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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 422 / 21.1.1999

Brutus und der Diktator

Erbitterter Machtkampf bei den französischen Neofaschisten

"Die Woche der langen Messer" taufte das Wochenmagazin L'É vènement du Jeudi Mitte Dezember die vorangegangenen acht Tage in der Geschichte des rechtsextremen Front National (FN). Der Konflikt, der Frankreichs neofaschistische Partei in zwei getrennte Organisationen aufspaltet, war damals eine gute Woche alt. Der Vergleich mit den Ereignissen beim sogenannten Röhm-Putsch von 1934, die als "Nacht der langen Messer" in die Chronik des deutschen Nazismus eingingen, hinkt aus verschiedenen Gründen. Einer davon ist, daß es bisher keine Leichen gab. Ein anderer, daß jener, der sich vom (innerparteilichen) Machthaber ausgeschaltet sieht, wahrscheinlich Adolf Hitler geistig näher - noch näher - steht als sein bisheriger Chef selbst.

Gemeint ist Bruno Mégret, dem am 9. Dezember 1998 die Funktion als Generalbeauftragter des FN entzogen und der am 23. Dezember aus der Partei ausgeschlossen worden ist. Denn Mégret und die entscheidenden Köpfe seiner engsten Umgebung, die zeitgleich mit ihm ausgeschlossen wurden (Jean-Claude Bardet, Yvan Blot, Jean-Yves Le Gallou, Pierre Vial) haben in den 70er Jahren ausnahmslos entweder die Ideologiefabrik GRECE durchlaufen oder kommen, wie Mégret selbst, aus dem GRECE-Ableger Club de l'Horloge ("Uhrwerksclub"). Beim GRECE ("Forschungs- und Studienzentrum für die europäische Zivilisation") betrieb man die Suche nach den nicht-christlichen Wurzeln der "indo-europäischen Kultur", da das Christentum vom Judentum abstamme und somit einen "rassischen" bzw. kulturellen Fremdkörper bilde. Zudem wurde dem "jüdisch-christlichen" Monotheismus angelastet, daß er mit seiner Idee der Gleichheit aller Menschen vor einem einzigen Gott die Quelle so schädlicher Ideen wie der von sozialer Gleichheit und Demokratie darstelle. Der "Religion der Wüstenvölker" wurde das germanisch-keltische Heidentum, die "Religion der Waldvölker", gegenübergestellt.

Der Club de l'Horloge war 1974 vom GRECE zum Zwecke der Rekrutierung in den politischen und ökonomischen Eliten gegründet worden. Hier verband sich Ende der 70er Jahre die nazi-ähnliche Ideologie des GRECE mit einer Apologie der leistungsstarken Eliten innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Während der zurückbleibende Kern-GRECE den Kapitalismus ablehnte und statt dessen eine auf biologischer Basis begründete "organische" Hierarchie als gesellschaftliche Organisatinsform forderte, übernahm der Club de l'Horloge ultraliberale Thesen. Auf dieser neuformulierten Grundlage führte die Entrismus-Strategie die Köpfe des Clubs an die Spitze der bürgerlichen Parteien, denn in den Ideologiefabriken hatten sie gelernt, ihre Ideen in strategisch wirkungsvoller Weise zu formulieren und einzusetzen. Nach ihrem Übertritt zum aufstrebenden Front National in den Jahren 1985/86 formten sie aus dieser Partei - damals noch ein Haufen von Abenteurern, alten Haudegen und Veteranen der Kolonialkriege - eine schlagkräftige Organisation mit Programm und Strategie. Und trotz ihrer extrem elitefreundlichen Ideologie erkannten sie auch die Bedeutung der sozialen Frage, welche es durch den FN zu besetzen gelte.

Mégrets Nähe
zu "Blut und Boden"

