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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 422 / 21.1.1999

Ein Jahr "Wanderkirchenasyl"

Der Kampf geht weiter!

Das "Wanderkirchenasyl" kurdischer Flüchtlinge in NRW wird ein Jahr alt. ak hat in diesem Jahr immer wieder über Kämpfe, Aktionen und politische Initiativen, über Intrigen von Kirchenfunktionären, über Hoffnungen, Erfolge und Niederlagen dieser in Deutschland bislang einmaligen Aktion kurdischer "sans papiers" berichtet. Wir lassen heute dieses Jahr Revue passieren. Wir bilanzieren Erfahrungen dieser oft atemlosen zwölf Monate. Und wir fragen nach den Perspektiven.

Am 21. Januar 1998 begann in der Kölner Antoniterkirche - damals auf vier Wochen begrenzt - eine Gruppe von zwanzig kurdischen Flüchtlingen aus der Türkei eine "Protestaktion gegen Abschiebungen in die Türkei". Alle waren in der gleichen Lage: in der Türkei bzw. Kurdistan verfolgt und ohne Perspektive, in Deutschland durch die Maschen des Asylrechts gefallen und zu vogelfreien "Illegalen" gemacht. Die Evangelische Gemeinde Köln erklärte sich bereit, mit aktiver Unterstützung des Kölner Netzwerks "kein mensch ist illegal" der Gruppe vier Wochen lang einen öffentlichen Protest gegen ihre Situation im Schutz der Kirchen zu ermöglichen.

Zwölf Monate später leben diese 20 Menschen noch immer in Kirchen. Aber die Gesamtzahl der an der Aktion beteiligten Flüchtlinge ist im Laufe dieses Jahres auf über 300 angewachsen. Mehr als achtzig evangelische und katholische Kirchengemeinden unterstützen ihren Protest. In vielen Städten Nordrhein-Westfalens haben sich Gruppen in der Kampagne "kein mensch ist illegal" zu einem Netzwerk verbunden.

Die Ziele sind bescheiden: Die Wiederherstellung eines gesicherten Aufenthalts- und Rechtsstatus für Illegalisierte, die Anerkennung von Kriegsflüchtlingen nach der Genfer Konvention, ein Abschiebestopp in die Türkei, und schließlich - als erster Schritt - ein Bleiberecht für die Gruppe, die seit einem Jahr mit ungeheurem Einsatz für diese Ziele kämpft.

Angesichts der politischen Machtverhältnisse hingegen erscheinen manche diese Forderungen annähernd "utopisch". Von Anfang an hat die Aktion - meist ungewollt - politisch polarisiert. Schon im Februar formulierte Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil erstmals öffentlich den Vorwurf, die Gemeinden und die Kampagne würden den Flüchtlingen ungerechtfertigte Hoffnungen machen und sie damit für eigene politische Ziele mißbrauchen. Landespolitiker entblödeten sich, der Aktion das Etikett "politisch" als Vorwurf anzuhängen.

Aber auch in den eigenen Reihen gab es immer wieder Zweifel, ob mit der Aufnahme weiterer Flüchtlinge, der Ablehnung erneuter Einzelfallprüfungen nach den alten, diskriminierenden und willkürlich gehandhabten Kriterien und einem lautstark in die Öffentlichkeit getragenen Protest nicht eher eine repressive Antwort des Staates herausgefordert werde.

Von der Protestaktion

Doch zurück zu den Anfängen. Allabendlich tagte in den ersten Wochen das offene Plenum von Flüchtlingen, Gemeinde- und Kampagnenmitgliedern in der Kölner Antoniterkirche. Und fast täglich kamen neue illegalisierte Flüchtlinge dazu. Keine einfache Situation, denn mit der Gemeinde war die Begrenzung auf zwanzig Personen verbindlich vereinbart. Doch zwei weitere Kölner Gemeinden schlossen sich der Aktion an und nahmen ihrerseits ungefähr gleich große Gruppen auf.

Die Angst vor einem polizeilichen Zugriff war enorm groß. In großer Zahl wurden deshalb UnterstützerInnen für den ersten Umzug nach einer Woche mobilisiert. Die Zahl der zu lösenden Probleme erschien oft endlos, aber die Zahl der UnterstützerInnen war enorm und ihr Elan enorm. Angesichts des Desinteresses der Medien an dem Protest wurde beschlossen, für den 14. Februar landesweit zu einer Demonstration nach Köln aufzurufen.

