Siemens-Chefetage bereits im Juni 1995, daß sie "es endgültig aufgegeben " habe, "am Standort Hanau MOX-Brennelemente zu fertigen". Die aus Plutonium und Uran gefertigten Mischoxid-Brennelemente (MOX) werden seitdem im französischen Cadarache gefertigt. Im Dezember 1996 wurde schließlich das endgültige Aus für die Plutoniumverarbeitung verkündet.
Die Stillegung und der Abriß der Anlage sollte in wenigen Jahren erfolgen. Doch - wie bereits die langwierige Genehmigungspraxis für die Errichtung nach § 7 Atomgesetz (von 1975 bis 1991) zeigte, wird das Verfahren insgesamt bestimmt acht bis zehn Jahre dauern.
Gefährlicher Leerfahrbetrieb
Am 7. Mai 1996 stellte die Firma Siemens einen Antrag zum Leerfahren der MOX-Anlage von Kernbrennstoffen und sonstigen radioaktiven Stoffen. Da Plutonium bekannterweise bereits im Bereich von Millionstel Gramm giftig und krebserregend ist, wollte die rot-grüne Landesregierung in Hessen Plutoniumtransporte in flüssiger Form zur "Beseitigung" der Kernbrennstoffreste nicht zulassen. Was in den USA verboten ist, sollte auch für die Bundesrepublik gelten.
Daher sollten die vorhandenen plutoniumhaltigen Reststoffe und sonstigen radioaktiven Abfälle in eine langzeitlagerfähige, transportfähige Form gebracht werden, damit diese Materialien zu anderen Anlagen gebracht werden könnten. Dabei ist es extrem problematisch, entsprechende Abnehmer zu finden. Denn die plutoniumhaltigen Stoffe aus Hanau sind nicht ohne weiteres in anderen Anlagen lagerbar. Außerdem könnte das Hanauer Plutonium möglicherweise erneut in der französischen Wiederaufarbeitungsanlage in La Hague und später als MOX-Brennstoff wieder in Atomkraftwerken landen.
Die erforderliche Verarbeitung war ausgerechnet in der vom damaligen Umweltminister Fischer im Jahr 1991 stillgelegten Altanlage vorgesehen. Siemens-Mitarbeiter feixten daher, ob die Grünen es tatsächlich zulassen würden, eine fünf Jahre stilliegende Anlage wieder in Betrieb zu nehmen, die ein grüner Umweltminister wegen sicherheitstechnischer Mängel außer Gefecht gesetzt hatte.
Während des fünftägigen Erörterungstermins im Oktober 1996 ging es daher auch um die Frage, ob es nicht eher zu verantworten sei, die bereits fast fertiggestellte Neuanlage für den Leerfahrbetrieb einzusetzen.
Von insgesamt vorhandenen 2,4 Tonnen Plutonium mußten ca. 170 kg in eine transportfähige Form gebracht, werden. Allein 1,1 Tonnen Plutonium befinden sich in den 123 Brennelementen für die Erstbeschickung des Schnellen Brüters in Kalkar.
Am gefährlichsten für die Umarbeitung in eine lagerfähige Form erwiesen sich ca. 70 kg flüssiges Plutoniumnitrat und ca. 50 kg Plutonium-Mastermix-Gebinde (ein Zwischenprodukt).
Nach langen Diskussionen im Erörterungstermin schien klar, daß die Neuanlage nicht in Frage komme, da anschließend wieder lange und teure Dekontaminationsarbeiten anstünden. Außerdem hätte es etwa ein bis eineinhalb Jahre gebraucht, um die Neuanlage für diesen Zweck bereitzumachen. Bis dies soweit gewesen wäre, hätten die in der Altanlage lagernden Plutoniumzwischenprodukte spätestens alle sechs Monate umgepackt werden müssen. Dies hätte weitere Gefahren für die Beschäftigten mit sich gebracht. Aus diesen Gründen kam es im Herbst 1997 zu der Entscheidung, den Leerfahrbetrieb im nicht gegen Flugzeugabsturz und Erdbeben ausgelegten Altbau der Alkem durchzuführen.
Die Hanauer Anti-Atom-Initiative sah sich nicht in der Lage, gegen diese Genehmigung zu klagen. Zum einen erschien es schwierig, bei Gericht und in der Öffentlichkeit, eine Klage gegen eine Stillegung mit Leerfahrbetrieb zu verdeutlichen. Zum anderen wurde mit diesem Leerfahrbetrieb ein zeitlich begrenztes Risiko gegen ein längeres noch ungewisseres Risiko in Kauf genommen. Dennoch verblieb ein flaues Gefühl, da zum ersten Mal bewußt der Betrieb einer Atomanlage zumindest geduldet wurde, um ein höhergestecktes Ziel - die endgültige Stillegung - zu erreichen. Dies bedeutet einen Gewissenskonflikt, in den die Anti-Atom-Bewegung in Zukunft noch häufiger geraten wird, wenn es darum geht, z.B. im Hinblick auf eine endgültige Lagerung der Atomabfälle mögliche Zwischenlager hinzunehmen.
