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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 423 / 18.2.1999

Prekarisierung in den Fabrikhallen

SILS-Verfahren bei Opel-Bochum

Am 16. 11. 1998 hat die Opel-Werksleitung in Bochum dem Betriebsrat aktuelle Pläne zum Arbeitsplatzabbau vorgelegt. Insgesamt sollen über 200 Arbeitsplätze verschwinden. Neben der Verschiebung von 108 Arbeitsplätzen in andere Opelwerke will Opel-Bochum noch in diesem Winter mit der ersten Stufe der taktgenauen Anlieferung bestimmter vormontierter Module durch Fremdfirmen - etwa Kühler oder Tür-Innenverkleidungen - nach dem SILS-Verfahren beginnen. 80 Arbeitsplätze von behinderten oder "leistungsgeminderten" Beschäftigten werden damit vernichtet.

Wörtlich bedeutet SILS "Supply-in-Line-Sequence". Irgendeine Firma liefert Teile für die Fertigung vormontiert und vorsortiert alle ein bis zwei Stunden bei Opel an. Kurze Zeit später bringen Fahrer die Teile zur Einbaustelle an die Linie. Die Anlieferung der Module erfolgt so in der Band-Folge, gemäß der gerade aktuellen Anforderung in der Produktion.

Daß Opel jetzt immer mehr SILS-Aufträge an Fremdfirmen vergibt, hat mit einer neuen Strategie der Autokonzerne zu tun, was zwei Beispiele deutlich machen. 1. Beispiel: Opel-GM/Vauxhall in Ellesmereport, England. Neben der Autofabrik gibt es seit März 1998 die Firma Delphi Chassis-Systeme mit einem "SILS-Center" mit 200 Beschäftigten. "Wir liefern GM/Vauxhall den Komplett-Service, liefern Komponenten, Module und übernehmen die Lagerhaltung, 33 verschiedene Produktgruppen mit über 600 Teilenummern. Wir montieren die Module und liefern sie taktgenau an, aufgrund 10 Tage vorher an uns geschickter Information." (Delphi-Info, Nr. 5, 1998)

2. Beispiel: Die Produktion des "Smart" im Mercedes-Werk Hambach, Lothringen. Von 2.000 Beschäftigten sind nur noch ein Drittel direkt bei Mercedes beschäftigt. Der Rest gehört zu sechs bis sieben Zulieferfirmen, die direkt um das Werk herum aufgebaut worden sind. Diese Firmen liefern ganze Bausätze, Module und Systeme taktgerecht an Mercedes, und bauen sie zum Teil noch selber ein. Unter Bezugnahme auf dieses Beispiel erklärte Opel-Vorstand W. Strinz den Bochumer Betriebsräten Anfang September 1998: "Das ist die Zukunft der Autohersteller. Ein kleines Werk mit wenig Leuten, drumherum ein Industriepark oder Business-Park mit den verschiedensten Lieferanten-Firmen."

Die Ziele diese Strategie liegen auf der Hand: Die Automobilkonzerne ziehen sich so weit wie möglich aus der unmittelbaren Produktion zurück bzw. verlagern deren Kosten und Risiken auf andere Firmen. Kosten und Risiken heißt dabei insbesondere Lohnkosten und/oder renitentes Verhalten der Beschäftigten. Flexibilität des eingesetzten Kapitals ist die Devise: keine Bindung in teuren Anlagen oder großen Belegschaften; fünf bis sechs Jahre die Profite aus einem bestimmten, für den Weltmarkt entwickelten und gewinnkalkuliertem Fahrzeug, anschließend freie Hand für neue und andere Kapitalanlagen. Was danach mit den Zulieferern und ihren Belegschaften passiert, ist deren Sache.

Mit der Einführung von SILS holt Opel Bochum eine Entwicklung nach, die in anderen Werken schon weiter vorangeschritten ist. Die Fremdvergabe des Kühlermoduls (betroffen sind 25 Arbeitsplätze) hat der Personaldirektor offen damit begründet, daß andere Opel Werke schon längst keinen Kühlerbau mehr hätten.