1.200 Menschen kamen bei strahlendem Sonnenschein auf den Kölner Ebertplatz. Durch das von türkisch-kurdischen Geschäften geprägte Eigelsteinviertel zog die Demo ins Belgische Viertel zur Christuskirche. Die Glocken der Kirche begannen zu läuten. Auf der Balustrade des Kirchturms standen rund vierzig "Illegale" und winkten uns zu. Spontan stellte sich die Spitze der Demonstration, 60 Menschen, die auf Tafeln großformatige Porträts mit den Namen der illegalisierten Flüchtlinge trugen, vor dem Hauptportal auf. Vielen TeilnehmerInnen standen in diesem Moment Tränen in den Augen. Weiter ging der Zug durch die Innenstadt zum Neumarkt.

Auf der Abschlußkundgebung sprach Pfarrer Pick von seiner "Vision": in den kommenden Wochen würden mehr und mehr Kirchen illegalisierten Flüchtlingen ihre Türen öffnen, evangelische und katholische. Eine Bewegung gegen die unmenschliche Abschiebepolitik würde sich formieren. Die Stimme des Protestes würde laut und unüberhörbar werden. Am Abend dann ein ausführlicher Bericht in der Tagesschau. Die Mauer des Schweigens war durchbrochen.

... zum Wanderkirchenasyl

Viele weitere Flüchtlinge blieben nach der Demonstration in den Kirchen. Vision hin oder her - es mußten weitere Gemeinden gefunden werden, die zu einer Unterstützung der Aktion bereit waren. Und sie fanden sich. Mit einer öffentlichen Veranstaltung in der Antoniterkirche verabschiedet und begleitet von rund 150 Flüchtlingen und UnterstützerInnen, machte sich am 7. März eine Gruppe von 30 KurdInnen in einem mit Plakaten behängten Konvoi von Bussen und PKWs auf den Weg nach Düren. Und zum ersten Mal demonstrierten "Illegale" in der Dürener Innenstadt in aller Öffentlichkeit für ihre Forderungen. Das "Wanderkirchenasyl" war geboren. Und auch katholische Gemeinden schlossen sich nun in größerer Zahl dem Protest an.

Aachen, Bielefeld, Mönchengladbach, Düsseldorf, Bochum waren in den folgenden drei Monaten weitere Stationen. Zu der ersten "Karawanengruppe" kam Ende April eine zweite. Allerorts fanden in den Kirchengemeinden öffentliche Veranstaltungen über das Asyl-Unrecht und die Verfolgung von KurdInnen in der Türkei statt. In vielen Orten des Wanderkirchenasyls wurden Demonstrationen organisiert. Jede Woche trafen sich VertreterInnen aller Gruppen in Köln, um in einer Plenumsversammlung den weiteren Verlauf der Aktion zu planen.

Parallel wurden die Forderungen nach Bleiberecht und Abschiebestopp mit spektakulären Aktionen wie der gemeinsamen Schiffahrt von Köln nach Düsseldorf und der anschließenden Demonstration zum Landesinnenministerium weit über NRW hinaus in eine breite Öffentlichkeit getragen. Taktische Stoßrichtung der Aktivitäten war in diesen Monaten die (im rot-grünen Koalitionsvertrag als Vereinbarung fixierte) Forderung nach Entsendung einer Landesdelegation in die Türkei als Grundlage einer erneuten Prüfung eines Abschiebestopps auf Landesebene. Im Mai sollte die Delegation in die Türkei fahren. Wenige Wochen vor dem geplanten Termin wurde die Reise seitens der türkischen Regierung abgesagt - aus Termingründen.

Angriffe der Kirchenleitung

Die Gruppe der Flüchtlinge war inzwischen auf rund 130 Menschen angewachsen. Die Notwendigkeit einer konkreten Lösung brachte die Idee auf, ein Hearing zur Menschenrechtssituation in der Türkei und der Asylpraxis in der Bundesrepublik könne den gleichen Effekt haben. Gemeindevertreter bemühten sich intensiv um eine Einbeziehung möglichst vieler Kirchenkreisen der vor allem beteiligten Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) und der leitenden Organe der Landeskirche. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden parlamentarischen Sommerpause und der anschließenden Bundestagswahlen schien die Zeit zu drängen. Am 7. Juni fand in der Düsseldorfer Johanneskirche das hochkarätig besetzte Hearing statt.

In der abschließend verabschiedeten "Düsseldorfer Erklärung" wurde mit Unterstützung von rund 2/3 aller Kirchenkreise der EKiR (die einen Teil von NRW, Rheinland-Pfalz und das Saarland umfaßt) ein Abschiebestopp von KurdInnen in die Türkei gefordert.

