Aufstand im Call Center
Die Arbeitnehmerinitiative Citifinanzberatung kämpft gegen die Citibank
Arbeitswelt verkehrt: Während überall Konzerne wirkungsvoll mit Standortdrohungen agieren, um sich ArbeitnehmerInnen, Betriebsräte und Gewerkschaften gefügig zu machen, wird im Arbeitskampf, der die Call Center der Citibank in Duisburg und Bochum erfaßt hat, von Beschäftigten sogar die Forderung "Schließung sofort!" erhoben.
Am 13.08.1998 wurde den 450 Beschäftigten des "Citiphone Banking" der Citibank in Bochum die Schließung der Betriebsstätte zum 30.06.1999 verkündet. Eine generelle Übernahme der Beschäftigten in ein neues Service-Center in Duisburg sei nicht geplant, hieß es von Seiten der Citicorp Deutschland AG. Dennoch betonten die Sanierer die "soziale Dimension" ihrer Ankündigung: JedeR Beschäftigte der Citifinanzberatung "dürfe sich für Duisburg bewerben", und der Neuanfang sei, wenn ein Arbeitsvertrag zustandekomme, eine Riesenchance. Damals ahnten weder die Verantwortlichen bei der Citibank noch die betreuende Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (hbv), daß etwa ein dreiviertel Jahr später die überwiegende Mehrheit der Call-Center-Agents das Angebot eines Arbeitsvertrages für das Duisburger Service-Center als schreckliche Drohung empfinden würde.
Die Telebanker des "Citiphone Banking" waren von Anfang an eine vom Rest der Citibank ausgegrenzte Belegschaft. Sie sind aber auch eine Belegschaft, die sich selbst gezielt vom sogenannten "Citiway", den globalen, "ethischen Grundsätzen" der Citibank abgrenzt.
Die Citibank gründete 1989 das "Citiphone Banking" als eine outgesourcte Unternehmenseinheit, die nicht dem Bankentarif unterlag. All das, was insbesondere im Banken- und Versicherungsbereich mittlerweile Standard ist, wurde hier von der Citibank vorexerziert: die Auslagerung von standardisierten Tätigkeiten in formell selbständige Call-Center mit Billiglöhnen. Aber während das Rezept der Zentralisierung des Massengeschäftes in Call Centern vorbildlich aufging und die Citibank zum Marktführer im Telebanking machte, verhob man sich gründlich bei dem Versuch, Mitbestimmung und gewerkschaftliches Engagement herauszuhalten.
Renitente Telebanker
In Bochum wurden vorwiegend studentische Beschäftigte eingestellt. Das Management ging dabei von einer geringen Durchschnittsverweildauer der ArbeitnehmerInnen und einer ebenso geringen Schnittmenge von StudentInnen und Gewerkschaftsmitgliedern aus und glaubte so, die Gefahr einer Einschränkung totaler unternehmerischer Freiheit klein halten zu können. Dabei hat man sich gründlich verkalkuliert.
Bereits 1991 gründete sich aus einem Kern ASTA-erfahrener Beschäftigter ein äußerst schlagkräftiger Betriebsrat, der im Laufe der nächsten Jahre übertarifliche Lohnstrukturen und Arbeitsbedingungen durchsetzte und auch bei Standort- und Verlagerungsdrohungen nicht einknickte. Das Argument, bestimmte Standards seien im Citibank-Konzern "weltweit" so, veranlaßte die Bochumer Beschäftigten und ihre Interessenvertretung erst recht dazu, ihren Ruf als "kleines, gallisches Dorf" in der von Citibank-Unternehmen besetzten Welt zu kultivieren: eine Oase des Widerstandes gegen eine Konzernpolitik, die auf die globale Gleichmacherei der Beschäftigten bis in den Bereich des Verhaltens, der Ethik und der Gesinnung setzte.
Nach der Fusion der Citibank mit der Investment-Bank Travelers beschloß das neue Management die Zusammenfassung der sechs Call-Center-Einheiten in Duisburg, Bremen, Mannheim, Köln, Gelsenkirchen und Bochum in einer neuen Zentrale in Duisburg. Damit sollte auch das "Bochumer Ärgernis" elegant aus der Welt geschafft werden.
Während alle anderen Einheiten dem Bankentarifvertrag unterliegen und somit Rationalisierungsschutz, Betriebsübergang und Mitbestimmungsrechte bei personellen Einzelmaßnahmen erhalten blieben, gilt dies für das Bochumer Unternehmen nicht. Die Citibank-Manager gaben zu verstehen, daß man die überwiegende Mehrheit der Bochumer Beschäftigten gerne in Duisburg sehen wolle; von einigen würde man sich jedoch trennen, drei mal darf man raten von welchen.
