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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 426 / 14.5.1999

So offen wie noch nie

Frankreichs KP versucht es bei der Europawahl mit Pluralismus

Seit dem 18. März sind Hammer und Sichel vom Titel der traditionsreichen Zeitung des Parti communiste francais (PCF), L'Humanité, verschwunden. Sie trägt nennt sich auch nicht länger "Zeitung (bzw. vor 1994: Zentralorgan) der Französischen Kommunistischen Partei". Ebenfalls geändert wurden Format und Lay-out. Gut einen Monat lang hatte L'Humanité diesen Neuerungen täglich mindestens drei Seiten gewidmet. Prominente aus der linken Intelligenzia und der Kulturwelt, Gewerkschafter und Persönlichkeiten aus dem Umfeld der KP hatten jeder auf seine Art unterstrichen, wie wichtig die Rolle der "neuen Humanité" sei.

Ihr Erscheinen wurde im Grand Stade de France - dem für die Fußball-WM im Vorjahr entstandenen Monumentalstadion - mit einer großen Feier begangen. Was vom PCF wie ein gesellschaftliches Großereignis vorbereitet wurde, war in Wirklichkeit nüchternen Realitäten geschuldet: L'Humanité, die - wie alle Zeitungen mit geringen Werbeeinnahmen - Recht auf staatliche Zuschußfinanzierung hat, schreibt mit rund 5 Millionen DM jährlichem Defizit chronisch rote Zahlen. Im Herbst 1998 war man daher überein gekommen, die neben der Tageszeitung erscheinende Wochenausgabe L'Humanité Hebdo in eine bloße Samstagsbeilage der Tageszeitung umzuwandeln - obwohl die Wochenzeitschrift - bereits vor anderthalb Jahren mit einer redaktionellen Autonomie gegenüber der Partei ausgestattet - selbst keine Verluste einfährt. Die damit verbundenen 40 Entlassungen führten - eine historische Premiere - zu Arbeitskampfmaßnahmen innerhalb des KP-Presseapparats.

"Weder für noch gegen die Regierung"

Auch die französische KP setzt derzeit darauf, durch freundliche Formgestaltung massive innere Probleme zu überspielen. Wichtigstes Symptom dafür ist die Liste des PCF zu den Europaparlamentswahlen, die zwischen Mitte Februar und Mitte März in zwei Anläufen vorgestellt wurde. Sie gehorcht dem Prinzip der "doppelten Parität"; das bedeutet: je 50 Prozent Männer und Frauen, je 50 Prozent kommunistische und nicht-kommunistische KandidatInnen. Von PCF-Sekretär Robert Hue wird sie daher als Ausgeburt der "Offenheit" und der Öffnung zur "Zivilgesellschaft" präsentiert, als "Liste der sozialen Bewegungen", welche die Trennung zwischen letzteren und der Politik aufhebe.

Zu den prominentesten Nicht-KP-KandidatInnen, die bereits im Februar vorgestellt wurden, zählen die bisherige "interministerielle Beauftragte zur Gleichstellung der Frauen" der Jospin-Regierung, Geneviève Fraisse, und der frühere Chef der regierungsnahen Antirassismusgruppe SOS Racisme, Fodé Sylla, dessen Nähe zum linken Flügel der Sozialdemokratie ein offenes Geheimnis ist (sein Vorgänger Harlem Désir ist mittlerweile "nationaler Sekretär" des Parti Socialiste). Hinzu kommt der - mittlerweile sozialliberale - ehemalige Chefökonom der KP der Ära George Marchais, Philippe Herzog, der bereits dem Europaparlament angehört und 1989 als Spitzenkandidat die Liste der französischen KP anführte. Herzog trat auf dem letzten Parteitag im Dezember 1998 mit der Begründung aus der KP aus, diese vertrete nicht genügend die Interessen der Unternehmen, angesichts der "Wettbewerbszwängen", denen sie unterlägen. Heute ist er informeller Berater von Premierminister Jospin.

Auffällig war also, daß nahezu alle von der KP präsentierten und hochgelobten Repräsentanten der "Zivilgesellschaft" mehr oder minder prominente Vertreter sozialdemokratischer Politik sind. Ähnliches gilt für weitere Kandidaten wie Roger Hanin (ein Vertrauter von Ex-Präsident Mitterrand) oder Pierre Bergé (Direktor des Unternehmens Yves Saint-Laurent), der 1995 zur Wahl des gaullistischen Präsidentschaftskandidaten Chirac aufgerufen hatte.

Im zweiten Anlauf, anläßlich der Vorstellung der Gesamtliste am 13. März 99, hat die KP nach links hin nachgebessert. Man findet etwa die prominenten Gewerkschafter Michel Deschamps (bis zur Ankündigung seiner Kandidatur amtierte er als Chef der linken und teilweise KP-nahen Lehrergewerkschaft FSU; er vertraute am 15. März 99 Libération an: "Ich persönlich hätte auch auf der Liste der Sozialistischen Partei kandidieren können") und Denis Cohen von der CGT Energie, was dort zu erheblichen Spannungen, bis in die Organisationsspitzen hinein, geführt hat. Denn die Führung um Cohen hatte eine Mobilisierung gegen das neue Gesetz zur Umsetzung der EU-Richtlinie bezüglich der Öffnung des Strommarkts für europaweite private Konkurrenz blockiert. Dies, um der Linksregierung den Rücken freizuhalten und statt dessen lieber zu versuchen, zusammen mit der KP-Fraktion geringfügige Nachbesserungen am Gesetzentwurf anzubringen (so bleiben die relativ hohen Subventionen des öffentlichen Unternehmens EDF für das Kultur- und Sozialbudget seines Betriebsrats erhalten).

