Falsche Versprechen, echte Bomben
Catherine Samary über den Kosovo-Konflikt
Am 14. Juni sprach die Jugoslawien-Expertin Catherine Samary in Nürnberg auf einer Veranstaltung zum Thema "Der Kosovo-Krieg und die Hintergründe des NATO-Bombardements". Samary ist Wirtschaftswissenschaftlerin in Paris; zu den EU-Wahlen kandidierte sie auf der gemeinsamen Liste der französischen Trotzkisten von Lutte Ouvrière und der Ligue Communiste Révolutionnaire. Ihr Vortrag wurde von Paul B. Kleiser (Neuer ISP-Verlag) mündlich übersetzt; der mitgeschnittene Wortlaut der Übersetzung wurde redaktionell überarbeitet.
Ich verstehe die Schwierigkeiten, über diesen Konflikt zu sprechen, weil er ja Emotionen weckt. Ich teile auch die Einschätzung, daß es eigentlich zwei Kriege gegeben hat. In Frankreich habe ich einen Aufruf unterschrieben, einen Appell von Intellektuellen, der sich sowohl gegen die ethnischen Säuberungen des Milosevic-Regimes als auch gegen den Krieg der NATO wendet. ("Wir sind nicht bereit, Scheinalternativen zu akzeptieren." vgl. ak 425, S. 13)
Ich möchte zwei Aspekte besonders hervorheben. Der eine ist die Stellung der Kosovo-Krise im Rahmen der gesamtjugoslawischen Krise, der andere ist die Reaktion der Westmächte und die Reaktion der NATO. Zuerst möchte ich betonen, daß die Vorstellung falsch ist, die Völker dieser Region hätten sich immer gehaßt und der Haß dieser Völker wäre die Ursache der Krise.
Natürlich gibt es große Probleme zusammenzuleben, wenn man nicht die gleiche Sprache spricht, wenn man nicht den gleichen wirtschaftlichen Hintergrund hat und wenn man nicht die gleiche Geschichte hat. Das gilt sogar unter Umständen, wenn man die gleiche Sprache spricht. Aber ich denke, die Konflikte haben eine sozioökonomische und politische Grundlage. Und die nationalen Fragen vermischen sich mit sozioökonomischen und politischen Gesichtspunkten.
Der innerjugoslawische Nord-Süd-Gegensatz
Man muß wissen, daß der Kosovo die am wenigsten entwickelte Region in Serbien und Jugoslawien war. Zu Beginn des titoistischen Jugoslawiens, nach dem Zweiten Weltkrieg, gab es entwickelte, industrialisierte Regionen wie Slowenien und Kroatien, und es gab den Süden, der weit unterentwickelt war.
Aber im titoistischen Jugoslawien bestand die Möglichkeit, durch die Verbindung der verschiedenen Landesteile und entsprechende Ressourcentransfers auch den unterentwickelten Süden in die Entwicklung mit einzubeziehen. Dem titoistischen Jugoslawien gelang es, den Anteil der Bauern an der Bevölkerung von 80% auf 30% zu reduzieren, was eine entsprechende Industrialisierung bedeutete. Es ist diesem titoistischen Jugoslawien jedoch nicht gelungen, die Entwicklungsunterschiede zwischen Nord und Süd wirklich einzuebnen. Der Entwicklungsunterschied zwischen dem entwickeltsten Land Slowenien und dem unterentwickeltsten Gebiet Kosovo lag in der Größenordnung von 7 zu 1. Ende der 70er Jahre gab es in Slowenien ungefähr 2% Arbeitslose, aber 30% im Kosovo.
Das zweite grundlegende Problem, neben den wirtschaftlichen Gegebenheiten, war natürlich die Frage der demokratischen Verhältnisse. Wenn ich von Demokratie spreche, dann meine ich, daß nationale Fragen mitbeinhaltet sind, denn es geht um Entscheidungsmöglichkeiten und Befugnisse nicht nur von Individuen, sondern auch von kollektiven Einheiten. Im Jugoslawien Titos wurde zwischen Bürgerrechten und Nationalität unterschieden, in dem Sinn, daß eben verschiedene Nationalitäten in Jugoslawien vorzufinden waren. So gab es zwei Kammern im jugoslawischen Parlament, die eine war eine Kammer, die nach allgemeinen und gleichen Wahlen gewählt wurde, die andere war die Nationalitätenkammer, in der sämtliche Nationalitäten Jugoslawiens vertreten waren.
