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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 427 / 10.6.1999

Rekonstruktion eines Scherbenhaufens

Sechs Thesen für ein modernes linkes Projekt

Das mehrheitliche Bekenntnis zum NATO-Krieg in Jugoslawien macht eine Krise bei den Grünen deutlich, die bereits seit längerer Zeit gärt. Mit der Übernahme von Regierungsverantwortung auch im Bund blättert der Lack schneller vom rot-grünen Reformprojekt, als man hingucken kann. Doch die Krise der Grünen ist auch eine Krise sowohl der radikalen wie auch der reformistischen Linken. Die Frage wird sein, ob es gelingt, angesichts des realen rot-grünen Neoliberalismus die eigene linke Schwäche kollektiv zu reflektieren und erste Schritte zur Neukonstitution einer linken Diskussion zu gehen.

Himmelfahrt hat sie besiegelt: Die Niederlage der antimilitaristischen und linken Strömungen in den deutschen Grünen, der bislang wohl einflußreichsten ökologischen Reformpartei in Westeuropa. Aber dies ist kein isoliert zu betrachtendes Phänomen. Die Wende der Grünen muß auch vor dem Hintergrund des Erosionsprozesses der politischen und gewerkschaftlichen Linken in Europa diskutiert werden.

Dabei erscheint der Prozeß des Niedergangs zunächst widersprüchlich: In den wichtigsten europäischen Ländern wurden bürgerlich-konservative Parlamentsmehrheiten durch sozialdemokratische Regierungen und diverse sozialdemokratisch geführte Linkskoalitionen abgelöst. Offensichtlich haben die bürgerlichen Regierungen an der sozialen Frage verloren: Ein mehr oder weniger großer Teil der WählerInnenschaft hat den bürgerlichen Parteien nicht mehr zugetraut, ein Mindestmaß an sozialem Zusammenhalt in der Gesellschaft zu garantieren. Gleichwohl steht das neoliberale Politik- und Gesellschaftsmodell insgesamt nicht zur Disposition.

Skizze des Niedergangs

"New Labour" steht, trotz beträchtlicher Unterschiede zwischen dem französischen, deutschen und britischen Modell, vor allem für eine stärkere Konsensorientierung neoliberaler Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Die politische Durchsetzung von Umverteilung und Deregulierung erfolgt weniger konfrontativ als bei den bürgerlichen Regierungen der 80er Jahre.

Das deutsche Modell des Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit könnte geradezu die Blaupause für eine Wirtschafts- und Sozialpolitik der europaweiten Neuen Mitte sein: Das politische Design des neuen Bündnis für Arbeit ist eine von der Bundesregierung moderierte institutionalisierte nationale Wettbewerbs- und Standortkoalition, die den Gewerkschaften - auch im Unterschied zum vorherigen Modell - jede eigene taktische und strategische Option nimmt. Erklärtes Ziel ist u.a. eine Senkung der Staats- und Sozialquote im regelmäßigen internationalen Vergleich.

Die Dialektik von Konflikt und Kompromiß, von sozialer Mobilisierung und institutionellen (parlamentarischen) Reformen, wird durch das Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit fast vollständig aufgehoben. Diese ständischen Strukturen - gruppiert um die weltmarkt- und exportnahen Teile von Arbeit und Kapital - höhlen auch die normalen demokratischen Standards einer parlamentarischen Demokratie aus.

In beiden Regierungsparteien gibt es starke und einflußreiche Strömungen, die sich für weitere Steuerentlastungen des Unternehmenssektors einsetzen. Als hätte es keine Gewinnexplosion und keine massiven Steuerentlastungen in der Ära Kohl gegeben. Die neoliberalen Flügel machen sich stark für einen Niedriglohnsektor. Gefordert wird eine repressive Arbeitsmarktpolitik: Über Zwang und Leistungskürzungen sollen die Menschen auch (unzumutbare) Arbeitsverhältnisse eingehen, die weder existenzsicherndes Einkommen noch eine individuelle Perspektive von nachhaltiger Integration und beruflicher Qualifizierung bieten.

