Antirassismus unter rot-grünen Bedingungen
Die Kampagne kein mensch ist illegal diskutierte in München
Die neue Regierung hat ihre Probezeit längst bestanden, und einige, die geglaubt hatten, es würde sich viel ändern, bedauern jetzt, es sei alles beim alten geblieben. Die Schlaueren freilich hatten sich von vorneherein nicht viel erwartet von Rot-Grün.
Auch für die Kampagne kein mensch ist illegal galt nach dem Regierungswechsel die unausgesprochene Devise "Kontinuität". War es doch bisher die Stärke der Kampagne, unabhängig vom politischen Tagesgeschehen die Konstruktion der Illegalität thematisieren zu können. Dennoch gab es Zweifel, ob man einfach so weitermachen könne wie vor dem Regierungswechsel. Auf einer Konferenz in der Münchner Kunstakademie vom 26.-28. März stellten sich Aktivisten der Kampagne nun der Frage, was sich geändert habe im Kampf für das Recht eines jeden, selbst zu entscheiden, wo und wie er leben will.
In Bundesländern mit rot-grüner Landesregierung hatte man schon früher die Erfahrung machen müssen, was den kleinen Unterschied zwischen grüner Oppositionsrhetorik und Regierungsräson ausmacht. In keinem wesentlichen Punkt der Flüchtlingspolitik gab es seit dem Regierungswechsel eine Verbesserung. Stattdessen gehen die Abschiebungen weiter, und die Abschiebemaschinerie wird sogar noch effektiviert.
Jetzt sind die Aktivisten der Kampagne kein mensch ist illegal bundesweit mit dem weitgehenden Verlust der ohnehin recht dürftigen Unterstützung konfrontiert. SPD und Grüne sind seit dem Regierungswechsel kaum daran interessiert, eine antirassistische Bewegung irgendwie zu unterstützen. Auch fließt jetzt tendenziell weniger Geld zur Unterstützung antirassistischer Arbeit aus den Töpfen der beiden Parteien.
Für die Informationsgewinnung über parlamentarische Anfragen sind die Flüchtlingsunterstützergruppen im Bund jetzt ganz auf die PDS angewiesen. In den westlichen Ländern kommt dieser Weg, an Information zu gelangen, allerdings mangels parlamentarischer Existenz der PDS gar nicht in Frage.
Etablierte Lobbygroups aus dem Bereich, wie z.B. Pro Asyl, betreiben zur Zeit immer noch eine abwartende Politik gegenüber der rot-grünen Bundesregierung. Sie wurden dafür auf der Konferenz in München scharf kritisiert. Doch auch Aktivisten der Kampagne kein mensch ist illegal bekommen Gesprächsangebote von offizieller Seite, und die Reaktionen darauf sind so verschieden wie die Gruppen, die diese Kampagne tragen. Einige teilen die Einschätzung der NGOs, wonach es positiv zu bewerten sei, daß Rot-Grün überhaupt gesprächsbereit sei. Man solle deshalb an "Migrationspolitischen Runden" und ähnlichem teilnehmen. Andere wiederum halten den Aufwand für überflüssig. Angesichts der Überarbeitung vieler Aktivisten, sei es nicht sinnvoll, an folgenlosen Gesprächen teilzunehmen. Die Gefahr eines Dialogs mit den Mächtigen liege im Verlust der Autonomie der Kampagne. Einigkeit bestand jedoch darin, daß man sich nicht spalten lassen wolle in gesprächsbereite "Reformisten" und aktionistische "Radikale". "Die Stärke der Kampagne", betonte ein Redner, "liegt in ihrer Vielfalt".
Nur eine Woche vor der Konferenz fand in München eine zweitägige Dauerdemonstration gegen eine Massenabschiebung nach Togo statt. Der Protest war in Zusammenarbeit der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, der Kampagne kein mensch ist illegal und der togoischen Exilopposition organisiert worden. In den Medienberichten über die Aktion wurden jedoch vor allem Landtagsabgeordnete von SPD und Grünen zitiert, die kurz anwesend waren und lediglich das "unsensible" Vorgehen der Behörden bei der Vorbereitung der Abschiebung, nicht aber die Planung einer Abschiebung als solche kritisierten.
