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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 426 / 14.5.1999

Vom Internet zum LabourNet

Betriebslinke wollen sich surfend vernetzen

Das Internet bietet bisher unbekannte Möglichkeiten der schnellen, direkten und demokratischen Kommunikation. Mit dem LabourNet präsentiert sich ein Projekt, das das Internet in diesem Sinne als Chance für eine basisorientierte Vernetzung der internationalen ArbeiterInnenbewegung begreift. Wir möchten mit diesem Beitrag gleichzeitig in eine allgemeinere Diskussion über Chancen und Gefahren der modernen Telekommunikationstechnologien für linke Politik einsteigen .

Das Internet macht die Welt sprichwörtlich zu einem globalen Dorf. Kommunikation von einem Ende der Erde zum anderen geschieht innerhalb von wenigen Sekunden. Wenn man vom Internet spricht, ist meistens das "World Wide Web" gemeint, ein Medium zur Darstellung und zum Abruf von Informationen. Doch obwohl der Kapitalismus im Zeitalter der Netzwerkgesellschaft die Welt zusammenbringt, heißt es noch lange nicht, daß eine Kommunikation und darauffolgend ein Handeln auch auf der Ebene der ArbeitnehmerInnen stattfindet. Fast jedeR kennt McDonalds, eine weltweite Organisation von McDonalds-Beschäftigten ist aber noch lange nicht in Sicht. Das liegt an der Struktur der weltweiten Kommunikation, aber auch an tradierten Gewerkschaftsstrukturen.

Das Internet ändert sich ständig. Informationsknoten im Netz erscheinen und verschwinden, und die Kommunikation zwischen den Knoten hat keinen vordefinierten Weg. Die Information muß nicht von irgendeiner Stelle freigegeben werden, bevor sie weitergegeben werden darf, und was mit ihr schließlich geschieht, hängt von den sendenden und empfangenden Knoten ab.

Kommunikation gegen Gewerkschaftshierarchien

Im Gegensatz dazu stehen die offiziellen Gewerkschaften und ihre Hierarchien. Welche Information es gibt und wohin sie geht, wird normalerweise im Voraus definiert, der Dienstweg muß eingehalten werden. In den offiziellen gewerkschaftlichen Strukturen ist die Meinung weit verbreitet, daß eine Auseinandersetzung nur erfolgreich sein kann, wenn sie von oben "organisiert" wird.

Wenn wir diese offiziellen Strukturen als Netzwerke ansehen, können wir sie nur als ein starres Netz mit einer festen (oder zurückgehenden) Anzahl von Knoten betrachten. Der Informationsfluß geht hauptsächlich in eine Richtung. Von oben kommen die Ideologie und die Befehle, die von unten ausgeführt werden sollen. Die Gewerkschaftsstrukturen sind im allgemeinen hierarchisch und spiegeln den Kapitalismus des 19. Jahrhunderts wider, zu dessen Bekämpfung sie aufgebaut wurden.

Jetzt, am Ende des 20. Jahrhunderts haben viele dieser Pyramiden ihre Basis verloren oder sind gerade dabei, sie zu verlieren. Die Globalisierung von Einkauf, Produktion und Vertrieb durch die Arbeitgeber hat weltweit neue Probleme für GewerkschafterInnen gebracht. Es wird zunehmend unmöglich, unsere Stellung innerhalb nationalstaatlicher Grenzen zu verbessern oder auch nur zu verteidigen. Internationale Zusammenarbeit und Solidarität sind unbedingt erforderlich geworden.

Zweifelsohne wird es den offiziellen Gewerkschaften schwerfallen, ihre Mitglieder zu ermuntern, ohne explizite Anordnungen von der Zentrale tätig zu werden. Sie müßten außerdem ihre Mitglieder ermutigen, selbständig zu denken. Die Zeiten sind vorbei, wo die Gewerkschaften in der Lage waren, auf alles Antworten zu geben (Ob diese richtig waren, ist noch ein ganz anderes Thema). Die notwendigen neuen Kommunikationsformen und Arbeitsweisen beruhen darauf, daß sie nicht-hierarchisch sind und daher im Widerspruch zu den gegenwärtigen Arbeitsweisen der Gewerkschaften stehen. Die gewerkschaftlichen Strukturen des 19. Jahrhunderts müssen also geändert werden, um dem geänderten, vernetzten Kapitalismus begegnen zu können.

