Bundesweit gegen AKWs
Der schwere Weg zur Demo
Schon immer war die Anti-AKW-Bewegung für Überraschungen gut. Möglicherweise auch in diesem Jahr wieder. Denn die auf der Frühjahrskonferenz in Heidelberg (siehe ak 425) beschlossene bundesweite Demo gegen das Atomprogramm kommt nicht aus den Startlöchern. Nun soll ein erstes großes Vorbereitungstreffen am 29. Mai in Göttingen stattfinden, um zu klären, ob eine solche Demonstration denn auch machbar ist.
Es ist schon kurios: Seit Monaten diskutieren Standorte-Initiativen und verschiedene Gruppen eine bundesweite Demonstration im Oktober 99. Ein Termin, an dem sich Rot und Grün und Atomwirtschaft über einen Konsens einigen sollen. Ein Termin, der auch eine Bilanz von einem Jahr Rot-Grün in Bonn erlaubt. Eine Demo, die die Bewegung in den Stand setzen könnte, sich unabhängig von rollenden Atomtransporten eigenständig einzumischen, der Regierung klar zu machen, daß Sofortausstieg sofort zu geschehen hat und daß ein Konsens ohne die Anti-AKW-Bewegung eben kein Konsens ist. Eine Demo, die vermutlich auch für andere Oppositionelle in diesem Land eine Anziehungskraft haben könnte, läßt diese Regierung doch keinen Fettnapf aus, widerlegt sie sich doch in nahezu allen Fragen innerhalb kürzester Zeit selbst. Eine Demo, in deren Mobilisierungsphase der Kampf um die Köpfe und der Kampf um die Meinungen hätte geführt werden können, ein Kampf, bei dem man nicht die Meinungsführerschaft in Sachen Atomausstieg bei den Grünen beläßt. Eine Phase, in der mit Veranstaltungen, Flugblättern, Aufklebern, Gesprächen mit potentiellen Bündnispartnern von Gewerkschaftern über Friedensbewegung bis hin zu Autonomen eine mächtige Stimme organisieret werden könnte, die der Bundesregierung ihre Grenzen beim Kungeln mit dem Kapital aufzeigen könnte.
Fast alle Initiativenvertreter sagen denn auch seit Monaten, daß eine solche Demo eine extrem gute Sache sei, daß man sie unbedingt machen müsse. Und so hatte auch die Heidelberger Frühjahrskonferenz der Anti-AKW-Bewegung keine Probleme, eine solche Demonstration zu beschließen. Allein der Ort der Veranstaltung (Berlin oder Hannover, vgl. ak 425) war strittig.
Viele Fragezeichen
Doch ob es zu einer solchen Demo wirklich kommt, steht derzeit durchaus in Frage. Denn trotz aller positiver Aussagen, daß diese Demo erforderlich sei, ist in der Anti-AKW-Bewegung keinerlei Stimmung verspürbar, daß das auch wirklich ernst gemeint ist.
Ein erstes (schlecht besuchtes) Treffen, das eine Einladung zu dem großen Bündnistreffen im Mai erarbeiten und klären sollte, auf welchen Wegen und an wen diese Einladung multipliziert werden müßte, hatte gleich zwei gravierende Probleme. Denn zuvor hatte die BI Lüchow Dannenberg sowohl am geplanten Demotermin Anfang Oktober als auch am Demoort Hannover Kritik geübt. Die BI würde die Demonstration gern auf den 13. November verschoben wissen, ein Datum, an dem vor allem die wendländischen Bauern mit der Ernte fertig sind und deren landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge daher auch für andere Zwecke als der Landbearbeitung einsetzbar sind. Was den Demoort Hannover angeht, bestehen nicht nur bei der BI Bedenken. Eine Mehrheit der Initiativen, die sich aktiv an der Vorbereitung einer solchen Demo beteiligen wollen, plädieren weiter für Berlin und sehen in Hannover erhebliche bündnispolitische Probleme für eine bundesweite Demo. Außerdem hatten sich vor der Frühjahrskonferenz in Heidelberg die Standorte-Initiativen auf ihren Treffen mehrheitlich für Berlin ausgesprochen. Demgegenüber hatte dann aber die Heidelberger Konferenz Hannover "empfohlen" (aber nicht beschlossen!).