Mit dem deutschen IG Metall-Mitglied Helga Amail Schröder findet sich eine weitere Gewerkschafterin aus einem anderen EU-Land. Die Arbeitslosenaktivisten Francois Desanti (CGT-Erwerbslosenkomitee) und Malika Zediri (von der KP-nahen Erwerbslosengruppe Apeis) und die italienische Vertreterin der Homosexuellen-Bewegung, Michaela Frigolini, sollen weitere Anbindungen an die sozialen Bewegungen garantieren. So entstand eine Liste, die gegensätzliche politische Orientierungen gleichzeitig zu verkörpern sucht und nach Bekunden von Spitzenkandidat Robert Hue "weder für noch gegen die Regierung eintritt". Um die Unabhängigkeit vom PCF zu betonen, wählte man die Eigenbezeichnung "die von Robert Hue und Geneviève Fraisse geführte Liste". In einer ihrer ersten Erklärungen forderte sie die Erteilung von Aufenthaltsgenehmigungen an jene rund 60.000 Sans-papiers ("illegale Immigranten"), die bei der "Legalisierungs"operation vom letzten Jahr abgewiesen wurden.

Die Positionierung als beste Garantin ebenso feministischer wie antirassistischer Positionen wurde jedoch von aktiven Unerstützern der Sans-papiers teilweise deutlich zurückgewiesen. Diese erinnerten daran, daß Fodé Sylla, Kandidat auf Platz 5 der Liste, die Sans-papiers-Bewegung vor zwei Jahren auf ihrem Höhepunkt als "von radikalen Politaktivisten manipuliert" bezeichnete und daß er für die Unterordnung des Rechts auf Einwanderung unter jährlich festzulegende Quoten eintritt. Positive Unterstützung hingegen hatte die Sans-papiers-Bewegung seinerzeit von anderen jetzigen KandidatInnen auf der PCF-Liste erhalten, namentlich von der linksalternativen Aktivistin Aline Pailler, die bereits 1994 als parteilose Bewerberin auf der damaligen PCF-Liste ins Europaparlament gewählte wurde.

"Je weniger Kommunisten desto besser"

"Um links zu regieren, muß man zuhören können", erklärten unterdessen die ersten PCF-Plakate, die Fotos von sozialen Protesten und Sans-papiers-Demonstrationen zierten; damit wird geschickt die Unterstützung sozialer Bewegungen und die Regierungsbeteiligung auf einen vermeintlich gemeinsamen Nenner gebracht. Andere Plakate warben: "Offene Partei sucht freimütige Geister".

Nicht alle sind jedoch von der neuen "Offenheit" der lange Zeit als monolithischer Block auftretenden KP begeistert. Für viele ist die Rezeptur "Coco light" (Coco ist ein französischer Kosename für Kommunisten) nur ein Synonym dafür, daß der KP ihre früher vermeintlich in eherne "historische Gesetze" eingeschriebene Orientierung seit dem Fall der Mauer sowie dem offenkundigen Scheitern ihrer einstigen Konzepte des "parlamentarischen Wegs zum Sozialismus" weitgehend abhanden gekommen ist. Die Regierungsbeteiligung und die damit verbundenen Anpassungszwänge an "wirtschaftliche Realitäten" und machtpolitische Rahmenbedingungen tragen derzeit das Ihre zur Desorientierung der Parteibasis bei.

"Ich werde Ihnen etwas sagen: Je weniger Kommunisten es in der Kommunistischen Partei gibt, desto besser ist es für die Partei". Dies ließ die freche Polit-Puppensendung des Privatsenders Canal Plus, Les guignols de l'info ("Die Nachrichten-Kasperl") die Puppe Robert Hues sagen. Das war eine Anspielung auf Hues jüngsten, betont "konstruktiven" Diskurs: Im Interview mit der Wirtschaftszeitung La Tribune hatte er betont, die Kommunisten seien "keine Gegner des Marktes", sondern wollten ihn lediglich "in den Dienst der menschlichen Bedürfnisse und nicht der Profite einer privilegierten Minderheit stellen". Die Puppe durfte hinzusetzen : "Der Markt? Das ist doch nicht schlecht an sich, wenn er nur richtig betrieben wird. Die Unternehmer? Die sind doch nicht schlecht an sich, und viele Unternehmer sind ja ehemalige Arbeiter (...) Die Arbeiter? Ach ja - für die wird schon immer was abfallen." Befragt nach dem Abschneiden der Offenen Liste bei den Europaparlamentswahlen, antwortete der Puppen-Hue: "Diesbezüglich vertraue ich auf Gott. Wissen Sie, Gott ist doch nichts Schlechtes, wenn es nur richtig betrieben wird."

Auch ohne göttliche Hilfe könnten die EU-Wahlen für die KP, die einen jährlichen Mitgliederverlust von 3 bis 4 Prozent zu verkraften hat, trotz aller Eiertänze positiv oder zumindest glimpflich ausgehen. Denn voraussichtlich wird der PCF eine Reihe enttäuschter sozialdemokratischer Wählerinnen und Wähler auffangen können, die sich ein bißchen mehr sozialen "Nachdruck" hinter der Regierungspolitik wünschen, ohne daß sie mit der Regierungskoalition brechen wollen.

Bernhard Schmid, Paris