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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 428 / 8.7.1999

EU fordert neue AKWs in der Ukraine

Schröder will Atomkredit für Siemens

Die Bundesregierung hat sich den Atomausstieg auf die Fahnen geschrieben. Der Bau neuer Atomkraftwerke sollte eigentlich kein Thema sein. Dennoch ringt die rot-grüne Bundesregierung seit Monaten mit der Entscheidung, ob sie einen Atomkredit für den Bau von zwei Atomkraftwerken in der Ukraine unterstützen soll oder nicht. Grund: Der deutsche Siemens-Konzern drängt massiv auf staatliche Unterstützung für seine nuklearen Interessen. Bundeskanzler Schröder will den Atomkredit für Siemens.

"Die nüchterne Erkenntnis ist, daß es nicht in der Hand der westlichen Länder liegt, über die Abschaltung von Reaktoren in Osteuropa zu entscheiden", schrieb Siemens-Chef Heinrich von Pierer noch am 25. Januar diesen Jahres an die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW, Trägerin des Friedensnobelpreises 1985. Jetzt wurde bekannt, daß es im Falle der Ukraine sehr wohl die westlichen Industriestaaten waren, die die arme Ukraine 1995 sogar dazu drängten, als Ersatz für den noch laufenden Atomkraftwerksblock in Tschernobyl zwei marode Atomkraftwerksblöcke fertigzustellen. Die finanzschwache Ukraine wollte sich vom Westen hingegen ein risikoarmes Gaskraftwerk finanzieren lassen.

Das geht u.a. aus einem Schreiben des ukrainischen Präsidenten Kutschma vom 17. Mai 1998 an die westlichen Regierungschefs hervor: "Während der Verhandlungen mit der Gruppe der sieben reichen Staaten (G7) 1995 über die Schließung von Tschernobyl hat die Ukraine den Bau eines Gas- und Dampfkraftwerks vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt zugunsten der dringenden Empfehlung seitens der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD), daß wir den Bau der Atomkraftwerke Rowno-4 und Khmelnitzki-2 fertigstellen."

Mit der Unterzeichnung eines "Memorandum of Understanding" im Jahr 1995 legte die G7-Gruppe die Ukraine schließlich auf den Atomkraftwerksbau fest. Dieses Papier kam "auf Initiative der Bundesrepublik Deutschland und Frankreichs" zustande, wie das Bundesfinanzministerium in einem Schreiben vom 30. März 1999 an die IPPNW deutlich machte. Das besondere Engagement Deutschlands und Frankreichs erklärt sich aus dem Interesse der deutschen Siemens AG und des französischen Reaktorbauers Framatome, die beiden Atomkraftwerke (gemeinsam mit dem russischen Atomministerium) fertigstellen zu können. Siemens und Framatome kooperieren bereits seit vielen Jahren bei der Nachrüstung von westlichen und osteuropäischen Atomkraftwerken. Inzwischen heißt es auch aus dem Bundeskanzleramt, daß Deutschland 1995 unbedingt das Memorandum abschließen wollte.

Siemens drängt die Bundesregierung übrigens nicht nur, einen Kredit bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) zu unterstützen. Siemens bemüht sich in Bonn auch um die Vergabe von Hermes-Bürgschaften, um weitere Bankkredite für das Atomgeschäft zu erhalten.

Siemens ist auffallend stark darum bemüht, den Eindruck zu erwecken, als habe die Ukraine die Fertigstellung von Khmelnitzki-2 und Rowno-4 gewollt. Siemens-Atommanager Wulf Bürkle berichtete 1996 in der Zeitschrift atomwirtschaft, daß Siemens im Juni 1995 in der Ukraine ein "konventionell-nukleares Konzept" als Ersatz für Tschernobyl vorgestellt habe, "das den Vorstellungen der ukrainischen Regierung entsprach". Es sah u.a. die Fertigstellung der beiden Atomkraftwerksblöcke vor. Neben der Fertigstellung der beiden Atomkraftwerke beinhaltete das Konzept die Modernisierung vorhandener Kohlekraftwerke.

Ukraine will Gas, kein Atom

Daß allerdings weder der Bau der Atomkraftwerke noch die Modernisierung von Kohlekraftwerken den damaligen Vorstellungen der ukrainischen Regierung entsprach, machte sie einen Monat nach Vorstellung des Siemens-Konzepts, deutlich: Im Juli 1995 präsentierte sie offiziell ein vom schwedisch-schweizerischen Konzern ABB vorgeschlagenes Gaskraftwerks-Projekt.