Computerkommunikation war und ist für die Arbeitgeber ein äußerst wichtiger Bestandteil des Globalisierungsprozesses. Als ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen können wir der Macht der multinationalen Konzerne nur gegenübertreten, wenn wir diese Technologie voll ausnutzen. Durch das Internet ist es für GewerkschaftsaktivistInnen nun möglich, mit anderen zu kommunizieren, ohne jegliche Behinderung von GewerkschaftsfunktionärInnen. "Offizielle Kanäle" gehören der Vergangenheit an.

Doch wie erfahren z.B. weltweit verstreute Konzernbeschäftigte voneinander? In einer Netzwerk-Gesellschaft müssen wir uns auch vernetzen. Heutzutage haben wir nicht nur mit echten Unternehmen zu tun, sondern zunehmend auch mit virtuellen. International werden "Unternehmen" zusammengestellt, die in keinem Land eine wirkliche Basis haben. Sie bestehen aus Einzelteilen, die über verschiedene Teile der Welt verstreut sind. Diese virtuellen Unternehmen existierten für ein gewisses Projekt, werden anschließend zerlegt und anders wieder zusammengesetzt. Die "rechtliche Einheit", d.h. ein Unternehmen, das in einem Land seinen Sitz hat, existiert nur wegen der Gesetze eines Landes, spielt aber ansonsten keine Rolle. Es wird zur Regel, daß Unternehmen in einer internen internationalen Arbeitsteilung ein Produkt, das in mehreren Ländern gleichzeitig entwickelt wird, woanders konstruieren und wieder woanders produzieren.

Wenn wir nicht unbeteiligte ZuschauerInnen - oder gar Opfer - werden wollen, müssen wir lernen, diese Arbeitsweise zu kopieren. Wir müssen uns selbst vernetzen, wenn auch etwas anders, als es die Bosse tun. Wenn irgend etwas aus den Kämpfen der Liverpooler Docker oder dem einst geplanten koreanischen Generalstreik zu lernen ist, dann jenes, daß inoffizielle Basisaktivitäten gestärkt werden müssen.

Das gegenwärtige Bündnis der Hafenarbeiter an der US-amerikanischen Westküste und der japanischen Werftarbeiter zeigt, was ohne Vorplanung möglich ist. Die Besitzer der "Columbus Canada" mußten dies jüngst schmerzlich erleben. Das Schiff war während des "Krieges in den australischen Häfen" (1998 waren die australischen Häfen Schauplatz eines mehrwöchigen Arbeitskampfes, ak) von Streikbrechern geladen worden. Nun mußte es 16 Tage lang auf See bleiben, weil niemand in den USA bereit war, das Schiff zu entladen. Das Schiff mußte samt Ladung zurückgeschickt werden. Kostenpunkt: 10 Millionen Dollar . Die Firma hat außerdem zusagen müssen, von einer Anklage gegen die ILWU (US-amerikanische Hafenarbeitergewerkschaft, ak) und die Mitglieder der gewerkschaftlichen Ortsgruppen abzusehen, die vor den Häfen Streikposten aufgestellt hatten.

LabourNet - eine
Spinne im Netz

Solche Erfolge, wie z.B. auch bei den zwei Aktionstagen der Liverpooler Docker, waren möglich, weil "LabourNet" als eine Spinne im weltweiten Netz die Informationen aus den einzelnen Ländern gesammelt und zur Verfügung gestellt hat. Damit ist die Kommunikation der AktivistInnen untereinander ermöglicht worden. Die ArbeiterInnenbewegung wurde in der Tradition von Organisation und Solidarität aufgebaut, und "LabourNet" hat vor, diese Traditionen auf das Computerzeitalter zu übertragen. Es fördert Computerkommunikation als ein Mittel für die Stärkung und den Aufbau gewerkschaftlicher Organisation.

LabourNet fing als eine Website an, die den Streik der Liverpooler Docker unterstützte. Es war ein Zwei-Personen-Unterfangen. Inzwischen berichtet LabourNet über viele Aktivitäten der ArbeiterInnenbewegung weltweit und ist inzwischen sehr bekannt geworden. Vier neue LabourNets sind gegründet worden, eines in Korea, eines in Kanada, eines in der spanisch sprechenden Welt und eines in Deutschland. Ein neues LabourNet wird demnächst in den Niederlanden erwartet.

