Eilmarsch nach rechtsaußen
Nationalrevolutionäre APO-Veteranen wollen "unser Land" retten
Der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler ist zu seinen politischen Ursprüngen zurückgekehrt. Nein, nicht etwa zur revolutionären Parole des alten SDS, dem er sich wie viele andere aus Protest gegen den Vietnamkrieg angeschlossen hatte; erst recht nicht zur angeblich revolutionären Tat der RAF, die er heute als "Waffen-SDS" bezeichnet, sondern vielmehr zu den deutschnationalen Positionen, die er als Student in einer schlagenden Verbindung vertreten hatte. Nur die Ansprüche an das eigene Tun sind ebenso hochgesteckt wie in früheren Zeiten.
Seine unlängst gegründete Gruppe "Unser Land", die er als Sammlungsbewegung jenseits von links und rechts kennzeichnet, soll die Montagsdemonstrationen der ehemaligen DDR wiederbeleben, um einen Anstoß für die Umwälzung der politischen Verhältnisse in der Bundesrepublik zu geben. Mit bescheidenem Erfolg bisher. Ganze 36 Menschen und ein deutscher Schäferhund umkreisten unter seiner Führung die Berliner SPD-Zentrale, um gegen den "Doppelpaß" zu protestieren.
Zudem war von einer Sammlungsbewegung "jenseits von links und rechts" kaum etwas zu spüren. Es waren vielmehr lediglich einige Splitter der extremen Rechten, die er um sich scharen konnte. Die Anti-Euro-Partei "Pro DM" des millionenschweren Werbekaufmanns Bolko Hoffmann hatte ihren Bundestagskandidaten Klaus Weichhaus geschickt; vom in galoppierender Auflösung befindlichen Bund Freier Bürger erschienen die Bundestagskandidaten Dr. Otto Oesterle und Torsten Witt, vom geschichtsrevisionistischen "Verlag der Freunde" und der dort herausgegebenen Zeitschrift "Sleipnir" deren Chef Andreas Röhler.
Der Sammlungsbewegung fehlen die Massen
Der einzige, der Mahlers eigentliche Zielgruppe einigermaßen repräsentierte, war der Berliner Lehrer Gert Schneider. Schneider, aus dem linken SPD-Flügel kommend, hatte 1967 den Sozialistischen Club mitgegründet und war später zur Alternativen Liste gestoßen. Dort engagierte er sich in den achtziger Jahren gemeinsam mit seinem Freund Herbert Ammon, der heute vorwiegend bei revanchistischen Organisationen wie der Sudetendeutschen Landsmannschaft als Referent auftritt, in der AG Deutschlandpolitik, die auch Nationalrevolutionären Platz bot und deren Theoretiker Henning Eichberg einlud.
1990 verließ Schneider die AL. Seine jetzigen Positionen spiegeln sich in einem Leserbrief an die taz wider: "Ich glaube, es ist endlich an der Zeit, daß eine gewisse Sorte von APO-Opas und Hochschullehrern ihre intellektuelle Überheblichkeit gegenüber dem eigenen Volk ablegt und damit aufhört, die deutsche Geschichte als Schauplatz der Psychopathologie zu sehen, wo die soziale und politische Entwicklung von Anfang an falsch gelaufen ist." Folgerichtig fand er zur Deutschland-Bewegung des ehemaligen Grünen-MdBs und Bundeswehrobersten Alfred Mechtersheimer, wo er zunächst Regionalbeauftragter für Berlin und im Februar dieses Jahres stellvertretender Vorsitzender wurde. Er löste damit den ehemaligen SDSler Rolf Stolz ab, der später dem Bundesvorstand der Grünen angehörte; Stolz setzte sich von Mechtersheimer ab, weil er dessen Annäherung an die REPs nicht mitmachen wollte.
Das Publikum, das Mahler anzieht, ist weitgehend identisch mit dem, das auch Mechtersheimer zu erreichen sucht. Dies führte bereits zur ersten Kontroverse, noch bevor sich Mahlers Rückkehr bei seinen alten/neuen Freunden rechtsaußen so recht herumgesprochen hatte. "Unser Land", so moniert Mechtersheimer, sei der Name eines eingetragenen Vereins, einer "Wissenschaftlichen Stiftung für Deutschland", die sich jeglicher politischer Aktivität enthalte. Mahler sei wiederholt und erfolglos aufgefordert worden, die Nutzung des Namens zu unterlassen, heißt es in einer Presseerklärung vom 4. März.
