Kein Platz für Kosovo-Flüchtlinge, nirgends
Ungebrochene Kontinuität in der deutschen Flüchtlingspolitik
Für den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien gibt es nur die eine offizielle Begründung: Die Vertreibung der Kosovo-AlbanerInnen durch das Milosevic-Regime soll gestoppt werden! Diese Argumentation ist Grundlage einer beispiellosen Propagandamaschinerie, die fast alle Medien kritiklos übernehmen und der hierzulande erstaunlich viele Menschen Glauben schenken. Fakt ist, daß sich durch das angeblich humanitäre Dauerbombardement der NATO die Vertreibungen und das Flüchtlingselend dramatisch verschärft haben.
Daß es der NATO nicht darum geht, die Flüchtlinge zu schützen, wurde auf besonders schreckliche Weise deutlich, als zweimal - angeblich versehentlich - Flüchtlingstrecks bombardiert wurden. Wie sehr sich die Hilfsbereitschaft der Militärlogik unterwerfen muß, zeigt sich auch darin, daß die Hilfsflüge stark eingeschränkt worden sind, um den Luftraum für Bombenangriffe freizuhalten.
Nach Schätzung des UNHCR, der Flüchtlingshilfeorganisation der Vereinten Nationen, sind 650.000-800.000 Menschen aus dem Kosovo auf der Flucht. Andere Quellen sprechen von über einer Million Flüchtlingen und Vertriebenen, die sich in der Region und den angrenzenden Ländern Albanien und Mazedonien aufhalten. Bei diesen Flüchtlingen handelt es sich nicht nur um Kosovo-AlbanerInnen, sondern auch um Angehörige der serbischen Minderheit im Kosovo, was in der Kriegsberichterstattung des Westens meistens verschwiegen wird. Ebenso wird nichts bekannt über Kriegsflüchtlinge aus Belgrad und anderen Regionen Jugoslawiens, die zum Kriegsziel der NATO erklärt wurden. Keine Rede ist von den Deserteuren, den Mitgliedern der jugoslawischen Oppositionsbewegung, den Menschen, die fliehen müssen, weil die NATO durch Bomben auf Treibstoffanlagen und Chemiefabriken ihre Umwelt und Lebensgrundlagen zerstört hat.
Täglich werden Bilder vom Elend der geflohenen Kosovo-AlbanerInnen um die Welt geschickt und damit suggeriert, daß die NATO-Kriegsmaschinerie ihnen helfen will. Dazu gehören insbesondere auch Bilder von humanitären Einsätzen der Soldaten. Weitere 1.000 Bundeswehrsoldaten, die demnächst nach Mazedonien und Albanien geschickt werden, sollen dort u.a. Flüchtlingslager aufbauen. Die Verquickung von militärischen Aufgaben und humanitären Hilfsleistungen dient ebenfalls der Kriegspropaganda. Bilder von Soldaten, die niedlichen Babies die Flasche geben, sind heutzutage weit wirksamer als Marschmusik und martialische Aufmärsche. Damit wird verschleiert, daß eine Entsendung von Soldaten in die Nachbarländer letztendlich den Einmarsch von Bodentruppen vorbereiten soll.
Dies ist nicht nur der erste Kriegseinsatz der NATO seit ihrer Gründung. In diesem Krieg werden auch zum ersten Mal in Europa große Gruppen von Flüchtlingen militärisch gelenkt und in Schach gehalten. Die Flüchtlinge werden militärisch daran gehindert, aus den völlig überforderten Ländern Mazedonien und Albanien, die zu den ärmsten Ländern Europas gehören, auszureisen. Die NATO beteiligt sich an der Bewältigung der Aufgaben, die sich aus der großen Zahl von Flüchtlingen ergeben. Sie übernimmt federführend die Logistik und nimmt den Hilfsorganisationen zunehmend das Heft aus der Hand. NATO-Truppen bauen Flüchtlingslager auf, alle befinden sich an der Grenze in unmittelbarer Nähe von NATO-Verbänden, und man kann darüber spekulieren, ob die NATO die Flüchtlinge als Schutzschild mißbraucht.
