Titelseite ak
Linksnet.de
ak und Fantômas sind Partner von Linksnet.de

ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 427 / 10.6.1999

Das Ende der Zittauer Taxifahrer-Prozesse und der Sieg der harten Linie

Am 15. und 22. April dieses Jahres fand ein weiterer Prozeß gegen einen Zittauer Taxifahrer statt. Wie in den bisherigen Verfahren auch, ging es in diesem Prozeß wieder um den Vorwurf des "Einschleusens von Ausländern" bzw. des "gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern", strafbar nach 92a und b des Ausländergesetzes. (vgl. ak 420) Diese Strafparagraphen waren erst im Herbst 1994 im Rahmen des sogenannten Verbrechensbekämpfungsgesetzes in der jetzigen Form in das Ausländergesetz eingefügt worden.

Mit Hilfe dieser Paragraphen sind seit Dezember 1997 fünf Zittauer Taxifahrer zu Haftstrafen bis zu 26 Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Vier dieser Urteil sind rechtskräftig und die Verurteilten verbüßen derzeit ihre Haftstrafen. Anders als in allen bisherigen Verfahren jedoch war der jetzt angeklagte Taxifahrer Michael Ru. nie vom BGS mit "illegal eingereisten" Ausländern in der Taxe kontrolliert worden. Das wesentlichste Beweismittel gegen ihn waren die Aussagen des Kronzeugen Steffen Döring, eines ehemaligen Taxifahrers, der sich nach mehrmaliger Verhaftung zur Zusammenarbeit mit dem BGS bereit fand. In dem jetzigen Verfahren beschuldigte er seinen Kollegen als den Hauptorganisator der "Einschleusungen".

Dieser Prozeß hatte für das Gericht und für die Strafverfolgungsbehörden aus mehreren Gründen eine große Bedeutung: 1. war hier nun der Organisator der Einschleusungen angeklagt. In der Vergangenheit waren vom selben Gericht lediglich ausführende Taxifahrer angeklagt und verurteilt worden. 2. Bei diesem Verfahren stand die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen auf dem Prüfstand, und damit die offensichtlich nicht sonderlich stabile Grundlage fast aller bisherigen Verurteilungen. Schließlich waren 3. sowohl der Staatsanwalt als auch der Richter unter erheblichen Rechtfertigungsdruck geraten, nachdem die sture Verurteilungspraxis erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und Kritik erregt hatte.

Dem Anklagten wurden fünf Taten zur Last gelegt. Eine Tat geht auf das Jahr 1992 zurück. Damals waren einer Zollstreife drei Taxen aufgefallen. Davon wurde eine kontrolliert und der Taxifahrer Bernd L. (inzwischen zu einem Jahr und vier Monaten verurteilt und momentan in Haft) vorläufig festgenommen. In seinem Wagen saßen Flüchtlinge, die zur Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung (ZAST) in Zirndorf (bei Nürnberg) wollten. Die Identität der beiden anderen Taxilenker konnte damals nicht festgestellt werden. Der Kronzeuge hatte ausgesagt, daß er selbst und der jetzt angeklagte Michael Ru. damals ebenfalls mit Flüchtlingen auf dem Weg nach Zirndorf waren.

Die anderen vier Tatvorwürfe gegen ihn beziehen sich auf das Jahr 1995. Die Anklage basiert hier einzig und allein auf der Tatsache, daß andere Taxifahrer mit "illegal" Eingereisten als Fahrgästen bei Polizeikontrollen angehalten wurden. Nach Aussage des Kronzeugen komme angesichts der Aufnahmeorte der Flüchtlinge und ihrer Nationalität nur der Angeklagte als Organisator in Frage.

Die Verhandlungsführung von Richter Ronsdorf am ersten Tag des auf drei Tage angesetzten Prozesses entsprach seinem rigiden Vorgehen in den bisherigen Taxiprozessen. (1) Der Richter gab zu verstehen, daß das Amtsgericht den ihm zur Verfügung stehenden Strafrahmen von bis zu vier Jahren Haft ausschöpfen würde, falls der Angeklagte weiterhin keine Stellungnahme zu den Vorwürfen nehmen würde. Darüber hinaus habe das Gericht auch noch die Möglichkeit, das Verfahren an die nächsthöhere Instanz abzugeben, wenn es eine noch höhere Strafe für notwendig erachte. Im Falle eines Geständnisses allerdings würde ihm ein entsprechender Strafrabatt eingeräumt werden. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem Hardliner Richter Ronsdorf war damit klar, daß am Ende des Prozesses eine Strafe zwischen drei und vier Jahren stehen würde.

