Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 427 / 10.6.1999

Der Krieg im Kosovo begann nicht erst im März

Interview mit Manfred Kühle

Manfred Kühle, früher Aktivist der Friedensbewegung in Hamburg, arbeitet seit 1992 als Flüchtlingsberater bei der Diakonie in Lüchow-Dannenberg und ist zuständig für dezentral untergebrachte Flüchtlinge in Lüneburg. Er war in diesem und im vergangenen Jahr mehrmals im Kosovo unterwegs.

Frage: Seit wann bist du durch deine Arbeit mit dem Kosovo-Konflikt konfrontiert?

Manfred Kühle: Seit 1992. Spätestens Anfang 1998 war ich dann gezwungen, mich intensiver mit der Situation zu beschäftigen, weil die kosovo-albanischen Flüchtlinge aus Lüchow-Dannenberg sagten: Ihr müßt uns helfen. Das war unmittelbar nach dem Massaker in Drenica im Februar 1998, als die Entwicklung hin zu einem Krieg offensichtlich wurde, der dann spätestens im Juni vergangenen Jahres eskalierte.

Du sprichst für 1998 von Krieg. Gerade in der Linken ist das ja ziemlich umstritten. Viele behaupten, die Katastrophe sei eigentlich erst mit dem NATO-Angriff auf Jugoslawien eingetreten. Kann man wirklich schon 1998 von Krieg im Kosovo sprechen?

Es war ein Krieg. Es sind 40.000 Häuser zerstört worden, es sind hunderttausende durch den Kosovo getrieben worden. Sie sind eingeschlossen gewesen in der Hochebene. Damals hatten nur sehr wenige die Gelegenheit zur Flucht. 30.000 bis 40.000 Menschen sind nach Montenegro geflüchtet und 5.000 bis 10.000 nach Albanien, wo sie vor allem bei Gastfamilien untergekommen sind. Damals ging das noch wesentlich ohne Flüchtlingslager ab. Aber die Situation des Eingeschlossenseins, wie sie jetzt für hunderttausende wieder vorhanden ist, gab es bereits letztes Jahr.

Und das war das Ergebnis einer planvollen, von oben angeordneten Politik?

Natürlich. Anders ist das gar nicht zu erklären. Es hat seit 1996 einzelne Angriffe gegeben von einzelnen Leuten, die sich UCK nannten, Angriffe auf serbische Einrichtungen. Man hat diese Angriffe genutzt, um gegen die kosovo-albanische Bevölkerung einen Krieg zu beginnen, der lediglich von einer "OSZE-Pause" im Winter unterbrochen worden ist. Einzelne "terroristische" Übergriffe von UCK-Kämpfern sind genutzt worden, um einen Vertreibungskrieg, heute partiell einen Vernichtungskrieg gegen die albanische Bevölkerung zu beginnen. Es waren damals nur einige Hundert Menschen Mitglieder der UCK. Erst nach der Eskalation durch das Massaker in Drenica haben die Menschen ihre Waffen aus den Kellern geholt oder sich welche besorgt und haben sich dann sozusagen naturwüchsig als Dorfbeschützer dieser Organisation UCK angeschlossen und sich selber zu Mitgliedern der UCK erklärt, ohne daß sie in Kommandostrukturen eingebunden gewesen wären. Die Zahl der UCK-Kämpfer ist dann seit Frühjahr 98 von wenigen Hundert auf mehrere Zehntausend gestiegen. Das war eine spontane Reaktion auf den Krieg gegen die Bevölkerung.

Du sagst, die Vertreibung hat 1998 massiv eingesetzt. Kann man sagen, daß damals schon das Ziel bestand, die gesamte albanische Bevölkerung aus dem Kosovo zu vertreiben?

Ich habe natürlich keinen Einblick in die Archive der Serben. Für das Regime war es schwierig, eine Vertreibungspolitik zu beginnen gegen die eigene Bevölkerung - mitten in Europa, am Ende des 20. Jahrhunderts - und zu begründen, auch im Hinblick auf Bündnisnotwendigkeiten, im Hinblick auf Rußland, China, Griechenland, Mazedonien. Aber man muß wissen, daß es diese Pläne schon sehr lange gibt. Daß sie aktualisiert worden sind auf ziemlich hohem intellektuellen Niveau in den 80er Jahren und dann manifest geworden sind im neuen großserbischen Nationalismus, repräsentiert durch Milosevic, und später in einem mit faschistischen Zügen.

