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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 422 / 21.1.1999

Havarien in stürmischer See

Vor vierzig Jahren floh Batista

Auch wenn die Medien nun seit Jahren schon mit schöner Regelmäßigkeit fürs jeweils kommende Jahr den Sturz Castros prophezeien - ihn selber interessiert das, wie's scheint, wenig, und unbekümmert sagte er am Silvesterabend in Santiago de Cuba den Sturz des Kapitalismus für 1999 voraus.

Das Kuba Fidel Castros, für einige westeuropäische Linke letzter Hoffnungsstrahl in neoliberaler Finsternis, ist vierzig geworden. Genervt von der ewig gleichen Rhetorik die einen, lauschen die anderen hier wie dort andächtig den Worten ihres in die Jahre gekommenen Helden, der laut Selbstauskunft äußerlich nicht mehr ganz genauso ist wie damals, aber innendrin ist er halt ganz der alte.

Was ich an ihm bewundere: Die Selbstverständlichkeit und die Ruhe, mit der er trotz desolater Wirtschaftslage und allen internationalen Unkenrufen zum Trotz, mit dem ihm eigenen Charme und scheinbar unbekümmert die kubanische Wirklichkeit als Geschichte permanenten Fortschritts im Kampf David gegen Goliath erzählt. Was ich zwar nicht gerade bewundere, aber immerhin doch bemerkenswert finde, ist die Kontinuität bestimmter Linker hierzulande, die treu und politisch unbesorgt ohne großes Zaudern wiederholen, was der máximo lider kundtut und dabei allenfalls ehrfürchtig schmunzeln, oft aber ohne eine Miene zu verziehen die rosarote Geschichtsschreibung übernehmen: International hat Kuba im vergangenen Jahr "endgültig den Durchbruch erzielt", weiß etwa die junge Welt, denn "nie waren die USA so isoliert". Und: " Die Wiederbelebung unserer Wirtschaft ist unumkehrbar", wird der kubanische Wirtschaftsminister Rodriguez zitiert. Und nicht wenige in der hiesigen Solidaritätsbewegung können die Ursachen für alle Sorgen der KubanerInnen mit dem Stichwort "US-Embargo" kurz und bündig auf den Punkt bringen. Wohl dem, dessen Weltbild widerspruchsfrei zusammenhält.

Klar, es trifft zu, daß der Zusammenbruch der Sowjetunion und die ewige Präsenz des nordamerikanischen Imperialismus eine eigenständige Entwicklung des kubanischen Sozialismus verunmöglicht. Trotzdem ist das eben nicht die ganze Wahrheit. Entscheidend für die Glaubwürdigkeit des kubanischen Modells in- und außerhalb von Kuba ist das, was jenseits von Heldenepen den Alltag bestimmt. Zumal für die große Mehrheit der kubanischen Bevölkerung diese Epen eben nicht mehr sind als Geschichte: Nur ein kleiner Teil kann sich an die Revolution von 1959 noch bewußt erinnern; für die meisten ist die revolutionäre Errungenschaft Bildung-und-Gesundheit-für-alle Selbstverständlichkeit, die sich nicht unbedingt mit Mangel und kleiner wie großer Korruption so verrechnen läßt, daß unterm Strich auf jeden Fall Sozialismus oder Tod herauskommt.

Und jenseits von revolutionärer Verklärung ist der Tourismus beispielsweise dann nicht nur hoffnungsspendende Wachstumsbranche im Kampf gegen die Armut, sondern auch Motor eines schrittweisen Ausverkaufs. Prostitution ist dann auch nicht einfach das Problem individuellen Sittenverfalls, wie man es von offizieller Seite hin und wieder zu hören bekommt, sondern die logische Begleiterscheinung dieses Ausverkaufs, bei dem - gewollt oder nicht - die Vermarktung von Frauen, Kindern und Jugendlichen wichtige Devisenbringerin ist. Die Legalisierung des Dollars ist dann nicht nur die unvermeidliche Antwort auf die Auswirkungen des US-Embargos, sondern auch die Festschreibung einer de-facto-Zwei- bzw. Drei- (zählt man die Funktionäre hinzu) bzw. Vier-Klassengesellschaft (zählt man die Touristen hinzu). Aber die öffentliche Auseinandersetzung, die durchaus die Glaubwürdigkeit der Regierung stärken könnte, findet nicht statt. Die Teile der politischen Opposition, die nicht Handlanger der Miami-KubanerInnen sind, sondern Veränderungen innerhalb des Systems wollen, haben nach wie vor praktisch keine politischen Spielräume auf Kuba.

Diese offensichtlichen Widersprüche werden weder von offizieller Seite in Kuba noch von den Getreuen hier offen benannt. Und noch ist das vielleicht auch nicht nötig. Noch synthetisiert die außergewöhnliche Persönlichkeit Fidel Castros all diese Antagonismen. Wie tief sie sich tatsächlich in die kubanische Gesellschaft eingeschrieben haben, wird sich erst nach dem Tod von Fidel zeigen. Dann allerdings wird's ernst. Ob die kubanische Führung es schaffen wird, das anschließend entstehende Machtvakuum zu füllen oder es sogar zu nutzen für eine Öffnung nach innen, ist fraglich. Ob sie überhaupt einen Übergang zum Kapitalismus neoliberaler Machart nach nicaraguanischem oder salvadorianischen Modell verhindern kann, ist ebenfalls offen.

Noch fraglicher aber ist, wann der Eintritt dieser Situation zu erwarten ist. Nachdem diverse Attentatsversuche, so erzählt man sich zumindest, und die permanenten Zersetzungsversuche des Imperialismus dem Phänomen Fidel nichts anhaben konnten und er selber offenbar nicht gewillt ist, in naher Zukunft den Löffel abzugeben (und wünschen wollen wir es ihm ja auch nicht), wer weiß, vielleicht steuert er ja noch 40 Jahre länger "das kubanische Schiff ohne todbringende Havarien durch stürmische See, heimtückische Untiefen und vorbei an gefährlichen Klippen" (junge Welt). Genau.

efa