Die Opel-Belegschaft hatte bereits Ende August 1998 eindeutig reagiert, als Opel die Auslagerung der gesamten Werkslogistik mit über 700 Jobs in eine eigene GmbH ankündigte: (vgl. ak 419) ein klares NEIN der Vertrauensleute und die ultimative Aufforderung an das Management, die Pläne vom Tisch zu nehmen. Und auch der Betriebsrat hatte damals noch geschrieben: "Die bisherigen Erklärungen der Bochumer Geschäftsleitung, bei Realisierung einer Logistik GmbH den sozialen Besitzstand dieser Mitarbeiter zu sichern, kann uns schon deshalb nicht befriedigen, da neu eingestellte Mitarbeiter zu deutlich schlechteren Lohn/Gehaltsbedingungen die Arbeit aufnehmen."

Um so größer war dann die Empörung bei einem Teil der Betriebsräte und Vertrauensleute, als im September 1998 ein Betriebsratsmitglied im Namen des gesamten BR dem Management brieflich ein SILS-Center extern (für neu Einzustellende) zu Metalltarif-Löhnen und ein Opel-eigenes SILS-Center für bisherige Opel-Beschäftigte vorschlug. Damit wäre der Weg offen gewesen für zweierlei Lohn-Niveaus, denn niemand meint ernsthaft, der Betriebsrat könne Opel zwingen, bisher untertariflich bezahlten Fremdfirmen-Arbeitern zumindest Tariflöhnen zu zahlen. Hinzu kommt, daß im Rahmen einer Betriebsvereinbarung Opel-Beschäftigte bei Ausgliederungen sogar gezwungen werden könnten, in die neue Firma zu wechseln.

Mittlerweile lehnt der Betriebsrat Ausgliederungen in GmbHs offiziell ab, erklärt aber gleichzeitig jegliche Gegenwehr für illusorisch. Die oppositionellen Opel-Beschäftigten der Standorte-Gruppe kritisieren in diesem Zusammenhang aber auch die IG Metall. Deren Vorstand vertreibt seit 1997 eine "Handlungshilfe für Betriebsräte". Darin heißt es: "Außerdem müssen die eigenen Potentiale besser genutzt werden: Es darf nichts geben, was wir nicht besser als externe Anbieter können. Wo andere unsere Leistung übertreffen, müssen wir selbst noch besser werden." Kommentar der Standorte-Gruppe: "Da ruft uns die eigene Organisation auf zum Kostensparen und treibt den Konkurrenzkrieg noch mit an! Da lacht das Unternehmerherz."

Die kritischen Opelianer verweisen darauf, daß traditionelle gewerkschaftliche Antworten wie etwa die Arbeitszeitverkürzung den neuen Konzepten der Produktionsorganisation kaum noch beikommen (sofern sie denn überhaupt noch vertreten werden). Sie fordern statt dessen praktischen Widerstand gegen Auslagerungen und Deregulierung in den Fabriken: "Außer NEIN sagen muß man zur gewerkschaftlichen Gegenwehr mobilisieren! In Wahrheit sagen unsere Kollegen Co-Manager und ,Wettbewerbsfähigkeit'-Strategen schon wieder ein halbes JA zu den GmbH -Ausgründungen. ,Sozialverträgliche Lösungen' werden da angekündigt, sprich Arbeitsplatzvernichtung durch Vorruhestand und Abfindungen ohne Personalausgleich. Das mag ja für die ausscheidenden Kolleginnen und Kollegen im Einzelfall akzeptabel, also individuell verträglich sein, für die gesamte Gesellschaft, also ,sozialverträglich' sind solche ,Lösungen' nicht, im Gegenteil! Übrigens: in Eisenach haben 45 Kollegen aus der Werkslogistik die Auslagerung verhindert, durch zwei kurze Streiks und zwei Wochen Dienst nach Vorschrift, wodurch 400 Autos weniger produziert wurden." (Standorte, Belegschaftszeitung GM/Opel Bochum, Dezember 1998)

dk.

(Quelle: Standorte, Belegschaftszeitung GM/Opel Bochum, Dezember 1998)