Entsorgungs-Rückstellungen:
Strahlende Geschäfte
In ak haben wir aufgezeigt, wieviel Geld die Atomwirtschaft durch die steuerfreien Rückstellungen für die Entsorgung angesammelt hat. Die Darstellung, daß die neue Bundesregierung diese Rückstellungen trotz vorhergehender Diskussionen nicht anrühren will, trifft nicht zu. Still und leise und fast unbemerkt auch von grünen Atomexperten haben sich die Finanzleute ans Werk gemacht. Im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes hat die Bundesregierung nun im Bundestag die Änderungen beschlossen, die den Unternehmen richtig weh tun dürften. Die abschließende Lesung im Bundesrat steht noch aus. Nicht von ungefähr haben die Unternehmen scharf reagiert und angedroht, ins Ausland abzuwandern. Was sich ändern soll, wird im folgenden dargestellt. Anschließend soll aufgezeigt werden, was die Atomkonzerne mit den Entsorgungsrückstellungen bislang angestellt haben bzw. anstellen.
Bis 1996 haben die Energieversorger insgesamt rund 55 Milliarden DM an Rückstellungen für die atomare Entsorgung und den Abriß der Atommeiler gebildet. Da es keinerlei Auflagen für die Verwendung dieser Gelder gibt, konnten die Unternehmen je nach strategischen Absichten schalten und walten.
(Vorbehalt: Ob das Folgende noch stimmt, wenn ak erscheint, ist angesichts dieser Regierung nicht zu gewährleisten.) Bislang wurden die Rückstellungen für den Abriß der Atomkraftwerke in einem Zeitraum von 19 Jahren gebildet. Dieser Zeitraum wird jetzt auf 25 Jahre neu festgesetzt. Die Folge dieser neuen Regelung ist, daß die jährlichen Raten für die Rückstellungen reduziert werden müssen. Die gebildeten Rückstellungen müssen daher rückwirkend abgesenkt und als Gewinne ausgeschüttet werden. Auf diese nachträgliche Gewinnausschüttung werden Steuern erhoben. Die Finanzbehörden gehen davon aus, daß dies zu Mehreinnahmen in Höhe von 10 Milliarden führen wird. Für die Unternehmen bedeutet das, daß sich die verfügbaren Finanzmittel deutlich reduzieren.
Die zweite Änderung betrifft die Verzinsung dieser Rückstellungen. Bislang war es den Unternehmen erlaubt, daß sie die Zinsen aus den Entsorgungsrückstellungen vollkommen frei einsetzen konnten. Die neue Rechtslage führt dazu, daß die Zinsen aus den Rückstellungen diesen wieder zugeführt werden müssen. Vorteil dieser Regelung ist, daß die jährlichen Rückstellungsraten nochmals reduziert werden. Damit entzieht die Bundesregierung den Atomkonzernen (und den Versicherungen) zwei der wichtigsten Vorteile. Warum die AKW-Betreiber angesichts dieser neuen gesetzlichen Regelung aufjaulten und mit einer albernen Abwanderung ins Ausland drohten, liegt auf der Hand. Eines der wichtigsten Instrumente, das ihnen den Weg in neue Industriebereiche ohne jede finanziellen Schwierigkeiten eröffnete, ist nun passé. Einen Schritt aber hat die rot-grüne Bundesregierung unterlassen. Die Überführung der Rückstellungen in einen (öffentlich-rechtlichen) Fonds, wie es vor den Bundestagswahlen diskutiert wurde, und der den Atomkonzernen insgesamt die Verfügungsgewalt über die Rückstellungen entzogen hätte, ist bislang nicht vorgesehen (sollte ich mich hier erneut irren, würde ich das sehr begrüßen). Was die Unternehmen bislang mit dem Kapital gemacht haben, darum soll es nun gehen:
Kaufen, was das Zeug hält
Die Atomkonzerne haben in den letzten 15 Jahren massiv in andere Märkte eingegriffen und sich neue Perspektiven geschaffen. Finanziert wurde diese massive Expansion durch die Rückstellungen für die Entsorgung und die daraus resultierenden Zinsen. Vor allem zwei Bereiche sind es, in denen die Atombranche inzwischen fast ebenso starke Monopolstellungen in bestimmten Regionen entwickelt hat, wie es im Energiesektor bereits der Fall ist: in der Abfallwirtschaft und bald auch in der Telekommunikation. Übersehen werden darf jedoch nicht, daß die Atomkonzerne zunächst ihre Stellung in der Energieversorgung noch weiter ausgebaut haben.