Der Leerfahrbetrieb müßte im Dezember 1998 zu Ende gehen, so daß die wohl aktuell gefährlichste Phase des Umgangs mit Plutonium im Abbaubereich ohne größere Vorkommnisse bewältigt werden konnte.
Abriß der MOX-Anlage: wohin mit den Abfall?
Es ist damit zu rechnen, daß im Laufe des Jahres 1999 das Genehmigungsverfahren für den Abriß der MOX-Anlage eingeleitet wird. Trotz des Widerstandes von Siemens wird es wieder ein Genehmigungsverfahren nach § 7 Atomgesetz mit Öffentlichkeitsbeteiligung und Erörterungstermin geben.
Aus den bisherigen Verfahren zu Nukem-Alt und der Uranfabrik (früher RBU) ist zu schließen, daß es dabei vor allem um die Mengen an radioaktiven Reststoffen und um die Mengen an Bauschutt und Erdaushub geht, die während des Abrisses zu beseitigen sein werden. Zentrale Fragen werden sich an folgenden Theorien aufhängen:
1. Wie ist feststellbar, welche genauen Mengen an strahlenden Reststoffen und Abfällen überhaupt vorhanden sind?
2. Wie wurden diese Mengen ermittelt?
3. Wie weit sind die baulichen Anlagen nach der sogenannten Dekontamination durch Abstrahlung noch radioaktiv belastet?
4. Ist eine Rückführung sogenannter dekontaminierter Werkstoffe (wie z.B. Metalle) in normale Wirtschaftskreisläufe überhaupt verantwortbar?
5. Gibt es überhaupt Bauschutt bzw. Abrißmaterial, daß unter die Freigrenze (angeblich nicht mehr radioaktiv, Anm. d. Red.) gebracht, dann auf eine normale Hausmülldeponie verbracht werden darf?
6. Wohin sollen diese sogenannten "nicht mehr radioaktiven Stoffe" sonst verbracht werden?
In dem Verfahren bei Nukem und der Uranverarbeitung blieb bislang offen, mit welchen genauen Mengen an Abfällen zu rechnen sei. Von ca. 25.000 t bzw. 30.000 t Bauschutt und Erdaushub war die Rede. Ungeklärt bleibt bislang auch, wie die Beseitigungsarbeiten möglichst belastungsfrei für die Beschäftigten und die Bevölkerung abgewickelt werden sollen. Das sogenannte 10-Micro-Sievert-Konzept wurde als Grundlage von Seiten der Gutachter im Verfahren entwickelt. Dies bedeutet, daß ein mit dem Abriß Beschäftigter höchstens 10 Micro-Sievert belastet werden darf. Derzeit werden die möglichen Belastungspfade noch diskutiert, so daß die Uran- bzw. Plutoniummengen, die eine solche Belastung hervorrufen, im einzelnen noch unklar sind. Beim Plutonium wird es womöglich zu heißen Debatten kommen, denn es ist davon auszugehen, daß es keine zumutbaren Mengen gibt.
Die ganz heikle Frage, wer in dieser Republik bereit ist, den strahlenden Abfall aus Hanauer Atombetrieben abzunehmen, ist ebenfalls noch nicht gelöst. Der erste Versuch, den angeblich nicht radioaktiven Erdaushub und die Abrißmaterialien auf der Hausmülldeponie in Flörsheim-Wicker in der Nähe des Frankfurter Flughafens abzuladen, scheint gescheitert. Eine rührige Bürgerinitiative vor Ort fürchtet zu Recht, daß ihr wertvolles Weinanbaugebiet in Verruf gerät. Der Einsatz der Betroffenen wurde von der Hanauer Anti-Atom-Initiative unterstützt, wenngleich aus Hanauer Sicht die Abfälle irgendwohin müssen.
Die ungelöste Entsorgung des Atommülls bzw. des damit zusammenhängenden Mülls zeigt erneut, wie unverantwortlich die Atomtechnologie ist. Am besten wäre es wohl, diese Mengen den Hauptverantwortlichen aus der Atomindustrie in den Vorgarten zu kippen, wenn es nicht auch dort betroffene Nachbarn gäbe!
Die zu begrüßende Stillegung der Hanauer Nuklearbetriebe macht exemplarisch klar, daß mit der Stillegung eine Fülle von Problemen entstehen, die sich bei der erhofften Stillegung der Atomkraftwerke ebenso ergeben werden.
AtomkraftgegnerInnen jedoch sind nicht die Altlastenbeseitiger jener unverantwortlichen Politiker, die diese Technologie der Bevölkerung beschert haben. Und solange nicht der Ausstieg und das präzise Datum des Endes der Atommüllproduktion feststeht, werden auch die Hanauer AtomkraftgegnerInnen alle Initiativen unterstützen, die sich weigern, den Hanauer Atommüll oder angeblich schadstoffreie Reststoffe in Deponien vor Ort ablagern zu lassen.
So hat Rot-Grün in Bonn noch viel zu erledigen; denn nur ein rascher Ausstieg aus der Atomenergie kann die ständig anwachsenden Atommüllmengen stoppen. Bis zu einer Beseitigung, die sicher nicht den Anspruch auf gefahrlos erheben kann, ist es dann ohnehin noch ein weiter Weg.
Elmar Diez
Initiativgruppe Umweltschutz
Hanau (IUH)