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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 424 / 18.3.1999

Prototyp für Europa?

Jörg Haider siegt in Kärnten

Jörg Haider ist kein bloß österreichisches Phänomen, wie in Europa behauptet wird, und er ist auch kein Kärntner Sonderfall, wie es in Österreich so oft heißt. In Kärnten kommt nur verstärkt zu sich, was woanders auch möglich wäre. Sicherlich ist der anti-slawische und deutschnationale Bodensatz in diesem Bundesland ein besonders guter Dünger für diesen Erfolg. Aber er alleine begründet nichts. Haider zeigt vielmehr, was für eine postfaschistische Rechte im Schengenland möglich ist. Er ist ihr entwickeltester Prototyp.

Der Rechtsruck ist auf jeden Fall nicht zu leugnen. Neben den Großparteien sind vor allem auch die beiden kleineren Oppositionsparteien Verlierer dieser Wahlgänge. Nicht nur in Kärnten. Das Liberale Forum (LIF) schaffte den Einzug in kein einziges Landesparlament; auch die Grünen haben verloren und sind nun weder in Tirol noch in Salzburg mehr in Fraktionsstärke vertreten.

Die Kunst, sich selbst ins Knie zu schießen, das ist wahrlich Kunst von Haiders Gegnern. So müssen SPÖ und ÖVP völlig verrückt gewesen sein, als sie einfach durchgehen ließen, daß die Kärntner Hochrechnung um 16 Uhr, d.h. eine Stunde vor dem Schließen der Wahllokale in Tirol und Salzburg, veröffentlicht wurde. Die Idiotifizierung der Politik ist schon so weit gereift, daß man selbst die banalsten taktischen Fallgruben übersieht. Der televisionär übertragene Siegereffekt aus Klagenfurt brachte den an sich maroden freiheitlichen Landesorganisationen in Tirol und Salzburg sicherlich noch zusätzliche Stimmenzuwächse, somit Ergebnisse, die man denen gar nicht zugetraut hätte.

Es ist absolut nicht auszuschließen, daß die FPÖ bei einem Solo-Urnengang für das Straßburger Europaparlament, d.h. ohne Koppelung mit der Nationalratswahl, zur stärksten Partei des Landes bei einer Bundeswahl aufsteigt. Vergessen wir nicht, es war letztes Mal schon äußerst knapp gewesen (ÖVP: 29,6; SPÖ: 29,2; FPÖ: 27,6 Prozent).

Natürlich wird der FPÖ ein solches Bravourstück bei einer im Herbst stattfindenden Nationalratswahl (noch) nicht gelingen. Nichtsdestotrotz ist Haider, ausgestattet mit solch fulminanten Resultaten und immer deutlicher unterstützt von seinen medialen Gegnern, eindeutig von der Siegerstraße auf die Siegerautobahn abgebogen. Die Stimmungen sind auf Umbruch eingestellt. Kärnten ist das Menetekel der Republik.

Viele mediale Haider-Gegner haben sich in diesen Tagen als selbst dem Troß des Meisters aus Kärnten zugehörig entpuppt. Sie gleichen einem Ensemble von Posaunisten, die lautstark blasen, wenn er seinen Auftritt hat. "Haider, na und?" fragt das Monatsmagazin Format, und es dauert wahrscheinlich nicht mehr lange, bis es daraus ein "Ja, bitte" macht. Unter diesen Voraussetzungen werden die Wahlverlierer kaum Haider als Kärntner Landeshauptmann verhindern können. Die hiesige Politik wirkt wie paralysiert. SPÖ und ÖVP sind mit ihrem Latein am Ende, aber auch Grüne und Liberale kennen sich überhaupt nicht mehr aus.

Die bundesrepublikanische Berichterstattung handelt Österreich oft als älplerische Groteske ab. Das Anti-Haider-Gezeter vieler deutscher Medien ist in seiner Haltung mehr anti-österreichisch als anti-haiderisch, eher reflexartig als reflektiert, geprägt von dieser typisch deutschen Mischung aus Ignoranz und Arroganz. Haider ist jedoch kein Hinterwäldler, sondern Avantgarde einer attraktiven europäischen Rechten, einer Rechten, die man nicht einfach in den Antifa-Sack stecken kann. Kein Ewiggestriger, sondern ein Ewigmorgiger, wie Gerhard Scheit feststellte. Haider spiegelt mehr die kapitalistische Zukunft als die nationalsozialistische Vergangenheit.

Die Entwarnungen sind falsch, wenn sie meinen, daß so etwas wie Haider nur in einem Land wie Österreich passieren kann. Seien wir leider sicher: Es wird anderswo ebenso werden, wenn es so weiterläuft, wie es anläuft. Der österreichische Prototyp, der sich hier gezüchtet hat, ist zwar nicht beliebig exportierbar, letztendlich ist er aber adaptierbar, er kann in jedem europäischen Land laufen, insbesondere in Deutschland. Was ihm bisher dort fehlte, ist, was der Prototyp hier besitzt: Modernität, Wendigkeit, Raffinesse. Nur ein Beispiel: Wenn Haider seine Anliegen vorbringt, aber nicht sogleich als fremdenfeindlich oder restriktiv auffallen will, dann zitiert er (oft ohne es dazuzusagen) Blair oder Schröder, mit denen er sich auch ganz gern vergleicht.

Was Deutschland und Österreich aktuell unterscheidet, ist, daß es die Deutschen mit einer Unzahl von abgestandenen und altbackenen rechtsextremen Parteien zu tun haben, denen nicht gelingt und auch nie mehr gelingen kann, was Haider pausenlos schafft: die traditionelle Rechte mit der Mitte der Gesellschaft zu einem postfaschistischen Extremismus des gemeinen Menschenverstandes zu vereinen.

Der übernächste Griff des Jörg Haider wird der nach Europa sein, Deutschland ist primäres Hoffnungsgebiet. Vor allem hat er jetzt, nachdem die heimischen Querelen ausgeräumt wurden, und die anderen Parteien kräftig abgeräumt werden, den Rücken frei, sich größeren Aufgaben zu widmen.

Franz Schandl, Wien