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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 425 / 15.4.1999

Rot-Grün ist tot

Grüne "Modernisierer" starten durch

Manchmal muß man in der Politik über Bande spielen. Allerdings läuft man dabei Gefahr, mißverstanden zu werden. Dieses Malheur ist Jürgen Trittin passiert. Dabei hat er nur ausgesprochen, was auch andere Grüne denken: Daß sich nach dem Rückzug Oskar Lafontaines die Bedingungen für Rot-Grün in Bonn geändert haben. Nach dem Abgang Lafontaines seien SPD und CDU kaum noch unterscheidbar.

"Rot-Grün als Reformprojekt ist tot", so brachte Trittin es auf den Punkt. Mittelfristig spreche für die CDU als Partner genauso viel (oder so wenig) wie für die SPD. Seine Schlußfolgerung ist durchaus konsequent: Eine grüne Partei, die auf Machtbeteiligung fixiert ist, muß prinzipiell mit jeder der beiden Großparteien koalieren können, zumal wenn CDU und SPD inhaltlich wenig trennt.

Daß gerade der Parteilinke Trittin Schwarz-Grün ins Spiel bringt, irritiert. Wer den Bundesumweltminister schwarz-grüner Ambitionen verdächtigen will - wie die Mehrzahl der eigenen Parteifreunde und der Presse - tut ihm allerdings Unrecht. In der Vergangenheit war Trittin einer der schärfsten Gegner einer bei den Grünen immer mal wieder diskutierten Zusammenarbeit mit der CDU.

Vielmehr geht es ihm wohl darum, angesichts der aus grüner Sicht frustrierenden Regierungspraxis die Erwartungen an die Bonner Koalition zu dämpfen. Der Abschluß der Koalitionsverhandlungen im vergangenen Jahr verdeutlichte, daß diese Bundesregierung kein Reformbündnis ist, so wie es in den 80er Jahren angedacht worden war. Die grüne Regierungsbeteiligung erschien durch drei Vorhaben gerechtfertigt: die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, den Atomausstieg und die Einführung der Ökosteuer. Alle drei Vorhaben sind mittlerweile aber gescheitert. Trittins Abgesang auf das rot-grüne Projekt und die Kennzeichnung des Regierungsbündnisses als stinknormale Koalition sollten so den realen Verhältnissen Rechnung tragen.

Aber sein Vorstoß ist natürlich auch ein Beitrag zur innerparteilichen Diskussion über den weiteren Weg der Bündnisgrünen. Außer den Grünen gebe es "niemanden mehr mit einem sozial-ökologischen Profil" - so zeigte sich Trittin nach dem Abgang Lafontaines überzeugt. Eine Zukunft könne es für die Bündnisgrünen nur geben, wenn sie sich als die eigentliche Reformkraft der Koalition darstellten. Anstatt sich der "politischen Mitte" zu öffnen, solle die Partei sich auf die linke Seite des politischen Spektrums konzentrieren. Eine Tatsache hat Trittin allerdings bei allem Taktieren ganz vergessen: Mittlerweile existiert eine Partei, die nur darauf wartet, den vom "rot-grünen Reformbündnis" enttäuschten WählerInnen eine neue politische Heimat zu geben - die PDS.

Nicht nur die Reaktionen seiner Parteifreunde haben klar gemacht, daß Trittin mit seinem Unterfangen scheitern wird. Außer bei der Bundesvorstandssprecherin Antje Radcke und einigen wenigen anderen, z.B. Annelie Buntenbach und Volker Beck, stieß Trittin mit seinen Äußerungen auf Unverständnis und Ablehnung. "Abwegiges" (Kerstin Müller) "Gequatsche" (Joschka Fischer) sei das und "verrückt" (Michael Vesper), so die flügelübergreifende Bewertung.

In einer ersten Stellungnahme sprach Antje Radcke davon, daß man zukünftig mit zwei "bürgerlichen Parteien" zu tun habe, "die beide um die sogenannte Mitte buhlen". In dieser Situation sollten sich die Bündnisgrünen als "Reformmotor" der Koalition profilieren, in dem sie "Wirtschaftspolitik konzeptionell in den Kontext von Sozialpolitik und Ökologie stellen". (1) In einem Thesenpapier des Bundesvorstandes zur Sitzung des Parteirats am 23.3.1999 wird der Gedanke aufgenommen. Hinsichtlich der Überlegungen Trittins heißt es aber: "Gefährlich wäre es ..., wenn wir versuchen würden, im Bündnis mit den in der SPD verbliebenen schwachen Resten von linken Strukturkonservativen eine Alternative zu Schröder innerhalb der Koalition auszubauen." Statt dessen solle die Partei dadurch Profil gewinnen, daß sie "insbesondere" ihre "eigenständigen Positionen in der Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- und Bildungspolitik deutlicher hervorhebe". (2)

Wie diese eigenständigen Positionen aussehen, zeigte einige Tage später eine von 17 grünen Bundestagsabgeordneten unterbreitete "Initiative für Investition, Arbeit und Umwelt". Ziel müsse sein, "Nachfragepolitik und echte Angebotspolitik in ein vernünftiges Verhältnis zu setzen". (3) Nach Meinung der AutorInnen - u.a. Michaela Hustedt, Andrea Fischer, Matthias Berninger, Reinhard Loske und Oswald Metzger - sei in den ersten Monaten der neuen Regierung genug für die Nachfrage getan worden. Jetzt müßten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die ein verläßliches Angebot für Investitionen darstellen.