Das Management verließ sich darauf, daß die Scharen bereits fertig geschulter Telebanker sich bewerben würden, so daß man die Guten ins Töpfchen und die Schlechten ins Kröpfchen packen könne. Allerhöchstens rechnete man mit einigen kurzfristigen Protesten und Arbeitsniederlegungen. Doch bereits bei der nächsten Betriebsversammlung wurde die Bank unangenehm überrascht. Die Versammlung endete mit einem Aufruf, sich nicht weiter bei diesem Konzern zu bewerben, eine Aufforderung, der die große Mehrheit der Beschäftigten bis heute folgt. Ein überwiegender Teil der Beschäftigten hält es nicht mehr für moralisch vertretbar, bei einem Konzern mit einer derartigen Personalpolitik weiter zu arbeiten. Trotz oder gerade aufgrund der Lage auf dem Arbeitsmarkt wollen die Beschäftigten ein deutliches Zeichen setzen - daß man durch drohenden Arbeitsplatzverlust nicht erpreßbar ist und lieber das politisch Richtige als das von der Angst Diktierte tut.
Zwar gehen bis heute die Beschäftigten - entgegen den Befürchtungen der Bank - ganz normal ihrer Arbeit nach. Aber sie ließen und lassen die Citibank deutlich und öffentlich spüren, daß man sie mit allen legalen Mitteln als einen Gegner bekämpft, dessen Methoden, Menschenbild und Personalpolitik zum "Vorbild" für die gesamte Dienstleistungsgesellschaft zu werden droht; ein Gegner, zu dem man in keinem Abhängigkeitsverhältnis, auch nicht in dem der Lohnabhängigkeit, stehen darf.
Die Bochumer Beschäftigten kalkulierten bei ihren Strategien zur Bekämpfung des "Citivirus" kühl die negativen Folgen ihrer Bewerbungsverweigerung für die Citibank einerseits und ihren eigenen, aufgrund des steigenden Bedarfs an Call-Center-Agenten wachsenden Marktwert andererseits ein.
Der Call-Center-Markt boomt, qualifiziertes Personal wird gesucht. Die Citibank selbst hat die grundsätzliche Trennung vom Bochumer Personal offiziell mit veränderten und höheren Anforderungen im neuen Service-Center in Duisburg begründet. Nun sucht sie in Duisburg vergebens nach geeigneten Beschäftigten. Zwar ist die Arbeitsmarktsituation in Duisburg miserabel, doch der Markt für Call-Center-Agenten, an die relativ hohe Anforderungen im kommunikativen und psychologischen Bereich gestellt sind, ist abgegrast. Zu viele Call-Center-Betreiber sind bereits mit verlockenden Angeboten nach Duisburg geholt worden, schließlich werden solche Ansiedlungen z.Z. massiv mit öffentlichen Mitteln unterstützt. Jetzt wirbt die Citibank per Stadionsprecher im Duisburger Wedau-Stadion und mit Bewerbungsvordrucken am Duisburger Bahnhof um Personal. Ob man aber mittels dieser Anwerbestrategien Beschäftigte findet, die auch nur annährend über die Qualifikationen und Erfahrung der Bochumer TelefonistInnen verfügen, ist zumindest fraglich.
Unternehmensgründung als Widerstand
Besonders bitter ist für die Citibank, daß die Bochumer Beschäftigten eine "Arbeitnehmerinitiative" (Anicif) zur Neugründung eines eigenen Unternehmens vorangetrieben hat, die offen mit der Citibank um Personal konkurriert. Diese Initiative ist der Hauptgrund, warum viele Beschäftigte das Angebot eines zumutbaren Arbeitsvertrages in Duisburg wie ein Damoklesschwert über ihrem Haupt fürchten.
Das Selbstbewußtsein der Bochumer Beschäftigten ist nicht nur ausgeprägt in bezug auf ihre Kampfkraft, sondern auch in bezug auf ihre eigenen Qualifikationen und Fähigkeiten. Viele studentisch Beschäftigte im Bochumer Call Center arbeiten dort seit langem und verfügen über langjährige Erfahrungen sowohl im telefonischen Service als auch im Telemarketing. Die Bochumer Beschäftigten sahen hier rasch die Chance, die in der Gründung eines eigenen Unternehmens besteht.
