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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 430 / 23.9.1999

Zwangsarbeit in Deutschland 1940-1945

"Wir mußten einen deutschen Karren in Richtung des Lazaretts, wohl eher das Vorzimmer zur Hölle, ziehen. Dort, vor unseren Augen, in Holzkisten, unsere unglücklichen, namenlosen Kameraden, kahlgeschoren, nackt, zu Skeletten abgemagert, mit offenen Mündern, die Augen leer. Alle sind an Dysenterie gestorben, die Exkremente haben ihnen an den Beinen geklebt, manche hatten riesige Hämatome. Wir brachten die Leichen zum Wagen, 17 Holzsärge für die Reise. Und wir haben dieses unheimliche Gespann zur Kalkgrube gezogen. (...) Angekommen, haben wir die Leichen abgeladen, wir mußten die Särge wieder mitnehmen."

Dieser Bericht des französischen Zwangsarbeiters M. Cramard handelt nicht von einem Konzentrationslager, sondern von dem "Arbeitserziehungslager" (AEL) Großbeeren. Wie auch die anderen AELs der Nazis war es ein Straflager vor allem für ausländische Zwangsarbeiter, die dort, wie es zynisch hieß, durch "geeignete Arbeitsmethoden" diszipliniert werden sollten. Cramards ebenso knappe wie erschütternde Erinnerungen an dieses Zwangslager sind in dem Buch "Zur Arbeit gezwungen. Zwangsarbeit in Deutschland 1940-1945" nachzulesen. Dieser Sammelband vereinigt Beiträge zu einem Symposion, das im Mai 1996 in Berlin stattgefunden hat und von der Stichting Holländerei und der Stiftung Topographie des Terrors organisiert worden ist.

Der nationalsozialistische Ausländereinsatz "stellt den größten Fall der massenhaften, zwangsweisen Verwendung von ausländischen Arbeitskräften in der Geschichte seit dem Ende der Sklaverei im 19. Jahrhundert dar", so Ulrich Herbert in seinem einleitenden Aufsatz. Allein im August 1944 waren im "Großdeutschen Reich" etwa acht Millionen ausländische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene beschäftigt. Sie wurden in der Landwirtschaft und in privaten Haushalten ebenso beschäftigt wie von Kommunen oder in Rüstungsbetrieben und gehörten wie selbstverständlich zum deutschen Kriegsalltag. Ohne Ausländer wäre in der Landwirtschaft seit 1940, in der Rüstungsindustrie seit Ende 1941 eine Produktion im geforderten Umfang nicht mehr möglich gewesen. Außerdem trugen die Zwangsarbeiter "zu jenem gigantischen Wachstums- und Modernisierungsschub bei", so Herbert, "den die deutsche Wirtschaft in den Jahren der Kriegs- und Rüstungskonjunktur erlebte und der eine der Grundlagen der so rapiden wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung nach 1948 darstellte."

Darauf hinzuweisen ist wichtig, wenn man, wie die Herausgeber des Bandes und ihr bekanntester Autor, Ulrich Herbert, eine Entschädigung für die ehemaligen Zwangsarbeiter fordert. Doch offenbar wollen sie niemandem wehtun, es ist viel von Opfern, aber kaum von Tätern die Rede, und die Editoren sind zufrieden, daß sich überhaupt etwas in der Frage der Entschädigung tut. Bisher sind die finanziellen Wiedergutmachungen für ehemalige Zwangsarbeiter sehr niedrig geblieben. Etliche Zeitzeugenaussagen in dem Sammelband machen deutlich, daß nicht nur Deportation und Zwangsarbeit die Gesundheit und Psyche vieler Menschen nachhaltig zerstört haben. Katastrophal wirkte oft auch die Trennung von der Familie, die Unterbrechung der Ausbildung und die Zerstörung aller Lebenspläne.

Das gilt vor allem für Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion, die nach dem Krieg in ihrer Heimat nicht selten weiteren Verfolgungen ausgesetzt waren, weil sie angeblich mit den Nazis kollaboriert hatten. Von diesen Zwangsarbeitern ist in dem besprochenen Band jedoch nur am Rande die Rede, obwohl "der durchschnittliche Zwangsarbeiter in Deutschland 1943 eine 18jährige Schülerin aus Kiew war", wie Ulrich Herbert schreibt.

Solche Lücken mag man noch verzeihen. An dem dokumentierten Symposion waren Zwangsarbeiterverbände aus Frankreich, den Niederlanden, Polen und der Tschechischen Republik beteiligt, nicht aber aus den GUS-Staaten. Außerdem standen regionale Studien zu Berlin und Brandenburg im Vordergrund. Das erklärt manche Schwerpunktsetzung. Und doch wirkt der Band ziemlich zusammengeschustert.

So vermißt man einen Beitrag über das Interesse der deutschen Großkonzerne am Zwangsarbeitereinsatz. Ohne entsprechende Untersuchungen entsteht wieder einmal der völlig falsche Eindruck, daß nur eine relativ kleine Clique von Nazi-Oberen und SS-Schergen ein Interesse daran gehabt hätte, die ausländischen Arbeitssklaven auszubeuten. Außerdem fehlen Erläuterungen zu den Zeitzeugenaussagen, von denen man oft nicht weiß, wann und in welchem Kontext sie aufgezeichnet wurden. Cramard zum Beispiel kann sich in seinem Bericht über das AEL Großbeeren merkwürdig genau an die Anzahl der Leichen erinnern, die er und seine Kameraden in die Kalkgrube karren mußten: "1263 Menschen, davon 187 Franzosen". Wer hat diese genauen Zahlen recherchiert?

Die Qualität der Beiträge ist äußerst unterschiedlich. Kurze Überblicksdarstellungen zum Einsatz von Tschechen, Polen, Niederländern wechseln ab mit Erinnerungen von ehemaligen Zwangsarbeitern aus diesen Ländern sowie Frankreich. Einzeldarstellungen gehen z.B. auf die Verbreitung spezieller Zeitungen für die Fremdarbeiter ein, auf die Seelsorge in den Lagern oder auf Aspekte des Widerstands. Ein Schwerpunkt des Bandes gilt der Situation der Zwangsarbeiter in Berlin, ein anderer dem Stand der Forschung und der Quellenlage. Schließlich wird in zwei kurzen Kapiteln die Rolle dargestellt, die Zwangsarbeiter in Japan und in Birma gespielt haben.

Nach welchen Kriterien die Herausgeber die 40 Beiträge des Bandes ausgewählt haben, bleibt etwas undurchsichtig. Fast alle Aufsätze sind sehr kurz und oft auch oberflächlich. Ärgerlich ist das schlampige Lektorat des Bandes. Ständig stößt man auf sprachliche Mängel in Beiträgen vor allem der Zeitzeugen, die entweder schlecht übersetzt oder nicht korrigiert wurden. Diese Zeitzeugen mußten als Zwangsarbeiter Deutsch lernen. Gerade ihre Bemühungen, sich in der Sprache des ehemaligen Feindes auszudrücken, hätten eine besonders sorgfältige Bearbeitung verdient.

Angela Martin

Rimco Spanjer, Diete Odesluijs, Johan Meijer (Hrsg.): Zur Arbeit gezwungen. Zwangsarbeit in Deutschland 1940-1945, Bremen (Edition Temmen) 1999, 328 Seiten, mit Register, DM 48,- DM.