Wenn Mitglieder von Regierungsparteien die Rolle einer Pseudoopposition einnehmen wie in diesem Fall, gibt das Anlaß zu der Frage, inwiefern von der Kampagne politische Spielräume bisher zu wenig genutzt wurden. Ein anderes Beispiel ist der Protest gegen die rassistische Unterschriftenkampagne der Unionsparteien zur doppelten Staatsbürgerschaft: Konnten antirassistische Gruppen die parlamentarische Opposition angreifen, ohne dabei ein Gesetz zu verteidigen, das hinter allen Erwartungen zurückbleibt und, wenn man es ernst nimmt, den größten Teil der MigrantInnen die hier leben, von einer Gleichberechtigung ausschließt? Müßte eine linke außerparlamentarische Kritik der Regierungspolitik nicht noch viel offensiver und gezielter vorgetragen werden? Und würde sie dann eventuell von einer liberalen Öffentlichkeit gehört werden?
Geklärt wurden die Fragen bei dem Münchner Treffen keineswegs. Klar schien jedoch, daß es darum gehen müsse, die eigenen Inhalte und Forderungen als Ausgangspunkt zu nehmen und damit die realpolitischen Ansätze zum Thema Asyl zu konfrontieren. Das dürfte jedoch nicht bedeuten, daß deshalb die Unberechenbarkeit der Kampage, die sich aus den unüberschaubaren Aktivitäten der verschiedenen Gruppen ergibt, aufgegeben wird, um dadurch einen festen Platz im politischen Zirkus zu erreichen.
Planungen, nicht nur für den Sommer
Letztes Frühjahr wurde im Rahmen der Kampagne kein mensch ist illegal ein "antirassistischer Sommer" ausgerufen. Ein Jahr später ist die Notwendigkeit von Flüchtlingsunterstützung und antirassistischer Öffentlichkeit kein Stück geringer geworden. So wird es auch in diesem Sommer eine Reihe von Aktivitäten geben, bei denen der Slogan "kein mensch ist illegal" eine zentrale Rolle spielen wird.
Auf der Konferenz der Kampagne kein mensch ist illegal in München wurden zahlreiche Aktivitäten der nächsten Zeit vorgestellt. Ein Schwerpunkt wird die Teilnahme an den Gegenaktivitäten zu den Kölner Gipfeltreffen (EU, G8) im Juni sein. Auf dem Gegenkongreß am 17./18. Juni wird die Kampagne zusammen mit der Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen zum Thema Migration und Rassismus präsent sein. Zuvor findet in Neuss am 12. Juni 1999 die Demonstration gegen den dortigen Frauenabschiebeknast statt.
Den Sommerurlaub wird die Kampagne dann in der Nähe von Zittau verbringen. Vom 7.-15. August findet wieder ein Aktionscamp an der Grenze statt. Mit vielfältigen Aktivitäten soll "die Festung Europa, wenn nicht ins Wanken gebracht, so doch zumindest thematisiert" werden. Partys, Konzerte, Besetzungen, Fluchthilfen, Diskussionsrunden, Spaß-Aktionen, Demonstrationen, Radio, Internet-Aktivitäten, Grenzöffnungen und mehr sind geplant oder eben ungeplant.
Für alle diese Ereignisse wird es eine weitere Ausgabe der Kampagnen-Zeitung kein mensch ist illegal geben. Ausführlicher wird man sich in einem Handbuch informieren können, das demnächst ebenfalls unter dem Titel "kein mensch ist illegal" erscheint.
Trotz der verschiedenen Großaktionen wird einen wesentlichen Schwerpunkt weiterhin die Arbeit vor Ort ausmachen: In immer mehr Städten gibt es Projekte zur medizinischen Versorgung von Menschen ohne Papiere. Nach wie vor wird der Slogan "kein mensch ist illegal" ein bißchen wahrer gemacht durch Zufluchtsprojekte, Beratungsarbeit und andere Fluchthilfen. Die politische und praktische Zusammenarbeit mit Gruppierungen von Flüchtlingen und MigrantInnen bringt immer wieder Erfolge bei der Verhinderung von Abschiebungen.
Bei dem nächsten Treffen (das auch in Köln stattfindet) der beteiligten Gruppen werden dann am 25./26. September die gemeinsamen Aktionen des Sommers sowie die lokale Arbeit reflektiert und Neues geplant, um dem Recht eines jeden Menschen, selbst zu entscheiden, wo und wie er leben will, immer mehr Geltung zu verschaffen.
imo