Vertikales
Innerhalb der Stromwirtschaft ging es vor allem um den verstärkten Einfluß auf Stadtwerke und Regionalversorger. Die Krise in den öffentlichen Haushalten hat hier zu einer deutlichen Stärkung der großen Atomstromer geführt. Die Notverkäufe vieler Stadtwerke (z.B. in Bremen, die Berliner Bewag etc.) durch die Kommunen lieferten den großen Energieversorgungsunternehmen (EVU) neue Kunden. Sie erhielten die Kontrolle über örtliche Verteilernetze, kamen direkt an die Kunden heran und konnten die lästige Konkurrenz regionaler oder örtlicher Stromerzeugungsanlagen beseitigen. Schon seit Jahrzehnten hatten sie diese Konkurrenz durch Dumpingpreise zu unterlaufen versucht, boten Stadtwerken Stromlieferverträge zu Niedrigstpreisen an, um ihre eigenen Großkraftwerke auslasten zu können. Gleichzeitig machten sie die örtlichen Versorgungsunternehmen von ihren Lieferungen abhängig.
Mit dem Anschluß der DDR stiegen PreussenElektra, HEW, Bayernwerke, RWE, VEBA und Co dort voll ein. Zwar besitzen sie nicht immer eine Mehrheitsbeteiligung an den lokalen Versorgern, aber das ist auch meist nicht nötig. Neben der Kontrolle des östlichen Verbundnetzes sind sie häufig auch Stromlieferanten der Stadtwerke bzw. Regionalversorger. Damit bestimmen sie die Politik. Parallel zu dieser Entwicklung haben die EVUs ihren Einfluß in der Gaswirtschaft ausgeweitet. Regional war dies ohne Probleme möglich, da Stadtwerke häufig auch die Gasversorgung betrieben. Doch auch bei den großen Gaslieferanten und -verteiler kauften sie sich ein.
Horizontales I - Der Müll
In eine völlig neue Branche stiegen die Atomkonzerne seit Mitte der 80er Jahre ein: die Abfallwirtschaft.
Den Anfang machte der Bau und Betrieb bzw. die Übernahme von Müllverbrennungsanlagen für Hausabfälle und die Sonderabfallverbrennung. Inzwischen sind sie auch in den Recyclingbereich eingedrungen.
Beispielhaft hat sich hier die VEBA-Tochter Vereinigte Kraftwerke Ruhr (VKR) engagiert. Zusammen mit den HEW betreiben VKR in Hamburg die Sonderabfallverbrennungsanlage (80 Prozent) und die Müllverbrennungsanlage Borsigstraße. Außerdem hat VKR vor wenigen Jahren die MVA Stapelfeld (östlich von Hamburg) vollständig übernommen. Die gerade im Probebetrieb befindliche neue MVA Rugenberger Damm im Hamburg Hafen wird zu 55 Prozent von HEW betrieben, mit 20 Prozent sind die Überlandwerke Nord Hannover (ÜNH) beteiligt, eine Tochter der PreussenElektra, die eine Tochter der VEBA ist, die wiederum die Mutter von VKR ist. Mit anderen Worten: Die Atomkonzerne VEBA und HEW kontrollieren inzwischen in Norddeutschland fast die gesamte Abfallverbrennung.
Derartige Beteiligungen bringen gutes und vor allem sicheres Geld. Denn angesichts der hohen Kosten für den Bau solcher Anlagen haben die Kommunen kaum eine Möglichkeit, diese aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Daher sind die Kommunen bereit, langfristige und atemberaubende Verträge zu schließen. So ist beispielsweise die Hansestadt Hamburg über 20 Jahre an die MVA Borsigstraße gebunden, ohne jede Möglichkeit, die Verträge zu kündigen. Hinzu kommt, daß sich die Hansestadt verpflichtet hat, jährlich 320.000 Tonnen Hausmüll anzuliefern oder aber zumindest den entsprechenden Preis zu bezahlen. Das hat gravierende Auswirkungen auf die kommunale Abfallpolitik. Denn mit derartigen Knebelverträgen hat es keinen Sinn, Abfallvermeidung zu betreiben. Egal wie groß die Abfallmenge tatsächlich ist, - der Betreiber erhält sein Geld. Für die GebührenzahlerInnen ergibt sich eine geradezu absurde Situation. Wird ordentlich Abfall vermieden, wird Glas und Papier sortiert und verwertet, Kompost getrennt und das Duale System genutzt, dann ist zwar kaum noch Müll in der Tonne. Die Kosten für den Gebührenzahler bleiben jedoch gleich, da trotzdem der volle Preis für die Kapazität von 320.000 Tonnen Abfall bezahlt werden muß.
