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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 423 / 18.2.1999

Tolmein enthüllt:

Friedensbewegung war deutschnational

Mit seinem Beitrag "Saddam muß nicht mehr Hitler sein" in der Jungle World vom 23.12.98 liefert Oliver Tolmein ein Kleinod "antinationaler" Geschichtsklitterung. Da es in "antinationaler" Weltsicht in Deutschland keine (links-)oppositionellen, progressiven, herrschaftskritischen, gar widerständigen Massenbewegungen geben darf (weil das ja mit dem ewigen deutschen Volkscharakter unvereinbar ist), kann die Friedensbewegung, die in den achtziger Jahren hunderttausende, ja Millionen Menschen auf die Straße brachte, eine derartige Bewegung nicht gewesen sein, handelte es sich bei diesen Millionen doch um - horribile dictu - Deutsche! Und so "beweist" Tolmein denn, daß die Friedensbewegung "keine oppositionelle Kraft" gewesen sei, im Gegenteil: Charakteristisch sei "die antiamerikanische und deutschnationale Prägung großer Teile der Friedensbewegung" gewesen. Sie habe in der "selbstmitleidigen Erinnerung an die antinazistischen Bombardements der Alliierten auf Dresden und Hamburg" geschwelgt, die "bundesrepublikanische(...) Nachkriegshistorie als Opfergeschichte einer vom US-Imperialismus unterdrückten Nation" interpretiert und sei "dann besonders erfolgreich" gewesen, "wenn sie in Flugblättern und mit Aktionen gegen die USA als "Besatzungsmacht" agitierte und die nationale Souveränität Deutschlands zum politischen Tagesziel erklärte".

Wo hat der gute Mann das bloß her? In der Zeit, auf die sich Tolmein mit letztzitierten Aussagen bezieht (die "frühen achtziger" Jahre); erklärte kein Schwein in der Friedensbewegung "die nationale Souveränität Deutschlands zum politischen Tagesziel". Es gab zwar das eine oder andere verschrobene Grüppchen (deren Mitglieder waren oft aus der "vaterländischen" KPD/A-Null hervorgegangen), die den Kampf gegen Atomraketen und für Frieden mit der Lösung der "nationalen Frage" (im Sinne einer "Konföderation" beider deutscher Staaten oder ähnlichem Humbug) verbinden wollten; und es gab bei den GRÜNEN den einen oder die andere, der oder die einen "Friedensvertrag mit Deutschland" als friedenspolitisches Allheilmittel propagierten. Aber selbst diese - in der Gesamtbewegung absolut randständigen - KuriositätenhändlerInnen vertraten ihre Konzeptionen nicht als "politische Tagesziele", sondern allenfalls als langfristig anzustrebende Fernziele.

Der "mainstream" der damaligen Bewegung aber war ganz eindeutig geprägt vom DKP- und linkssozialdemokratischen sowie christlichen Spektrum. Und dessen Hauptanliegen war der Kampf gegen die sog. atomare Nachrüstung, gegen die Stationierung von neuen Mittelstreckenraketen in der Bundesrepublik und anderen europäischen Staaten. Gegen deutschnationale Anwandlungen waren Jusos, DKP und Co. schon deswegen (weitgehend) gefeit, weil für sie die deutsche Zweistaatlichkeit unhintergehbare (und so gewollte und begrüßte) politische Realität war und sich ihr Kampf gerade gegen die Bedrohung der DDR, der UdSSR und der anderen Staaten des "realsozialistischen" Lagers durch die NATO-Raketen und die NATO-Militärstrategie richtete. In diesem Kontext wurde die BRD auch nicht als vom US-Imperialismus besetztes Land gesehen, sondern als der wichtigste militärische Verbündete der USA bei der Drohpolitik der NATO gegen das Lager der "friedliebenden Sowjetunion".

Herausgefordert wurde die hegemoniale Rolle des DKP-Spektrums in der Friedensbewegung nicht von der Handvoll oben beschriebener Exoten, sondern von der sog. "unabhängigen" Friedensbewegung, also autonomen, kommunistischen, linkschristlichen, anarchistischen und menschenrechtlich orientierten Gruppierungen - und den damals jungen, radikalpazifistischen Grünen. Diese kritisierten das DKP-Spektrum vor allem wegen dessen Versuchen, die Bewegung auf den einen Punkt "Kampf gegen die Nachrüstung" zu beschränken. Daß die aus der unabhängigen Bewegung heraus aufgestellten Forderungen nach Austritt aus der NATO oder "Zerschlagung" der NATO oder auch nach Schaffung einer "atomwaffenfreien Zone von Polen bis Portugal" oder nach radikaler einseitiger Abrüstung deutschnational waren, dürfte schwer zu belegen sein. (Die Realos bei den Grünen haben das übrigens später versucht: Im Kampf gegen die innerparteilichen GegnerInnen denunzierten sie die NATO-Austritts- bzw. NATO-Auflösungs-Forderung als antiamerikanisch und deutschnational, um ihren Anpassungskurs an herrschende Sicherheitspolitik zu rechtfertigen. Tolmein befindet sich hier also in guter (?) Gesellschaft mit unserem derzeitigen Außenminister.).

Selbstverständlich hat es in der seinerzeitigen Friedensbewegung auch deutschnationale - seinerzeit im "nationalneutralistischen" oder "linksnationalistischen" Gewand daherkommende - Positionen gegeben. Nicht von ungefähr war Alfred Mechtersheimer, der heute am rechtsextremistischen Rand angekommen ist, eine nicht unbedeutende Figur in der Friedensbewegung der 80er Jahre. Aber diese Leute waren in der Bewegung stets Außenseiter, ihre Positionen nachträglich zu denen "der" Friedensbewegung (oder auch nur der "Mehrheit" oder einer "relevanten Minderheit" in der Bewegung) hochzuschreiben, tut ihnen zu viel der Ehre - und hat mit den historischen Tatsachen nichts zu tun. Selbstverständlich war "die" Friedensbewegung keine rundum linksoppositionelle, progressive, herrschaftskritische, gar widerständige soziale Kraft, sondern - wie es bei sozialen Massenbewegungen wohl meistens der Fall ist - in sich widersprüchlich, auch halbherzig und verschwommen. Doch "hauptseitig" gehört sie - um es pathetisch auszudrücken - zum Schatz der positiven historischen Erfahrungen der deutschen (!) sozialen Bewegungen. Viele Menschen (Deutsche!) haben in ihr politische und soziale Lernprozesse gemacht, an die auch künftig angeknüpft werden kann.

Tolmein sieht das ganz anders. Seine Friedensbewegungs-Schelte gipfelt in dem Vorwurf, sie habe - als deutschnationale Bewegung eben - "dazu beigetragen, daß Deutschland zu dem wurde, was es heute ist: Ein zunehmend selbstbewußter, aggressiver Staat, der für künftige Machtkämpfe keine Einschränkungen mehr hinnehmen möchte"; mittlerweile sei die Friedensbewegung "im gesellschaftlichen Mainstream aufgegangen". So hätte es herrschende Politik sicher gern. Aber Tatsache ist: Auch heute gibt es (immer noch, schon wieder) zahlreiche Gruppen und viele Menschen (Deutsche!!), die versuchen, Politik genau gegen diesen zunehmend selbstbewußten, aggressiven Staat Deutschland zu machen. Und diese Leute reden von sich selber als: Friedensbewegung. Aber so etwas darf es im "antinationalen" Universum ja nicht geben...

Schade - Oliver Tolmein ist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Als Historiker der Friedensbewegung ist er allerdings mit Vorsicht zu genießen.

Vo