Ich sehe Prozesse, die in Richtung Faschismus gehen. Sie sind festzumachen an der Behandlung der Opposition, der Säuberung der Universitäten von kritischen Professoren, die durch Parteigänger ersetzt werden; sie sind festzumachen an gezielten Massakern, der Massenausrichtung der Menschen auf faschistoide Ziele.

Siehst du das Ziel der serbischen Politik gegenüber den Kosovo-Albanern darin, sie restlos zu vertreiben, sie durch Gewalt bis hin zu Massakern zu veranlassen, das Land zu verlassen?

Die alten Vertreibungspläne haben nie vorgesehen, daß alle Albaner das Kosovo verlassen sollen. Sie waren immer festgelegt auf Teilvertreibung, verbunden mit - wie die Albaner sagen - einer Kolonisierung durch Serben aus anderen Teilen des ehemaligen Jugoslawien. Den Vertreibungsdruck gibt es mindestens, seitdem Milosevic 1990 das Autonomiestatut aufgehoben hat. Daß er das Ziel verfolgt, den letzten Albaner aus dem Kosovo zu vertreiben, glaube ich nicht. Es geht um Herrschaftsabsicherung: "Herrenmenschen" organisieren ihre Herrschaft in einem bestimmten Gebiet. Nehmen wir zum Vergleich Südafrika: Buren als Minderheit organisieren den Staat Südafrika und lassen andere nicht partizipieren.

Wie weit verbreitet und wie tief verankert ist der spezielle serbische Rassismus gegenüber den Albanern?

Ich kann das schlecht beurteilen. Ich glaube nicht, daß die große Mehrheit der Serben so denkt. Aber es ist schon auffällig, daß es eine politikfähige Gruppe gibt, die so denkt und so agiert. Die Albaner lebten immer in einer Art Paria-Situation. Sie sagen selbst: Wir haben in Belgrad die Straßen gefegt, wir hatten die niederen Jobs. Die Albaner sind teilweise festgelegt gewesen auf bestimmte Berufsgruppen wie z.B. Konditoren - da gelten sie als Meister - oder Goldschmiede. Auch das sind Merkmale, wie wir sie von anderen unterdrückten Minderheiten einer Gesellschaft kennen. Albaner berichten viel von solchen Erlebnissen, auch aus der Tito-Zeit. Ein Freund von mir, der äußerlich kaum als Albaner erkennbar ist, hatte ein hervorragendes Verhältnis zu seinen serbischen Kollegen. Aber wenn die Schnapstassen voll waren, wurden die nationalistischen Lieder gegen die Albaner gesungen.

Aus nationalistischen Liedern und rassistischen Parolen folgen ja noch nicht zwangsläufig Gewalttaten. Welche Rolle spielt der Rassismus bei den Tätern, also bei denen, die Massaker begehen und die Vertreibung durchführen?

Solche Gefühle müssen eine Rolle spielen, anders ist die Brutalität nicht erklärbar. Zusätzlich ist als Erklärung noch anzufügen, daß neben dem Militär in den letzten zehn Jahren eine sehr gut ausgerüstete paramilitärische Sicherheitspolizei entstanden ist, die für die Abstützung des Regimes mindestens genauso bedeutsam ist wie die Armee und die auch sehr gepflegt worden ist als innenpolitischer Faktor zur Absicherung der Machtverhältnisse. Die spielt eine mindestens genauso große Rolle bei der Vertreibung, genauso wie bewaffnete serbische Zivilisten eine große Rolle spielen. Es ist ja auch nicht nur die Vertreibung, es vollzieht sich eine vollständige Aneignung des kosovarischen Eigentums. Riesenwerte wechseln den Besitzer. Auch das ist sicher ein Motiv für viele Menschen: sich an der Vertreibung zu bereichern. Es gibt jetzt sehr viel mehr serbische Millionäre als vor der Vertreibung.

Manche Linke sehen die Vertreibung als Folge der NATO-Intervention. Die westlichen Regierungen dagegen argumentieren, die systematische Vertreibung sei ohnehin geplant gewesen, unabhängig von der Intervention. Wie glaubwürdig ist das?