So politisch sinnvoll eine solche bundesweite Demonstration auch erscheint, die Ausgangslage ist zur Zeit einigermaßen unübersichtlich. Nach drei Monaten Debatte ist bis heute nicht wirklich klar, an welchem Ort und an welchem Termin das ganze stattfinden wird.
Für diejenigen, die die Verantwortung für die Umsetzung des Beschlusses der Frühjahrskonferenz übernommen haben, ist das eine denkbar dumme Situation. Man kann nun auf zweierlei Weise mit dieser Situation umgehen. Durchziehen, darauf hoffen, daß im Herbst keine Atomtransporte rollen und die Dinge schon so laufen werden, daß eine große Demo dabei rauskommt, die Initiativen aufspringen und das Ding zum Erfolg bringen. Klappt das, war alles richtig, gut und wunderbar. Klappt das nicht, blamiert sich zwar die Anti-AKW-Bewegung, aber das dürfte bei den später folgenden Castorblockaden in Gorleben, Ahaus oder wo auch immer wieder vergessen sein. Oder man vergißt die ganze Sache ganz schnell.
Wie es aussieht, wird es einen Mittelweg geben, d.h., das für Ende Mai geplante Bündnistreffen wird von entscheidender Bedeutung sein, ob es diese Demonstration geben wird. Hier muß die Anti-AKW-Bewegung Flagge zeigen und klar machen, ob sie entsprechend ihrer politischen Überzeugungen auch handlungsfähig ist - oder ob sie doch zu einer Anti-Castor-Bewegung geworden ist, die vor allem dann massenhaft aktiv wird, wenn Atomtransporte nach Gorleben und Ahaus rollen.
Beschlüsse? Wozu?
Es muß auch kritisch gefragt werden, welche Bedeutung die bundesweiten Konferenzen für die Anti-AKW-Bewegung überhaupt noch haben. Schon seit längerer Zeit ist zu beobachten, daß hier gefaßte Beschlüsse nicht unbedingt auch als gemeinsame Aufgabe angesehen werden. Eher entwickeln sich diese Konferenzen immer mehr zu einem Sammelsurium von Einzelthemen, deren inhaltliche Klammer zwar alle aufsagen können, die in der Realität aber immer weniger auch praktiziert wird. Obwohl eine satte Mehrheit sich in Heidelberg für eine Demonstration aussprach, scheinen die meisten schlicht davon auszugehen oder zu hoffen, daß es im Herbst zu den ersten Castortransporten unter Rot-Grün kommt. Das nennt sich dann Heimspiel oder Selbstgänger. Denn tatsächlich dürfte dieser erste Atomtransport ohne weiteres zu einem Massenereignis werden.
Doch dann sind vermutlich die politischen Weichenstellungen gelaufen. Der rot-grüne Atomkonsens dürfte eingefahren sein, bzw. die Grünen hätten zugunsten der weiteren Regierungsbeteiligung den von Schröder inzwischen laut angekündigten Ausstieg in 20 - 30 Jahren geschluckt.
Der Versuch, sich jetzt in diese Kontroverse einzumischen, sie durch eine bundesweite Demonstration unabhängig von rollenden Castoren zuzuspitzen, wäre vertan.
Die derzeitige Situation macht durchaus deutlich, daß die Anti-AKW-Bewegung sich in einer gesellschaftlichen Nische einrichtet. Im Bewußtsein, massenhafte Anti-Castor-Aktionen aus dem Handgelenk zu schütteln, glaubt sie, in die gesellschaftlichen Debatten nicht eingreifen, ihre Inhalte und Vorstellungen nicht in die Öffentlichkeit tragen zu müssen.