Natürlich gab es Beschränkungen der Demokratie, es gab keinen wirklichen Pluralismus in Jugoslawien. Ich denke, daß das ein Faktor war, der wirkliche wirtschaftliche und sozioökonomische Fortschritte in Jugoslawien behinderte. Die reichen und industrialisierten Nationen im Norden, also vor allem Slowenien und Kroatien, hatten immer wieder den Eindruck, daß ihre Reichtümer, soweit sie über die Transferleistungen nach Süden flossen, verschwendet wurden und dort nicht wirklich ankamen.
In der erwähnten Nationalitätenkammer waren alle Republiken in gleicher Weise vertreten. Nach der neuen und letzten Verfassung von 1974 waren auch die Bestandteile Serbiens, die Vojvodina und, aufgrund des Drucks der Kosovaren, der Kosovo, mit gleichen Rechten vertreten. Beide besaßen auch das Vetorecht. Trotz dieser scheinbaren Gleichheit gab es eine Art Ungleichheit im Status zwischen den südslawischen Völkern und den Albanern.
Die sechs Republikvölker - nämlich Slowenien, Serbien, Kroatien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro - hatten das Recht, selbst zu entscheiden, und de facto auch das Recht auf Sezession. Dieses Recht auf Sezession und damit auch auf eine eigene Republik wurde der Vojvodina (in der Vojvodina gibt es eine erhebliche ungarische Minderheit) und im Kosovo den Albanern verweigert, was in gewisser Weise zu diesen Konflikten im Kosovo führte.
Dennoch muß betont werden, daß seit Mitte der 60er Jahre aufgrund des Autonomiestatutes eine massive Albanisierung des Kosovo stattfand. Es wurde z.B. die Universität von Pristina errichtet, die Kosovo-Albaner bekamen erhebliche Autonomie- und Selbstverwaltungsrechte.
Nach dem Tod Titos erlebte dieses System zehn Jahre Krise, und zwar eine sozioökonomische Krise und eine politische Krise in den 80er Jahren. Die sozioökonomische Krise wurde vor allem durch die Schuldenkrise verursacht. Jugoslawien war seit Anfang der 80er Jahre mit gut 20 Milliarden Dollar verschuldet.
Die Hintergründe dieser Schuldenkrise sind doppelter Natur. Einerseits war die Bürokratie nicht in der Lage, ein entsprechendes Entwicklungskonzept durchzusetzen. Andererseits waren die Entwicklung der internationalen Wirtschaft und die internationalen Organisationen verantwortlich dafür. Der politische Ausdruck dieser Krise war, daß sich die Einheitspartei, der Bund der Kommunisten Jugoslawiens, praktisch nach Republiken aufspaltete, daß also ein Prozeß der Nationalisierung der Kommunistischen Partei stattfand.
Es gibt zwei Interpretationen über den Ursprung dieser Krise, die ich beide für falsch halte. Die eine Interpretation sagt, daß der Aufschwung des serbischen Nationalismus Jugoslawien in die Krise geführt hat; die andere Interpretation versucht, die Verantwortung der verschiedenen Nationalismen auf gleicher Ebene anzusiedeln.
Meine Interpretation ist, daß sich in der jugoslawischen Krise drei dominierende Nationen herausbildeten und daß die anderen Nationen in einer beherrschten Situation waren. Die drei dominierenden Nationen waren diejenigen, die sich im historischen Prozeß am längsten entwickeln konnten, nämlich Slowenien, Kroatien und Serbien. Es waren sehr unterschiedliche und widersprüchliche Logiken in diesem Krisenprozeß am Werke. Slowenien und Kroatien hatten ein sehr viel höheres Entwicklungsniveau als der Rest und versuchten sehr bald, sich vom sinkenden Schiff Jugoslawien davonzumachen.
