"Wir kriegen sie alle"
Aktive Arbeitsmarktpolitik in Dänemark - Teil 1
Dänemark gilt vielen als Vorbild für eine "innovative" und moderne Arbeitsmarktpolitik. Doch der Schein trügt. Der Zweite Arbeitsmarkt wird auch in Dänemark von Zwangsmaßnahmen und Tariflosigkeit geprägt. In diesem Beitrag wird die Entwicklung der aktiven Arbeitsmarktpolitik in Dänemark vor dem Hintergrund der Klassenauseinandersetzungen nachgezeichnet.
Im Oktober 1998 stellte Regierungschef Rasmussen in seiner Eröffnungsrede vor dem dänischen Parlament fest, daß die Erwerbslosigkeit verschwunden sei. Das stimmt offensichtlich nicht. Offiziell ist die Erwerbslosigkeit seit 1994 von ca. 12% auf ca. 6% gesunken, und nach einer Berechnung der Enhedsliste (Einheitsliste), einer linken Oppositionspartei, liegt der Anteil der potentiell Erwerbstätigen, die sich außerhalb des ersten Arbeitsmarktes befinden, immer noch bei über 25%.
"Wir brauchen alle und wir kriegen alle", drohte Rasmussen. Der dänische Staat soll dafür sorgen, daß die Erwerbslosen so umgeschult oder "trainiert(!)" werden, daß sie zu den Verwertungsbedingungen passen, die das Kapital bietet. Die "Aktivlinie" - die dänische Version einer aktiven Arbeitsmarktpolitik - der letzten fünf Jahre hatte genau dieses Ziel.
New Labour in Dänemark
Die Arbeitsmarktpolitik in Dänemark ist in der links-liberalen deutschen Presse eher als kreativ-fortschrittlich bekannt. Was allerdings kaum erwähnt wird, ist der Umstand, daß die Beschäftigungsprogramme mit der Einführung eines in der EU bislang einmaligen Arbeitszwanges verbunden waren. Mehr und mehr zielen sie darauf, daß die Erwerbslosen einfach irgendeiner Lohnarbeit nachgehen, egal zu welchen Bedingungen. Auch Maßnahmen, die auf den ersten Blick als sinnvoll erscheinen, werden dadurch, daß sich die Zwangsverpflichtung für Erwerbslose durchsetzt, ausgehöhlt und bedeutungslos.
"Dieses Produkt wurde von dänischen Sklavenarbeitern verpackt. Helfen Sie uns! Bitte kaufen Sie dieses Produkt nicht mehr. Wir haben kein Recht auf Urlaub. Unser Lohn ist fest und sehr niedrig, und wir haben kein Recht, zu kündigen."
Im Mai diesen Jahres konnten KäuferInnen von Heftpflastern der Firma Coloplast diese originelle Packungsbeilage finden. Coloplast hat das Zählen und Verpacken von Heftpflastern an die Kommune Frederikssund vergeben. Die etwa 30 km von Kopenhagen gelegene Kommune wiederum macht ein Geschäft damit, "aktivierte" Erwerbslose dazu zu nötigen, diese stumpfsinnige Arbeit zu verrichten. Konzern und Kommune sparen somit eine Menge Geld, nicht zuletzt, weil diese "Aktivierten" nur ein kleines Taschengeld bekommen. Die Aktion wurde von der 1999 gegründeten "Landesorganisation der Erwerbslosen" (LA) initiiert.
Kommunalpolitiker und die zuständige Gewerkschaft SiD (Specialarbejderforbund i Danmark) protestierten anschließend gegen die Bedingungen in Frederikssund, die SiD allerdings vor allem mit dem Argument, die Bedingungen seien Ausdruck einer "Schmutzkonkurrenz".
Die Aktion in Frederikssund ist zum einen Folge einer wachsenden Organisierung der Erwerbslosen in Dänemark vor dem Hintergrund ihrer Zwangsverpflichtung. Zum anderen ist sie Ausdruck einer wachsenden öffentlichen Kritik an einem Teil der Projekte, die im Rahmen der Zwangsverpflichtung "angeboten" werden.
Zum Teil geht diese Kritik von SozialarbeiterInnen aus, zum Teil von der linken Opposition im und außerhalb des Parlamentes. Sie ist der vorläufige Endpunkt einer Entwicklung, bei der die staatliche Politik den Zwang zur Lohnarbeit mehr und mehr zur Voraussetzung der Gewährung sozialer Einkommen gemacht hat.