Vielleicht ist die Tatsache erstaunlich, daß LabourNet aus den Taschen derjenigen finanziert wird, die auch noch die meiste Arbeit leisten; vor dem Hintergrund der geschilderten Gewerkschaftsstrukturen verwundert das weniger. In Hinterzimmern und in Wohnzimmerecken, von Leuten, die mehr erwerbslos als in Arbeit sind, wird Kommunikation für die ArbeiterInnenbewegung initiiert und manchmal koordiniert. Webseiten werden entworfen, geschrieben und veröffentlicht.

Man wird vergeblich nach einer gewissen politischen Linie unter uns suchen. KeineR von uns schaut hin, wer welches Parteibuch (wenn überhaupt) besitzt. Unsere Hintergründe sind ziemlich unterschiedlich, manche von uns haben einen journalistischen Hintergrund. In der Mehrzahl haben wir unsere Erkenntnisse über HTML und das World Wide Web durch praktische Erfahrung erworben. Wir haben ein gemeinsames Ziel: das größtmöglichste internationale Netzwerk für die ArbeiterInnenbewegung zu schaffen.

Dazu möchten wir mit anderen Kommunikationsnetzwerken der ArbeiterInnenbewegung, sowohl innerhalb als auch außerhalb des APC (1) zusammenarbeiten. LabourNet arbeitet deswegen auch eng mit der APC-Schwesterorganisation, LaborNet, zusammen. Wir möchten auch mit GewerkschaftsaktivistInnen zusammenarbeiten, die andere Kommunikationsmedien wie z.B. Video, Filme und Radio für die ArbeiterInnenbewegung entwickeln. Zusammen können wir eine echte Alternative zu den vom Kapital kontrollierten Medien und seinen Staatsorganisationen aufbauen und daran arbeiten, deren einseitige Ausrichtung und Verdrehungen zu kontern. Deswegen unterstützen wir auch die Kampagne gegen ENFOPOL, mit dem die EU eine Totalüberwachung des Internet ein-führen will. (2)

Im Grunde wird unsere Arbeit - wo nötig - durch eine Administrationsliste oder durch den Austausch von Mails koordiniert. Jedoch ist dies nicht der wesentliche Punkt. Das Geheimnis, warum LabourNet so erfolgreich geworden ist, liegt in der Tatsache, daß wir vom Kapitalismus selbst gelernt haben. Er ist international und zunehmend vernetzt, und auch wir benutzen aktiv moderne Technologie, um uns zu vernetzen.

Im allgemeinen arbeitet LabourNet auf Basisebene. Zu einem gewissen Grad erfolgt zwar eine Koordination, jedoch nicht in dem Sinne, daß Streiks koordiniert werden, sondern in dem Sinne, daß Informationen koordiniert werden. LabourNet als eine Website stellt Information zur Verfügung. Es können Informationen sein, die nur sehr schwer in den Medien zu finden sind wie etwa zum "Krieg in den australischen Häfen" oder zum koreanische Generalstreik. Jedoch müssen diese Informationen gelesen werden. Sie wandern nicht automatisch auf den Schreibtisch von AktivistInnen aus der ArbeiterInnenbewegung. Sie müssen sie abholen, oder, um dies etwas anders auszudrücken, sie müssen ein Interesse daran haben und bereit sein, diese Informationen zu suchen - und weiterzuverbreiten.

Virtueller Treffpunkt
der Gewerkschaftslinken

Die Frage ist dann, was diese AktivistInnen mit der Information machen. Nehmen wir als Beispiel den australischen Hafenarbeiterstreik. Wir machten und machen eine Kampagne für die dortigen Werftarbeiter. Wir veröffentlichten Informationen über die Geschehnisse in Australien und Informationen darüber, was die Werftarbeiter an Unterstützung, vorrangig aus den USA, bekommen. Diese Informationen können weiterverbreitet werden, zum Beispiel in den "Newsgroups". Der entscheidende Punkt ist jedoch, daß diese Informationen es kämpfenden GewerkschafterInnen ermöglichen, Kontakt miteinander aufzunehmen. Was sie dann tun, ist ihre Sache. Unser Interesse ist es, die daraus entstehenden Aktivitäten als ein Beispiel für andere bekanntzumachen.