Die ursprüngliche Ideenproduktion des GRECE kommt der Rassenideologie NS-Deutschlands wesentlich näher als dem katholisch-reaktionären Erbe der "klassischen" französischen Rechten. FN-Generalsekretär Bruno Gollnisch wetterte deswegen im Dezember 1998, nachdem der Machtkampf innerhalb des FN eskaliert war, gegen eine "extreme Rechte ausländischer Inspiration" - gemeint war: nazi-deutschen Gedankenguts. Und Jean-Marie Le Pen ließ es sich ebenfalls nicht entgehen, auf diese Vorgeschichte anzuspielen, indem er in einer ersten Reaktion nach Ausbruch des Konflikts die Mégret-Anhänger als eine "extremistische, aktivististische und sogar rassistische Minderheit" bezeichnete. In diesem Zusammenhang nannte er Pierre Vial, den "Kopf der extremistischen Gruppierung Terre et peuple" ("Erde und Volk" - der Name des von Vial geleiteten Zirkels klingt nicht zufällig wie "Blut und Boden"). Volltreffer: Pierre Vial, einer der engsten Vertrauten Mégrets, war noch bis 1984 Generalsekretär des GRECE und kam nicht - wie die anderen führenden Köpfe des Mégret-Lagers - auf dem Umweg über den Club de l'Horloge zum FN. Als Geschichtsprofessor an der Universität Lyon-III betreibt er Forschungen über das "Indo-Europäertum". Vial ist Neuheide und vertritt eine nahezu lupenreine NS-Rassentheorie. Diese Attacken gegen seine jetzigen Gegner können natürlich über die politische Natur von Jean-Marie Le Pen selbst nicht hinwegtäuschen. Anläßlich desselben Fernsehauftritts, bei dem er Vial als Rassisten outete, weigerte Le Pen sich ausdrücklich, die "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" von 1789 - die Bestandteil der französischen Verfassung ist - als politisches Grundlagendokument anzuerkennen.

Hintergrund des Konflikts ist, daß nach ersten Ausschlüssen von Mégret-Anhängern, die den alleinigen Führungsanspruch des alternden Le Pen offen in Frage gestellt hatten, seit dem 18. November 1998 und nach der Entlassung zweier Mégret nahestehender FN-Hauptamtlicher in der ersten Dezemberwoche Proteste gegen die "diktatorische" Führung des FN-Chefs ausgebrochen waren. Bei einer Konferenz der 400 führenden Parteifunktionäre, die am 5. Dezember in Paris stattfand, war Le Pen ausgebuht worden. Dieser scheint entschlossen zu sein, den ehrgeizigen Anwärter auf seine Nachfolge auszuschalten, solange er dazu noch Zeit hat, und den Konflikt mit rabiaten Mitteln zu lösen.

Bei einem Auftritt im ostfranzösischen Metz am Ende der ersten Konfliktwoche tönte Le Pen martialisch und von sich selbst überzeugt: "Man sagt mir: Gibt es wirklich keine Verständigungsmöglichkeit? Keine Möglichkeit, Feuer und Wasser miteinander zu vereinen, oder daß Cäsar vergibt? Was mich von Cäsar unterscheidet, dem Brutus sich mit dem Messer in der Hand näherte (...), das ist, daß ich mein Schwert ziehe und Brutus töte, bevor er mich tötet." Später fügte Le Pen, der Anspielungen auf Mégrets Körpergröße (der "Zwerg Napoleon") liebt, hinzu : "Der kleine Brutus muß noch ein bißchen wachsen, wenn er mich schubsen will."

Liest man Le Pens Erklärung, welche die Seite eins der Parteizeitung National Hebdo derselben Woche ziert, dann könnte man zunächst an eine Art Flügelstreit zwischen "Gemäßigten", die Allianzen mit den Konservativen zuneigen, und faschistischen "Hardlinern" glauben. So heißt es da: "Es scheint, als ob ich in den Augen bestimmter ehrgeiziger Herren, die zu allem bereit sind, um Karriere zu machen, das einzige Hindernis für fruchtbare Wahlbündnisse mit der Rechten sei." Beiläufig erinnert der Text auch an frühere Parteimitgliedschaften der Köpfe des "kriminellen Manövers" und der "Subversion", deren Opfer seine Partei sei: Bruno Mégret, ehemaliger Kader des (gaullistischen) RPR, und Jean-Yves Le Gallou, ehemaliger Kader der (liberal-christdemokratischen) UDF. Die beiden durch Le Pen ausgeschlossenen FN-Funktionäre waren Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre tatsächlich Führungsmitglieder dieser beiden großen Parteien. Eingetreten waren sie aber im Rahmen der Entrismus-Strategie, welche die Denkfabriken GRECE und Club de l'Horloge damals als Form der Kaderpolitik betrieben.

Die bürgerliche Mitte "explodieren" lassen ...

