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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 423 / 18.2.1999

Brief an einen Leser

Betr.: Walser und die "Traditionslinke"

Du liebe Güte, Tjark Kunstreich!

Das war aber ziemlich schwach, was Du Dir in konkret (2/99) zwecks Abgrenzung von ak ausgedacht hast. Eigentlich willst Du es der PDS und dem Neuen Deutschland mal so richtig zeigen - den Einstieg aber muß unbedingt mein Artikel "Sonntagsrede mit Folgen" (ak 421) liefern, und zu allem Überfluß steht das alles unter der Überschrift "Business as usual" und dem Vorspann "Stimmenthaltung oder Zustimmung: Das Gros der deutschen Traditionslinken hat in der Auseinandersetzung mit Martin Walser versagt". Im Wortlaut:

"Nicht daß es an kritischen Artikeln mangelte - nur haben die Linken Probleme mit dem, was die Zeitschrift ,Analyse und Kritik` (,AK`) ,Symbolpolitik` nennt. Immerhin ist dem ,AK`-Autor aufgefallen, daß die Grünen schweigen, weil sie entweder jede Eigenständigkeit schon verloren haben oder weil eben jene ,Symbolpolitik` einen so großen Stellenwert hat, daß die - unterstellte - Ablehnung von Walsers Normalisierungssehnsucht das rot-grüne Projekt gefährden könnte. Was aber der Anfang eines Artikels hätte sein müssen, ist schon sein Ende; und das zwei Monate nach Walsers Rede. Auf die Idee, daß es sich hier keineswegs um eine der üblichen Geschichtsdebatten handelt, kommt der ,AK`-Autor nicht, und das Verhalten der PDS zu Walser ist in diesem der Partei eng verbundenen Blatt selbstverständlich auch kein Thema."

Ich verspreche, mich zu bessern und künftig Direktiven einzuholen, was Thema und Anfang meiner Artikel sein "muß". Unterdessen ist die Geschichte vorangeschritten, am 21. Januar erschien ak 422 mit dem Artikel "Täter, Opfer, Anstifter. Keine Versöhnung in der Walser-Bubis-Kontroverse". Dort wird auch ausgiebig und zustimmend Wolfgang Benz zitiert, der den scheinbar paradoxen Umstand thematisiert, daß die neue rot-grüne Regierung in Sachen Schlußstrich rigoroser vorgeht als ihre Vorgängerin.

Die Methode, andere sprechen zu lassen, die es besser können, wird auch in dieser ak-Ausgabe fortgesetzt; siehe meinen Artikel zur Debatte um das Berliner Mahnmal, in dem Micha Brumlik ausführlich zu Wort kommt. Brumlik, der (ebenfalls in konkret 2/99) Walsers Antisemitismus entschlüsselt hat, ist im übrigen ein äußerst vielseitiger Autor. In der taz vom 1.2.1999 kommentiert er die Unterwerfung der Schröder-Regierung unter die Wünsche der Atomindustrie. Titel des treffenden Kommentars: "Die Wirklichkeit ist schlimmer als der Vulgärmarxismus. Zivilgesellschaftlicher Stamokap." Für Leute, die sich mit derart abseitigen Themen befassen, hast Du nur Verachtung übrig: "Statt über Schröders ,erwachsene Nation` und ihren geistigen Vater Walser, über die kollektive Ablehnung eines Denkmals für die ermordeten Juden durch die in die Jahre gekommene Neue Linke und das neue außenpolitische Selbstbewußtsein der Berliner Republik, diskutiert man lieber über Atomausstieg (Hervorhebung ak) oder die angebliche Wiederkehr des Keynesianismus."

Du hast es nicht leicht - nicht nur ak-, selbst konkret-Autoren müssen erst noch von Dir angeleitet werden, welchen Themen sie sich zu widmen haben und welche sie meiden müssen, um nicht vom Wesentlichen abzulenken.

Auf Deinen nächsten Artikel (warum nicht mal wieder in ak?) freut sich

Js.

P.S. Jüngere Genossinnen und Genossen aus der ak-Redaktion drängen mich, noch einmal zu erklären, daß ak von der PDS in jeder Beziehung unabhängig ist. Ob dieses Dementi (das wievielte in gleicher Sache?) etwas bewirkt, bezweifle ich. Manche Vorurteile sind einfach nicht auszuräumen.