Serbo-Jugoslawien - ein Irrweg
Der serbische Nationalismus, gekennzeichnet durch den Aufstieg von Slobodan Milosevic Ende der 80er Jahre, folgte einem anderen Weg. Slobodan Milosevic versuchte, mehrere Varianten seiner Politik ins Spiel zu bringen. Die erste Variante war, eine Rezentralisierung von Jugoslawien durchzusetzen, bei der Serbien und Belgrad das entscheidende Zentrum sein sollten.
Der erste Schritt in diese Richtung war die Zerstörung der Autonomie des Kosovo im Jahre 1989 und die Aufhebung des Vetorechtes des Kosovo in den Bundesinstanzen. Die zweite Variante war der Versuch, einen großserbischen Staat zu gründen, der sich auf alle Serben stützen sollte, also auch auf die Serben, die in Kroatien und in Bosnien-Herzegowina lebten.
Ich habe von drei dominierenden Nationen gesprochen. Was waren nun die Schwächen der anderen Nationen, die in diesem titoistischen Jugoslawien vereint waren? Dies waren die Nationen, die sich in einem viel kürzeren historischen Prozeß als Nation konstituiert hatten. Dies waren die Nationen, die beim Auseinanderbrechen Jugoslawiens keine wirkliche Wahl hatten, sondern vor die Wahl der drei dominierenden Nationen gestellt wurden.
Es handelt sich um Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und die Kosovo-Albaner. Alle diese südlichen Republiken bemühten sich bis 1991 darum, einen gesamtjugoslawischen Rahmen zu erhalten, insbesondere Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Die Lostrennung von Slowenien und Kroatien im Juni 1991 stellte diese südlichen Republiken vor eine sehr tragische Situation.
Entweder mußten sie in einem Serbo-Jugoslawien bleiben und sich dem unterordnen, in einem Serbo-Jugoslawien, in dem das Kräfteverhältnis ganz anders war als vorher. Oder sie mußten den Weg der Unabhängigkeit gehen, was bedeutete, daß sie unmittelbar von ihren Nachbarn bedroht waren. Sie wählten die Unabhängigkeit. Dies hatte z.B. zur Folge, daß Mazedonien lange Zeit weder von Griechenland noch von Serbien noch von Bulgarien anerkannt wurde.
Für Bosnien-Herzegowina bedeutete es, daß sehr schnell nicht nur in Belgrad, sondern auch in Zagreb ein Teilungsplan, ein Ethnisierungsplan ausgearbeitet wurde, mit fürchterlichen Folgen.
Inwiefern ist der Kosovo-Konflikt typisch für diese Serie von Konflikten in Jugoslawien in den 90er Jahren? Der Krieg in Jugoslawien hatte eine doppelte Tendenz zum Hintergrund: Die Gründung von ethnisch mehr oder weniger reinen Nationalstaaten und die Privatisierung der Ökonomie auf der Grundlage dieser ethnisch definierten Nationalstaaten. Im Kosovo gibt es einen sehr weit in die Geschichte zurückreichenden Konflikt zwischen den Ansprüchen und Forderungen der Serben und denen der Kosovaren.
Der serbische Nationalismus sieht im Kosovo sein Jerusalem. Serbien ist das Gebiet, auf dem im Mittelalter ein serbischer Staat gegründet wurde, dem auch die umliegenden Gebiete angehörten. Deswegen gilt diese Provinz als die Wiege Serbiens. Aber der Kosovo ist natürlich auch ein historisches Bevölkerungsgebiet der Albaner. Historisch gesehen lebte ungefähr die Hälfte der albanischen Bevölkerung in Albanien, die andere Hälfte sowohl im Kosovo als auch in Teilen Mazedoniens.
Warum solidarisierten sich die anderen Republiken, als Milosevic 1989 die Autonomie des Kosovo aufhob, nicht mit den Kosovaren? Slowenien reklamierte zwar politisch eine gewisse Solidarität, schlich sich aber bei den Zahlungen für den Kosovo sehr schnell davon, weil seine Perspektive war, Jugoslawien zu verlassen und sich in die EU zu integrieren.
Diese Pläne sind in gewisser Weise aufgegangen, denn Slowenien ist eines der fünf Kandidatenländer, die in einem kommenden Schritt, sofern das überhaupt passiert, in die EU aufgenommen werden sollen. Tudjman dagegen, der 1990 zum Präsidenten Kroatiens gewählt worden war, sagte: Wir lassen den Kosovo eine innerserbische Angelegenheit sein, damit garantiert ist, daß die Serben in Kroatien eine innerkroatische Angelegenheit sind.