Der aktuelle Stein des Anstoßes ist eine taktische Differenz zwischen Le Pen und Mégret, die keine Unterschiede in den Zielsetzungen verrät. Sie wird im innerparteilichen Machtkampf instrumentalisiert, um sich gegenseitig Verrat vorzuwerfen. Grundsätzlich wollen beide Kontrahenten die bürgerliche Mitte "explodieren" lassen. Le Pen hält es dabei jedoch für ausreichend, den "Verrat" der Liberalen und Konservativen an der Nation anzuprangern und auf eine große Krise zu warten, welche ihm "Recht" geben werde. Mégret hingegen tritt für eine aktive Strategie ein, die auf die Brüche innerhalb des bürgerlichen Lagers zielt - etwa durch "vergiftete Stimmengeschenke" wie nach den letzten Regionalwahlen im März 1998 (vgl. ak 413), welche die republikanische Rechte in eine tödliche Zerreißprobe treiben sollen. Die jungen, aktiven FN-Kader, die die "Machtübernahme" beschleunigen wollen, stehen daher fast geschlossen hinter Mégret. Um die Schärfe der Auseinandersetzung zu verstehen, muß man das Alter der Hauptkontrahenten berücksichtigen. Le Pen wird im Juni dieses Jahres 71, Mégret im April 50 - der alternde FN-Gründervater weiß, daß er selbst wahrscheinlich nicht mehr von ausgeklügelten Strategien der Machteroberung profitieren könnte. Er zieht es daher vor, seine absolute (und nunmehr wieder unangefochtene) Macht über seinen Familienclan und die ihm ergebene Anhängerschaft auszukosten und darauf zu warten, daß die Geschichte ihn bestätigt.

Der "sinnlose" Prunk bei Le Pens "Hofführung" stößt den in Dimensionen politischer Effektivität denkenden Kadern in zunehmendem Maße sauer auf. Sie werfen dem FN-Gründer zudem vor, seit einiger Zeit systematisch seinen Familienclan zu bevorzugen. So scheiterte die jüngste der drei Töchter des Chefs, Marine Chauffroy-Le Pen (29), auf dem FN-Kongreß 1997 in Strasbourg bei der Wahl ins Zentralkomitee, da die Parteiaktivisten vom "Monaco-Clan" (so lautet der interne Spitzname der Le Pen-family) genug hatten. Prompt intervenierte der Herr Papa: Die Kongreßregie mußte eine "Informatikpanne" bekannt geben, durch die das Stimmenergebnis der Frau Tochter verfälscht worden sei. Bruno Mégret erzielte übrigens bei derselben Wahl das beste Ergebnis aller Kandidaten zum Zentralkomitee.

Wie wird es mit dem Front National oder "den beiden Fronts Nationaux" weitergehen? Es muß als höchst unwahrscheinlich gelten, daß Le Pen die Kader und Aktivisten nochmals hinter sich versammeln kann, da er in seinem bornierten Machterhaltsgebaren derzeit die eigene Partei mit der Spitzhacke bearbeitet. So wurde die Erklärung über "Rassisten und Extremisten" in den eigenen Reihen von den Aktivisten übel aufgenommen, die sich seit Jahren erbittert gegen solche Vorwürfe von außen wehren. Jean-Yves Le Gallou höhnte über seinen ehemaligen Parteichef, das sei, aus dem Munde des FN-Vorsitzenden, "eine Anklage", wie sie von SOS Racisme oder (dem Antifa-Netzwerk) Ras-Le-Front kommen könnte. Die Mégret-Anhänger haben es bisher stets vermieden, Le Pen auf der ideologischen Ebene anzugreifen. Sie betonen, es handele sich nicht um einen Gegensatz der politischen Ideen, sondern um eine "Wachstumskrise" der Bewegung - nachdem Le Pen "lange Jahre hindurch ihr Motor war, ist er nunmehr zum Klotz an ihrem Bein geworden", erklärte Le Gallou. Im "Säuberungsfieber" versuchte Le Pen darüber hinaus den Hauptamtlichen-Apparat zu zerschlagen, dem nach seinen Aussagen 120 bezahlte Mitglieder angehören, während "20 genügen würden". (Mittlerweile ist es um dieses Vorhaben still geworden.)

Le Pens Name
allein genügt nicht

Wahrscheinlich ist, daß Le Pen nur der ältere und eher passive Teil der Mitgliedschaft verbleiben wird. 62 von 100 Départements-Sekretären - eine Art Bezirksvorsitzende - stehen hinter Mégret. Dasselbe gilt für die knappe Mehrheit der 275 FN-Abgeordneten in den Regionalparlamenten, von denen 142 Mégret und 131 Le Pen unterstützen, während zwei bisher unentschieden blieben. (In der Nationalversammlung sind die Neofaschisten aufgrund des Mehrheitswahlrechts nicht vertreten.)

