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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 424 / 18.3.1999

Türkei im Siegestaumel

Öcalan-Bilder erinnern an den Deutschen Herbst

Der Seyrok, der Führer einer großen kurdischen Bewegung, ist gefangen auf der Marmara-Insel Imrali. Dort wo 1961 der türkische Präsident Adnan Menderes hingerichtet wurde. Alle 245 Gefangenen und auch das normale Wachpersonal mußten die Insel verlassen. Bewacht wird Abdullah Öcalan nun u.a. von der türkischen Kriegsmarine. Selbst die Baumaterialien für das neue Gefängnis, bzw. den Todestrakt, der hier extra für einen Menschen gebaut werden soll, wird von bewaffneten Kriegsschiffen gebracht. Die Fischer des Küstenortes Mudanya sind durch Öcalan arbeitslos geworden, denn sie dürfen nicht einmal mehr die Füße ins Wasser strecken. Um Apo ist ein kilometerbreiter Cordon sanitaire gelegt.

In der Welt draußen schafften es etliche Tausend seiner Anhänger, daß eben diese tagelang kopfstand. Nie gab es eine ähnliche Protestwelle von KurdInnen in Europa, im Iran, im Irak, in Syrien, im Libanon, in Australien und anderen Ländern. Nicht der Verrat Kissingers an Barzani 1975, nicht der Massenmord in Chalabja 1988, als das irakische Regime mit Gas made by German firms eine Stadt ausradierte, nicht der Mord an dem iranischen Kurdenführer Ghassemlu und zwei Begleitern 1989 in Wien oder an seinem Nachfolger Scharafkandi und drei weiteren Kurden 1992 in Berlin haben kurdische Proteste in einem irgendwie vergleichbaren Maßstab hervorgebracht wie die Entführung Abdullah Öcalans in die Türkei. Auch wenn sich tatsächlich nur eine Minderheit der KurdInnen an diesen Protesten beteiligte, so ist die Verbreitung der Aktionen und die verzweifelte Wut, mit der für einen einzelnen Menschen gekämpft wurde, doch so ziemlich ohne Beispiel.

Auf der anderen Seite blendet die Fokussierung des ganzen Problems auf nur eine einzelne Person alles, was hinter der Verschleppung Öcalans steht, einfach aus. Der ganze Kurdenkrieg schrumpft zur Tat eines einzigen Antimenschen, zur Dämonie des "Babymörders" Apo. Ein Mensch verantwortlich für - je nach Zählung - 30.000, 35.000 oder 40.000 Tote, d.h. auch für die Toten, die unter dem Kommando des Seyrok im Kampf gegen die türkischen Streitkräfte gefallen sind (nach den nicht unbedingt zuverlässigen türkischen Statistiken etwa 15.000 Kämpfer).

Als säße das kurdische Problem an sich auf Imrali gefangen, wird nun festgestellt, daß es sich ja nur um einen Terroristen handelt, welcher sich ganz unversehens als Werkzeug fremder Mächte, d.h. insbesondere einer Macht namens Griechenland herausstellt. Dieser streift, offenbar von Reue oder Angst geplagt, die Maske des "Babymörders" ab und schlüpft in die Rolle des Verteidigers der Türkei. Die Zeitungen wissen aus ungenannten Quellen zu berichten, wie er nach und nach die Feinde des türkischen Staates benennt, seine Anwälte anherrscht, sie sollten protokollieren lassen, daß er weder gefoltert worden sei noch daß Druck auf ihn ausgeübt werde. Schließlich berichtet die einzige englischsprachige Zeitung der Türkei, die Turkish Daily News, noch allen Ernstes, Öcalan habe sich geweigert, sich von Griechenland als Trumpfkarte gebrauchen zu lassen, und deshalb habe der griechische Geheimdienst beschlossen, Öcalan zu ermorden und die Schuld der Türkei zuzuschieben, um Aufstände zu provozieren. Das klingt, als sei Öcalan in der Türkei lediglich in Schutzhaft vor dem bösen Griechenland.

Öcalan wird nun in einem Maß als Trumpfkarte der Türkei benutzt, das ebenso wie die Verehrung seiner Anhänger irrationale Züge trägt. Der Trumpf wird bedenkenlos überreizt. Die Türkei kann doch kaum hoffen, die schwierige politische Diskussion mit Europa durch Verweis auf die Aussagen ihres Stargefangenen einfach umzudrehen. Da mag Staatspräsident Süleyman Demirel noch so laut feststellen, daß Griechenland, dieser "Schurkenstaat", nicht in die "Gemeinschaft der zivilisierten Staaten unserer Epoche" gehört, die EU wird deshalb Griechenland nicht ausschließen und die Türkei aufnehmen. Allenfalls der Wall gegen europäische Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei ist etwas höher geworden. Wirklich beeindrucken lassen hat sich die Türkei von den europäischen Mahnern allerdings noch nie.

Das alles ist nun dem großen Prozeß vorgelagert, der doch ein "fairer Prozeß" werden soll, als könne ein Prozeß, in dem über Mord und Terrorismus geredet wird, aber Außen- und Innenpolitik gemeint sind, je ein "fairer Prozeß" sein. Dafür speziell die türkische Justiz anzuprangern, ist allerdings politisch kurzsichtig. Schließlich gibt es in Deutschland ein Kontaktsperregesetz. Italien hat die Käfighaltung der Angeklagten im Gerichtssaal erfunden, die altehrwürdige britische Justiz ist mit haarsträubenden Methoden gegen angebliche irische Bombenleger vorgegangen. In den USA liebt man die Todesstrafe fast wie das Sternenbanner. Wenn die Türkei mit Öcalan ein erniedrigendes Schauspiel inszeniert, so mag dies viele spezielle Züge tragen, es ist aber nicht um Kategorien schlechter als der internationale Standard bei politischen Prozessen.

Sowohl das Gerede vom "fairen Prozeß" als auch ein Insistieren auf einem unfairen Prozeßverlauf lenkt von einer politischen Bewertung ab. Zwischen Überheblichkeit und blinder Sympathie ist dabei - soweit der Autor das aus einigem Abstand beurteilen kann - auch die deutsche Linke noch nicht sehr weit gekommen.

Jan Keetmann