Im Laufe der Verhandlung spielten die konkreten Tatvorwürfe kaum eine Rolle. Der Angeklagte stritt den Vorwurf ab, als Organisator von Schleusungen tätig gewesen zu sein. Im wesentlichen bezog sich die Verhandlung auf Abrechnungen aus den Jahren 1992/93, als der Angeklagte Zubringerfahrten für ein Reiseunternehmen organisiert hatte, die in Einzelfällen bis in die alten Bundesländern gingen. Diese aus Quittungen und Abrechnungsunterlagen des Angeklagten rekonstruierten Vorgänge wurden vom Gericht als unglaubwürdig verworfen und unterstellt, hier seien schlicht "Schleuserfahrten" offiziell abgerechnet worden. Eine ordentliche Beweiserhebung zur Erhärtung dieser Behauptung schien dem Gericht allerdings entbehrlich.

Darüber hinaus erregten einige Notizzettel das Interesse des Gerichts, die bei einer Hausdurchsuchung in der Nachttischschublade des Angeklagten aufgetaucht und auf denen Spitznamen von Taxifahrern, Ortsnamen, Zahlen sowie zum Teil Daten und DM-Beträge vermerkt waren. Diese Zettel wertete es als Abrechnungen für "Schleuserfahrten" und damit als Beweis für die Organisationstätigkeit des Angeklagten.

Der Kronzeuge war im Vergleich zu den vorangegangenen Vernehmungen Anfang 1998 vor dem Landgericht Görlitz wie ausgewechselt. Damals hatte er bei seinen Aussagen vor Richter Jöst keinen zusammenhängenden Satz herausgebracht, so daß Jöst Protokolle älterer Verhandlungen zu Rate ziehen mußte. Diesmal wirkte Döring selbstbewußt und sicher und trug seine in verschiedenen Protokollen festgehaltenen Aussagen flüssig vor. Diese mehr als deutliche Verhaltensänderung läßt vor dem Hintergrund der zentralen Rolle dieses Kronzeugen die Vermutung aufkommen, daß hier eine entsprechende "Zeugenbetreuung" stattgefunden hat.

Großen Eindruck scheint diese Inszenierung offenbar auf Ru.'s Anwalt gemacht zu haben, der seinen Mandanten sogleich zu einer umfassenden Aussage bewegen wollte, um eine Bewährungsstrafe herauszuschlagen. Tatsächlich brach der Angeklagte unter den Drohungen des Gerichts förmlich zusammen und legte bereits am darauffolgendem Montag ein "umfassendes Geständnis" ab. Er gab zu, seit Mitte 1993 Kontakt nach Tschechien gehabt zu haben, über den er erfahren habe, wann Flüchtlinge über die Grenze kämen und wo sie abzuholen seien. Er habe dann Taxikollegen für deren Beförderung organisiert. Er selber sei im wesentlichen als Organisator tätig gewesen, während seine Kollegen die Transporte übernommen hätten. Als Fahrpreis hätten sie den bei Taxen üblichen Preis von einer Mark pro Kilometer erhalten. 1995 seien solche Absprachen dann langsam abgeebbt.

Aufgrund der Aussage Ru.'s haben sich inzwischen weitere Taxifahrer selbst angezeigt bzw. werden in ihren Prozessen ebenfalls Aussagen machen. Denn es ist davon auszugehen, daß diejenigen, die jetzt Aussagen machen, mit Bewährungsstrafen davonkommen werden. Der geständige "Organisator" jedenfalls erhielt so eine Strafe von zwei Jahren, die erwartungsgemäß zur Bewährung ausgesetzt wurde.

H.G., FFM Berlin

Anmerkung:

1) Eine ausführliche Schilderung des Verhandlungsablaufes kann hier aus Platzgründen nicht erfolgen. Ein ausführliches Gedächtnisprotokoll liegt bei der FFM vor. Außerdem beabsichtigen wir in einer Dokumentation, die im Herbst dieses Jahres erscheinen soll, eine ausführlichere Darstellung zu veröffentlichen.