Dazu kann ich eine persönliche Beobachtung mitteilen. Im Dezember 1998, nach der Ermordung von sechs Serben in einem Lokal in Pec, - die vermutlich auf innerserbische Konflikte zurückging - geschah dreierlei: Es gab eine große orthodoxe Beerdigung mit Tausenden Serben, wo der Patriarch erklärte: Hier mußten Serben sterben, weil sie Serben waren. Parallel gab es eine Übung dessen, was wir heute im ganzen Kosovo erleben. Man hat in Pec, der zweitgrößten Stadt des Landes, mehrere Stadtteile abgesperrt, man ist systematisch durch die Häuser der Albaner gegangen, hat Mobiliar zerschlagen, Hunderte von Menschen verhaftet. Und man hat drittens ein kleines Pogrom veranstaltet, so daß alle Albaner sich verkriechen mußten; viele Geschäfte wurden geplündert und zerstört, die Scheiben zerschlagen. Das ist um den 15. Dezember 1998 passiert - ich würde das als Übung bezeichnen. Das ist hier nicht durch die Medien gegangen, obwohl sonst jedes kleine Scharmützel von der OSZE berichtet wurde, dieses Umschlagen der Situation aber ist nicht nach außen vermittelt worden. Es sind sicher auch OSZE-Leute daran beteiligt gewesen, daß nach dem Milosevic-Holbrooke-Abkommen dieser gravierende Prozeß bis zum Racak-Massaker im Januar 1999 nicht politisch bearbeitet worden ist. Damit will ich jetzt nicht behaupten, daß alles, was jetzt in der Dynamik der Ereignisse geschieht, vorher in Plänen so festgelegt worden ist. Aber die Tendenz war eindeutig - und zwar im Dezember schon und nicht erst mit dem Racak-Massaker. Der unvoreingenommene Beobachter konnte damals die Entwicklung absehen - sie fand statt unter den Augen der OSZE.

Woran zeigte sich diese Entwicklung noch - außer an dem Beispiel, das du genannt hast?

Da gibt es viele Punkte. Nehmen wir z.B. die Bauern, die noch im Herbst ihre Felder bearbeiten, den Boden umbrechen mußten - wenn die in Kontrollpunkte der Serben geraten sind, mußten sie Geld zahlen. Der ganze Kosovo ist für die Albaner eine einzige Wegelagerei gewesen. Es ist ab November der Anspruch verstärkt wieder durchgesetzt worden, daß die Sicherheitskräfte nach sogenannten Terroristen fahnden durften. Die OSZE hat das im Wesentlichen auch abgedeckt. Das ist ein Grundfehler des Milosevic-Holbrooke-Abkommens gewesen, daß es den serbischen Sicherheitskräften diese Legitimation verschafft hat. Denn das hat bedeutet, daß sie nach Zehntausenden fahnden durften, sie verhaften durften. Es sind ja nicht die gefaßt worden, die die UCK gegründet und die Kommandostrukturen gebildet haben. Verfolgt wurde vielmehr jeder einzelne, der nur in dem Bewußtsein gehandelt hat - ich schütze mein Dorf, ich schütze meine Kinder - indem er sich eine Waffe besorgt. Die hat man zum Zielpunkt gemacht. Damit war ein Grundproblem vorhanden, daß die Fahndung der Sicherheitskräfte unter Legitimation der OSZE sich zum Terror gegen große Teile der Bevölkerung auswachsen konnte. Das mündete dann, in Verbindung mit Demonstrationen von Serben Anfang Dezember und vor allem mit den Vorkommnissen in Pec, in eine Situation, die nur den Schluß zuließ, daß nun solche Vertreibungspläne durchgezogen wurden.

Hätte es, was die Politik der EU und der OSZE angeht, eine Alternative gegeben?

Wenn die OSZE einen anderen Auftrag gehabt hätte nach dem ersten NATO-Ultimatum und nach dem Abkommen, wenn der Auftrag gewesen wäre, einen Prozeß zu organisieren, der die Albaner wieder in ihr Menschenrecht, ihr politisches Recht und auch in ihr soziales Recht eingesetzt hätte - wenn dieser Auftrag von der OSZE und den vielen internationalen Organisationen umgesetzt worden wäre, hätte es vielleicht einen Prozeß geben können, der eine Alternative gewesen wäre. Das hätte aber vorausgesetzt, daß die EU sich über die Situation im Kosovo im Klaren gewesen wäre und diesen Prozeß auch mit erheblichen finanziellen Mitteln unterstützt hätte. Das hätte z.B. konkret bedeutet - nicht das Liefern von Plastikplanen zur notdürftigen Abdeckung zerstörter Häuser, sondern ein sofortiges Wiederaufbauprogramm für die zerstörten Dörfer. Das was Cap Anamur im Kleinen versucht hat. Es hätte bedeutet, das Gesundheitssystem wieder zunehmend in die Hände der Albaner zu legen, die zum großen Teil das Vertrauen in das staatliche Gesundheitswesen verloren hatten. Es hätte drittens bedeutet, daß man noch im Oktober darauf bestanden hätte, daß der alte Vertrag zwischen Rugova und Milosevic erfüllt wird, daß die Universität von Pristina wieder in die Hände der Albaner gegeben wird. Es hätte viertens bedeutet, daß man sofort das Schulsystem ausgebaut und gefördert hätte; daß man die vielen zerstörten Schulen wieder aufgebaut hätte und sie mit entsprechenden Mitteln ausgestattet hätte. Es hätte also ein sehr weitgehender politischer Prozeß sein müssen von seiten Europas, die Albaner gegen die Serben zu unterstützen. Diese zivilen Maßnahmen Schritt für Schritt dem serbischen Regime abzuringen - das wäre vielleicht die Alternative gewesen. Aber das hat man nicht im Blick gehabt, die OSZE ist in eine Beobachterrolle geschlüpft. Sie konnte beobachten, wie ein Goliath einen David zu zermalmen beginnt.