Der ArbeitnehmerInneninitiative zur Neugründung eines eigenen Service-Centers sind bis heute über 100 Beschäftigte beigetreten, gerade mal halb so viele haben sich für die neue Einheit in Duisburg beworben. Wichtige Voraussetzung zur Neugründung ist ein hoher Eigenkapitalanteil. Der Betriebsrat hat einen ordentlichen Sozialplan ausgehandelt, der für die einen den wirtschaftlichen Nachteil mildert und für die, die an der Neugründung teilhaben, die Basis für den Eigenkapitalanteil bildet. Nicht auszudenken, wenn dieses Grundkapital nicht zusammenkäme, weil man zumutbare Arbeitsverträge in Duisburg angeboten bekommt. Die Gründer hätten dann die Wahl zwischen Pest und Cholera: entweder unter Verzicht auf die Abfindung nach Duisburg gehen, oder den Arbeitsvertrag ablehnen und ebenfalls auf die Abfindung verzichten. So kam es in Bochum zu der seltsamen Angst der ArbeitnehmerInnen vor dem Angebot eines Arbeitsplatzes in Duisburg.
Der zweite, strategische Eckpfeiler für den "langen Marsch" gegen die Citibank besteht in einer gezielten, alle Medien miteinbeziehenden Öffentlichkeitsarbeit als Bestandteil einer "Image-Kampagne" gegen die Citibank. Über die Grenzen des Citibank-Konzerns hinaus klären die Bochumer Beschäftigten Kunden und möglichen ArbeitnehmerInnen über die Citibank auf. Egal, ob im "world wide web", im Radio, im regionalen und bundesweiten Fernsehen - keine Gelegenheit wird ausgelassen, um die personalpolitischen und wirtschaftlichen Machenschaften des "global players" zu kritisieren und den Konzern unattraktiv zu machen.
Wer geht schon von einem bedrohten Arbeitsplatz zum nächsten? Die Bochumer Beschäftigten wissen, daß der Mutterkonzern weitere Rationalisierungsmaßnahmen plant. Weltweit ist der Abbau von 10.600 Stellen beabsichtigt, das Gros davon im Call-Center-Bereich in Deutschland und Großbritannien. Offenbar hat sich die Citibank mit der Beteiligung an Großkrediten in Rußland und der Fusion mit Travelers verkalkuliert. Es gibt sogar Gerüchte, die Citigroup stehe vor dem Konkurs, was aufgeschreckte Kunden zur Zeit dazu veranlaßt, bei den vor der Kündigung stehenden TelefonistInnen nach der Sicherheit ihrer Ersparnisse zu fragen. Und wer geht andererseits etwa als Investment-Kunde gerne zu einer Bank, die wegen Verstoßes gegen das amerikanische "Anti-Geldwäsche-Gesetz" ins Gerede kommt, wie jüngst in der spektakulären "Salinas-Affäre", über die die Times berichtete?
Um ihrer "Image-Kampagne" gegen die Citibank Durchschlagskraft zu verleihen, wendet sich die kämpfende Belegschaft gerne an Organe, die eigentlich wenig mit ArbeitnehmerInneninteressen am Hut haben, dafür aber von Kunden und Konkurrenten der Citibank gelesen werden, wie etwa das Handelsblatt oder Capital, die beide über die zweifelhafte Personalpolitik der Citibank berichteten.
Die Gewerkschaft unterstützt den Kampf
Der dritte Eckpfeiler neben der Bindung von Personal an die erwähnte ArbeitnehmerInneninitiative und eine gezielte Informationspolitik ist die Kooperation mit der zuständigen Gewerkschaft hbv. Um diese effektiv zu gestalten, mußten zunächst einige Hindernisse behoben werden. Die betreuende Gewerkschaft hbv sah zunächst vor allem das Projekt "Selbständigkeit" mit äußerster Skepsis. Ihre Strategie zielte darauf ab, einen Betriebsübergang für die Bochumer Einheit nach Duisburg zu erkämpfen.
Gewerkschaftspolitisch ist dies nachvollziehbar. Der Betriebsübergang würde dem Bochumer Betriebsrat als Interessenvertretung der numerisch stärksten übergehenden Einheit zumindest ein Übergangsmandat sichern. Zudem ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Bochumer Einheit mit über 60% für ein Call Center enorm hoch. Dies wäre für die hbv eine exzellente Basis für eine offensive Tarifpolitik im Call-Center-Bereich mit Signalwirkung über die Citibank hinaus auf die ganze Branche. Zudem teilen Gewerkschaften und Arbeitgeber die Skepsis vor zuviel Selbständigkeit der ArbeitnehmerInnen. Wozu brauchen ArbeitnehmerInnen die Gewerkschaften, wenn sie ihre Probleme ohne deren Hilfe lösen?