Genauso wie Milosevic das Statut der Kosovaren, also ihre Autonomie, in Frage stellte und dann abschaffte, hob Tudjman das besondere Statut der Krajina-Serben in Kroatien auf und schaffte es ab. Man muß hier anmerken, daß in der kroatischen Verfassung zu Zeiten von Tito stand, daß Kroatien nicht nur das Land der Kroaten sei, sondern das Land der Kroaten, der Serben und der anderen Nationalitäten, die auf diesem Gebiet leben.
Diese Politik war extrem wichtig, weil im Zweiten Weltkrieg von der Ustascha eine großkroatische Politik verfolgt worden war. Das bedeutete, daß Tausende von Serben, von Roma und von Nichtkatholiken umgebracht wurden, weil sie sich diesem Großkroatien nicht einfügen wollten.
Die albanische Parallelgesellschaft
Somit blieben die Kosovaren im jugoslawischen Rahmen allein. 1989 feuerte das serbische Regime die Albaner aus allen führenden Posten, gleichgültig ob das bei der Polizei, der Verwaltung usw. war und ersetzte sie durch Serben. Seit etwa 1990 gab es eine Art albanische Parallelgesellschaft im Kosovo, die auf diese serbische Repression reagierte, indem sie eine Volksabstimmung über ihre Unabhängigkeit durchführte, eigene Strukturen errichtete und sogar einen eigenen Präsidenten wählte, den Schriftsteller Ibrahim Rugova.
Fast zehn Jahre lang war die Situation so, daß es keinen direkten Krieg gab, aber auch keinen Frieden, es wurde eine Art Apartheid durchgesetzt, bis hin zu den Verhandlungen von Rambouillet.
In den zwei Jahren, die Rambouillet vorangingen, 1997 und 1998, gab es zwei Ereignisse, die die Situation erheblich veränderten. Belgrad versuchte in dieser Zeit, einen Teil der ungefähr 600.000 serbischen Flüchtlinge aus der Krajina und aus Bosnien in den Kosovo zu verpflanzen und sie dort anzusiedeln, um dadurch die ethnische Zusammensetzung zu verändern. Dieser Versuch schlug fehl.
Warum? Weil die serbischen Flüchtlinge keine große Lust hatten, in dieser armen und konfliktreichen Provinz Kosovo zu leben. Sie machten sich lieber in Richtung der reicheren Vojvodina mit ihrer serbischen Bevölkerungsmehrheit auf. Dieses Scheitern der Ansiedlung führte dazu, daß ein Dialogprozeß zwischen Belgrad und den Kosovaren in Gang kam, daß Verhandlungen mit Rugova über eine Neudefinition des Statuts des Kosovo stattfanden.
Die Uneinigkeit der internationalen Staatengemeinschaft über die Frage des Statuts des Kosovo und der Radikalisierungsprozeß der Serben gegenüber den Albanern im Kosovo und umgekehrt sorgte dann dafür, daß diese Verhandlungen de facto scheiterten. Das Abkommen von Dayton über Bosnien-Herzegowina 1995 wurde zusammen mit den Präsidenten Milosevic, Tudjman und Izetbegovic ausgehandelt. Während der Verhandlungen verlangten die Kosovaren immer wieder, daß auch ihre Angelegenheiten behandelt würden. Das stieß natürlich auf Ablehnung von Milosevic, und so kam es, daß die Frage des Kosovo aus den Verhandlungen von Dayton ausgeklammert blieb.
Die USA und die westeuropäischen Länder akzeptierten einerseits, daß die Kroaten die Serben aus der Krajina verjagten. Sie akzeptierten andererseits die serbische Repression im Kosovo. Sie hatten nämlich Angst, daß eine Autonomie oder Unabhängigkeit des Kosovo einerseits zu Gefährdungen der Grenzziehung in Mazedonien führen würde und andererseits zu einer Veränderung des Gleichgewichtes und weiteren Konflikten in Bosnien-Herzegowina. Sie akzeptierten also praktisch die Grenzziehungen, die es in Jugoslawien bereits gab.
