Geschichte wird gemacht ...
... und verdrängt: Deutscher Besatzungsterror in Serbien 1941/42
"Aus historischen Gründen", so erklärten noch vor wenigen Jahren deutsche Politiker aus Regierung und Opposition, sei der Balkan für die Soldaten der Bundeswehr kein geeignetes Betätigungsfeld. Ihr Auftauchen würde insbesondere bei der serbischen Bevölkerung unschöne Erinnerungen wachrufen und so Gefühle verletzen. Auch an "humanitären" Interventionen der "Staatengemeinschaft" dürften sie sich daher nicht gleichberechtigt beteiligen. Dieser Vorbehalt wurde zwar in der Praxis immer mehr aufgeweicht - so unterstützten deutsche Piloten von AWACS-Aufklärern den NATO-Einsatz in Bosnien, wachten deutsche Infanteristen als Teil der SFOR-Truppe über die Einhaltung des Dayton-Abkommens.
Aber erst unter Schröder und Fischer wurde mit dem deutschen Kriegseintritt auch die Vergangenheitspolitik den Erfordernissen der neuen Zeit angepaßt. Wer heute noch aus "historischen Gründen" den Verzicht auf deutsches Militär fordere, wolle nur den verhängnisvollen deutschen "Sonderweg" fortsetzen - wie immer in Kriegszeiten schlägt auch jetzt wieder die Stunde der Demagogen. Letztere werden - wenn die "Umstände" es erfordern - auch den Einsatz deutscher Bodentruppen gegen Serbien zu begründen wissen. Ein Argument könnte sein, daß die Deutschen ihren Partnern entscheidende Erfahrungen voraushaben.
April 1941: "Unternehmen Strafgericht"
Am 6. April 1941 überfiel die deutsche Wehrmacht Jugoslawien und Griechenland. Der Überfall auf Jugoslawien, das "Unternehmen Strafgericht", begann ohne Kriegserklärung mit massiven Luftangriffen auf die völlig ungeschützte Hauptstadt Belgrad. Dabei wurden mehr Menschen getötet als bei den vorangegangenen Bombardierungen von Warschau, Coventry und Rotterdam zusammen.
Seit dem 11. April beteiligten sich auch die italienischen, ungarischen und bulgarischen Verbündeten an der Einkreisung der jugoslawischen Armee, die am 18. April kapitulierte. Der jugoslawische Staat wurde zerschlagen. Kroatien wurde zum formal unabhängigen Satellitenstaat des Deutschen Reiches, Ante Pavelic, der Führer der faschistischen Ustascha, als Statthalter eingesetzt. Serbien blieb den Besatzungstruppen der Wehrmacht unterstellt.
Noch vor der jugoslawischen Kapitulation wütete die Wehrmacht unter der Zivilbevölkerung. Nachdem in Pancevo zwei SS-Männer erschossen worden waren, wurden zur "Sühne" 36 Zivilisten ermordet. Die Leichen von 18 Jugoslawen, die im Rahmen dieses Massakers vom Wehrmachtsregiment "Großdeutschland" an der Friedhofsmauer erschossen worden waren, blieben dort zur Abschreckung drei Tage lang ausgestellt.
Der Terror der deutschen Besatzer eskalierte, als im Sommer 1941 die Kommunistische Partei den Partisanenkampf begann. Bis Ende August starben bei den Aktionen der Partisanen 32 Soldaten der Wehrmacht. Im selben Zeitraum wurden zur "Vergeltung" mehr als 1.000 jugoslawische Kommunisten und Juden ermordet, ihre Leichen in vielen Fällen öffentlich zur Schau gestellt.
Am 16. September 1941 erließ Feldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW), seinen Befehl zur Bekämpfung der "kommunistischen Aufstandsbewegung in den besetzten Gebieten". Danach galt "als Sühne für ein deutsches Soldatenleben die Todesstrafe für 50-100 Kommunisten als angemessen". General Franz Böhme, der von Hitler am selben Tag zum Bevollmächtigten Kommandierenden General in Serbien ernannt wurde, sorgte für die Einhaltung der Quote und verschärfte den Befehl von oben noch. Künftig seien "für jeden gefallenen oder ermordeten Soldaten (oder Volksdeutschen) 100, für jeden Verwundeten 50 Gefangene oder Geiseln zu erschießen".
Um den Massenmord unverzüglich ausführen zu können, nahm die Wehrmacht vorsorglich Hunderte von "Kommunisten, Nationalisten, Demokraten und Juden" als Geiseln, etliche Männer aus den selben Bevölkerungsgruppen wurden "auf der Flucht erschossen". Das sollte, ebenso wie das Niederbrennen von Dörfern, die teilweise militärisch überlegenen Partisanen vom Angriff abschrecken. Schon erste Anzeichen von Widerstand wurden mit Massenmord beantwortet. So heißt es in der Tagesmeldung der 717. Infanteriedivision vom 15.10.1941: "Gegen 18.00 Uhr Schüsse aus Häusern, 300 Serben erschossen." Einen Tag später wurde für das betroffene Gebiet, die Gegend um Kraljevo, eine weitere Eskalation des Terrors angedroht: "Mit dem heutigen Tag tritt für das Volk dieses Gebietes das Gesetz schwerster Repressalien ein, d.h. es werden nicht nur 100 Serben für einen Deutschen erschossen, sondern es werden auch die Familien und der Besitz vernichtet."