Seitdem sich aber die Bochumer ArbeitnehmerInneninitiative als der Kern auch des gewerkschaftlichen Widerstandes in Bochum (und darüber hinaus) erweist und mit ihrer Hilfe in Bochum der weltweit erste Call-Center-Streik initiiert wurde, hat sich die Lage verändert. Die hbv hat in ihren Forderungskatalog an die Citibank, mit der man ab dem 13. April in Verhandlungen über einen Tarifvertrag für das Duisburger Service-Center eintritt, die aktive Unterstützung der ArbeitnehmerInneninitiative mit Geld- und Sachmitteln aufgenommen. Das prinzipielle Ziel der Initiative deckt sich mit den gewerkschaftlichen Zielen: Arbeitsplatzerhalt am Standort, Schaffung von guten Arbeitsbedingungen, Wahrung der Mitbestimmungsrechte. Für die Initiative besteht kein Widerspruch darin, der Citibank den Rücken kehren zu wollen und trotzdem für den Standorterhalt wie für die KollegInnen in der neuen Duisburger Einheit zu kämpfen.
Die Gründung eines eigenen Unternehmens ist ein Segment im Kampf um die Emanzipation der noch relativ jungen Arbeitnehmerschaft im Bereich der neuen, computergestützten Teledienstleistungen. Ziel ist ein höheres Maß an lokaler Unabhängigkeit von den globalen Strategien der Konzerne. Call Center sind einfach auf- und auch wieder abzubauen. Sie werden daher von den Banken und Versicherungskonzernen im großen Stil als Instrument der Rationalisierung und als Drohmittel gegen die ArbeitnehmerInnen im Kerngeschäft genutzt: Fordern Bankkaufleute höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Mitbestimmung, so werden sie ganz schnell in ein nicht-tarifgebundenes Call Center ausgelagert.
Die Bochumer ArbeitnehmerInneninitiative läßt sich von derartigen Drohgebärden jedoch nicht beeindrucken. Eine Signalwirkung über den Bochumer Standort hinaus ist gewollt. Dazu bedarf es öffentlichkeitswirksamer Aktionen. Die Gewerkschaft hbv und die ArbeitnehmerInneninitiative nutzen hier Synergieeffekte: Indem die Mitglieder der Initiative sich an Aktionen der Gewerkschaft hbv gegen die Personalpolitik der Citibank beteiligen und die hbv wiederum die ArbeitnehmerInneninitiative öffentlich in Szene setzt und ihre Aktivitäten unterstützt, bringen sie sich gegenseitig ins Gespräch.
Die einzigen, die die ArbeitnehmerInnneinitiative nicht gerne sehen, sind die Manager der Citibank. Sie machen die Initiative nicht nur dafür verantwortlich, daß Bewerbungen von Beschäftigten aus Bochum entgegen den eigenen Erwartungen ausfallen, sondern auch für die massive Image-Kampagne gegen die Citibank auf allen öffentlichen Ebenen. Vor allem die Präsenz im Internet unter http://www.hirondelle.de/cif (demnächst unter http://www.germany.labournet.org/call-op) ist dem Konzern äußerst unangenehm.
Bleibt im Interesse selbstbewußter ArbeitnehmerInnen und der gesellschaftspolitisch einflußreicher Gewerkschaften zu hoffen, daß die Gewerkschaft(en) die äußerst schlagkräftige "Anicif" auch über den 30.06.1999 in ihre Planungen aktiv miteinbeziehen; an diesem Tag schließt die Citifinanzberatung in Bochum ihre Pforten.
Ähnliches gilt im übrigen für die nordrhein-westfälische Landesregierung. Die Citibank hat an das Land einen Förderantrag über 7,23 Mio. DM für die Einrichtung in Duisburg gestellt; die von Arbeitslosigkeit bedrohten Citibanker würden so den Verlust ihrer Arbeitsplätze auch noch über ihre Steuergelder mitfinanzieren. Statt darüber nachzudenken, ob man diesen Antrag positiv bescheidet, sollte das Land NRW alles tun, um der "Arbeitnehmerinitiative Citifinanzberatung" beim Erhalt und der Schaffung von Arbeitsplätzen unter die zwar starken, aber finanziell "nackten" Arme zu greifen. Es ist schließlich nicht verboten, die Eigeninitiative der Arbeitnehmer statt den Rationalisierungswahn der Konzerne öffentlich zu fördern.
Hannes Oberlindober
Der Autor ist Sprecher der Arbeitnehmerinitiative Citifinanzberatung