So wandert das über die Rückstellungen für den Atommüll angesammelte und von den StromzahlerInnen kassierte Geld der Atomkonzerne in Müllverbrennungsanlagen und wird hier vergoldet.
Horizontales II - Telekommunikation
Der neueste Investitionsrenner ist die Telekommunikation. Dabei stehen die EVU nicht nur wegen ihrer hohen Liquidität gut da. Sie verfügen auch noch neben der Bundesbahn und den Städten über eigene Kabelnetze. Sowohl über die Hochspannungsnetze der Verbundebene, die ganz Europa abdecken, als auch mit den städtischen Verteilernetzen besitzen die Atomkonzerne ein auch für die Telekommunikation ausbaubares Netz. Aufgrund ihrer traditionell engen Bindungen zu den Kommunen als Ver- und inzwischen auch Entsorger ist es den Unternehmen ein leichtes, auch die städtischen Telefonnetze in den Griff zu bekommen.
So ist es kein Wunder, daß die Atomlobby neben der Telekom der einzig ernstzunehmende Konkurrent im Bereich der Telekommunikation ist.
Unter dem Namen HanseNet haben sich die HEW als Regionalanbieter in dieses neue Geschäftsfeld gestürzt. RWE und VEBA haben o.tel.o gegründet, PreussenElektra ist allein beim ebenfalls regionalen Anbieter EWE Tel verantwortlich. Die Bayernwerke sind entweder allein oder mit ihrer Mutter, der VIAG, an zahlreichen regionalen Anbietern in Bayern (Mnet, NEFkom etc.) beteiligt. Bundesweit ist die VIAG Intercom aktiv.
Zwei Beispiele sollen deutlich machen, wie mit Hilfe der Entsorgungsrückstellungen der Einstieg in den Telekommunikationssektor betrieben wird:
Atomstrom am Telefon o.tel.o
RWE ist mit einem Anteil von 37,5 Prozent an der o.tel.o beteiligt. VEBA besitzt weitere 40 Prozent, verwaltet aber zusätzlich auch noch 22,5 Prozent der Anteile treuhänderisch. Zusätzlich zum Festnetzbetrieb ist o.tel.o auch noch mit 60,25 Prozent stärkster Anteilseigner beim Funknetzanbieter e-plus. Betrachten wir nun das Engagement der RWE: Im Geschäftsjahr 1996/97 stellt die RWE Energie AG insgesamt 1,6 Milliarden DM für die Entsorgungsrückstellungen ein. Im selben Jahr erhöhen sich die Forderungen gegen verbundene Unternehmen auf 2,3 Milliarden DM. Dies sind im wesentlichen verzinsliche Forderungen an die Holdinggesellschaft, der RWE AG. In der Bilanz der Holding wiederum ist eine Zunahme der Verbindlichkeiten auf knapp 4 Milliarden DM festzustellen, wovon 2,3 Milliarden von der Tochter RWE Energie AG stammen. In der RWE AG steigen im gleichen Zeitraum die Forderungen gegenüber verbundenen Unternehmen um 3,3 Milliarden DM. Der Grund dieses deutlichen Anstiegs ist die Mittelbereitstellung für das Engagement der o.tel.o. GmbH. Insgesamt investiert der RWE Konzern 1996/97 9,9 Milliarden DM. Der o.tel.o-Anteil beläuft sich dabei auf satte 3,6 Milliarden DM. Dieser enorme Einsatz ist möglich, ohne daß sich die Verbindlichkeiten des Konzerns wesentlich erhöhen. Diese stiegen lediglich um 590 Millionen DM, wobei die Verbindlichkeiten gegenüber Kreditinstituten sogar um 440 Millionen DM verringert werden. Der gesamte finanzielle Bedarf wird also fast vollständig aus dem Cash-Flow gedeckt werden. Der beträgt 9,5 Milliarden DM, 1,6 Milliarden DM machen davon die Zuführungen allein im Geschäftsjahr 96/97 aus.
