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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 427 / 10.6.1999

Auf den Hund gekommen

Bündnis 90/Die Grünen nach dem Kriegsparteitag in Bielefeld

"Deutsche Helden müßte die Welt, tollwütigen Hunden gleich, einfach totschlagen; dies zeigt unsere Geschichte ganz sicher."

Joschka Fischer 1982 im PflasterStrand

1995 antwortete Joschka Fischer auf die Frage, ob die Grünen der Entsendung von 4.000 deutschen Soldaten nach Bosnien zustimmen würden, wie er und die Realos es damals schon forderten: "Ich gehe nicht davon aus, daß wir uns beim ersten Mal durchsetzen. ... Aber ich wage die Prognose, daß wir früher oder später in diese Richtung gehen werden." (1) Vier Jahre und eine Bundestagswahl später ist das Ziel erreicht: Die Grünen sind Regierungspartei und haben ihre antimilitaristischen und pazifistischen Traditionen auf den Müll geworfen.

Der Himmelfahrtstag 1999 machte sichtbar, was vorher noch verschwommen schien: Das grüne Projekt ist tot. Die Konfrontation zwischen den "Erben" der Neuen Linken, die sich vor der Seidensticker-Halle in Bielefeld abspielte, war hoffentlich die letzte ihrer Art. Einige hundert KriegsgegnerInnen blockierten zeitweise den Eingang zur Halle und konfrontierten jeden - egal ob grüne KriegsgegnerInnen oder KriegsbefürworterInnen, Journalisten oder Gäste - lautstark mit ihrem Protest. Auf Diskussion kam es dabei den wenigsten KriegsgegnerInnen an. Dagegen waren moralischer Rigorismus und Leidenschaft bei vielen vorherrschend.

Eine gelassenere Haltung - vor allem den grünen KriegsgegnerInnen gegenüber - wäre angebracht gewesen. So trug man ungewollt dazu bei, die grünen Reihen enger zusammenzuschließen. Vor allem angesichts der gesellschaftlichen Isolierung der außerparlamentarischen Linken bekommt diese Art der moralischen Abgrenzung einen faden Beigeschmack. Gerade in Anbetracht der eigenen Schwäche, die ja auch daraus resultiert, daß man selbst über keine organisierende politische Strategie verfügt, sollte man nicht leichtfertig auf die wenigen Möglichkeiten zum politischen Eingreifen verzichten.

Vor knapp zwanzig Jahren, bei Gründung der grünen Partei, haben sich die Wege der Neuen Linken in der BRD getrennt. Allerdings bestand auch danach zwischen linker außerparlamentarischer Politik und den Grünen jahrelang ein Wechselverhältnis. Arbeitete man in den ersten Jahren noch zusammen und spielte sich von Fall zu Fall die (politischen) Bälle zu, wurde die Distanz zu den Grünen im Laufe der Jahre immer größer. Dennoch unterschied die Linke immer noch zwischen SPD und Grünen. Der SPD traute man jedenfalls jegliche Schweinerei zu. Heute ist die Restlinke auch gegenüber den Grünen an einem Endpunkt angekommen, wo so gut wie nichts mehr zusammen geht.

,,Wenn Fischer Außenminister wird, ...

Noch Ende 1993 hatten die bündnisgrünen Delegierten auf ihrem Bonner Sonderparteitag mit überwältigender Mehrheit (etwa 90%) friedenspolitische Grundlinien beschlossen, in denen auch humanitär begründete Militäreinsätze prinzipiell abgelehnt wurden: "Die internationale Durchsetzung von Menschenrechten darf sich keiner militärischen Mittel bedienen, wenn das Ziel einer dauerhaften Entmilitarisierung der internationalen Politik eine Chance auf Verwirklichung haben soll." (2)

Ein Jahr später, auf der Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) in Potsdam-Babelsberg, revidierte die Partei ihre strikte Ablehnung von Militäreinsätzen. Wurden bis dahin UN-Blauhelm-Kontingente nicht als Mittel einer deeskalierenden Krisenintervention angesehen, plädierten die Grünen nun für die Stationierung von "zur Selbstverteidigung fähigen" UN-Einheiten. Eingebracht wurde der Resolutionsentwurf von Ludger Volmer, damals einer der Wortführer der Parteilinken und heute Staatssekretär im Auswärtigen Amt, und Ralf Fücks, heute Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung und heute wie damals schon Oberrealo.