Der Wettbewerb zwischen den beiden rechten Flügeln der Regierungsparteien um die höchste steuerliche Nettoentlastung für die Unternehmen und die Festschreibung der Diskriminierung der geringfügig Beschäftigten sind Ausdruck der wirtschaftspolitischen Kräfteverhältnisse in der neuen Regierung. Die sozialen Reformflügel konnten nur wenige Akzente setzen. Der neoliberale und unternehmerfreundliche Konsens in der Regierungskoalition läßt im übrigen auch für einen zügigen Ausstieg aus der Atomenergie kaum noch Raum.

Dennoch ist die rot-grüne Regierung nach wie vor einem - zugegebenermaßen diffusen - Erwartungsdruck ausgesetzt. Von ihr wird immer noch erwartet, daß sie sozialstaatliche Standards flächendeckender rekonstruiert, als es aktuelle Regierungspraxis ist. Im Großen und Ganzen überwiegt aber die gesellschaftliche Zustimmung für die moderatere Fortsetzung des neoliberalen Projekts durch die Neue Mitte.

Eine Gesellschaftskonzeption, die sich am Markt und an einem politischen Autoritarismus orientiert, konnte in den letzten Jahren beträchtliche soziale und kulturelle Geländegewinne machen. Als politisches Projekt zielte der Neoliberalismus darauf, eine sozial rücksichtslose Praxis durchzusetzen und die entsprechende Mentalität und das entsprechende Wertesystem gesellschaftlich zu verankern. Kollektive Institutionen wurden dabei nachhaltig beschädigt oder gar zerstört. Hauptangriffsziel der Neoliberalen waren genau diese kollektiven Instanzen, die die kapitalistische Dynamik regulieren und moderieren.

Diese Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse wurde nur von einer Minderheit der Sozialdemokratie, der Grünen und der Gewerkschaften kritisch reflektiert. Mehrheitlich wurden die neuen Verhältnisse als gesellschaftlicher Normal- und Naturzustand akzeptiert: "Die Sozialdemokratie, die in den großen Ländern Europas regiert, setzt Politik mit Wirtschaft gleich." (Ramonet, 1999)

Bei der Kapitulation der Politik vor der Logik des Marktes ist es nicht geblieben. Alle sozialdemokratisch geführten Regierungen und Linkskoalitionen haben sich mit den Luftangriffen auf Jugoslawien auch der Logik des Krieges und der NATO-Doktrin unterworfen und, schlimmer noch, diese Logik zu ihrer eigenen Sache gemacht. Es ist leider nicht von der Hand zu weisen, daß es vor allem Strömungen in der Sozialdemokratie und in den Grünen sind, die durch die Gleichsetzung des Belgrader Terror-Regimes mit den Verbrechen des deutschen Faschismus eine infame Legitimation der NATO-Angriffe in den europäischen Gesellschaften installiert haben.

Zivilgesellschaftliche Interventionsalternativen für die Menschen- und Bürgerrechte in Südosteuropa, die im Einklang mit dem Völkerrecht stehen würden, wurden zugunsten der Machtansprüche der NATO marginalisiert. Die NATO-Doktrin der Selbstmandatierung, die auf den politischen und ökonomischen Interessen der G7-Länder aufbaut, wurde im April auch von den europäischen Ländern verabschiedet, die mehr oder weniger links regiert sind.

Im konkreten Fall der NATO-Angriffe auf Jugoslawien geht es allerdings nicht um die Durchsetzung von vitalen ökonomischen Interessen des G7-Blocks oder Teilen dieser kapitalistischen Staatenkoalition. Die neue NATO-Doktrin hat zwar einen interessengeleiteten Kern. Das heißt aber nicht, daß in jeder NATO-Operation vor allem ökonomische Interessen verfolgt werden. Der Krieg gegen Jugoslawien ist aus unserer Sicht vielmehr ein Präzedenz- und Übungsfall für die Souveränitätsansprüche der NATO, in den sich die NATO streckenweise selber hineineskaliert und hineingedroht hat. So wie es eine Staatsräson als Politikmaxime bürgerlicher Politik gibt, so werden wir nun mit der Durchsetzung der NATO-Räson konfrontiert. In der öffentlichen Auseinandersetzung ist z.B. die Rede davon, daß die NATO nicht ihr Gesicht verlieren dürfe.