Dieser Aspekt der Arbeitsmarktpolitik der seit 1994 von Sozialdemokraten (SP) und Sozialliberalen (Radikale Venstre) gebildeten Minderheitsregierung dient als Modell für "New Labour". Die "Arbeitsmarktreform Nr. 1" von 1994 gleicht in vielerlei Hinsicht dem sogenannten "New Deal" in Großbritannien sowie dem "Sofortprogramm zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit" der Schröder-Regierung.
Was auch in Dänemark relativ neu ist, ist die Aggressivität, mit der sozialdemokratische Parteien in diesem Zusammenhang einen Niedriglohnsektor fordern. Auch hier wird daraus die Konsequenz gezogen, daß ein steigender Anteil der Jobs, die in der Aktivlinie angeboten werden, in jeder Hinsicht schlechter sein muß als diejenigen, die in der untersten Stufe der Hierarchie des "ersten" Arbeitsmarktes angeboten werden. Niedrigere Löhne und schlechtere Arbeitsbedingungen werden somit direkt angestrebt. Arbeit ist als Strafe gedacht und soll Anreiz sein, sich einen etwas weniger miesen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu suchen.
Die neue Arbeitsmarktpolitik ist Resultat eines längeren Prozesses, in der ABM-Maßnahmen einen zunehmend repressiven Charakter bekommen haben. Die Angriffe der verschiedenen dänischen Regierungen der letzten zwanzig Jahre richteten sich vor allem auf die Höhe und die Bezugsdauer der sozialen Einkommen.
Entgegen gängiger Vorurteile war der Arbeitsmarkt in Dänemark niemals reguliert. Die Unternehmer hatten und haben das Recht, ArbeiterInnen meistens ohne Kündigungsfrist und fast ohne Begründung zu heuern und zu feuern. (1) Dies geht auf einen Kompromiß zurück, der zwischen Gewerkschaften und Unternehmern bereits Ende des letzten Jahrhunderts ausgehandelt wurde. Er legalisierte die organisatorische Arbeit der Gewerkschaften, besonders ihre Arbeitslosenkassen. Faktisch bedeutet das bis zum heutigen Tag, daß nahezu alle Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert sind, weil sie sonst ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren. Auf der anderen Seite wurde den Unternehmern das Recht zugestanden, die "Arbeitskraft zu führen und zu verteilen". Wer eine Kündigung erhielt, war dagegen nahezu machtlos, bekam aber ein im europäischen Maßstab einzigartig hohes Arbeitslosengeld. Bis 1994 waren das in den niedrigen bis mittleren Lohngruppen 90% des Lohnes bei einer Laufzeit von bis zu 7 Jahren.
Arbeitsmarktpolitik im Sinne von öffentlicher Beschäftigung spielte in Dänemark eine verschwindend geringe Rolle. Auch dies ist ein Teil des oben geschilderten Klassenkompromisses, denn alle staatlichen Eingriffe in die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt wurden als Eingriff in die "unternehmerische Freiheit" gesehen.
Die 70er: Der Staat greift ein
Erst 1969 wurde, von einer bürgerlichen Regierung, eine staatliche Arbeitsvermittlung (Arbejdsformidling, AF) eingerichtet. Diese löste die bis dahin gängige Arbeitsvermittlung durch die Gewerkschaften ab. Wie in anderen europäischen Ländern auch hatte die AF die Aufgabe, den Unternehmern die Zufuhr von Arbeitskräften zu sichern. Arbeitsmarktpolitik war in Dänemark lange mehr oder weniger gleichbedeutend mit dieser Arbeitsvermittlung.
Erst in der zweiten Hälfte der Siebziger kam es dann zu ersten schüchternen Versuchen einer öffentlichen Beschäftigungspolitik. 1977 wurden die Kommunen zum ersten Male von einer nunmehr sozialdemokratisch geführten Regierung verpflichtet, in Regie der öffentlichen Hand Jobs für 18 bis 19jährige Jugendliche einzurichten. So sollte der damals sehr hohen Jugenderwerbslosigkeit begegnet werden.
Die 1979 ebenfalls beschlossene Einführung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wurde jedoch von der bürgerlichen Regierung nach 1982 kassiert. (2) Ebenfalls im Jahre 1979 kam es zu einem ersten Eingriff in die Bezugsrechte der Arbeitslosenunterstützung. Die Maßnahmen der konservativen Regierung unter Staatsminister Schlüter, die in den kommenden Jahren folgen sollten, waren also im Prinzip nichts neues.
