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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 427 / 10.6.1999

Gegen den Hurrikan der Armut

Für eine bedingungslose Schuldenstreichung für die Dritte Welt

Soll eine Schuldenstreichung für Dritte-Welt-Länder an ökologische und soziale Bedingungen geknüpft werden? Diese Position vertreten manche Solidaritätsbewegte in der aktuellen Debatte um den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel, die "Erlaßjahrkampagne" und die internationale Schuldenkrise. Der Karlsruher Aktionskreis Internationalismus (AKI) ist anderer Auffassung.

Der Wirbelsturm Mitch hat Nicaragua und Honduras mindestens 20 Jahre in ihrer Entwicklung zurückgeworfen. Vieles, was in den letzten Jahren mühsam aufgebaut wurde, ist zerstört, und die Menschen müssen wieder bei Null anfangen. Inzwischen wurden viele Spenden für den Wiederaufbau gesammelt. Sie reichen jedoch bei weitem nicht aus.

Nicht hinweggefegt hat Mitch die Schulden von Nicaragua und Honduras in Höhe von sechs und vier Mrd. US-Dollar. Ebenfalls geblieben sind die Bankschulden der Kooperativen und KleinproduzentInnen, die alles verloren haben. Anlaß für uns, die Verschuldung der Dritten Welt von derzeit 2.330 Mrd. US-Dollar(!), ihre Ursachen und Lösungsansätze zu diskutieren. Wie überfällig diese Debatte ist, zeigen folgende Beispiele:

Die Schulden Nicaraguas bei der BRD betragen ca. 600 Mio. DM. Davon sind 343 Mio. DM noch DDR-Altschulden. 1997 hat Nicaragua von der BRD Zusagen über 47 Mio. DM Entwicklungshilfe bekommen. Im gleichen Jahr sollte es einen Schuldendienst von 43 Mio. DM an die BRD zahlen, davon 38 Mio. DM für DDR-Altschulden. Für 1998 waren 40 Mio. DM Entwicklungshilfe und ein Schuldendienst von 44 Mio. DM vorgesehen. (Quelle: Weltbank und Südwind-Institut). Die "Entwicklungshilfe", die meist ja auch zurückzuzahlen ist, unterstützt somit nicht die "Entwicklung" Nicaraguas, sondern nur die Entwicklung der Gläubiger. Eine sofortige bedingungslose Schuldenstreichung ist somit überfällig. Schließlich sollen unsere Spenden den Wiederaufbau, Bildungs- und Gesundheitsprogramme unterstützen und nicht den bundesdeutschen Staatshaushalt und die Gewinne der beteiligten Banken.

Im ursprünglichen Aufruf des Bündnisses Köln 99 gegen den EU-Gipfel und den Weltwirtschaftsgipfel im Juni 1999 lautete eine der vier zentralen Forderungen "Streichung aller Schulden der Entwicklungsländer und Zahlung von Reparationen für koloniale und neokoloniale Ausbeutung". Dieser Aufruf wurde bundesweit verschickt und von vielen Organisationen (u.a. dem AKI Karlsruhe) unterstützt. Nachdem u.a. WEED damit drohte, aus dem Bündnis auszusteigen bzw. den Aufruf nicht mehr zu unterstützen, wurde diese Forderung im Nachhinein nochmals verändert. Sie lautet nun "Streichung aller Schulden der armen Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas!" (Ähnlich verwässert wurden die Forderungen nach "Beseitigung der Fluchtursachen und Bleiberecht für alle").

Die WEED-Leute hatten bei den Anti-IWF-Aktionen 1988 in Berlin die jetzt unliebsamen Forderungen noch mitentwickelt. Haben sich jetzt also die Voraussetzungen für die Forderungen nach bedingungsloser Schuldenstreichung oder nach Reparationszahlungen der Industrieländer an die Entwicklungsländer seit 1988 entsprechend verändert, daß diese zentralen Forderungen geändert werden müssen? Den Beweis dafür ist WEED bisher schuldig geblieben.