Ein Teil der Linken argumentiert ja gern mit den Lageberichten des Auswärtigen Amtes, in denen noch Anfang des Jahres behauptet wurde: Es gibt keine Gruppenverfolgung von Kosovo-Albanern. Wurde da bewußt gelogen oder hat der Westen nicht mitbekommen, was im Kosovo passiert?

Das hat der Westen genausowenig mitbekommen wie die Linken. Die Einschätzungen der Linken und auch die Handlungen der Linken finden eine völlige Entsprechung in den Erklärungen des Auswärtigen Amtes. Die Linke in Deutschland hat nicht erkannt, daß es dieses Apartheidregime mitten in Europa gibt und daß es einen Vertreibungsdruck gibt, der in Asylverfahren mit der juristischen Vokabel "Gruppenverfolgung" belegt wird. Es sollte sich jetzt kein Linker hinstellen und dem Westen Vorwürfe machen, er hätte da etwas verschlafen. Der Grundfehler des Westens war, daß er auf Milosevic als Stabilitätsfaktor auf dem Balkan gesetzt hat. Wir wissen, daß die Amerikaner Entsprechendes auch im Irak getan haben mit Saddam Hussein, wegen der Gefahr des Auseinanderbrechens des Irak. Deswegen hat man den Krieg seinerzeit gestoppt, um Saddam Hussein als Stabilitätsfaktor in der Region zu erhalten. So ähnlich muß man sich das hier auch vorstellen: Es ist ein Grundfehler gewesen, der aber schon sehr viel weiter zurückreicht.

Du sprichst von einer Entsprechung zwischen der deutschen Außenpolitik und den Versäumnissen der Linken. Nun gibt es ja eine eindeutige "Nicht-Entsprechung", was die Mittel angeht, sich über die Situation im Kosovo kundig zu machen: Im Unterschied zur Linken verfügt das Auswärtige Amt über einen riesigen Apparat. Steckt vielleicht doch mehr dahinter als Versäumnisse und Fehler - nämlich die politische Absicht, diesen Konflikt zu ignorieren?

Ich frage mich, ob nicht Leute, die an den Schaltstellen der Macht in Europa und den USA sitzen, doch informiert gewesen sind. Daß sie sehenden Auges ihre Politik betrieben haben. Aber das ist Spekulation. Ein strategischer Fehler war, mit Milosevic Verträge zu machen, statt ihn zu isolieren, nach dem, was er in Bosnien angerichtet hatte. Ihn politisch und wirtschaftlich zu isolieren - als Alternative zu einer militärischen Strategie. Ohne auf die Militärs zu hören, die gewarnt haben: Bevor ihr die erste Bombe über Belgrad abwerft, denkt über Bodentruppen nach - und wenn ihr das nicht wollt, raten wir euch, auf die Bombe zu verzichten; gezeichnet Klaus Naumann und viele, viele andere, die sich damit berufsmäßig beschäftigen.

Das hieße dann, daß die militärische Eskalation politisch gewollt war. Hätte es zum Zeitpunkt der Verhandlungen von Rambouillet noch eine Alternative gegeben?

Dazu fällt mir ein zynischer Satz ein: Die Alternative in Rambouillet und Paris ist nur noch gewesen, eine geordnete Evakuierung des Kosovo vorzunehmen und die Menschen zwischen Australien und Norwegen zu verteilen. Das wäre in der Situation - im März 1999 - die einzige Alternative gewesen. Darüber hätte man mit Milosevic ein Abkommen machen können: Du hast recht - und wir unsere Ruhe. Diese zynische Sicht hat ein Freund von mir entwickelt.