So werden an erster Stelle Steuergeschenke für Unternehmen und Besserverdienende gefordert. Die Unternehmenssteuersätze sollen auf 35% begrenzt und der Spitzensteuersatz auf 47% ("besser 45%") gesenkt werden. Daß hier Überzeugungstäter am Werk sind, zeigt eine Presseerklärung von Christine Scheel und Klaus Müller, die beide die Initiative unterstützen. Anhand aktueller Zahlen der OECD kommen beide zu dem Ergebnis, daß der Anteil der Unternehmenssteuern am Gesamtsteueraufkommen in der BRD in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. Das hindert sie aber nicht daran, Vorschläge zu unterbreiten, die zu einer weiteren Entlastung der Kapitalisten führen.

Im dem Papier der 17 Abgeordneten fordert man munter einen teilsubventionierten Lohnsektor. Vor allem im Niedriglohnbereich "zwischen Einkommen von 630,- DM (Teilzeitmauer) und 1.250,- DM (Steuergrenze)" wollen die AutorInnen neue Arbeitsplätze schaffen. Dazu soll ein mit steigendem Einkommen sinkender "Zuschuß zu den Sozialbeiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber" eingeführt werden. Konsequenterweise verlangt man dann auch, daß Arbeitslose gezwungen werden müßten, jeden ihnen angebotenen Job anzunehmen. Komplettiert werden die Überlegungen durch alle gängigen Schlagworte des Neoliberalismus: Verschlankung des Staates, Deregulierung, Haushaltskonsolidierung etc.. Diesen Grünen geht es halt um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie. Und als hätten 16 Jahre angebotsorientierter Politik nicht zur Genüge bewiesen, daß an dem Zirkelschluß "Investitionsfähigkeit des Kapitals steigern, um Arbeitsplätze zu schaffen", irgend etwas falsch sein muß, wird genau dieser Logik gehuldigt.

Was die 17 grünen Bundestagsabgeordneten hier vorgelegt haben, läßt keine Unterschiede zu den "Modernisierern" der SPD mehr erkennen. Kerstin Müller bescheinigte der "Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt", sie beruhe ganz wesentlich auf der Arbeit der letzten Bundestagsfraktion und greife auch die Diskussionen der Arbeitskreise der neuen auf. (4) Inhaltlich besteht kein Widerspruch mehr zu den Vorstellungen des "Genossen der Bosse", Gerhard Schröder, und seines Kanzleramtsministers Bodo Hombach.

Welche Partei hat Trittin bloß vor Augen, wenn er vorschlägt, den vermeintlich durch Lafontaines Rücktritt frei gewordenen linken Part in der Regierungskoalition einzunehmen? Weder sind die Grünen bereit, offen über ihr Wirken in der Koalition zu diskutieren und in diesem Zusammenhang auch ihre strategische Orientierung auf Regierungsbeteiligung zu hinterfragen. Noch sind die innerparteilichen Kräfteverhältnisse so, daß es ein inhaltliches Profil auf sozial- und wirtschaftspolitischem Gebiet links von der Sozialdemokratie geben könnte. Ganz im Gegenteil: Maßgebliche Grüne arbeiten weiter daran, in die Fußstapfen der FDP zu treten.

mb., Berlin

Anmerkungen:

1) Antje Radcke: Rot-Grün kein Reformprojekt mehr?, Bonn, 17.3.99

2) Wieder Reformmotor werden. Thesenpapier des BuVo für den Parteirat. http://www.gruene.de/archiv/pm/PM9903/reformmotor.htm.

3) Matthias Berninger, Thea Dückert, Franziska Eichstedt-Bohlig, Hans-Josef Fell, Andrea Fischer, Katrin Göring-Eckhardt, Kristin Heyne, Winnie Herman, Antje Hermenau, Michaela Hustedt, Reinhard Loske, Oswald Metzger, Klaus Müller, Christine Scheel, Albert Schmidt, Margareta Wolf: Initiative für Investitionen, Arbeit und Umwelt, Bonn, 23.3.99

4) Kerstin Müller: Anmerkungen zum vorgelegten Papier "Initiative für Investition, Arbeit und Umwelt", Bonn 19.3.99