Wenn auch als Minderheitsregierung und programmatisch nicht ganz eindeutig, zielte die Politik der Regierung Schlüter seit 1982 auf eine Verringerung der sozialen Einkommen, der Löhne und des Einflusses der Gewerkschaften. Erster Schritt in diese Richtung war die stufenweise Abschaffung der "Dyrtidsregulering" ("Teuerungsregulierung") bis 1985. Dabei handelte es sich um einen staatlich garantierten Inflationsausgleich der Löhne und der Sozialeinkommen, vergleichbar mit der "scala mobile" in Italien. Auch an dieser Regelung hatten jedoch schon die sozialdemokratisch geführten Vorgänger Einschränkungen vorgenommen.
1982 waren 250.000 Menschen, etwa 10% der Beschäftigten, offiziell erwerbslos. Die Schlüter-Regierung nutzte die seit Mitte der siebziger Jahre im europäischen Vergleich hohe Erwerbslosigkeit: Im Winter 1982 griff sie das Recht der Teilzeitbeschäftigten auf Arbeitslosenunterstützung an. Da das Recht auf Mitgliedschaft in gewerkschaftlich verwaltetet Unterstützungskassen gleichzeitig Mitgliedschaft in der Gewerkschaft bedeutete, war dies auch ein direkter Angriff auf die Gewerkschaften. Vor allem unstetig beschäftigte Mitglieder der Gewerkschaft SiD im Hafenbereich waren betroffen. (3) Ein zehnwöchiger Streik der Hafenarbeiter gegen die massiven Einkommensverluste endete mit einer Niederlage.
Der nächste Schritt in der Umsetzung des neoliberalen Projekts waren Versuche, gelbe Gewerkschaften als Alternative zur Organisierung in den Einheitsgewerkschaften aufzubauen. Dieser Versuch konnte jedoch in zwei heftigen Streiks im Bereich der städtischen Busgesellschaft in Kopenhagen und in einer Restaurantkette abgewehrt werden.
Mitte der achtziger Jahre hatte sich die Position der Gewerkschaften gegenüber 1982 wieder verbessert. Nicht nur die erfolgreiche Abwehr der gelben Gewerkschaften, auch eine Verminderung der Erwerbslosigkeit um ca. 50.000 trugen zu dieser Situation bei. Entscheidend waren jedoch zwei andere Aspekte: Das massive Wachstum der Frauenbeschäftigung, vor allem im öffentlichen Dienst, führte zu einer steigenden Militanz bei einer Reihe von Beschäftigtengruppen (LehrerInnen, Beschäftigte in Krankenhäusern und im Sozialbereich). Gleichzeitig erreichte die Erwerbslosenbewegung im Vorfeld der Tarifrunde von 1985 ihren Höhepunkt. Ein weitere Angriff der Regierung auf das Arbeitslosengeld trug zusätzlich zur späteren Verknüpfung von Erwerbslosenbewegung und Arbeitskampf bei.
Die Osterstreiks 1985
Die Tarifforderungen in jenem Jahr waren: Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich und weitere massive Lohnerhöhungen. Vor allem mit der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung wurde auch die Vorstellung verbunden, dies könnte ein effektiver Weg zur Bekämpfung der Erwerbslosigkeit sein. Vorbild waren u.a. die Streiks in der Metallindustrie und in den Druckereien in der BRD. Aber auch der Kampf der britischen Bergarbeiter gegen die Zechenschließungen und die mit ihnen verbundene Solidaritätskampagne in Dänemark führte dazu, daß innerhalb einer erstarkten Gewerkschaftslinken die Bereitschaft zu militanten Abwehrkämpfen gegen die Angriffe der konservativen Regierung wuchs.
Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmern kam es am 24. März 1985 zum Streik. Eine Woche später wurde er von der Regierung verboten, die damit eine noch heftigere, nunmehr illegale Streikwelle auslöste. Bis zum 11. April gelang es Regierung und Gewerkschaftsführung nicht, den Streik unter Kontrolle zu bringen.
Dennoch endete die Auseinandersetzung zunächst mit einer Niederlage: Dem Streik fehlte ein organisatorisches Zentrum, und unter den UnterstützerInnen gab es Konflikte über die Ziele. (4) Zudem war die Unterstützung der offiziellen Gewerkschaften, u.a. was die Auszahlung von Streikgeld betrifft, sehr zurückhaltend. Kurzfristig setzte sich die Regierung durch. Die Löhne wurden bis 1987 um ca. 2% erhöht, und die Arbeitszeit um eine Stunde gesenkt. Resultat der staatlichen Intervention war aber vor allem, daß einer breiten sozialen Bewegung die Spitze genommen wurde.