Kommen wir zur UCK. Die UCK war anfangs ein kleiner Haufen. Massenhaften Zulauf bekam sie erst nach den Massakern an der albanischen Zivilbevölkerung. Wie sieht es mit dem Rückhalt der UCK in der Bevölkerung aus?

Der ist immer schwankend gewesen und ist auch sicherlich jetzt schwankend. Ich denke, daß die UCK einen Fehler, einen vielleicht unverzeihlichen Fehler begangen hat, als sie die Bevölkerung aufrief, im Lande zu bleiben. Die Albaner sind zur Zeit in Albanien, Montenegro, Mazedonien - wo die Verhältnisse schlecht sind - sicherer als im Kosovo. Wir hatten im Juli letzten Jahres den Versuch der UCK, die Stadt Orahovac anzugreifen. Bis dahin war die Unterstützungsbereitschaft für die UCK ungebrochen. In Orahovac hat es das Massaker gegeben, das jetzt auch belegt ist - allerdings nicht in dem Umfang, wie es seinerzeit von dem taz-Korrespondenten Erich Rathfelder aufgrund von Hörensagen weitergegeben wurde. Aber es hat dort ein Massaker geben. Man kennt auch die Namen von denen, die dort umgebracht worden sind. Nach diesem fehlgeschlagenen Versuch hat es, vor allem in der städtischen Bevölkerung, eine breite Kritik an der UCK gegeben. Natürlich hat die UCK in diesem Jahr eine andere Rolle gespielt als im vergangenen. Damals war die UCK darauf fixiert, mit den Menschen zu flüchten, sich auch nur an wenigen Orten dem Kampf zu stellen. Sie hat sich mit den Menschen durch den Kosovo treiben lassen. Viele von diesen Menschen haben sich dann auch als UCKler verstanden. Jetzt sieht das anders aus: Die UCK will kämpfen, will sich stellen. Ob es ihr gelingt, weiß ich nicht. Heute behauptet ein NATO-General, daß die Menschen dort sicherer seien und auch dorthin flüchteten, wo die UCK stark ist. Ich meine, diejenigen Flüchtlinge sind am sichersten, die versuchen, aus dem Kosovo herauszukommen.

Noch mal zur UCK. Diejenigen, die ihre Waffen aus dem Keller holten, waren anfangs eher eine Art Heimatwehr, der ein hochgerüsteter Apparat gegenüberstand. Das hat sich geändert - auch durch Waffenlieferungen aus Deutschland und den USA?

Die Waffen der UCK kommen hauptsächlich aus Albanien. Es ist auch Material durch die albanische Regierung zur Verfügung gestellt worden. Dabei kann es sich auch um Waffenlieferungen gehandelt haben, die von Deutschland an die albanische Regierung gegangen sind. Ich vermute, die Waffen werden eher auf dem internationalen schwarzen Markt gekauft, in Kroatien und anderen Balkanländern. Sehr viele Waffen stammen aus China - das ist nicht gerade ein Hinweis darauf, daß gerade die deutsche oder die amerikanische Regierung den Hauptanteil des Nachschubs liefern würden. Tatsache ist, daß die UCK über mangelnde Bewaffnung klagt und entsprechende Unterstützung aus den NATO-Staaten fordert.

Aber die zahlenmäßige Stärke der UCK hat enorm zugenommen.

Da hat sich natürlich einiges verändert. Im Moment muß sie aber auf sehr viele untrainierte oder nur kurz trainierte Kämpfer zurückgreifen, die mit hoher Opferbereitschaft in diese Auseinandersetzung hineingehen - anders als die NATO-Soldaten. Ich will die UCK nicht im Geringsten glorifizieren. Wie in jeder Guerillatruppe kommt es auch bei der UCK zu Übergriffen, die man als Pazifist nicht gutheißen kann. Es ist sicherlich nicht falsch zu sagen, daß es auch von seiten der UCK-Führung Bemühungen gibt, politische Widersacher aus dem Wege zu schaffen und gegen sie Gewalt anzuwenden. Tatsache ist, daß die UCK immer besser organisiert ist. Ob die UCK wirklich den Kosovo befreien kann, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Aus Belgrad wird immer mal wieder erklärt, die Kämpfe im Kosovo seien beendet, weil die UCK besiegt sei.