Durch die Unterwerfung der europäischen Regierungslinken unter das Primat der Ökonomie und des Militärischen haben sich diese Strömungen von all ihren reformistischen Traditionen und von einem nicht unbedeutenden Teil ihres gesellschaftlichen Hinterlandes getrennt. Begleitet wird diese Neupositionierung von einer Veränderung der politischen Kultur. Insbesondere in England und der Bundesrepublik ist eine bemerkenswerte "Amerikanisierung" des politischen Lebens zu beobachten. Autoritäre Führerfiguren, starke Männer, Kanzler- und Außenministerwahlvereine drängen den Einfluß von demokratischen Willensbildungsprozessen in, von und durch Parteien zurück.

Die Wüste lebt!

Eine radikale Linke, die nennenswerten gesellschaftlichen Einfluß hätte und die gegen diese Rechtsverschiebung korrigierend eingreifen könnte, existiert so gut wie nicht. Die radikale Linke spiegelt vielmehr den anderen Pol des Niedergangs der Linken wieder. Sie scheint unfähig, nicht-sektiererische Angebote in die Gesellschaft zu formulieren. Einige Strömungen sind immer noch durch die kaum verarbeitete Niederlage der realsozialistischen Transformationsversuche desavouiert und sind gerade dabei, sich durch eine opportunistische Haltung zur serbischen Kriegspartei im jugoslawischen Bürgerkrieg erneut zu blamieren.

Die links-reformistischen Milieus und Teile des Klassenensembles, die wahl- und gesellschaftspolitisch die Basis von Sozialdemokratie und Grünen ausgemacht haben, werden von diesen heftig brüskiert. Doch daraus entsteht erstmal noch keine politische Alternative. Im Gegenteil: Die Frustrationen, die politischen und sozialen Niederlagen führen häufig zur politischen Lähmung, bestenfalls noch zur politischen Regression, wie sie sich z.B. in der Idealisierung der Person Oskar Lafontaines als letzten Helden des demokratischen Sozialismus zeigt.

Aber auch uns geht es nicht viel besser. Alle zusammen sind wir weit entfernt von einer enthusiastischen Aufbruchsstimmung der politischen Linken oder gar einer Renaissance kämpferischer demokratischer sozialer Bewegungen. Trotzdem lohnt sich ein genauer Blick auf politischen Bezugs- und Anknüpfungspunkte für eine radikale reformistische Politik.

Die linken Strömungen in den Gewerkschaften - im Grunde die Gewerkschaften selber - haben nur dann eine Überlebenschance, wenn sie sich dem Wettbewerbskorporativismus und der nationalen Standortkoalition des Schröderschen Ständestaates nicht unterwerfen oder zumindest eine ausreichende Distanz zum Bündnis für Arbeit und Wettbewerb sowie zur Bundesregierung behalten.

Immer noch vorhandene radikaldemokratische und ökologische Tendenzen in der Gesellschaft können sich im politischen System kaum noch artikulieren und werden durch SPD, Grüne, aber auch durch die PDS nicht vertreten. Eine durchaus bedeutsame Minderheit der rot-grünen WählerInnenschaft erwartet hinsichtlich der Rekonstruktion sozialstaatlicher Garantien und BürgerInnenrechten mehr, als es der rot-grüne mainstream zulassen will.

Und es ist die Auseinandersetzung um den Krieg, die zu einer Neugruppierung der politischen Landschaft führen wird. Im Unterschied zu dem Konflikt um die Stationierung der Mittelstreckenraketen in der 80er Jahren, wo es im wesentlichen um eine Neuausrichtung der militärischen Optionen der NATO ging, berührt der NATO-Angriff auf Jugoslawien auch das Zentrum und das innere Gefüge der Gesellschaft. Es geht um einen realen Krieg, der von der Bundesrepublik geführt wird. Dieser Krieg und die Militarisierung des politischen Lebens verändert Mentalitäten und Kultur der Gesellschaft. Auf diese Verwerfungen und Verschiebungen der politischen Landschaft müssen und können wir reagieren. Dabei steht zur Zeit eine neue politische Partei nicht auf der Tagesordnung.

Angesichts der sozialen Abwärtsspirale und der schlimmen Niederlagen in fast allen gesellschaftlichen Fragen ist es schon ein Euphemismus, wenn heute noch von Abwehrkämpfen die Rede ist. Auf der Tagesordnung steht eine gemeinsame Diskussion von linken GewerkschafterInnen, Dissidenten SozialdemokratInnen, linken Grünen und "Ehemaligen", BürgerrechtlerInnen und radikalen Linken über die nächsten konkreten politischen Schritte und Kampagnen, die uns wenigstens wieder in die Defensive bringen. Außerdem gilt es, die Zäsur durch den Krieg und die Fortsetzung neoliberaler Politik unter rot-grünen Vorzeichen gemeinsam zu verarbeiten.