Der Dayton-Prozeß war der Hintergrund für das Entstehen der UCK, der Befreiungsarmee des Kosovo. Die Menschen, die zu den Waffen griffen, wollten sich nicht mehr auf Verhandlungen einlassen, sondern bewaffnet für die Unabhängigkeit des Kosovo kämpfen. Die Grundfrage, um die es hier geht, ist letzten Endes die Frage des Statuts des Kosovo: Soll er autonom werden, soll er unabhängig werden usw.
Rambouillet - eine doppelte Heuchelei
Ich will kurz auf Rambouillet zu sprechen kommen. Ich denke, daß die Verhandlungen in Rambouillet eine große Heuchelei waren. Im Plan von Rambouillet gab es zwei Teile, einen politischen und einen militärischen Teil. Auf politischer Ebene war die Frage des Statuts des Kosovo gestellt.
Die westlichen Regierungen hatten eine politische Entscheidung getroffen, die eigentlich den Interessen von Belgrad sehr viel näher kam als den Interessen der Kosovaren. Die Vereinbarungen sahen eine Autonomie vor, die sich an der Autonomie, wie sie vor 1989 bestand, orientierte. Die Serben gingen darauf ein, wohingegen die albanische Delegation diese Vorschläge ablehnte.
Nach einer gewissen Zeit kam es zu einer Unterbrechung der Verhandlungen in Rambouillet. Der eigentliche Konfliktpunkt war, daß die Albaner bemängelten, daß in den vorgetragenen Vorschlägen für eine Vereinbarung die Frage, ob sie nicht nach einem gewissen Zeitpunkt, etwa nach drei Jahren, über die Frage der Unabhängigkeit würden abstimmen können, überhaupt nicht auf der Tagesordnung stand.
Der militärische Teil wurde von den Serben abgelehnt. Er wurde damals nicht veröffentlicht, man kann ihn aber jetzt im Internet abrufen. In diesem militärischen Teil war praktisch die Besetzung von ganz Jugoslawien durch Truppen der NATO und deren freie Beweglichkeit vorgesehen. Ich will das hier betonen, weil es nicht stimmt, daß die Serben jede internationale Truppe oder Friedenstruppe in diesem Gebiet abgelehnt hätten. Entscheidend war nur die Frage, ob diese Truppe Bewegungsfreiheit in ganz Jugoslawien bekommen würde. Zum Zeitpunkt von Rambouillet gab es schon einige Tausend internationale Beobachter der OSZE, die sich mit Erlaubnis von Belgrad im Kosovo aufhielten.
Was geschah nun in der Zwischenzeit? Madeleine Albright, die US-Außenministerin, versprach den Kosovaren mündlich zwei Dinge. Der erste Punkt war, sie würden nach drei Jahren über die Frage der Unabhängigkeit abstimmen können. Punkt zwei, es würde Waffenlieferungen der NATO an die UCK geben. Das bedeutete eine Umkehrung der Situation. Die Kosovaren stimmten danach dem Rambouillet-Abkommen in zweiter Fassung zu, während Belgrad es natürlich ablehnte.
Es wird sehr häufig behauptet, daß der Einsatz der NATO-Bomber eine moralische Entscheidung war oder eine Entscheidung für die Unterstützung der Albaner im Kosovo. Ich denke nicht, daß das richtig ist. Die Ausgangshypothese für die Bombardements war, daß man nur ein paar Tage bombardieren müsse, dann würde Milosevic das Rambouillet-Abkommen und auch den Einmarsch von NATO-Truppen im Kosovo akzeptieren, um den "Friedensprozeß" voranzubringen.
Die Politik der falschen Versprechen
Man sagt sehr häufig, es gibt kein Erdöl im Kosovo, also ist es ein moralischer Krieg, der da geführt wird. Ich denke, das ist eine ziemlich wenig überzeugende These. Es gibt eine Reihe von strategischen Gesichtspunkten, die die NATO hier haben eingreifen lassen. Der erste Gesichtspunkt ist geostrategischer Natur. Die NATO muß sich nach Auflösung des Warschauer Paktes neu definieren und neu rechtfertigen.