Beide Seiten machen Propaganda - dies ist sicher eine Propaganda-Information. Schon im letzten Jahr, nach dem Milosevic-Holbrooke-Abkommen, wurde behauptet, die UCK sei zerschlagen. Das war falsch. Ich glaube, daß solche Hinweise heute genauso falsch sind. Es gibt im Gegenzug Erklärungen der UCK, die aber ebenso Propaganda sein können, daß sie von Albanien Korridore in den Kosovo errichtet habe, daß sie Nachschub in den Kosovo bringen könne.

Was weißt du über die aktuelle Situation der Flüchtlinge aus dem Kosovo?

Es erreichen uns täglich Berichte von Flüchtlingen im Kosovo, daß die Menschen dort kaum noch zu essen haben, daß einige schon verhungert sind, insbesondere die Kinder schwer zu leiden haben, auch wenn sie nicht direkt von den Sicherheitskräften bedroht werden, weil sie sich in unzugänglichen Bergregionen aufhalten.

Was können, was sollten Linke in Deutschland heute tun?

Sie können diejenigen Kosovo-Albaner unterstützen, die zivil arbeiten, sei es zivil-humanitär, sei es zivil-politisch. Und das mit der Hoffnung verbinden, daß eines Tages, wenn die Kosovo-Albaner zurückkehren können, sehr schnell demokratische Strukturen und Organisationen im Schulbereich, im Universitätswesen wieder aufgebaut werden. Daß auch politisch-demokratische Strukturen aufgebaut werden. Jetzt sollten sie vor allem die humanitären Bemühungen der Kosovo-Albaner, wie der Mutter-Theresa-Gesellschaft, direkt unterstützen.

Welche zivilen Organisationen gibt es sonst noch? Gibt es eine Selbstverwaltung?

Eine Selbstverwaltung der Kosovo-Albaner gibt es vor allem in Mazedonien. Sie wird von humanitären Organisationen unterstützt. Dort ist fast die Hälfte in Gastfamilien untergebracht, die zu 50% unterstützt werden müssen. Die Mutter-Theresa-Gesellschaft hatte da 250.000 Leute registriert und unternimmt den Versuch, dezentrale Hilfe zu organisieren. In Albanien läuft die dezentrale Flüchtlingshilfe nicht ohne Selbstverwaltung der Kosovo-Albaner. Man sollte bei der Hilfeleistung darauf achten, wieweit man auch die Strukturen der Albaner unterstützt. In Mazedonien läßt es die politische Lage nicht zu, daß viele Menschen außerhalb der Lager versorgt werden. Ich habe mit einem Lehrer aus dem mazedonischen Norden gesprochen, der sagte: Im Prinzip sind wir in der Lage, auch die Flüchtlinge, die in den Lagern untergebracht sind, in unseren Städten unterzubringen und zu versorgen - wenn das politisch gewollt wird. Es wird aber nicht politisch gewollt.

Wie könnte eine politische Lösung aussehen? Kann es jetzt nur noch die staatliche Lostrennung des Kosovo geben?

Politische Lösung kann momentan nicht heißen zu klären, ob Kosovo ein unabhängiger Staat werden soll, ob es eine Autonomieregelung geben soll, ob es eine jugoslawische Teilrepublik werden soll. Vielmehr ist es jetzt wichtig, das zu vertreten, was man vernünftigerweise letztes Jahr hätte vertreten müssen, als die Chancen für die Durchsetzung besser waren: nämlich ein internationales Protektorat einzurichten, wobei es relativ unerheblich ist, ob es ein Protektorat im Rahmen der OSZE, der UNO oder der NATO ist. Entscheidend ist, daß der serbische Anspruch auf den Kosovo insoweit gebrochen werden muß, als im Rahmen eines insgesamt demokratisierten Balkans ein neues Gleichgewicht hergestellt werden kann. Dieses Protektorat wird, glaube ich, sehr lange dauern müssen. Während der Zeit des Protektorats müssen demokratische Strukturen entwickelt werden, muß das Kosovo wieder aufgebaut werden. Ich glaube, daß es dazu keine Alternative gibt. Die Alternative, die auf ein Protektorat verzichtet, wäre, daß es im Kosovo palästinensische Verhältnisse geben würde. Das würde eine Verlängerung des Kampfes bedeuten bis weit ins nächste Jahrhundert. Weil die Albaner nach dem, was geschehen ist, alles versuchen werden, um den serbischen Anspruch auf den Kosovo zu brechen. Eine friedliche Regelung heißt Protektorat - auf lange Zeit.

Die Fragen stellten DSe und Js.