In den vergangenen Jahren, beim Überwintern in kleinen Gruppen, haben sich viele Inis mit regionalen Spezialthemen befaßt, haben sich angewöhnt, ihre Aktivitäten allein nach örtlichen Möglichkeiten und den eigenen Kräften auszurichten. Lediglich in Gorleben oder Ahaus kam man zusammen und stellte sich quer. Bündnispolitik wird dabei schon seit Jahren nur noch von ganz wenigen betrieben. Die "halb-autonomen" irgendwie linken und oppositionellen, anders leben wollende BIler haben sich meist in einer kleinen Szene eingerichtet. Warum man sich mit Menschen und politischen Vereinigungen, die nicht unmittelbar Anti-AKW-Arbeit leisten und die nicht ähnlich organisiert sind oder aber als linksradikale Gruppe gelten, absabbeln sollte, ist für viele keine Frage: Wer nicht sofort für Sofortausstieg ist, mit dem redet man am besten schon gar nicht mehr!
Natürlich ist das ein überzeichnetes Bild: Diese Gruppen und ihr Umfeld sind es nämlich auch, die erheblich zu den Mobilisierungen in Gorleben und anderswo beitragen, sie sind es, die mit ihren Aktionen den Bullen die Arbeit machen und damit die Massenaufgebote an Grünen hervorrufen. Sie sind es, die irgendwie die Machtfrage stellen. Und sie sind es, die immer wieder betonen, der Widerstand müsse unberechenbar bleiben, nur dadurch sei er für die Gegenseite so gefährlich. Und das ist sogar irgendwie richtig. Doof ist nur, daß diese Unberechenbarkeit auch innerhalb der Anti-AKW-Bewegung immer mehr um sich greift.
Es ist erstaunlich: seit Monaten kritisiert sich die Anti-AKW-Bewegung selbst, indem sie feststellt, daß sie zu sehr zur Anti-Castor-Bewegung geworden ist. Das ist vor allem dann nervig, wenn keine Castortransporte rollen, - denn dann hat man ja nichts zu tun. Wer jedoch glaubte, eine solche Kritik würde in die Richtung zielen, sich wieder stärker auch in die gesellschaftlichen und politischen Kontroversen, wie sie in den vergangenen Monaten jeden Tag in der Zeitung nachzulesen waren, einzumischen, irrte sich.
Im Norden zogen verschiedene Initiativen die Konsequenz, sich von der "Anti-Castor-Bewegung" zur "Anti-UF6-Bewegung, die aber auch Castortransporte blockieren wird, wenn es wieder welche gibt", zu verändern. Für die, die es nicht wissen: UF6 ist ein Zwischenprodukt bei der Herstellung von frischen Brennelementen bzw. den erforderlichen Uran-Tabletten. Der Widerstand soll, so die Argumentation, nicht erst bei der Entsorgung, (Castor) sondern bereits bei der Versorgung der AKWs mit Brennstoff einsetzen, um so die Atomwirtschaft früher anzugreifen. Die entsprechende Anlage, in der das UF6 verarbeitet wird, steht in Gronau. Zwar ist dieser Gedanke durchaus nachvollziehbar, aber wie man damit unter heutigen Bedingungen eine gesellschaftliche Kontroverse um die weitere Nutzung der Atomenergie entfachen will, ist zumindest dem Autor nicht klar.
Wichtig wäre, heute, hier und jetzt eine Kontroverse um die Inhalte und Ziele der Anti-AKW-Bewegung gegen die Rot-Grünen zu führen, ihnen die Sympathisanten wegzunehmen. Deswegen wäre die bundesweite Demonstration im Herbst so wichtig. Und deswegen ist zu hoffen, daß Ende Mai ein wirklich starkes Treffen zu, stande kommt und die Demo aufs Gleis setzt.
DSe
Für eine bundesweite Demonstration: Konsens ist Nonsens! Das erste Bündnis- und Vorbereitungstreffen findet statt am: 29. Mai 1999, von 12 bis 17 Uhr in Göttingen, DGB Haus (Großer Saal), Obere-Masch-Straße 10. Kontakt: 040-4225203