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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 429 / 26.8.1999

Belagerungszustand am KFOR-Grill

Reportage aus dem geteilten Mitrovica

Mitrovica ist eine geteilte Stadt. Der nördliche Stadtteil bildet die letzte größere Serbentrutzburg im Kosovo. Etwa 10.000 Serben, vielleicht auch ein paar tausend mehr, die Angaben schwanken je nach Standpunkt, haben sich in mehrgeschossigen Plattenbauten und umliegenden kleineren Wohnhäusern auf einem Hügel verschanzt. Im Süden wohnen rund 100.000 Albaner. Ein Fluß trennt die Stadt in zwei unversöhnliche Lager.

An den zwei Brücken spannen französische KFOR-Soldaten Stacheldrahtrollen über die Straße. Panzer mit aufgepflanzten MGs samt Bedienungspersonal stehen auf beiden Seiten der neu gezogenen Grenze. Das Gewehr im Anschlag, patrouillieren KFOR-Soldaten hin und her. Mit Feldstechern in der Hand beäugen sich Jugendliche, die auf beiden Seiten in Gruppen zusammenstehen, voller Haß und Mißtrauen.

"Die Serben sollen endlich verschwinden", fordert Rujtim, der mit seinen Freunden auf der albanischen Seite kurz hinter dem Panzer in der Sonne sitzt. "Sie haben unsere Häuser zerstört und viele Menschen brutal ermordet. Wir können nicht mehr mit ihnen leben." Rujtim macht keine Unterschiede. Für ihn sind alle Serben schuld an den Massakern während des Kriegs, bei denen Tausende ermordet wurden. "Niemand von denen hat uns geholfen, sie sind wie wilde Tiere." Zlatko und seine Freunde sind der selben Meinung, nur sprechen sie von den Albanern. "In den letzten Tagen hat die UCK Hunderte Serben aus ihren Häusern aus den umliegenden Dörfern vertrieben. Jetzt sitzen sie hier im Nordteil und haben alles verloren. Die Albaner sind Bestien", sagt er mit fester Stimme und überkreuzt die Arme. Mit einem piepsenden Funkgerät in der Hand koordiniert er die Verteidigung der Brücke auf der serbischen Seite.

Die Zerstörungen durch den Krieg sind in Mitrovica allgegenwärtig. Im albanischen Teil liegen viele Häuser in Schutt und Asche. Aus den verkohlten Ruinen ragen oft nur noch Backsteinmauern heraus. An anderen Stellen sind auch diese eingestürzt. Die Trümmer lassen keinen Zweifel an der Brutalität und Zerstörungswut, mit der serbische Nationalisten hier vorgegangen sind. Zwischen den Hausskeletten stehen aber immer wieder auch unbeschädigte Gebäude. An jeder Ecke laufen die Aufräumarbeiten auf Hochtouren. Jugendliche schaufeln den Schutt beiseite. Die wenig zerstörten Häuser werden provisorisch wieder flott gemacht, die anderen abgerissen. Traktoren, von den Fernsehbildern der Flüchtlingstrecks wohlbekannt, tuckern kreuz und quer durch die Straßen.

Am Markt, keine 200 Meter von der Brücke entfernt, haben Cafés und Imbiß-Restaurants neu eröffnet. Eines von ihnen heißt "KFOR-Grill", ein anderes "KFOR-Bar". Wenn man genügend Geld hat, ist auf dem Markt bereits wieder alles zu haben, vom Gemüse bis zum Fernseher. Die Geschäfte laufen gut. Durch das chaotische Treiben bahnen sich die Schützenpanzer der Franzosen ihren Weg. In vielen Fenstern der neueröffneten Läden hängen Bekanntmachungen der UCK. Davor spielen Kinder mit Baseballmützen, auf denen ein selbstgemaltes UCK-Emblem prangt. Doch die scheinbar wiedergekehrte Normalität kann nur oberflächlich darüber hinwegtäuschen, daß die Menschen vom Krieg noch tief getroffen sind. An jeder Ecke erzählen sie von Vertreibung, Flucht, Mord und Totschlag der letzten Wochen.