Die Linke steht vor der Aufgabe, die elementaren Voraussetzungen für reformistische Politik zu rekonstruieren. Es geht um nichts anderes als den Zusammenhang von autonomen Bewegungen, sozialen Konflikten und institutioneller Politik wiederzubeleben.

Alle Strömungen der Linken können etwas Positives und etwas Eigenes in diesen offenen Prozeß einbringen. Allerdings können wir nicht einfach dort anfangen, wo wir alle einmal aufgehört haben:

- Für ehemalige Grüne heißt das, nicht bei einem der "linkeren" grüne Parteiprogramme der 80er Jahre stehenzubleiben.

- Eine moderne gewerkschaftliche Orientierung ist mehr als radikale Interessenvertretung im Betrieb.

- Die Verteidigung des Sozialstaats gegen die Ökonomisierung des Alltagslebens ist ohne stärkere Partizipationsrechte der Individuen und Selbstverwaltung in den Institutionen nicht möglich.

- Eine Orientierung auf eine keynesianisch argumentierende Wirtschaftspolitik für Vollbeschäftigung, die nicht hinterfragt, wofür und unter welchen ökologischen Bedingungen produziert wird, macht uns nicht klüger und auch nicht durchsetzungsfähiger.

Vorwärts in die Defensive

Hinter die Neue Linke nach 1968, die in Theorie und Praxis maßgeblich von der Geschlechter- und Ökologiefrage geprägt wurde, können wir in dem neuen Versuch, eine moderne linke Politik zu entwickeln, nicht zurückfallen. "Die Diskussion ist offen. Vielleicht sollt man jedoch festhalten, daß die von der Arbeiterschaft (wir verwenden diesen klassischen und geschichtsträchtigen Begriff) geprägte Linke nur dann die Herausforderungen des Postfordismus bewältigen kann, wenn es ihr gelingt, Sprachrohr auch jener Lebensbereiche zu sein, die weder in Produktion noch in Geld meßbar sind und sich der Konfiguration bzw. Abstraktion des Politischen entziehen." (Ingrao/Rossanda 1996).

In der nächsten Zeit geht es darum, einen gemeinsamen Handlungsrahmen - früher sprachen wir von einem Aktionsprogramm - für eine plurale Linke abzustecken; einen Handlungsrahmen, der eine radikale Kritik am Neoliberalismus und eine kritische Theorie der Gesellschaft mit konkreten tagespolitischen Initiativen verbindet. Dabei wird ein neuer Anlauf für eine radikale Arbeitszeitverkürzung - als emanzipatorisches Projekt eines anderen Lebens und Arbeitens - neben dem Kampf um soziale Grund- und BürgerInnenrechte (in Europa und der Bundesrepublik) gesellschaftspolitisch im Mittelpunkt stehen.

In der Ökologiefrage müssen wir die - auch von den Grünen zu verantwortende - Minimalisierung der ökologischen Problemstellung auf die "Senkung der Lohnnebenkosten" durch Ökosteuern rückgängig machen. Debatten um ein alternatives Verkehrskonzept und Konversionsinitiativen sind noch nicht völlig verschüttet. Mit der Anti-AKW-Bewegung gibt es einen Verständigungsbedarf über ein integriertes Energiewende- und AKW-Ausstiegskonzept als Alternative zur atomfreundlichen Politik der nun rot-grünen Bundesregierung.

Unabhängig von dem Kriegsverlauf in Jugoslawien gibt es in der Anti-Kriegsbewegung einen Diskussionsbedarf über eine wirksame und glaubwürdige antimilitaristische Strategie. Es war in den 80er Jahren verhältnismäßig einfach, in der zugespitzten Frage der Aufrüstung im Bereich der Atomwaffen gesellschaftliche Mehrheiten zu organisieren. In einer militarisierten Gesellschaft im realen Kriegszustand reicht die Zuspitzung auf eine isolierte Forderung (damals : keine Stationierung von Mittelstreckenraketen) nicht aus.