Damit war der Boden bereitet, auf dem Joschka Fischer im Sommer 1995 eine weitergehende Revision bündnisgrüner Positionen in Angriff nehmen konnte. "Wenn Fischer einmal Außenminister wird, wird er diese Haltung nicht beibehalten können", so hatte zuvor schon Daniel Cohn-Bendit das Dilemma benannt. Anders gesagt: Wer eine Regierungsbeteiligung mit der SPD anstrebt, muß sich von NATO-kritischen und antimilitaristischen Positionen verabschieden.

Anlaß für den erneuten Vorstoß Fischers war die Eroberung der UN-Schutzzone Srebrenica durch serbische Truppen. In einem "Offenen Brief an Partei und Fraktion" schlußfolgerte er: "Entweder sind wir für den militärischen Schutz der Schutzzonen, ... dann müssen wir dies als Partei auch sagen, ausdiskutieren und beschließen. Oder wir lehnen diesen militärischen Schutz ab, und dann müssen wir uns ... für den Abzug der UN-Blauhelme aussprechen." (3) Im Dezember 1995 sprachen sich dann immerhin 37% der grünen Delegierten auf einer BDK in Bremen für den Antrag von Fischer und Hubert Kleinert aus, die Bundeswehr an einem Einsatz in Bosnien zu beteiligen. Obwohl die Mehrheit des Parteitages dies ablehnte, stimmten drei Tage später 22 von 49 grünen Bundestagsabgeordneten der Entsendung von 4.000 Bundeswehrsoldaten nach Bosnien zu.

... wird er diese Haltung...

Anschaulicher als nun auf dem Bielefelder Parteitag hätten die Grünen nicht dokumentieren können, welchen weiten Weg sie seit ihrer Gründung zurückgelegt haben. Die Sonder-BDK setzte ein Ausrufezeichen hinter die Entwicklung der Partei. "Am Tisch der Macht sitzen bleiben zu dürfen, ist für die Grünen ein Wert an sich geworden, dem sie alles andere unterordnen", kommentierte Charlotte Wiedemann in der Woche vom 20.5.

Die BDK war zur Entscheidung über Krieg und Frieden stilisiert worden. Dabei war die Entscheidung schon im Oktober vergangenen Jahres getroffen worden. Damals stimmte die Mehrheit der grünen Bundestagsfraktion einem NATO-Kampfeinsatz unter Beteiligung der Bundeswehr im Kosovo zu - einem Einsatz ohne UN-Mandat. Vehementer Protest der grünen Basis blieb aus.

Wer eine Kampfabstimmung über die Frage von Krieg und Frieden in Bielefeld erwartet hatte, war also unter falschen Voraussetzungen in die Seidensticker-Halle gekommen. Schon die diversen Beschlüsse auf Landesparteitagen im Vorfeld deuteten darauf hin, daß die BDK mit einem faulem Kompromiß enden würde. Der Antrag des Bundesvorstandes (BuVo) zeigte den Weg: Mit 444 Stimmen erhielt er schließlich auch die Mehrheit. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, sich dafür einzusetzen, "daß die NATO einseitig eine Unterbrechung der Luftangriffe auf Jugoslawien erklärt, mit dem Ziel, den Beginn des Rückzuges der serbischen Einheiten aus dem Kosovo und einen sofortigen überprüfbaren Waffenstillstand aller Seiten zu erreichen", und "Verhandlungen mit Jugoslawien auf der Basis des Friedensplans Joschka Fischers" aufzunehmen. (4) Für den Gegenantrag von Christian Ströbele, Barbara Höhn, Claudia Roth und anderen, der die sofortige Beendigung der Bombardierungen beinhaltete, stimmten 318 Delegierte.

