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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 428 / 8.7.1999

Schnell, effizient, gnadenlos

Rot-grüne Abschiebepolitik auf hanseatisch

Am 19. Mai 1999 veröffentlichte die "Sozialpolitische Opposition Hamburg" ein vertrauliches Papier der Hamburger Innenbehörde vom 28. April 1999. Unter dem Titel "Rückführung vollziehbar ausreisepflichtiger Staatsbürger - Politische Ziele - Aktuelle Probleme" wird darin ein Horrorkatalog an Maßnahmen präsentiert, die nur ein Ziel haben: schneller, effektiver und häufiger abzuschieben. Denn: "Insgesamt ist festzustellen, daß die Zahl der durchgeführten Abschiebungen rückläufig ist, obwohl sich die Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen erhöht hat." Und das, wo doch SPD und Grüne im Koalitionsvertrag die "konsequente" und "zügige" Abschiebung von "ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländern" beschlossen hatten.

Ziel der Behörde ist die Beseitigung der "tatsächlichen Abschiebehindernisse", die dadurch entstehen, daß Flüchtlinge versuchen, die ihnen noch zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Erreicht werden soll dies vor allem durch die "ärztliche Begleitung von Rückführungen, insbesondere bei attestierter Suizidgefährdung" und durch das Vorhaben, Familien auseinander zu reißen, wenn ein Familienmitglied Abschiebungshindernisse geltend machen kann. Des weiteren sollen Petitionen, "die kurz vor der Abschiebung eingereicht werden und somit offensichtlich nur den Sinn haben, die bevorstehende Abschiebung zu vereiteln, keine aufschiebende Wirkung" haben. Um zu gewährleisten, daß die Flüchtlinge bei der Abschiebung anzutreffen sind, sollen Betroffene direkt in der Ausländerbehörde oder im Morgengrauen von Rollkommandos festgenommen werden. Ebenso ist eine Ausweitung der Abschiebehaft geplant.

Rollkommandos im Morgengrauen

Am 1. Juni 1999, nur wenige Tage nach Bekanntwerden der neuen Behördenpläne, wurde Murat E., ein 15jähriger kurdischer Jugendlicher völlig unerwartet bei der Duldungsverlängerung in der Ausländerbehörde festgenommen und in die Türkei abgeschoben, obwohl er minderjährig ist und ihm verschiedene ärztliche Atteste eine hohe Selbstmordgefährdung und Aggressivität in Konfliktsituationen bescheinigen. Murat E. wurde in Begleitung eines Arztes und dreier Mitarbeiter der Ausländerbehörde abgeschoben. Ein vom Rechtsanwaltsbüro eingelegter Eilantrag konnte die Abschiebung nicht mehr stoppen. Weder das Anwaltsbüro des Betroffenen noch der Vormund waren rechtzeitig von der bevorstehenden Abschiebung informiert worden.

Am 10. Juni 1999 kam es zu einer weiteren äußerst brutalen Abschiebung, die sich auf die Maßgaben des internen Papiers zurückführen läßt. Gegen 6.00 Uhr morgens überfielen mehrere PolizistInnen und MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde die ahnungslose Kurdin Nigar S., die mit ihren drei Töchtern bei ihrem Bruder wohnte. Sie fesselten sie mit Handschellen an Händen und Füßen und schleppten sie barfuß im Pyjama ins Auto. Ein Polizist schlug sie. Die Kinder wurden aus dem Schlaf gerissen. Frau S. mußte sich im Auto notdürftig anziehen, die Schuhe bekam sie erst nachmittags am Flughafen. Frau S. leidet an schweren Depressionen, nachdem ihr Ehemann Anfang 1998 an einer schweren Krankheit gestorben war. Drei Tage vor der Abschiebung hatte Frau S. noch auf der Grundlage einer persönlichen Vereinbarung des Leiters der Ausländerbehörde und einem grünen Abgeordneten im Petitionsausschuß eine sechswöchige Duldung erhalten. Diese sah vor, daß Frau. S. geduldet wird, solange sie eine Therapie erhält und wenn sie auf jegliche Hilfe zum Lebensunterhalt verzichtet.