Mit dem Streik von 1985 wurde eine Alternative zur Arbeitsmarktpolitik der bürgerlichen Regierung formuliert. Zwar gelang es nicht, diese Alternative im Rahmen einer politischen Bewegung durchzusetzen. Das bedeutet aber nicht, daß der Streik folgenlos war. Die konservative Regierung konnte in den folgenden Jahren weder eine expansive Entwicklung der Löhne noch weitere Arbeitszeitverkürzungen verhindern. Bei den anschließenden Tarifverhandlungen bezahlte sie damit den Preis für das Ausbleiben weiterer großer Streiks.
Auch die Eingriffe bei den Sozialeinkommen hielten sich in der zweiten Hälfte der Achtziger in Grenzen, die Lohnersatzleistungen waren am Ende der achtziger Jahre zusammengenommen sogar leicht höher als zehn Jahre zuvor. Die Gewerkschaften behielten ihre Rolle bei der Vermittlung von Forderungen ihrer Mitgliedschaft in den politischen Apparat, in dieser Hinsicht gingen sie aus der Entwicklung nach den Osterstreiks sogar gestärkt hervor. Die aus Kapitalsicht dringend notwendige grundlegende und strukturelle Umwandlung der Machtverteilung zwischen Kapital und Arbeit hatte die bürgerliche Regierung somit keineswegs zustande gebracht.
Zum ersten Male wurde von der aus den Wahlen 1988 hervorgegangenen bürgerlichen Minderheitsregierung ein Gesetz für eine aktive Arbeitsmarktpolitik vorgelegt, verbunden mit dem Zwang für bestimmte Gruppen der Erwerbslosen, ein Arbeitsangebot anzunehmen. Auch die Sozialdemokratie trat inzwischen mehr und mehr mit dem Programm einer aktiven Arbeitsmarktpolitik auf, also mit dem Vorschlag, eine staatlich regulierte Beschäftigung einzuführen.
Der Gesetzentwurf der Regierung verpflichtete Jugendliche im Alter von 18 bis 19, ein Weiterbildungsangebot der Kommunen anzunehmen. Ein solches Angebot mußten die Kommunen nach spätestens zwei Wochen machen. Nachdem die bürgerliche Minderheitsregierung im Gegenzug auf eine weitere Kürzung des Arbeitslosengeldes verzichtete, stimmte die SP schließlich der Arbeitsverpflichtung zu. Das Jahr 1988 kann als Geburtsjahr von "workfare" in Dänemark bezeichnet werden.
In den Jahren nach 1988 gingen die Streikbewegungen zurück. Als Folge des Zusammenbruchs der kommunistischen Partei wurde die innergewerkschaftliche Opposition geschwächt. 1993 kam die SP wieder an die Regierung, auch sie allerdings nur mit Unterstützung einer Reihe kleinerer bürgerlicher Parteien. Im selben Jahr wurde die erste große Arbeitsmarktreform verabschiedet. Diese und die folgenden Ergänzungen und Novellierungen wurden alle von der bürgerlichen und teilweise auch von der linken Opposition unterstützt. Und sie wurden alle in einer Art "Bündnis für Arbeit" mit den Gewerkschaften und den Unternehmerverbänden vorab bis ins Detail ausgehandelt.
Die Arbeitsmarktpolitik der neuen sozialdemokratischen Minderheitsregierung folgte von Anfang an der neoliberalen Tradition ihrer bürgerlichen Vorgänger. Dies geschah nicht nur, weil sie stets parlamentarische Kompromisse mit einem Teil der vorherigen Regierungsparteien aushandeln mußte. Entscheidender war, daß die sozialen Bewegungen in der ersten Hälfte der 90er Jahre zu schwach waren, um eine grundsätzliche Alternative zu formulieren.
Unter der neuen sozialdemokratischen Regierung bekamen die sich seit 1989 abzeichnenden Tendenzen allerdings ein auch quantitativ sehr viel größeres Gewicht. Die wachsende Rolle des Staates im "Aktivierungsprogramm", die Gleichzeitigkeit von staatlicher Intervention auf dem Arbeitsmarkt, Repression gegen Erwerbslose und Privatisierung konkreter Maßnahmen, etwa im (Aus-)Bildungsbereich sind neue Politikformen, mit denen die Schlüter-Regierung nur sehr vorsichtig experimentiert hatte.