Daß es überhaupt zu der Abstimmung zwischen diesen beiden Anträgen kam, war allerdings nur der Tatsache geschuldet, daß der LV Niedersachsen seinen den BuVo-Vorstellungen weitgehend entsprechenden Antrag zurückgezogen hatte. Der hatte in der Vorabstimmung 344 Stimmen erhalten, 9 mehr als der Antrag von Ströbele u.a.. Daß Teile der innerparteilichen KriegsgegnerInnen selbst in dieser Situation immer noch an einer "zentristischen" Linie festhielten, ist unverständlich. Vor allem wenn man bedenkt, daß der Antrag von Buntenbach u.a., der sich für einen sofortigen und endgültigen Stopp der Bombardierungen aussprach, in der Vorabstimmung nur unwesentlich weniger Stimmen bekommen hatte als der "Kompromißantrag" von Ströbele u.a. in der Endabstimmung (311/318). Warum also dieses Taktieren? Fürchteten die Leute vom "Babelsberger Kreis", daß dann die Realos einen eigenen Antrag einbringen würden? Daniel Cohn-Bendit hatte explizit und Cem Özdemir implizit während des Parteitags darauf hingewiesen, daß es eigentlich in der Konsequenz der NATO-Strategie liege, mit Bodentruppen bis nach Belgrad zu marschieren. Hätten die Realos einen solchen Antrag eingebracht, wäre zumindest die Mehrheit für den BuVo-Antrag wackelig geworden. Vielleicht wäre dadurch aber auch der Versuch, die innerparteilichen Gegensätze durch einen Formelkompromiß zusammenzufügen, nicht ganz so reibungslos gelungen, wie es dann das Ergebnis der BDK war. Das wollten aber weder Realos noch Regierungslinke noch die meisten KriegsgegnerInnen.

Und so versicherte selbst Annelie Buntenbach den Delegierten, sie wolle nicht aus der Regierung aussteigen: "Ich will ihren Kurs ändern." Christian Ströbele, prominentester grüner Kriegsgegner, hatte schon im Vorfeld Fischers "Friedensplan" begrüßt, obwohl dieser vorsieht, die Bombardierungen so lange fortzusetzen, bis sich die serbischen Truppen nachprüfbar aus dem Kosovo zurückziehen.

... nicht beibehalten können."

Für den Fall, daß die BDK für eine einseitige Einstellung der Angriffe votieren würde, drohte Fischer ganz offen, er werde "das nicht umsetzen."

Gleichzeitig machte die SPD deutlich, daß ihnen der Beschluß von Bielefeld schnurzegal ist. Das bestätigte das Schauspiel in der folgenden Woche. Ganze zwei Tage überlebte die Ankündigung der Grünen, sie wollten im Bundestag eine Feuerpause beantragen. "Wir können ... keinen eigenen Antrag einbringen, ohne den mit der SPD gemeinsam abgestimmt zu haben. Die Zeiten der Opposition sind vorbei", erklärte Parteisprecherin Antje Radcke.

Schon melden sich die Geschichtsfälscher zu Wort, die weismachen wollen, daß die Bonner Ministersessel von Anfang an das Ziel der Grünen gewesen seien. "Wir haben 20 Jahre lang für die Regierungsübernahme gekämpft", rief der ehemalige Vorstandssprecher Ludger Volmer in die Bielefelder Halle. Es gab einmal Zeiten, da gehörte er zu denjenigen, die genau dieses Ansinnen äußerst skeptisch betrachteten.

"Mit der Entscheidung von Bielefeld ... sind die Grünen endgültig und unwiderruflich zu einem Teil des Status quo geworden", so Michael Brumlik in seinem Kommentar "Von der Systemopposition zur Staatspartei". (Kommune, 6/99). "So ,links`, wie die Grünen fortan sein werden, kann man sich in CDU, SPD und PDS allemal gerieren."

mb.

Anmerkungen:

1) Die Woche, 24.11.95

2) Gewaltfreiheit und Menschenrechte - friedenspolitische Grundlinien von Bündnis 90/Die Grünen. Beschluß der außerordentlichen Bundesversammlung vom 9.10.93

3) vgl. zur Diskussion um Fischers Brief ak 381

4) Frieden und Menschenrechte vereinbaren! Für einen Frieden im Kosovo, der seinen Namen zu Recht trägt! Beschluß der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz vom 13.5.99