Zweitens sind es innerhalb der NATO die USA, die - insbesondere auf der Grundlage ihrer Militärindustrien - seit den 90er Jahren die dominante Macht sind, und die vorgeben, was getan wird. Der dritte Gesichtspunkt ist, daß die USA die NATO benutzt haben, um die ungeliebte UNO übergehen zu können.
Zwischen den zwei Abschnitten der Verhandlungen in Rambouillet gab es das Konzept, daß man statt der NATO-Truppen UNO-Truppen als Friedenstruppen stationieren wollte. Damals wurde diese Vorstellung von den Vereinigten Staaten kategorisch abgelehnt. Außerdem wollten die USA sicher stellen, daß die Europäer in dieser Region keine autonome Politik verfolgen könnten und daß sie sich ihren Vorstellungen und Konzepten fügen müßten.
Und ich denke, es gibt auch dieses Spiel mit dem Balkan. Man hat insbesondere den Kosovaren einiges versprochen. Aber das, was heute abläuft, zeigt, daß das ziemlich heuchlerische Versprechungen waren. Das neue Abkommen über den Rückzug der Serben spricht überhaupt nicht mehr von der Autonomie der Albaner, insbesondere nicht mehr von dem Zeitraum von drei Jahren, nach dem dann über die Frage der Unabhängigkeit oder was auch immer hätte abgestimmt werden können; das ist völlig offen gelassen.
Sicherlich werden die Flüchtlinge unter bestimmten Umständen aus den Grenzregionen in den Kosovo zurückkehren können. Aber der Krieg bewirkte, daß die Vertreibungsorgie in diesen Ausmaßen überhaupt erst durchgeführt werden konnte. Ich will damit nicht sagen, daß die Politik von Milosevic nicht schon vorher begonnen hätte. Sie begann 1989 mit der Zerstörung des Statuts der Kosovaren und der zunehmenden Repression. Aber die Bombardements der NATO führten dann zu einer massiven Radikalisierung des Vertreibungsprozesses, die ohne den Krieg in dieser Form wahrscheinlich nicht möglich gewesen wäre.
Ich denke nicht, daß dieser Krieg, wie man so oft sagt, zum Schutze von Menschenleben geführt wurde. Dieser Krieg machte erhebliche Teile der kosovarischen wie die serbischen Bevölkerung zu Opfern und bedrohte sie. Es stimmt auch nicht, daß dieser Krieg zu einer Stabilisierung der Region geführt hätte. Ganz im Gegenteil: Dieser Krieg führte zu einer massiven Destabilisierung umliegender Länder, von Mazedonien, Albanien, Bosnien-Herzegowina und Montenegro, und er warf auch die Entwicklung Serbiens um mindestens 50 Jahre zurück.
Und schließlich hat dieser Krieg auch dazu geführt, daß ein künftiges Zusammenleben zwischen Serben und Kosovaren im Kosovo auf eine gewisse Zeit hinaus viel schwieriger, wenn nicht unmöglich werden wird - eine Situation, die vor diesem Krieg so noch nicht bestand.
Man hat uns häufig gesagt, daß die Bombardements notwendig wurden, weil es keine andere politische Lösung mehr gab. Ich denke, daß das nicht stimmt. Man hat den Kosovo zehn Jahre lang links liegen lassen. Insbesondere brachte man bei all den nationalen Fragen, die es auf dem Balkan gab, überhaupt keine egalitären Gesichtspunkte zur Durchsetzung. Im Grunde versuchte man, in einer Art Hoppla-Hopp-Politik mit den nationalen Rechten der Menschen dort umzugehen.
Es ist eine Sackgasse, wenn auswärtige Mächte an der Stelle der dortigen Völker denselben irgendwelche Lösungen aufzwingen wollen. Die eine Sache ist, bei Friedensverhandlungen oder Konflikten zu helfen, aber die andere Sache ist, ihnen Vorschriften zu machen, wie sie sich nun zu verhalten haben, welche Gesichtspunkte durchzusetzen und welche zu unterlassen sind. Ich denke, so eine Politik muß eigentlich immer zum Scheitern führen, sofern nicht die Völker wirklich selbst entscheiden und bestimmen können, wie es weitergehen soll.
Catherine Samary