"Aktivierung" von Jugendlichen
Mit dem "Gesetz über kommunale Aktivierung" vom 1.1.1994 mußten alle Erwerbslosen unter 25 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung von den Kommunen spätestens nach 13 Wochen ein verpflichtendes Arbeits- oder Weiterbildungsangebot bekommen. Die siebenjährige Bezugsdauer der Arbeitslosenunterstützung wurde in zwei Perioden eingeteilt. In der "Unterstützungsperiode", die die ersten drei Jahre umfaßte, sollten alle Erwerbslosen nach spätestens zwei Jahren ein Arbeitsangebot bekommen. In den anschließenden vier Jahren ("Aktivierungsperiode") sollte dieses Angebot mindestens zwanzig Stunden in der Woche umfassen. In dieser Periode waren Unterstützungsleistungen ohne "Aktivierung" nicht mehr vorgesehen.
Die Formen der "Aktivierung" wurden jetzt ausdifferenziert: 1. Urlaubsvertretung und Jobrotation; 2. "öffentliches Jobtraining" unter tarifierten Arbeitsbedingungen; 3. "individuelles Jobtraining" mit Taschengeld statt Tarif; 4. Aus- und Weiterbildung. Mit dieser Einteilung schaffte der Staat verschiedene Kategorien von Erwerbslosen. Es war von nun an auch eine der Aufgaben der staatlichen Arbeitsvermittlung bzw. der Mitarbeiter kommunaler Sozialämter, Erwerbslosen zu sortieren und einen sogenannten Handlungsplan für sie auszuarbeiten.
Bis heute führen die "Aktivierungs"maßnahmen in keiner der vier Kategorien zu einem Anrecht auf Arbeitslosengeld. Die "Aktivierten" sind damit im Vergleich zu anderen Beschäftigten grundsätzlich schlechter gestellt. Im Rahmen der dänischen Verhältnisse führt "Aktivierung" de facto zur gewerkschaftsfreien Zone - mit Einverständnis der Gewerkschaften.
Die konkreten Maßnahmen sind keineswegs nur unsinnig, so daß das Projekt in der Öffentlichkeit breit akzeptiert wurde. Im Bereich der Ausbildung reicht das Spektrum von sinnlosen Kursen privater Bildungsträger bis zu beruflicher Erstausbildung. Die Bestimmungen des Gesetzes führten unter anderem dazu, daß junge Kolleginnen und Kollegen früher eine berufliche oder universitäre Ausbildung begannen und somit früher als zuvor aus dem System der Arbeitslosenversicherung verschwanden.
Die Maßnahmen, die das Programm selbst im Rahmen von Ausbildung und Qualifikation vermittelt, können dagegen häufig keine brauchbare und gründliche Erstausbildung vermitteln. Der größte Teil dieser "Ausbildungen" sind Kurzlehrgänge vielgestaltigen und phantasievollen Inhalts. Aus Sicht der TeilnehmerInnen sind sie zwar nicht immer uninteressant, aber bei Bewerbungen führt die Angabe dieser Lehrgänge im Lebenslauf eher zur Stigmatisierung der BewerberInnen als zum Erfolg.
Kennzeichnend für die Arbeitsmarktreform von 1994 war auch, daß Gewerkschaften und Unternehmerverbänden in sogenannten "Arbeitsmarkträten" weitgehende Rechte eingeräumt wurden. Diese "Räte" sollten die Inhalte und das Budget der Aktivierungsprogramme beschließen. Die Rechte dieser Räte wurden jedoch nach 1994 mehr und mehr eingeschränkt (und die der Kommunen ausgeweitet). Ihre Existenz erklärt jedoch, neben der Loyalität zur damals neuen Regierungspartei, die zustimmende Mitarbeit der Gewerkschaftsbürokratie an einem letztlich gewerkschaftsfeindlichen Gesetz.