Serbische "Tiere", albanische "Bestien"

Auf der serbischen Seite sind die meisten Wohnblocks heil geblieben. Doch auch hier stehen vereinzelt verkohlte Ruinen. Die Häuserwände und Türen sind mit dem Symbol der serbischen Nationalisten, dem Cetnic-Kreuz, bepinselt. Wie im anderen Teil der Stadt ist auch hier die KFOR überall präsent. Doch die Stimmung ist angespannter. Durch die Straßen laufen Gruppen von jungen Männern mit Kurzhaarschnitt und breiten Schultern, viele von ihnen könnten als Türsteher arbeiten. Frauen und Kinder sieht man kaum. "Wir sind im Belagerungszustand", erklärt Zlatko. "Würden wir uns nicht verteidigen, kämen die Albaner und würden hier alles kurz und klein schlagen."

Seine Befürchtungen sind nicht aus der Luft gegriffen. Immer wieder werden im Kosovo orthodoxe Kirchen angezündet, 30 Menschen werden jede Woche ermordet, zur Zeit hauptsächlich Serben und Roma. Aus dem albanischen Teil Mitrovicas mußten seit der Einstellung der Luftangriffe und der Rückkehr der albanischen Flüchtliche die meisten Serben aus Angst um ihr Leben über die Brücke flüchten - vertrieben von albanischen Nationalisten, die jetzt Rache üben. Die Albaner sind bereits während des Krieges aus dem serbischen Teil vertrieben worden und haben nun keine Chance, in ihre Häuser auf dieser Seite der Brücke zurückzukehren.

"Die Lage ist kompliziert", sagt ein Mitarbeiter der OSCE. "In Mitrovica wird sich entscheiden, ob es in Zukunft ein multi-ethnisches Kosovo gibt oder nicht", schätzt er die Lage ein. Zur Zeit deutet allerdings alles darauf hin, daß ein Zusammenleben von Albanern und Serben schwer möglich sein wird, zu groß ist der Haß auf beiden Seiten. Die kleineren ethnischen Gruppen, wie die Roma, werden zwischen beiden Lagern zerrieben. Auf der albanischen Seite hat die selbsternannte provisorische Regierung unter UCK-Chef Hasim Thaci einen Bürgermeister eingesetzt. Bajram Rexaphi war früher Arzt und schloß sich während des Kriegs der UCK an, jetzt soll er eine zivile Verwaltung in Mitrovica aufbauen und residiert im Rathaus. Auch die Serben haben einen eigenen Bürgermeister für ihren Teil der Stadt ernannt, Oliver Ivanovic. Der UNMIK (United Nations Mission in Kosovo), die eigentlich für den Aufbau einer zivilen Verwaltung zuständig wäre, bleibt nichts anders übrig, als sich mit den realen Machtverhältnissen zu arrangieren.

In Mitrovica geht es in diesen Tagen um mehr als um ethnische Konflikte. Hinter einem der bewaldeten Hügel, die die Stadt umgeben, liegt in einem schmalen zerklüfteten Tal die Trepca-Mine. Hier werden Erze und Mineralien unter Tage aus dem Fels geschlagen. Trepca birgt die reichsten Vorkommen auf dem Balkan. Für ein unabhängiges Kosovo wäre der Trepca-Schatz lebensnotwendig.

Bajram, Mitarbeiter der albanischen Bergarbeitergewerkschaft, verlangt denn auch die sofortige Öffnung der Mine. "Wir wollen hier wieder arbeiten", sagt er. Albanische Bergarbeiter haben in den letzten Tagen immer wieder vor der Mine demonstriert, um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen. 1990, als Slobodan Milosevic das Autonomiestatut des Kosovo aufhob, wurden die gesamte albanische Belegschaft gefeuert. Bis zum Krieg wurde unter serbischer Kontrolle mit einer neuen Belegschaft, die außerhalb Kosovos rekrutiert wurde, weiter gefördert. Jetzt ist die Mine stillgelegt. Wer Mitrovica kontrolliert, wird in Zukunft auch die Mine betreiben. Doch darüber ist noch nicht entschieden. Hinter dem Werkstor steht ein KFOR-Panzer, der sein Rohr direkt auf den Eingang richtet, daneben parken einige Militärjeeps und Truppentransporter. Wer sich vor dem Werkstor aufhält, wird von den französischen Soldaten freundlich, aber bestimmt weggeschickt.