Kommunikation setzt nicht nur voraus, daß SenderIn und EmpfängerIn miteinander kommunizieren wollen. Sie müssen es auch können, technisch wie inhaltlich. Obwohl Englisch die internationale Sprache ist, kann nicht jedeR diese Sprache schreiben. Was man von Angesicht zu Angesicht noch hinbiegen kann, ist viel schwieriger, wenn man schriftlich kommunizieren muß. Erschwerend kommt die Tatsache hinzu, daß alles nicht so einfach zu übersetzen ist. Ein anderes Land, andere Sitten. Wie erklärt man z.B. einer AmerikanerIn in einfachen Worten, was ein Betriebsrat ist? Auch in Europa ist das nicht so einfach. EinR HolländerIn kann sich unter dem Begriff "Betriebsrat" schon etwas vorstellen. Dennoch sehen die Funktionsweise, Kompetenzen und Rechte in den Niederlanden zum Teil anders aus. In Großbritannien schließlich wäre Übersetzung ("works council") so gut wie bedeutungslos.

Jedes Land hat eine andere Kultur. Der Kapitalismus hat sich zwar fast überall durchgesetzt; es wäre trotzdem falsch anzunehmen, daß es eine weltweit gleiche ArbeiterInnenkultur geben würde. Die Art der ArbeitnehmerInnenvertretung ist von Land zu Land z.T. erheblich unterschiedlich. Ganz allgemein gibt es zwar fast überall eine "Interessenvertretung", es ist jedoch schon innerhalb Europas schwierig, die Feinheiten von Land zu Land zu verstehen. Außerdem passiert es immer wieder, daß alles aus der Sicht der eigenen Kultur betrachtet wird. Eine erfolgreiche Kommunikation setzt aber voraus, daß man die Leute so nimmt, wie sie sind. Auch ist es nicht immer selbstverständlich, vermeintlich "gemeinsame Interessen" anzuerkennen.

Um die Kommunikation zu erleichtern und zu vermitteln, wächst die Struktur des LabourNet. Neben der internationalen Seite (http://www.labournet.org/) gibt es immer mehr nationale Seiten. Sie alle sind über diese Hauptadresse erreichbar. Die, die wir hier vorstellen wollen, ist "LabourNet Germany", die deutschsprachige Site, die unter einer direkten Adresse zu finden ist: http://www.germany.labournet.org/

Wir verstehen uns ausdrücklich als ein virtueller Treffpunkt der Gewerkschafts- und Betriebslinken. Informationen über aktuelle Arbeitskämpfe sind hier ebenso zu finden wie immer mehr oppositionelle Betriebszeitungen und Diskussionsbeiträge. Wir bemühen uns, international wichtige Informationen zu übersetzen, zumindest in Kurzfassung.

Gegenwärtig wird LabourNet Germany von zwei Menschen gemacht, nach Feierabend und am Wochenende. Unser gemeinsames Ziel ist die Stärkung gewerkschaftlicher Demokratie durch die Verwendung von Computertechnologie. Dadurch sollen genaue Informationen zur Verfügung gestellt und außerdem GewerkschaftsaktivistInnen die Möglichkeit gegeben werden, ihre Meinung kundzutun. Unsere Arbeit ist daher in zweifacher Hinsicht als ein Angebot zur Mitarbeit zu verstehen:

Einerseits sind Freiwillige aus der ganzen Welt willkommen, die Zugang zum Internet haben und bei LabourNet mitarbeiten wollen. Wir haben keinen Mangel an Arbeit, und es gibt immer wiederkehrende, aber notwendige Arbeiten zu erledigen, bei denen wir Hilfe brauchen: übersetzen, einscannen usw. Andererseits bieten wir allen Betriebsgruppen und -zeitungen ein Forum zur Verbreitung ihrer Informationen - auch international - an. Hierfür müssen sie lediglich an uns (siehe die E-mail-Adressen unten) gesandt werden. Wir bieten aber auf dem Server auch Platz für Gruppen an.

LabourNet ist durch Offenheit gekennzeichnet. Jeder und jede kann etwas beitragen. Die einzigen Anforderungen, die wir an Informationen stellen, sind die, daß sie genau und wahr sind. Eine Diskussion über veröffentlichte Artikel ist dabei ausdrücklich gewünscht. Man könnte sagen, daß wir nicht nur Kommunikation fördern, sondern sie provozieren wollen!

David Hollis/Mag Wompel

Die AutorInnen sind wie folgt per E-mail zu erreichen:
david.hollis@ERLANGEN.NETSURF.DE UND
MAG.WOMPEL@KOMA.FREE.DE

Anmerkungen:

1) Association for Progressive Communications, das progressive Netzwerke weltweit miteinander verbindet. Die Site von LabourNet Germany ist auf dem britischen GreenNet Server zu finden, einem Mitglied im APC.

2) Siehe http://www.freedomfolinks.de