"Interessenausgleich"

Die Kampagne "Erlaßjahr 2000", die von 560 Gruppen aus dem kirchlichen und entwicklungspolitischen Bereich getragen wird, geht davon aus, daß die Verantwortung für das heute untragbar hohe Schuldenniveau vieler Länder des Südens nicht nur bei den Schuldnern liegt, sondern auch bei den Gläubigern. Deshalb sollen beide Seiten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit dazu beitragen, daß die Zahlungsfähigkeit wieder hergestellt wird.

Die Kampagne hat deshalb zwei Ziele: einen weitreichenden Schuldenerlaß für die armen Länder im Jahr 2000 und die völkerrechtlich verbindliche Neugestaltung internationaler Finanzbeziehungen im Sinne eines fairen Interessenausgleichs zwischen Schuldnern und Gläubigern ("Internationales Insolvenzrecht"). Der weitreichende Schuldenerlaß soll dabei "die armen Länder von der Last untragbarer Schulden befreien, welche ihre Regierungen bei Regierungen des Nordens, bei internationalen Finanzinstitutionen und Privatbanken aufgenommen haben", und "faire und gleichgewichtige Beziehungen zwischen internationalen Gläubigern und Schuldnern herstellen" sowie "den Interessenausgleich zwischen beiden Seiten regeln".

Damit ist die Verantwortung für die Verschuldung zu gleichen Teilen den ehemaligen Kolonialmächten und den Kolonien zugewiesen. Kriterium für weitreichenden Schuldenerlaß sind arme Länder (nach der Definition der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds die 38 ärmsten Entwicklungsländer) und die Tragbarkeit der Schulden der Dritten Welt. Tragbar seien die Schulden, die zu Zahlungsverpflichtungen von weniger als 10% der Exporterlöse führen. (Zum Vergleich: Die Weltbank oder die rot-grüne Bundesregierung gehen von tragbaren Schulden bis zu 25% der Exporterlöse aus).

Die Erlaßjahrkampagne will die erlassenen Schulden aber auch nicht einfach streichen. Vielmehr soll ein Teil der erlassenen Schulden in einen "Gegenwertfonds" in nationaler Währung eingezahlt werden. Dieser Teil soll dann beispielsweise "Projekte zur Deckung sozialer Grundbedürfnisse oder ein Kreditsystem für kleine Händler oder Bauern finanzieren". Bei der Verwendung dieser Gelder soll die "Zivilgesellschaft" "angemessen" beteiligt werden.

Offen bleibt, was eine angemessene Beteiligung ist, wer die "Zivilgesellschaft" ist, oder warum gerade die Gläubiger der ehemaligen Kolonialmächte, die seit Jahrhunderten einen gnadenlosen Wirtschaftskrieg gegen die Menschen in den (ehemaligen) Kolonien führen, über Nacht die Interessen der Armen in der Dritten Welt besser als die dortigen Eliten vertreten sollten (die dies natürlich in der Regel genausowenig im Sinn haben). (Zur Kritik der Erlaßjahrkampagne siehe ak 424)

Schuldenerlaß auf Rot-Grün

Auch der diesjährige Weltwirtschaftsgipfel in Köln hat die Verschuldung der Dritten Welt zum Thema. Dort beraten die acht wirtschaftlich mächtigsten Länder der Welt, wie gewährleistet werden kann, daß die Entwicklungsländer weiterhin 230 Mrd. US-Dollar jährlich an die reichen Industriestaaten an Schuldendienst zahlen, ohne zahlungsunfähig zu werden. Denn die Kuh, die man melken will, darf man nicht schlachten. Oder anders ausgedrückt, wie die Verschuldung der Dritten Welt auf ein "tragbares" Maß reduziert werden kann.