Die Regierung stellte sofort große Summen für die neue Form der Beschäftigungspolitik zur Verfügung. 1994 wurden 5,3 Mrd. Kronen (ca. 1,3 Mrd. DM) bewilligt, allerdings wurden davon nur 1,7 Mrd. tatsächlich ausgegeben. Die staatliche Arbeitsvermittlung kam mit der Produktion von "Handlungsplänen" nicht nach, und die Regierung machte Druck. Unmittelbare Folge war eine weitere Ausweitung des Zwangscharakters der "Angebote": Im Verlauf des Jahres 1994 kam es zu einer Verordnung (der sogenannte "Hirtenbrief"). Alle Erwerbslosen in der "Aktivierungsperiode" sollten jetzt zur Aktivierung verpflichtet werden. Verstöße gegen den Handlungsplan und die Weigerung, ein Angebot anzunehmen, konnten mit dem Entzug der Gelder bestraft werden. Der "Hirtenbrief" und die langsame Umstellung der verantwortlichen Institutionen auf die "Aktivlinie" führte dazu, daß von den 1995 bewilligten 5,6 Mrd. Kronen. (ca. 1,5 Mrd. DM) 4,3 Mrd. ausgegeben wurden. 1996 wurden fast die gesamten von der Regierung eingeräumten 6,3 Mrd. Kronen verbraucht.
Seit 1996 werden Menschen unter 25 Jahre und ohne abgeschlossene Berufsausbildung für mindestens 18 Monate im einer "Weiterbildung" "aktiviert", wenn sie seit den letzten neun Monaten ein halbes Jahr arbeitslos sind. Eine gründlichere berufliche Erstausbildung ist in den 18 Monaten kaum möglich. Während der Maßnahme bekommen die Jugendlichen generell kein Arbeitslosengeld, sondern nur die (niedrigere) StudentInnen- oder SchülerInnenunterstützung.
Für alle Erwerbslosen wurde 1996 die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes auf fünf Jahre verkürzt, wovon nur noch die ersten zwei Jahre als "Unterstützungsperiode" gelten. Schließlich wurden 1997 die sogenannten "puljejobs" (nach der Finanzierung aus verschiedenen Töpfen benannt) aus der Taufe gehoben. Diese Jobs werden seither von den Kommunen ausschließlich für EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld eingerichtet. Sie sind tarif- und gewerkschaftsfrei.
In Folge dieser Politik ist der Anteil der untertariflichen und rechtlosen Jobs, "puljejobs" und "individuel jobtraining" zwischen 1993 und 1997 überdurchschnittlich gestiegen. Die Zahl der tarifierten Jobs sank von 26.000 auf 17.000, die Zahl der nicht tarifierten Beschäftigungsverhältnisse nahm hingegen von 11.000 auf 14.000 zu.
Trotz großzügiger Lohnzuschüsse weigerten sich die Unternehmer im großen und ganzen, sich an der Einrichtung von Jobs in der Aktivlinie zu beteiligen. Diese Jobs wurden daher fast ausschließlich von den Kommunen angeboten. Die Beschäftigungsverhältnisse auf dem untersten Level des Programmes wurden 1994 vor allem damit legitimiert, es sei eine fürsorgliche Aufgabe der staatlichen Institutionen, die Menschen an die Bedingungen und Zeitabläufe "normaler" Arbeit zu gewöhnen. In den letzten Jahren hat darüber hinaus das Argument an Bedeutung gewonnen, daß diese Jobs im Vergleich zu solchen auf dem regulären Arbeitsmarkt möglichst unattraktiv sein sollten, um den Anreiz für die "schwachen" Erwerbslosen zu erhöhen, sich auf letzteren zu bewerben.
K. Blomkvist, Kopenhagen
Anmerkungen:
1) Dagegen haben Angestellte sich zum Teil Kündigungsfristen gesichert. Auch gewerkschaftliche Vertrauensleute, die in Dänemark etwa die Rolle von Betriebsräten spielen und die betrieblichen Beauftragten für den Gesundheitsschutz genießen einen gewissen, wenn auch ständig umkämpften, Kündigungsschutz.
2) Auch die äußerst populäre Regelung der Frühverrentung (von 67 auf 60 Jahre bei Zahlung eines staatlich finanzierten Übergangsgeldes) wurde in dieser Zeit weder von den Sozialdemokraten noch noch von ihren bürgerlichen Nachfolger angetastet.
3) SiD organisiert ungelernte Arbeiter in öffentlichen und privaten Sektoren und galt im Gegensatz zu den Facharbeitergewerkschaften eher als "links".
4) Unter anderem weigerte sich die Führung der dänischen KP, den Streik auf die Forderung nach Absetzung der Regierung zuzuspitzen. Die Gewerkschaften befürchteten im Zusammenhang mit dem illegalen Charakter des Streiks, daß sie im Falle eines größeren Engagements zur (finanziellen) Rechenschaft gezogen würden.