Verfolgung?
Welche Verfolgung?
Bis zum 5. Mai 1999 wurden lediglich 24.848 Flüchtlinge in anderen Ländern außer Albanien und Mazedonien aufgenommen, obwohl insgesamt 115.000 Aufnahmeplätze versprochen worden waren. Nach Ansicht der Hilfsorganisationen liegt dies hauptsächlich daran, "daß die Eingliederung der Albaner in modernen Gesellschaften als schwierig betrachtet wird." (FR, 6.5.1999). Ein weiteres zynisches Argument ist, daß die Flüchtlinge in der Herkunftsregion bleiben sollen, um dem Milosevic-Regime nicht in die Hände zu arbeiten und um den Druck auf Belgrad aufrechtzuerhalten.
Deutschland, maßgeblich mitverantwortlich für diesen Angriffskrieg, brüstet sich damit, im Gegensatz zu anderen europäischen Staaten seine Aufnahmeverpflichtungen erfüllt zu haben. 9.974 Flüchtlinge sind bisher aufgenommen worden. Ein Vorschlag von Innenminister Schily, weitere 10.000 Flüchtlinge aufzunehmen, scheiterte bisher sowohl an den CDU/CSU-regierten Ländern als auch den Hardlinern in der SPD wie Hamburgs Innensenator Wrocklage. Dieser sprach sich gegen eine weitere Aufnahme aus, solange die anderen NATO-Partner nicht ihren "humanitären Beitrag geleistet" hätten (Hamburger Abendblatt, 4.5.99).
Es ist noch nicht allzu lange her, daß gerade Kosovo-AlbanerInnen massiv kriminalisiert wurden. Die Zeitungen, die heute so viel Herz für die Flüchtlinge zeigen, waren voller Hetztiraden gegen die sog. "Albaner-Mafia". Mit der rassistischen Argumentation, "kriminelle Kosovo-Albaner zählten nach Polizeierfahrung zu den besonders aggressiven Tätern in Deutschland", und dem Hinweis auf "Banden von Kosovo-Albanern", die angeblich die Drogenmärkte beherrschen, warnten CDU-Politiker noch einen Monat nach Kriegsbeginn vor einer "massenhaften Aufnahme von Kosovo-AlbanerInnen" (FR, 21.4.1999). Es ist in diesem Zusammenhang besonders brisant, daß der bayerische Innenminister Beckstein Kosovo-Albanern, die sich im Asylverfahren befinden, zugesichert hat, daß ihre Asylverfahren nicht verfallen, wenn sie sich entscheiden, zur UCK zu gehen, um in der "Heimat" zu kämpfen.
Kosovo-AlbanerInnen wurde noch bis zum Beginn der Bombenangriffe mit Abschiebung gedroht, und sie wurden aufgefordert, das Land zu verlassen. Ihre Asylgründe wurden für unglaubwürdig erklärt. Daraufhin gewährte England Kosovo-AlbanerInnen, die von Deutschland dorthin flüchteten, Asyl mit der Begründung, Deutschland sei kein sicheres Drittland mehr. Im Jahr 1996 wurde mit dem Milosevic-Regime ein Rückführungsabkommen geschlossen, auf dessen Grundlage bis kurz vor dem Krieg Flüchtlinge, auch Kosovo-AlbanerInnen, in die Bundesrepublik Jugoslawien abgeschoben wurden. Und auch jetzt noch versuchen die Ausländerbehörden, Flüchtlinge nach Mazedonien und Albanien abzuschieben. Flüchtlinge aus Jugoslawien, die auf eigene Faust hierherkommen, werden an der Grenze abgewiesen.