Tatsächliche oder rechtliche Abschiebungshindernisse, die bisher den Flüchtlingen einen Schutz vor der Abschiebung boten, werden völlig ignoriert oder mit einem Federstrich aus der Welt geschaffen. Der Ausländerbehörde und ihrem Leiter Ralf Bornhöft (SPD) sind dabei vor allem ärztliche Atteste ein Dorn im Auge, die Flüchtlingen eine Reiseunfähigkeit bescheinigen. In der Vergangenheit ist es der Behörde auch deswegen nicht gelungen, diese Abschiebungshindernisse für unglaubwürdig zu erklären, weil bei den meisten Attesten auch die amtsärztliche Überprüfung eine Reiseunfähigkeit anerkennt: "Insofern trägt die regelmäßige Vorführung der abzuschiebenden Personen beim Amtsarzt zu keinerlei Entspannung der Situation bei." Nach den so genannten "Lösungsansätzen" des Behördenpapiers will sich die Ausländerbehörde nun über solche Hindernisse einfach hinwegsetzen: "Die Maßnahme einer ärztlichen Begleitung bzw. der Begleitung durch Pflegepersonen bei Abschiebungen wäre geeignet, die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Rückführungen deutlich zu erhöhen und würde überdies eine Signalwirkung entfalten, daß Abschiebungen durch die kurzfristige Vorlage von nur bedingt aussagefähigen Attesten nicht zu verhindern sind."

Ärztliche Beihilfe zur Abschiebung

In ihrer Willkür und Anmaßung setzt sich die Behördenleitung dabei sogar über einen Beschluß des Deutschen Ärztetages hinweg, der bindend für alle Ärzte ist. Vom 1. bis 5. Juni 1999 hatten die Delegierten in Cottbus getagt und dabei folgenden Entschließungsantrag verabschiedet: "Abschiebehilfe durch Ärzte in Form von Flugbegleitung, zwangsweiser Verabreichung von Psychopharmaka oder Ausstellung einer ,Reisefähigkeitsbescheinigung' unter Mißachtung fachärztlich festgestellter Abschiebehindernisse wie z.B. in Behandlung stehende Traumatisierung sind mit den in der ärztlichen Berufsordnung verankerten ethischen Grundsätzen nicht vereinbar." Noch am Tag der Abschiebung von Frau S. hatte die Hamburger Ärztekammer der Ausländerbehörde diesen Beschluß zugefaxt, um die Abschiebung zu stoppen. Die Behördenleitung unterließ es jedoch, die beteiligten ÄrztInnen zu benachrichtigen.

In Fällen wie dem von Frau S. machen sich ÄrztInnen zu Bütteln der Ausländerbehörde. Über das Arbeitsamt auf Honorarbasis und nur für den Zweck der Abschiebebegleitung angeworben fragte der Arzt, der mit nach Istanbul fliegen sollte, Frau S. ständig, ob sie irgendwelche Beruhigungsmittel, sprich Psychopharmaka, haben wolle. Die am Flughafen eingeschaltete Amtsärztin, stellvertretende Leiterin des Gesundheitsamtes Altona, sah sich mit an, wie Frau S. in ihrer Verzweiflung zweimal versuchte, einem Polizisten die Pistole zu entreißen und sich zu erschießen. Mit den Worten "den Flug wird sie überleben" (taz vom 11.6.99) kommentierte sie ihre amtsärztliche Bescheinigung der Reisefähigkeit. Der Beauftragte für die gesundheitlichen Belange der MigrantInnen in der Hamburger Ärztekammer hat inzwischen angekündigt, gegen diese Amtsärztin Anzeige wegen Verstoß gegen das Berufsrecht zu erstatten.