Die Mégret-Anhänger werden am 23. und 24. Januar in Marignane ihren "außerordentlichen Parteikongreß" abhalten, auf dem auch eine neue Führung gewählt werden soll. (Le Pen und seine Getreuen haben angekündigt, nicht zu erscheinen.) Ein "Erneuerungskongreß" des Front National, wie die Mégret-Anhänger behaupten - oder Gründungskongreß einer neuen politischen Formation, die sich vom FN abspaltet, wie Le Pen angibt? Über die Benutzung des Parteinamens wird ein Rechtsstreit entscheiden, der lang und kompliziert zu werden verspricht. 1985 hat Le Pen den Parteititel auf seinen Namen eintragen lassen. Die Anmeldung beim Nationalen Institut für Patente und Autorenrechte INPI muß jedoch alle zehn Jahre erneuert werden, um gültig zu bleiben; Le Pen hat es 1995 unterlassen, die Eintragung zu erneuern. Von seiten der Mégret-Anhänger hat Serge Martinez den Titel FN am 10. Dezember 1998 beim INPI eintragen lassen. Acht Tage nach dieser Eintragung, aber vor deren Veröffentlichung (die am 26. Dezember auf dem Computer der INPI erschien und am 21. Januar offiziell publiziert wird) hat die linke Wochen- und Satirezeitung Charlie Hebdo am 18.12.1998 ihrerseits den Namen "Front National" beim INPI anmelden lassen - mit dem erklärten Ziel, ihn "der Résistance zurückzugeben". Die Zeitung hat Überlebende der Résistance ausfindig gemacht, die in einem Prozeß beweisen wollen , daß sie historisch als erste den Namen "FN" (als Abkürzung für "Nationale Front für die französische Unabhängigkeit") benutzt haben. Auf diese Weise soll beiden neofaschistischen Lagern der Titel entzogen werden. Historisch noch früher wurde der Name "Nationale Front" durch die reaktionäre Rechte verwendet: Unter diesem Titel sammelten sich 1935/36 diverse Parteien gegen die Volksfront, den Front populaire. Damit argumentieren Le Pen und die Rechtsabteilung "seines" FN, um die Ansprüche der Résistance-Kämpfer abzuwehren.

Wie auch immer die beiden künftigen Organisationen heißen mögen - auf Dauer wird wohl nur eine Großpartei überleben. Nicht unwahrscheinlich ist ein an die italienische Entwicklung erinnerndes Szenario mit einer großen, "respektabel" gewordenen rechtsextremen Formation (der MSI nach seiner Umwandlung in Alleanza Nazionale) und einer sehr viel kleineren Restpartei der Traditionalisten (MSI-Fiamma tricolore). Eine solche Entwicklung erscheint langfristig beinahe unaufhaltsam, da Le Pen und die ihm verbliebenen Getreuen den Strategien der Mégret-Anhänger - außer anhaltendem Verratsgeschrei - wenig entgegenzusetzen haben. Die intellektuellen Kapazitäten befinden sich ganz überwiegend im Mégret-Lager; zu Bündnispolitik ist Le Pens "Club der Traditionalisten" immer weniger in der Lage. Kurz- und mittelfristig liegen die Dinge freilich nicht ganz so klar. Denn zumindest in den nächsten Monaten und Jahren, solange Le Pen noch im Vordergrund stehen kann, dürfte sein Name einige Anziehungskraft auf die Wähler behalten.

Die Europaparlamentswahl stellt für die Mégret-Anhänger eine Klippe dar, an der sie durchaus Schiffbruch erleiden könnten. Zwar hat Mégret den Großteil des FN-Apparats und der aktiven Kader hinter sich. Zu ihm übergelaufen sind seit dem zweiten Januarwochenende auch etwa zehn von 22 Regionalabteilungen des DPS (Département Protection Sécurité - "Abteilung Schutz und Sicherheit"), der Partei-"Miliz", die Le Pen persönlich untersteht und ihm allein verantwortlich ist. Doch in der Wählerschaft, für die der Name Le Pen die traditionelle "Legitimität" der rechtsextremen Bewegung verkörpert und die sich um deren innere Angelegenheiten wenig schert, haben Mégret und seine Leute bisher noch einen schweren Stand. Dies belegen zwei Umfragen des Instituts CSA aus der zweiten Dezemberhälfte. Demnach würden derzeit 4 bzw. 5 Prozent für eine "Liste Mégret" stimmen, 10 bzw. 9 Prozent für eine "Liste Le Pen". Einzig bei den Besserverdienenden - oberhalb von 15.000 Francs (5.000 DM) im Monat - hat Mégret klar die Nase vorn.

Bernhard Schmid, Paris

Berichtigung: Der in Bernhard Schmids Artikel über den Kampf der Sans-papiers (ak 421, S. 15) erwähnte "Vertrag für die Wiedereingliederung im Herkunftsland" trägt die französische Abkürzung CRPO (nicht CRPQ). Nachzutragen bleibt eine Korrektur (zu ak 407), die aus dem selben Artikel herausgekürzt wurde: Die Jospin-Regierung hat bei der Änderung des Ausländergesetzes im Herbst 1997 die Höchstdauer der Abschiebehaft nicht von 4 auf 10 Tage, sondern von 10 auf 14 Tage verlängert. Der bearbeitende Redakteur bittet um Entschuldigung.