Als die Partisanen und die Tschetnikverbände den Angriff auf Kraljevo begannen, schlug die Wehrmacht zurück - gegen die in ihrer Gewalt befindlichen Geiseln. An einem einzigen Tag wurden "1736 Männer und 19 kommunistische Frauen" niedergemacht. General Böhme stellte die militärischen Leistungen seiner Truppen in zynischer Offenheit heraus: "Der Feind verlor mindestens 80 Tote, 1755 Geiseln wurden als Sühne für die eigenen Verluste erschossen." Diese und "weitere in der letzten Zeit von der Truppen errungenen Erfolge", resümierte der deutsche Oberbefehlshaber in Serbien, trügen "dazu bei, das Ansehen der deutschen Wehrmacht in Serbien abermals zu stärken." Allen beteiligten Soldaten sprach Böhme im Tagesbefehl vom 20.10.1941 seine "besondere Anerkennung" aus. Sein Aufruf schloß mit den Worten: "Vorwärts zu neuen Taten!"
Das Massaker in Kragujevac
Die in ihrem "Ansehen" gestärkte Wehrmacht erlitt zur gleichen Zeit im Gebiet von Kragujevac Verluste. Durch Aktionen der Partisanen starben zehn deutsche Soldaten, 26 wurden verwundet. Nach der festgelegten Quote waren dafür 2.300 jugoslawische Zivilisten zu ermorden. Deutsche Soldaten durchkämmten die umliegenden Dörfer und erschossen "422 männliche Personen ohne eigene Verluste an Ort und Stelle in den Dörfern", wie der Kreiskommandeur von Kragujevac, Hauptmann Bischofshausen, in seinem Bericht festhielt.
Zwei Tage nach Beginn der Aktion war das Ziel erreicht: "Insgesamt wurden 2.300 Serben verschiedenen Alters und Berufes erschossen", darunter auch Lehrlinge und Schüler, die aus Werkstätten und Schulen zusammengetrieben worden waren. Im Kriegstagebuch des Stabes wurde bilanziert, die "erfolgreichen Unternehmungen" ließen "auf eine erfreuliche Zunahme des Angriffsgeistes und der Initiative der bisher ohne Zweifel zur Passivität neigenden Truppe schließen".
Der mörderische "Angriffsgeist" ließ auch in den folgenden Monaten nicht nach. Bis Anfang Dezember 1941 wurden in Serbien zwischen 20.000 und 30.000 Zivilisten erschossen, darunter sämtliche erwachsenen männlichen Juden.
Die serbischen Juden fielen aber nicht nur den "Vergeltungsaktionen" nach Partisanenangriffen zum Opfer. Um ihre Verfolgung und Ermordung zu legitimieren, wurden "Juden und Zigeuner ganz allgemein" zum "Element der Unsicherheit und Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit" erklärt. Im Herbst 1941 begann die Internierung jüdischer Frauen und Kinder. Seit der Jahreswende 1941/42 wurden sie in dem neu entwickelten Gaswagen umgebracht.
Im Mai 1942, ein Jahr nach dem Überfall der Wehrmacht auf Jugoslawien, waren 17.000 serbische Jüdinnen und Juden erschossen oder vergast. Serbien war als zweites Land nach Estland "judenfrei".
Js.
P.S. Der grüne Abgeordnete und Außenpolitiker Helmut Lippelt, ein gelernter Historiker, demonstrierte in seiner Bundestagsrede vom 26. März Geschichtsbewußtsein der besonderen Art: In ein und demselben Satz kam er von den Nazi-Verbrechen in "Auschwitz, Treblinka, aber auch Oradour, Lidice, Marzabotto und Kragujevac" auf "eben jenes Kragujevac in jenem Serbien" zu sprechen, "dessen Bevölkerung jetzt von dem Regime Milosevic in seine Verbrechen verwickelt wird". Der Gewaltritt durch die Geschichte soll statt "Nie wieder!" die entgegengesetzte Lehre zwingend erscheinen lassen: "Jetzt erst recht!" Oder auch: "Wer, wenn nicht wir," ist berufen und verpflichtet, auf dem Balkan für Ordnung zu sorgen?!
Quellen:
Hannes Heer und Klaus Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944; Hamburger Edition 1995
Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 (Ausstellungskatalog); Hamburger Edition 1996
Alle hier wiedergegebenen Zitate nach o.g. Veröffentlichungen.