Die rot-grüne Bundesregierung wird auf dem G-8-Gipfel einen Vorschlag für "Schuldenerlasse für die ärmsten Länder" einbringen (BMZ spezial 3/99). Danach soll es zu "Schuldenerleichterungen für die 38 ärmsten Länder" kommen. Maßstab dafür soll die "Tragfähigkeit der Schulden" sein. Diese sei dann nicht mehr gegeben, wenn die Schulden mehr als 200% der Exporterlöse betragen, anstatt 250% wie bisher. Außerdem sollen Zins und Tilgung nicht mehr als 25% der Exporterlöse betragen. Allerdings müssen sich die Länder einem sechsjährigen Strukturanpassungsprogramm unterwerfen, das nach drei Jahren überprüft wird. Staatlich verbürgte Handelsforderungen sollen dann nach drei statt bisher sechs Jahren in Höhe von 80% und zukünftig in Ausnahmefällen auch vollständig erlassen werden.

Nicaragua mit seinen sechs Mrd. USDollar Auslandsschulden müßte sich danach für sechs Jahre einem drastischen Sparprogramm unterwerfen. Dies wäre nach den Zerstörungen des Hurrikans Mitch zwar kaum möglich und widersinnig, da ja jetzt gerade staatliche Gelder für den Wiederaufbau gebraucht werden. Allerdings würden Nicaragua danach 80% der Schulden erlassen - allerdings nicht aller Schulden, sondern nur derjenigen Verpflichtungen, die bei den ersten Umschuldungsverhandlungen mit dem Pariser Club der Gläubigerbanken bestanden. Konkret bekäme Nicaragua dann nur rund 100 Mio. von seinen sechs Mrd. Dollar erlassen. (Quelle: Pedro Morazan, Südwindinstitut)

An der Lage der großen Mehrzahl der Bevölkerung Nicaraguas wie auch der Bevölkerung der anderen Entwicklungsländer würde sich nichts Grundlegendes ändern. Nach wie vor würde gelten, daß nach Unicef-Angaben weltweit jährlich wegen der Verschuldung mehrere Millionen Kinder sterben, nur weil es an ein paar Pfennigen für Medikamente oder Nahrungsmittel mangelt. Mit der Zahl 80% Schuldenerlaß in den Medien soll die satte Öffentlichkeit in den reichen Ländern beruhigt werden. Es wird ja etwas getan ...

Schuldenerlaß mit Auflagen?

Wer der Meinung ist, ein (Teil-)Schuldenerlaß müßte an Bedingungen geknüpft werden, müßte zuerst die Frage beantworten, ob die Forderungen der Gläubiger überhaupt zu Recht bestehen. Denn eine Forderung, die nicht zu Recht besteht, kann weder bedingungslos noch unter Auflagen erlassen werden. Wir bestreiten aber gerade die Berechtigung der Forderungen der reichen Industrieländer, ihrer Banken und Konzerne gegen die Dritte Welt.

Selbst wenn mensch die Forderungen anerkennt, sehen wir keinen Sinn darin, einen (Teil-)Schuldenerlaß an ökologische oder soziale Auflagen zu knüpfen. Diktatoren und korrupte Eliten, wie z.B. die Regierung Aleman in Nicaragua, werden ja gerade durch die Auflagen des IWF gezwungen, die Staatsausgaben drastisch zu Lasten der Bevölkerung zu verringern. Die neoliberalen Sparprogramme können von Aleman auch öffentlichkeitswirksam dem IWF in die Schuhe geschoben werden. Eine Schuldenstreichung würde den Basisbewegungen und Gewerkschaften jedoch Spielräume eröffnen, die Bevölkerung für ihre sozialen Ziele zu mobilisieren. Soziale und ökologische Ziele werden in Ländern wie Nicaragua bestimmt nicht mit dem IWF und der Regierung Aleman, sondern nur in harten Auseinandersetzungen gegen diese durchgesetzt.