Seit Jahren leugnen Behörden und Gerichte eine Gruppenverfolgung von Kosovo-AlbanerInnen, u.a. mit der Begründung, "es gebe kein - für eine Asylanerkennung erforderliches - staatliches Verfolgungsprogramm Serbiens gegen die Bewohner des Kosovo" (FR, 21.4.1999.). Noch am 17. März, eine Woche vor Kriegsbeginn, schrieb das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in einem Bescheid: "Kosovo-Albaner unterliegen bei ihrer Rückkehr ins Heimatland weiterhin keiner Gruppenverfolgung." (FR, 30.4.99) Und erst Ende April zog das Auswärtige Amt seinen Lagebericht zur Einschätzung der Situation der Kosovo-AlbanerInnen vom 18. November 1998 zurück. Bis dahin hieß es immer noch: "In Kosovo hat sich die schwierige humanitäre Situation etwas entspannt.". Bei Asylverfahren dienen die Lageberichte des Auswärtigen Amtes als Entscheidungsgrundlage
Deserteure aus der serbischen Armee erhalten in der BRD und anderen europäischen Ländern keine Anerkennung als politische Flüchtlinge mit der Begründung, "wer aus der serbischen Armee oder den serbischen Sonderpolizeieinheiten desertiere und deshalb bestraft werde, werde nicht politisch verfolgt: denn Deserteure würden in jedem Land der Welt (zu Recht) bestraft". (Memorandum der IALANA - Juristinnen und Juristen gegen atomare, biologische und chemische Waffen)
Behandelt wie
der letzte Dreck
Viele Kosovo-AlbanerInnen, die hier bereits leben, wollen Verwandte und FreundInnen aus den Flüchtlingslagern nachziehen lassen und sind bereit, für sie zu sorgen. Die rot-grüne Bundesregierung hat die Ausländerbehörden jedoch angewiesen, einen Familiennachzug nicht zuzulassen und keine Verpflichtungserklärungen anzunehmen. Wie absurd und unmenschlich diese Unnachgiebigkeit ist, zeigt sich an dem Bemühen einer Familie, die hier Einkommen und ein Haus hat, die 109 Jahre alte Großmutter aus einem Flüchtlingslager in Albanien nach Deutschland zu holen. Lakonisches Statement der Ausländerbehörde: "Dann müssen Sie die Frau eben illegal über die Grenze bringen". Begründet wird diese Härte mit den Erfahrungen aus dem Bosnienkrieg. Damals kamen 300.000 Flüchtlinge statt der geplanten 100.000, weil ihre Verwandten sich verpflichtet hatten, für ihren Lebensunterhalt und Krankheitskosten aufzukommen. Da dies für kaum jemanden unbegrenzt möglich ist, mußten nach einiger Zeit Sozialleistungen gewährt werden. Auch Adoptionen von verwaisten Flüchtlingskindern sind nach Angaben des Internationalen Sozialdienstes nicht möglich. (taz, 30.4.99)
Die wenigen Flüchtlinge, die jetzt eingeflogen wurden, erhalten lediglich einen Status als Bürgerkriegsflüchtlinge mit einer Aufenthaltsbefugnis von drei Monate. Es ist völlig klar und wird immer wieder betont, daß sie nicht hierbleiben dürfen. Entsprechend wurden sie z.B. in Hamburg nach ihrer Ankunft auf einem völlig überfüllten "Wohnschiff" untergebracht, zu viert in Zweierkabinen von 12 qm Größe. Dort sollen sie sich nach offiziellen Aussagen "von ihren Kriegstraumata erholen". Einige wenige sind anschließend in einer Großunterkunft mit 900 Plätzen untergebracht worden, die mitten im Industriegebiet liegt und deren Schließung seit langem von Flüchtlingsinitiativen gefordert wird.
Die Flüchtlinge erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, d.h. Bar- und Sachleistungen weit unter dem Niveau des Bundessozialhilfegesetzes. Auch die medizinische Versorgung ist stark eingeschränkt, so daß Behandlung von Traumatisierungen mit Sicherheit ausgeschlossen sind. Nicht nur der Krieg der NATO im Kosovo, auch der Umgang mit den Flüchtlingen hier, zeigt, wie verlogen und zynisch das Gerede von den humanitären Einsätzen für Flüchtlinge und Menschenrechte ist.
Claudia Leitsch
Die Autorin ist Mitglied im Hamburger Flüchtlingsrat