Sowohl im Fall Murat E. wie auch im Fall von Frau S. rechtfertigte die Ausländerbehörde die Abschiebungen damit, daß im Vorwege das deutsche Konsulat in Istanbul informiert worden wäre, um zu organisieren, daß ÄrztInnen die Abgeschobenen in Istanbul in Empfang nehmen. In beiden Fällen warteten jedoch nicht ÄrztInnen am Flughafen, sondern die türkische Polizei, denen die Flüchtlinge von den deutschen Behörden übergeben wurden. Frau S. wurde mit ihren Kindern mehrere Stunden verhört; das deutsche Konsulat in Istanbul hat dementiert, von Hamburger Stellen um eine ärztliche Versorgung von Frau S. gebeten worden zu sein. (Hamburger Morgenpost, 12.6.99)

In beiden Fällen hat sich Hamburg als erstes Bundesland auch über den sog. Schily-Erlaß hinweggesetzt. Nach der Ermordung des Sudanesen Aamir Ageeb während einer Abschiebung von Frankfurt aus hatte Schily am 28. Mai den Bundesgrenzschutz angewiesen, Abschiebungen nicht mehr zu begleiten, wenn mit Widerstand gerechnet werden müsse. Hamburg hat dieses politische Signal von Anfang an ignoriert. Owohl Murat E. laut ärztlichem Attest in Streßsituationen zu gewaltsamen Verhalten neigt und obwohl der BGS darauf nicht bereit war, diese Abschiebung durchzuführen, wurde der Junge aus Hamburg abgeschoben: in Begleitung Hamburger Beamter.

Die neue Qualität und Verschärfung der Hamburger Abschiebepolitik haben in Teilen der Öffentlichkeit für erhebliches Aufsehen gesorgt. Am 17.6. gab es eine kurzfristig vom Flüchtlingsrat Hamburg organisierte Protestaktion vor der Ausländerbehörde mit 150 DemonstrantInnen. Auch von Seiten der Regierungsfraktionen SPD und GAL gab es Kritik an SPD-Innensenator Wrocklage. Über diese Kritik hinaus sind die Grünen jedoch nicht bereit, endlich mal ein "So nicht" auszusprechen und die Koalitionsfrage zu stellen. Nach Bekanntgabe der neuen Behördenpläne lehnte die GAL das Papier kategorisch ab; dieser Text könne keine Gesprächsgrundlage sein. Um so größer war dann die Überraschung, als anhand der beschriebenen Fälle drastisch deutlich wurde, daß sich die Innenbehörde einen Dreck um den Koalitionspartner schert und die Zielvorgaben zügig umsetzt. Erst drei Wochen nach der Abschiebung von Frau S. kam ein Gespräch zwischen SPD und GAL auf unterer Ebene zustande.

Mittlerweile fordern die Grünen - ebenso wie die neue linke Abspaltung REGENBOGEN und die Flüchtlingsberatungsstellen - die vollständige Dezentralisierung der Ausländerbehörde und ein ganzheitliches Sachbearbeitungsprinzip, d.h. Begleitung des gesamten Verfahrens durch eine/n SachbearbeiterIn. Diese Forderungen sind als erste Schritte durchaus richtig, können jedoch nur umgesetzt werden, wenn die GAL endlich einmal Rückgrat zeigt und die systematische Abschiebungs- und Vertreibungspolitik nicht mehr mitträgt. Dies ist allerdings mehr als zweifelhaft. Dies gilt erst recht für weitergehende Forderungen wie die Absetzung des Behördenleiters und die Auflösung der Abschiebeabteilung im Zuge der Dezentralisierung der Ausländerbehörde. Allerdings: Die Teilung zwischen Menschen mit deutschem Paß und Nichtdeutschen wird es selbst dann noch geben, wenn die Ausländerbehörde komplett dezentralisiert ist. Solange es Sondergesetze für Flüchtlinge und MigrantInnen gibt, solange es ein Ausländerrecht und ein Asylverfahrensgesetz gibt, wird es Abschiebungen geben, die immer auf Gewalt beruhen und daher immer unmenschlich sind.

Claudia Leitsch

Die Autorin ist Mitarbeiterin des Flüchtlingsrates Hamburg