Dies hat nichts mit unserer Forderung zu tun, die Spendengelder und Hilfsmittel für die Opfer des Wirbelsturms Mitch direkt an die Betroffenen bzw. an Basisorganisationen zu übergeben vor Ort und nicht an die neoliberalen Regierungen, da diese sonst wie schon die Hilfssendungen und Spenden für die Erdbebenopfer in Managua 1972 in den Taschen der korrupten Regierung hängenbleiben und nicht bei den Betroffenen ankommen. Eine soziale und ökologische Gesellschaftsordnung entsteht jedoch nicht durch die Auflagen von Regierungen, Banken und Konzernen, die ansonsten die sozialen Menschenrechte mit Füßen treten und für die gigantische Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen aus Profitgründen verantwortlich sind.

Es gibt keine neutrale Lösung

Ein Lösungsansatz zur "Verschuldungskrise" muß zwangsläufig Partei ergreifen: Entweder für die internationalen Kapitaleigner oder für die Bevölkerung in der Dritten Welt. Eine "neutrale" Lösung, die allen Interessen gerecht wird, kann es nicht geben! Wir fordern die bedingungslose Schuldenstreichung, denn

- die ferngesteuerten Raketen der Zinssätze und des Preisverfalls für Rohstoffe treffen die Dritte Welt genauso tödlich wie Bleikugeln;

- die Schulden sind für die Dritte Welt unbezahlbar, da der Schuldendienst mittlerweile einen großen Teil der Exporterlöse der Entwicklungsländer auffrißt bzw. diese noch übersteigt;

- die Bevölkerung der Südhalbkugel hat längst mit Hunger, Armut und Verelendung teuer für die Schulden bezahlt, von denen sie kaum einen Dollar zu Gesicht bekam;

- die Dritte Welt hat die ursprünglichen Kredite längst zurückgezahlt, wenn man die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bei der Krediterteilung zugrunde legt.

Darüberhinaus fordern wir von den ehemaligen Kolonialstaaten Reparationszahlungen in Milliardenhöhe an die Entwicklungsländer für jahrhundertelangen Raub, Völkermord, Versklavung und Zerstörung.

Auch die bundesdeutschen Banken und Konzerne verdienen gut an der Verschuldung. Es gibt Rekordüberschüsse im deutschen Außenhandel. Alles auf Kosten der Menschen in anderen Ländern! Die BRD ist als eines der wirtschaftlich mächtigsten Länder der Welt für die Aufrechterhaltung der mörderischen Weltwirtschaftsordnung verantwortlich. Aber auch die Menschen in den Industrieländern sind zunehmend von den Auswirkungen der kapitalistischen Lösungsstrategien der Weltwirtschafts- und Verschuldungskrise betroffen. Sogar im "reichsten und freiesten" Land der Welt, den USA, leben Millionen Menschen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze und müssen täglich um eine warme Suppe betteln oder haben keine ausreichende ärztliche Versorgung.

Die Bildung eines Schuldnerkartells kann ein erster Schritt sein, um dem Gläubigerkartell eine Kraft entgegenzustellen. Die Lasten der "Verschuldungskrise" müssen nach dem Verursacherprinzip von denen getragen werden, die dafür verantwortlich sind und daran verdienen.

Doch dies wird nicht ohne eine tiefgreifende Veränderung der internationalen Beziehungen und gesellschaftlichen Machtverhältnisse zu erreichen sein. Deshalb unterstützen wir die sozialen und politischen Bewegungen in den Metropolen und in der Dritten Welt, die gegen das Machtkartell von Konzernen, Banken, IWF, Weltbank und Eliten kämpfen.

Eine Schuldenstreichung allein jedoch wird die Probleme langfristig nicht lösen. Solange das Prinzip des größtmöglichen Gewinns das politische und ökonomische Handeln bestimmt, werden Menschen und Umwelt nur als Kostenfaktoren darin auftauchen. Solange kann es auch keinen wirklichen Frieden geben, und die Kette der wirtschaftlichen Krisen und kriegerischen Auseinandersetzungen wird nicht abreißen.

Wolfram Treiber

Aktionskreis Internationalismus AKI, Karlsruhe