Ein weiteres Problem ist in der Linken selber angelegt: Aktuell vertreten Teile der Linken in Deutschland eine deprimierende Position in der Auseinandersetzung mit dem serbischen Nationalismus. Reflexartig wird zum Belgrader Regime - weil Objekt der NATO-Aggression - keine kritische Position bezogen. In der Tageszeitung Junge Welt können rassistische Beiträge zu Kosovo-Albanern erscheinen, ohne daß das Blatt Abo-Verluste erleiden müßte oder die Redaktion zumindestens in guter linksradikaler Tradition für ein paar Stunden besetzt würde.

Eine radikale Bewegung gegen den Krieg muß autonom sein. Autonom gegenüber einer "bellizistischen" rot-grünen Bundesregierung, aber auch in schärfster Distanz zu dem Rassismus des Belgrader Regimes. Die Bundesrepublik Jugoslawien führt aus der Sicht von Teilen der Linken einen anti-imperialistischen Kampf gegen die NATO. Diese Perspektive einzunehmen ist nur möglich, wenn Terror und Vertreibung bagatellisiert werden und wenn einer holzschnittartigen Analyse gefolgt wird. Es ist fast müßig zu betonen, daß die NATO wiederum keinen Kampf für Menschenrechte führt.

Nicht nur die intellektuellen und politischen Verirrungen in der Kriegsfrage machen deutlich, daß eine unabhängige linke und kritische Analyse neu erarbeitet werden muß: "Das Fehlen einer ... oppositionellen Interpretation führt zu einem theoretischen Problem (...) Wir möchten nur an die Bemerkung Gramscis erinnern, welche objektive Bedeutung es hat, ob in einem gegebenen historisch-sozialen Szenario ein Subjekt vorhanden oder nicht vorhanden ist, das als Träger der Kritik am Bestehenden und eines Veränderungsprojekts auftritt. Unabhängig davon, ob es diesem Subjekt gelingt, seine Vorstellungen durchzusetzen, verändert schon seine Existenz das Szenario. Daß dieses kritische Auge und der Veränderungswille heute fehlen, in Fragmente zerfallen sind oder kommunikationslos bleiben, ist eine wichtige Ursache für die scheinbar ausweglose und katastrophische Entwicklung." (Ingrao/Rossanda 1996).

Die Rekonstruktion eines linken Subjekts würden wir also gerne damit beginnen, daß die Fragmente der Linken wieder miteinander kommunizieren. Teile der linken Strömung in den Grünen haben sich jenseits von Bündnis 90/Die Grünen auf die Suche nach einem politischen Neuanfang begeben und deutlich gemacht, daß ihnen dies nur gelingen kann, wenn sich daran andere linke Strömungen und Milieus beteiligen.

Linkes Projekt ohne Subjekt?

Die Dortmunder Konferenz, zu der Linke, die nicht mehr oder noch in den Grünen sind, eingeladen haben, ist nur einer von vielen Anfängen. Nicht der einzige, von dem alles abhängt, und si-cherlich auch nicht der Letzte. Die Dortmunder Konferenz wird sich aus naheliegenden Gründen auf eine Positionsbestimmung des links-grünen Spektrums konzentrieren, auch wenn dort viele Linke außerhalb der Grünen mitdiskutieren.

Die Verständigung muß daher auf eine noch breitere Grundlage gestellt werden. Dazu können Diskussionen in linken Zeitschriften wie ak, Sozialismus, express etc. einen Beitrag leisten. Die AutorInnen freuen sich daher auf kritische Diskussionsbeiträge. Außerdem halten wir es für sinnvoll, daß noch in diesem Jahr die auseinandersetzungsfähigen und -freudigen Strömungen der Linken gemeinsam eine Arbeitstagung vorbereiten und durchführen.

Andreas Bachmann,
Tina Rosenbusch, Susanne Uhl

Die AutorInnen waren bis vor kurzem Mitglied in den Hamburger Grünen (GAL) und arbeiten seit mehreren Jahren in der Gruppe ZAS (Zwischen allen Stühlen) mit.

Literatur

Ignacio Ramonet: "Die moderne Rechte", LE MONDE diplomatique, April 1999

Pietro Ingrao/Rossana Rossanda: "Verabredungen zum Jahrhundertende", Hamburg 1996