Doch solche Kleinigkeiten können die neue Freundschaft nicht ernsthaft trüben. Mahler und Mechtersheimer haben bald Gelegenheit, ihre Differenzen im persönlichen Gespräch beizulegen. Beide sind im April geladene Referenten bei einem Kongreß in Oberorke (Sauerland). Mahler spricht über die "Realität der multikulturellen Gesellschaft am Beispiel von Berlin-Kreuzberg", Mechtersheimers Thema lautet: "Deutschland braucht Bewegung". Veranstalter des einwöchigen Spektakels ist die Kleingruppe "Die Deutschen Konservativen" des Rassisten Joachim Siegerist (Hamburg).
Ein Vorstandsmitglied von "Unser Land" (in der Mechtersheimer-Ausgabe), den Rechtsanwalt und CSU-Funktionär Hannes Kaschkat, hatte Mahler unlängst bei einer weiteren Veranstaltung erlebt, die seinen Wechsel zur extremen Rechten endgültig ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Entsprechende Aktivitäten zuvor, so seine Laudatio auf den Paläo-Konservativen Günter Rohrmoser Ende 1997 oder ein Auftritt für die Junge Freiheit bei der Buchmesse 1998, waren nahezu unbemerkt geblieben. Dies galt jedoch nicht für die "Bogenhauser Gespräche" der Münchner Burschenschaft Danubia Anfang Dezember vergangenen Jahres.
"Die APO war nationalrevolutionär"
Zum Thema "30 Jahre nach '68" waren dort neben Kaschkat und Mahler nämlich zwei weitere APO-Veteranen aufgetreten, deren Anwesenheit damals noch als sensationell angesehen wurde. Der eine, Soziologie-Professor Bernd Rabehl, früher ein enger Freund Rudi Dutschkes, war einer der bekanntesten Vertreter der 68er Revolte; der andere, der emeritierte Professor Peter Furth, der im Freundeskreis des SDS und der Zeitschrift Argument aktiv gewesen war, hat durch seine publizistische Tätigkeit nachdrücklich bewiesen, daß er weiß, was die extreme Rechte ist. Er ist Mitverfasser der bis heute maßgeblichen Studie über die nazistische Sozialistische Deutsche Reichspartei.
Nach der Danubia-Tagung übergab Mahler das Redemanuskript Rabehls - sehr zu dessen Unwillen - der Jungen Freiheit, die es veröffentlichte. Ein Nachdruck folgte in dem nationalrevolutionären Blatt Wir selbst. Es wurde deutlich, daß Rabehl ebenso wie Mahler an einer Umschreibung der Geschichte arbeitet. Was die meisten Beteiligten nicht wußten, so Johannes Agnoli sarkastisch in der Jungle World, enthüllten jetzt Mahler/Rabehl: '68 war in Wirklichkeit eine nationalrevolutionäre Bewegung.
Die "nationale Frage", behauptet Rabehl, habe bereits bei der Konstituierung der neuen Opposition eine Rolle gespielt; eine "revolutionäre Linke" mußte "immer auch gesamtdeutsche und nationalrevolutionäre Ziele verfolgen". Die Absicht der Revolte habe darin gelegen, "Keimzellen einer europäischen Einheitsfront zu legen, um die Großmächte und ihre Kollaborateure aus Zentraleuropa zurückzudrängen". Rabehl entwickelt sogar eine Art Verschwörungstheorie, ohne dabei jedoch die Dinge deutlich beim Namen zu nennen: "Traditionelle Sozialisten, Parteigänger von SEW und SED oder der illegalen KPD, aber auch die unterschiedlichen Geheimdienste in Ost und West setzten alles daran, dieses Projekt zu zerschlagen. Am 11. April 1968 wurde auf Dutschke ein Attentat verübt." Folgen wir dem Gedankengang des Herrn Professors, so wären Demonstrationen vor den Parteibüros der SEW, vor den Botschaften der USA und der UdSSR die logische Konsequenz gewesen. Warum kam damals bloß niemand darauf - auch Bernd Rabehl nicht? Warum schien es allen Beteiligten logisch, den Springer-Verlag für das Attentat verantwortlich zu machen?