Das schließlich von Deutschland und Frankreich durchgesetzte Memorandum of Understanding beschränkte sich schließlich auf das wesentliche: Als einziges konkretes Projekt wurde die Fertigstellung der beiden Atomkraftwerke vereinbart.

Für die liberal-konservative Bundesregierung war es selbstverständlich, sich für die nuklearen Interessen des deutschen Siemens-Konzerns stark zu machen. Der neuen Bundesregierung ist dies zumindest nicht fremd. Bundeskanzler Schröder möchte sich als Mann der Wirtschaft profilieren und zeigt sich wegen des Bündnisses für Arbeit erpreßbar. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Karl Diller machte in einem Schreiben vom 24. März 1999 an die IPPNW unmißverständlich deutlich: "Es liegt im Interesse der Bundesregierung, daß sich deutsche Exporteure an der Erhöhung der Sicherheitsstandards bei Kernkraftwerken beteiligen, wenn die betreffenden Staaten ihre Entscheidung zur Modernisierung älterer Kraftwerke getroffen haben."

Bei allem Gerede über Europa und der Kritik an nationalen Egoismen bleibt unverkennbar: Die deutsche Bundesregierung vertritt in Europa zunächst einmal die Interessen des deutschen Atomkonzerns Siemens.

Zwar gibt es inzwischen einen gemeinsamen Bundestagsbeschluß von Bündnis 90/Die Grünen und von der SPD, in dem die Bundesregierung gebeten wird, keine Kredite für die Fertigstellung von Atomkraftwerken in der Ukraine zu unterstützen.

Zwar heißt es mittlerweile sogar aus dem Bundeskanzleramt, daß man das Votum des Bundestages nicht ignorieren könne. Und auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Köln am 19./20. Juni wurde die Kreditentscheidung vertagt. Bundeskanzler Schröder möchte nun am 6./7. Juli bei seiner Reise in die Ukraine mit Präsident Kutschma über Alternativen zum Atomkraftwerksbau sprechen.

Wie und worüber Gerhard Schröder im Juli mit dem ukrainischen Präsidenten tatsächlich sprechen wird, werden wir allerdings wohl nie erfahren. Wir werden daher überhaupt nicht beurteilen können, ob Alternativen zum Atomkraftwerksbau ernsthaft erörtert worden sein werden.

Mit großer Wahrscheinlichkeit ist zu erwarten, daß Schröder nach dem Treffen der Öffentlichkeit erzählen wird, daß die Ukraine nicht bereit sei, auf den Atomkraftwerksbau zu verzichten. Lassen wir an dieser Stelle dahingestellt, von wem und mit welchen Mitteln die Ukraine in dieser Position, die sie inzwischen einnimmt, "bestärkt" worden ist. Weiterhin wird es wohl heißen, daß auch die anderen G7-Staaten auf der atomaren Variante beharren.

Das Votum atomkritischer (EU-)Staaten wie Österreich, die Niederlande und Norwegen wird in der veröffentlichten Wahrnehmung vermutlich keine Rolle spielen. Auch der aufkeimende parlamentarische Widerstand in Italien und in Großbritannien dürfte in der Medienberichterstattung weitgehend ignoriert werden.

Es ist nicht unwahrscheinlich, daß sich die deutsche Bundesregierung nach dem Besuch Gerhard Schröders in der Ukraine recht schnell auf eine Unterstützung der Atomkredite verständigen wird. Die deutsche Atomschmiede Siemens wäre zufrieden.

Mit der "Beschaffung" dieser Atomkredite würde Siemens nicht nur sich selbst, sondern auch die russische Atomwirtschaft stärken. Denn nach Einschätzung des engagierten russischen Atomkraftgegners Vladimir Sliviak von Ecodefense! wäre die russische Atomwirtschaft längst am Ende, würde Siemens nicht immer wieder Westgelder für die gemeinsamen Atomprojekte organisieren.

Umgekehrt aber heißt das: Wenn es gelingt, den deutschen Atomkonzern mit dem Siemens-Boykott von seiner skrupellosen Unternehmenspolitik abzubringen, ist das auch ein entscheidender Beitrag für ein Ende der russischen Atomindustrie und für den Beginn eines Atomausstiegs in Osteuropa.

Henrik Paulitz

Der Autor organisiert für die IPPNW die Siemens-Boykott-Kampagne.