Explosive Stimmung, wilde Gerüchte

Während die NATO durch ihren Krieg gegen Jugoslawien unter den Kosovo-Albanern Freunde fürs Leben gefunden zu haben scheint, zeichnen sich doch erste Konflikte ab. Nicht nur die Weigerung, die Mine wieder zu öffnen, sorgt auf der albanischen Seite für schlechte Stimmung gegenüber den französischen Truppen. Rujtim und seine Clique an der Brücke sagen offen, was viele auf der albanischen Seite denken: "Die Franzosen stehen auf der Seite der Serben." Sie wollen wissen, daß französische Soldaten auf der anderen Seite mit serbischen Paramilitärs Bier trinken. "Die Franzosen sollten sie verhaften, statt mit ihnen Witzchen zu reißen. Wären die Deutschen oder die Amerikaner hier, würde es anders aussehen", sagt Rujtim.

Tatsächlich stellen sich die Franzosen nicht eindeutig auf die Seite der Albaner und versuchen sich mit der serbischen Minderheit zu arrangieren. So kommt es zu Vorfällen, die für Momente explosiver Stimmung sorgen. In einer der Straßen im serbischen Teil fährt eine Kolonne von KFOR-Fahrzeugen und der französischen Gendarmerie vor. Eine albanische Familie steigt aus einem Jeep und wird von den Gendarmen abgeschirmt. In Sekundenschnelle hat sich eine Gruppe von etwa 30 serbischen "Verteidigern" um sie gesammelt, die anfangen, auf die Albaner einzuschreien: "Verpißt euch!" Die Gendarmen versuchen die Lage zu beruhigen. "Sie wollen nur ihre Sachen aus ihrer Wohnung holen und gehen danach wieder auf die andere Seite." Doch die Situation droht zu kippen, serbische Jugendliche rangeln mit den Gendarmen, die KFOR-Soldaten nehmen die Gewehre in Anschlag. Schließlich eskortieren die Gendarmen die Familie zum Jeep zurück und ziehen sich unverrichteter Dinge zurück.

Jetzt erregen zwei ausländische Journalisten die Aufmerksamkeit der Jugendlichen. "Was wollt ihr hier?" rufen sie erregt. Erst ein griechischer Paß und einige Wort auf Serbokroatisch können sie beruhigen. Zurück auf der anderen Seite, erzählt die albanische Familie, die Franzosen seien vor den Serben eingeknickt. Rujtim fühlt sich in seinem Urteil bestätigt, aber auch Zlatko verflucht die Franzosen, weil sie nicht dafür sorgen, daß Serben auf die albanische Seite gelangen können.

Jeden Tag sorgen Vorfälle dieser Art für neuen Sprengstoff. Mehrmals bildeten sich aus dem Getümmel des Marktplatzes heraus Demonstrationen, die von der albanischen Seite an die Brücke zogen. "Das sind spontane Proteste", erklärt Rujtim. Andere sehen die UCK am Werk. Von den wilden Gerüchten und Spekulationen, die in Mitrovica kurisieren, lautet eines, daß die UCK versuchen werde, die Serben in den nächsten Tagen zu vertreiben. Dagegen spricht, daß es sich die UCK nicht leisten kann, sich mit der KFOR anzulegen. Das wäre aber die unweigerliche Folge einer Aktion gegen die serbische Enklave nördlich des Flusses. So bleibt die Situation gespannt, jede Seite beobachtet argwöhnisch die Bewegungen auf der anderen. Überall werden Spitzel vermutet. Alle warten darauf, daß irgend etwas passiert - doch was, das weiß keiner so recht.

Nicht mehr lange warten können indes die 20 Familien in einer Straße direkt hinter dem Fluß auf der serbischen Seite. Hier leben seit Jahrzehnten Moslems aus dem Sandjac-Gebiet, das westlich an den Kosovo angrenzt. "Wir müssen bei Tag und Nacht auf unsere Häuser aufpassen", sagt ihr Sprecher, der seinen Namen nicht verraten will. "Die Serben wollen uns hier rausschmeißen, und die KFOR tut nichts. Als vor zwei Tagen ein Haus abgebrannt wurde, haben sie nur daneben gestanden und Fotos gemacht", beschwert er sich. Doch auch auf die andere Seite wollen sie nicht. "Die UCK hält uns für Kollaborateure" - und was mit denen geschieht, zeigt das Schicksal der Roma, die in den letzten Wochen von albanischen Nationalisten nach Serbien und Mazedonien vertrieben worden sind.

Boris Kanzleiter/Lakis Matziaris

Mitrovica, 2.8.99