Rabehls Schlußfolgerung im Vortragsteil "Abgesang": "Die ,psychologische Aktion`, von der die amerikanischen Deutschlandspezialisten 1944/45 sprachen, die nationale Tradition aufzulösen, die Eliten zu entmachten und auszutauschen, die Kultur und die psychische Disposition der Menschen zu verändern und vor allem Institutionen zu schaffen, die der Dynamik eines modernen Kapitalismus entsprachen, ist 1998 längst verwirklicht. So wie es keine Klassen- und Arbeiterkultur mehr gibt, so existiert in Deutschland kaum noch eine nationale Identität." Spätestens mit dieser Passage hatte Rabehl die Argumentation der extremen Rechten übernommen. Daß er dann über den "Import von Partisanenformationen" als Konsequenz der Einwanderung schwadroniert, über den Versuch der Durchsetzung von "Denk- und Diskussionsverboten", das "Problem der Überfremdung und der Auflösung einer nationalen Kultur" an die Wand malt, ist eigentlich nur noch eine logische Konsequenz.
Wenig später behauptete Rabehl, der Abdruck seiner Rede in der Jungen Freiheit sei "skandalös" gewesen. Diese hätte kein Aufsehen erregt, wenn sie in der FR oder in der taz abgedruckt worden wäre. Rabehl ignorierte vollkommen, daß es gerade der Inhalt seines Vortrags war, der die Kritiker - zunehmend auch aus Kreisen des alten SDS - empörte. "Nationalisten waren wir nie", stellte eine Gruppe ehemaliger SDSler in einer gemeinsamen Erklärung fest. Nun, Rabehl jedenfalls war es - nach eigenem Eingeständnis - schon immer.
Rechte Kaderschmiede Danubia
Trotzdem schien ihm schon zum Zeitpunkt seines Auftritts nicht ganz wohl in seiner Haut gewesen zu sein. Er schien zu ahnen, daß seine Ausführungen nicht auf den Kreis der anwesenden 120 Burschenschafter beschränkt bleiben würden. So begann er sein Referat mit dem Hinweis, daß "eine wohl eher linksradikale" Zeitung namens "Die Linke beobachtet die Rechte" im Oktober über einen weiteren Referentenauftritt Rabehls zum gleichen Thema in Prag berichtet habe. Er sei aber seit 15 Jahren nicht in Prag gewesen. Es fehlte auch nicht der Verweis auf das "Büro für Desinformation innerhalb des Ministeriums für Staatssicherheit".
Die angeführten "Informationen" jedoch waren selbst Desinformation pur. Das "linksradikale" Blatt war ein sozialdemokratischer Pressedienst, sein tatsächlicher Titel: Blick nach rechts. Dort war auch nicht behauptet worden, daß Rabehl in Prag gesprochen habe; vielmehr wurde darauf hingewiesen, daß Rabehl als Referent für die "neu"rechte Freie Deutsche Sommeruniversität zum Thema "Die Nationalrevolutionäre von 1968" angekündigt worden war. Er hat dort nicht gesprochen, weil die Veranstaltung ausfiel. Von Prag war in dem entsprechenden Artikel gar nicht die Rede, obwohl das der geplante Ort war. Rabehls Attacke enthielt also Insiderwissen, das zugleich die aufgestellten Behauptungen belegte. Dumm gelaufen.
Den Auftritt bei der Danubia rechtfertigte er ähnlich ungeschickt. Eine Verteidigung war auch deshalb notwendig geworden, weil inzwischen die Stipendiatengruppe der Hans-Böckler-Stiftung, deren Vertrauensdozent an der FU er ist, brieflich Aufklärung verlangt hatte. Rabehl führte aus, bereits in den Zeiten der Revolte sei er quasi der SDS-Spezialist für die Burschenschaften gewesen. Bei der Mobilisierung zur Demonstration gegen die Notstandsgesetze sei es seine Aufgabe gewesen, die Burschenschaften zu gewinnen. Und er habe damals Erfolg gehabt. Angesprochen worden sei er durch einen "Jungsozialisten aus Leipzig". Da auch noch weitere "Genossen" anwesend sein sollten, habe er "keine Bedenken" gehabt.