Dieses Beispiel zeigt überdeutlich, welche Vorteile aus den Rückstellungen entspringen: Zum einen haben die Unternehmen dadurch extrem hohe Finanzmittel zur Verfügung, die sie je nach Bedarf in den Konzernen hin und her schieben können. Und diese Mittel machen teure Bankkredite weitgehend überflüssig oder - falls doch auf sie zurückgegriffen wird, - können diese extrem schnell getilgt werden.
Viel Filz
Einen weiteren entscheidenden Vorteil haben die engen Verbindungen zu Städten und Kommunen. Mit der hundertprozentigen Tochter HanseNet ist die HEW in Hamburg und den umliegenden Landkreisen aktiv. Die Finanzmittel dazu stammen ebenfalls aus den Rückstellungen für die atomare Entsorgung der vier AKWs, an denen HEW beteiligt ist. Mehrheitsaktionär bei HEW ist noch mit 50,2 Prozent der Hamburger Senat, vor kurzem waren es noch über 75 Prozent. Schon dieses Beteiligungsverhältnis macht die enge Verzahnung von HEW und dem Land Hamburg klar. Gleich zweimal verhalf der Senat dem Atomunternehmen zu einem optimalen Einstieg. Im Januar 1997 teilte der Senat in einer Bürgerschaftsdrucksache mit, daß die zuständige Finanzbehörde einen Mietvertrag über die Nutzung des Hamburgischen Telekommunikationsnetzen mit HanseNet abgeschlossen hat. Dieses städtische Netz verbindet die in der ganzen Stadt verteilten Behörden und Verwaltungen, aber auch die Polizei, die Feuerwehren, das gesamte Hafengebiet, die Hochschulen, Teile der Hamburger Stadtreinigung, die Stadtentwässerung und die Krankenhäuser. Mit anderen Worten: ein recht umfangreiches Kommunikationsnetz mit einer Gesamtlänge von 850 Kilometern. Dabei betont der Hamburger Senat, daß es eine internationale öffentliche Ausschreibung gegeben habe, an dessen Ende man sich für die HEW-Tochter entschieden habe. Und damit HEW eine solide Planungsgrundlage hat, wurde der Vertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren ausgestattet.
Doch damit nicht genug. Folgerichtig teilte der Senat Mitte April 1998 dann mit, daß die gesamte Hamburger Verwaltung künftig ihre Orts- und Ferngespräche über HanseNet abwickeln werde. Seit dem 15. September 1998 telefonieren die Hamburger Behörden mit ihren über 80.000 NutzerInnen nun also mit Atomstrom. Der Vertrag hat eine Laufzeit bis zum 31. März 2002 und enthält eine Verlängerungsoption von zweimal 12 Monaten. Auch hier betont der Senat, daß eine europaweite Ausschreibung stattgefunden habe und man sich schließlich für den günstigsten Anbieter, zufällig schon wieder die HEW, entschieden habe.
Offenbar sind die Wege zwischen dem HEW-Vorstand und dem Vorzimmer des ersten Bürgermeisters (SPD) recht kurz sind.
Diese enge Verzahnung mit den politischen Entscheidungsträgern in Stadt und Land erleichtern den Zugriff auf wichtige infrastrukturelle Einrichtungen.
Damit sichern sich die Atomkonzerne derzeit eine der wohl wichtigsten Zukunftsbranchen. Im Zeitalter von Handy und Internet wird dieser Bereich zu einem mehr als milliardenschweren Geschäftsfeld anschwellen. Der Zugriff auf die Datennetze dürfte für die Atomkonzerne über kurz oder lang eine ähnlich zentrale Bedeutung erlangen, wie die Stromerzeugung und -verteilung.
Wer trägt das Risiko?
Da mag es auch nicht sonderlich beruhigen, wenn der derzeit tobende Konkurrenzkampf um Marktanteile die Konzerne arg beutelt und sie derzeit erheblich mehr Verluste einfahren, als gedacht. Fast alle mußten in der Zwischenzeit den Kapitalbedarf nach oben korrigieren und immer klarer wird, daß dauerhaft nur wenige Anbieter das Rennen auch überstehen werden.
Hieraus erwächst möglicherweise auch ein enormes Problem für die Verfügbarkeit der Entsorgungsrückstellungen. Scheitern die auf diesen Kapital beruhenden Telekommunikationspläne einiger Atomkonzerne und können diese die Beteiligungen nicht vernünftig abstoßen, dann könnte es am Ende mit der Bereitstellung der erforderlichen Gelder für den Abriß der Atomanlagen eng werden. Dann dürften die SteuerzahlerInnen sich mit dieser Problematik noch mal intensiver befassen.
DSe