Nur drei Tage später ließ die Landeskirchenleitung eine Bombe platzen. Die Superintendenten, die die "Düsseldorfer Erklärung" verantwortlich unterschrieben hatten, und der Landeskirchenrat Jörn-Erik Gutheil zeigten sich dafür verantwortlich. Sie stellte in einem gemeinsam unterzeichnenden Papier fest, daß die Forderung nach Abschiebestopp nicht durchsetzbar sei. Die einzig realistische Lösung seien Verhandlungen mit der Landesregierung über erneute Einzelfallprüfungen der ursprünglich in NRW gemeldeten Flüchtlinge. Gespräche darüber sollten von den Unterzeichnern mit der Landesregierung geführt werden. Das bedeutete de facto nichts anderes als die Freigabe der Flüchtlinge zur Abschiebung, deren letzte Meldeadresse nicht in NRW lag.

In teils quälenden Diskussionen unter allen Beteiligten wurde dieses Vorgehen schließlich zurückgewiesen und ergebnisoffene Verhandlungen unter Beteiligung von Vertretern durchgesetzt, die das Vertrauen der Flüchtlinge haben. Indes kam es in den kommenden Monaten immer wieder zu Verhaftungen einzelner TeilnehmerInnen an der Aktion.

Ende August demonstrierten dreihundert Menschen, darunter fast alle illegalisierten Flüchtlinge und zahlreiche Gemeindevertreter vor dem Frauenabschiebegefängnis in Neuss gegen die drohende Abschiebung von Fatma Muratdag. Über 100 Menschen besetzten die Landeszentrale der Grünen, um gegen die Abschiebung von Salman Dönekli zu protestieren. Immer wieder konnten die Abschiebungen mit einer Kombination aus politischem Protest und intensiver Arbeit von AnwältInnen gestoppt werden. Mit einer Kundgebung vor der Landeszentrale der SPD und in einem Gespräch mit dem Landesgeschäftsführer wurde der Anspruch auf eine politische Lösung des Problems unterstrichen.

Von Kanther zu Schilly

Der rot-grüne Sieg bei den Bundestagswahlen schien zumindest den politischen Spielraum zu erweitern. War in den Monaten des Wahlkampfes klar, daß kein politisch verantwortlicher Sozialdemokrat sich allzuweit vorwagen würde, ist vor dem Hintergrund einer fast unangefochtenen Hegemonie auf Landes- und Bundesebene eine solche Ausrede entfallen. Schon bei den Koalitionsverhandlungen und bei der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen waren Mitglieder der Kampagne und Flüchtlinge mit öffentlichem Protest präsent.

Auf Landesebene wurden die Gespräche mit dem Innenministerium schließlich Anfang Januar von Landeskirchenrat Gutheil für gescheitert erklärt. Das Innenministerium scheint - ebenso wie die Landeskirche - auf ein Aushungern der Aktion zu setzen. Sie werden in den nächsten Wochen und Monaten begreifen müssen, daß diese Option ins Leere läuft. Die Protestaktion Wanderkirchenasyl geht weiter - drohenden Abschiebungen und einer Politik, die sich aus jeglicher Entscheidungsverantwortung verabschiedet und sich hinter selbstgeschaffenen "Sachzwängen" verschanzt hat - zum Trotz.

Und sie wächst weiter. Am 27. November haben - mit Unterstützung zahlreicher örtlicher Initiativen - 27 kurdische Flüchtlinge Zuflucht in der evangelischen Gemarker Kirche in Wuppertal-Barmen gesucht. Gemeinde und Kirchenleitung reagierten mit Betroffenheit und der Bitte die "Besetzung" der Kirche zu beenden sowie dem bekannten Angebot erneuter Einzelfallprüfungen. Aber bis heute haben die KurdInnen Schutz vor Abschiebung gefunden und weitere Gemeinden haben ihre Aufnahme angeboten.

Innerkirchlich freilich ist der Streit eskaliert. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche hat beschlossen, die von ihr wesentlich finanzierte Stelle der NRW-AG, deren Geschäftsführer aktiv an der Organisation des Wanderkirchenasyls beteiligt war, ab Ende März nicht zu verlängern.

Lange schien die Protestaktion kaum Gegner zu haben. Das hat sich geändert. Aber die Zahl der Unterstützer ist weiter erheblich. Den illegalisierten Flüchtlingen bleibt nur der Kampf gegen ihre völlige Entrechtung und die drohende Abschiebung in ein Land, in dem sie mit Verfolgung, Verhaftung, im besten Falle mit materieller Perspektivlosigkeit, im schlimmsten Falle mit Folter, Verschwinden und Mord rechnen müssen. Die Klarheit darüber, aber auch über die politischen Kräfteverhältnisse und ihr Funktionieren, ist auch bei GemeindevertreterInnen in einem Jahr gewachsen. Und damit die Entschlossenheit, diesen Kampf durchzustehen und zu gewinnen. Das Wanderkirchenasyl - soviel steht fest - wird ein politischer Faktor bleiben.

jh (kölner netzwerk)