Der "Jungsozialist aus Leipzig", der den Kontakt hergestellt hatte, war niemand anderes als Sascha Jung, einer der Mitbegründer und Kopf des rechten "Hofgeismarer Kreises", so benannt in Anlehnung an den alten Ernst-Niekisch-Zirkel. Diese Aktivitäten Jungs führten damals zu einem Parteiordnungsverfahren mit anschließendem Funktionsverbot. Der Fall ging damals breit durch die Presse. Rabehl dürfte er auch deshalb nicht unbekannt geblieben sein, weil ein anderer nationalistischer Alt-SDSler, der heutige National-Sozialdemokrat Tilman Fichter, sich vehement für den Hofgeismarer Kreis eingesetzt hatte. Sascha Jung ist heute Pressesprecher der Danubia. Zielsicher hatte sich der "Jungsozialist" zu Studienbeginn die radikalste Burschenschaft des völkischen Flügels als Betätigungsfeld ausgesucht. "Vergessen" hatte Burschenschaften-Spezialist Rabehl, daß die Danubia - zur Zeit der Debatte um die Notstandsgesetze - Durchlauferhitzer für den intellektuellen Nachwuchs der NPD war. Nicht abzustreiten ist, daß die Danubia Nationalrevolutionäre hervorbrachte. Rabehl konnte sich also wohlfühlen.
Ex-linke Hoffnungsträger der Rechten
Der nächste Schritt folgte umgehend. Das nationalrevolutionäre Blättchen DESG-inform kündigte eine Sammlungsbewegung an: "Initiatoren dieser geplanten Sammlungsbewegung jenseits von Rechts und Links sind neben Horst Mahler u.a. ehemalige Angehörige des ,Sozialistischen Deutschen Studentenbundes` (SDS) wie die Berliner Professoren Bernd Rabehl und Peter Furth." Grundlage solle Mahlers "Flugschrift an die Deutschen, die es noch sein wollen, über die Lage ihres Volkes" sein. Bisher sind Furth und Rabehl in Zusammenhang mit "Unser Land" noch nicht in Erscheinung getreten, dafür wurde Mahlers Flugschrift im Ostpreußenblatt publiziert, sein "Offener Brief an Ignatz Bubis" in der Deutschen Stimme der NPD und ein längerer Beitrag von Peter Furth, der zuvor von Tagesspiegel und FAZ abgelehnt worden war, in den rechtsextremen Staatsbriefen.
Der rührige Mahler wiederum veröffentlichte gemeinsam mit den beiden schon lange nach rechts gedrifteten ehemaligen SDSlern Reinhold Oberlercher und Günter Maschke eine "Kanonische Erklärung" (Staatsbriefe 1/99), in der die RAF in der Traditionslinie eines "ernsthaften Waffenstudententums" gesehen wird und die '68er-Revolte zur Neuauflage des deutschen Faschismus mutiert.
Von Rabehl gibt es vorläufig keine neuen Artikel. Er ist mit Verteidigungsschriften und -reden ausgelastet. So zuletzt am 5. März beim monatlichen Treffen der Berliner SDS-Veteranen. Er mußte einen völlig erzürnten Bommi Baumann über sich ergehen lassen, nannte resigniert eine Kritikerin nur "Frau Staatsanwältin". Da saß er nun auf der Anklagebank, sich noch immer keiner Schuld bewußt, und sein Verteidiger hatte ihn im Stich gelassen. Tilman Fichter, der ihm an diesem Abend auf dem Podium zur Seite stehen sollte, hatte es vorgezogen, kurzfristig nach Vietnam zu fliegen. Rabehl bekam keine Bewährung. Das Tischtuch zwischen seinen alten GenossInnen und ihm ist - zumindest in Berlin - wohl endgültig zerschnitten. Bleibt abzuwarten, ob die Untersuchungen an der Uni im Sande verlaufen oder aber auch hier endlich einmal Klartext gesprochen wird. Rabehl ist vorläufig ruhiggestellt, Mahler aber missioniert weiter: quer durch "Unser Land".
Jean Cremet