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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 430 / 23.9.1999

Legal, illegal, scheißegal

Kriegsfolgen für KriegsgegnerInnen

Daß die Beteiligung deutscher Truppen am NATO-Krieg gegen Jugoslawien jeder rechtlichen Grundlage entbehrte, ist von offizieller Seite nur wenig bestritten worden. Zu offenkundig war das fehlende UN-Mandat und zu klar die bundesrepublikanische Verfassung. Doch deutsche Staatsanwälte hält derartige Illegalität der Bundesregierung nicht davon ab, Ermittlungen gegen diejenigen einzuleiten, die aufgerufen hatten, sich dem illegalen Kriegseinsatz zu verweigern.

Anfang April in Mainz, NATO-Flugzeuge schossen zu dieser Zeit Raketen über Jugoslawien ab, erklärte der bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Christian Sterzing auf einer Veranstaltung: Die Entscheidung im Bundestag, der Beteiligung an dem Krieg zuzustimmen, sei ihm nicht leicht gefallen. Denn neben den schwierigen, teils noch nicht absehbaren politischen Folgen des Krieges sei ihm "völlig klar, daß der Einsatz nicht legal ist". Auf Nachfrage überraschter Zuhörer, die an diesem Punkt zu dieser Zeit von offizieller Seite eher mit Eiertänzen und blumigen Ausführungen über vermeintlich notwendige Änderungen des Völkerrechts abgespeist wurden, präzisierte Sterzing, daß in der grünen Bundestagsfraktion der mehrheitlich befürwortete Krieg nicht von seiner rechtlichen Seite betrachtet werde. Und wenn doch, dann sei die Position schlicht: Die Beteiligung an diesem Krieg sei zwar nicht legal, aber legitim.

Fünf Monate später müssen sich nun nicht die Parlamentarier und die zuständigen Minister dafür verantworten, juristische Aspekte einfach ausgeblendet bzw. sich das ehemalige Sponti-Motto "legal, illegal, scheißegal" zu eigen gemacht zu haben. Ermittelt wird gegen Kriegsgegnerinnen und -gegner.

"Gegen die Falschen"

Interview mit Elke Steven (Mitarbeiterin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie) zur Kriminalisierung von KriegsgegnerInnen:

ak: Frau Steven, die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Sie, weil Sie einen Aufruf unterschrieben haben, der die Forderung enthält, sich nicht an dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien zu beteiligen. Was wird Ihnen konkret vorgeworfen?

Elke Steven: Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen mich einen Strafbefehl erlassen. Angeklagt werde ich, weil ich "gemeinschaftlich mit weiteren als ,Erstunterzeichner` aufgeführten Personen öffentlich durch Verbreitung von Schriften (...) zu einer rechtswidrigen Tat, nämlich zur Fahnenflucht und Gehorsamsverweigerung aufgefordert" hätte. Selbstverständlich habe ich Einspruch eingelegt.

Auch die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelt gegen mich, weil der Aufruf an die Soldaten der Bundeswehr, sich nicht an diesem grundrechts- und völkerrechtswidrigen Krieg zu beteiligen, als Flugblatt auf der Hardthöhe in Bonn verteilt worden ist. Außerdem habe ich auf einer Kundgebung bei einer Sitzblockade vor dem Kriegsministerium zur Verweigerung jeder Beteiligung an diesem Krieg aufgerufen. Auch deswegen ermittelt die Staatsanwaltschaft Bonn.

Welche Personen sind von der Ermittlungen betroffen?

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen alle 28 UnterzeichnerInnen eines entsprechenden Aufrufes, der in einer Anzeige in der taz vom 21. April 1999 erschienen ist. Darunter sind auch Wolf-Dieter Narr und Roland Roth, beide Politikwissenschaftler und im Vorstand des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Wolf-Dieter Narr hat ebenfalls einen Strafbefehl erhalten, an Roland Roth erging von einer Richterin eine begründete Ablehnung des Antrags auf Erlaß eines Strafbefehls. Allerdings hat die Staatsanwaltschaft angekündigt, daß sie Widerspruch einlegen will.

Wie bewerten Sie die laufenden Ermittlungen?

Hier wird gegen die Falschen strafrechtlich vorgegangen. Ermittelt werden müßte gegen die, die diesen Krieg und all die Greuel, die durch ihn begünstigt oder verursacht wurden, zu verantworten haben. Offenkundig sollen gewaltfreie, pazifistische Kritikerinnen und Kritiker in Zukunft dadurch abgeschreckt werden, daß die kriegsführende Seite die kriegsgegnerische finanziell büßen läßt. Das ist zu allem sonstigen Übel auch noch massiv antidemokratisch.

Ist die Argumentation auf einer "juristischen Schiene" nicht problematisch, weil es den GegnerInnen des zurückliegenden NATO-Krieges gegen Jugoslawien doch in erster Linie um die Formulierung einer politischen Grundüberzeugung und der Kritik an einer fragwürdigen, die angeblich angestrebten Ziele nicht erreichbaren Politik gehen sollte?

Den Gegnern und Gegnerinnen dieses Krieges geht es nicht um ein "Glaubensbekenntnis", sondern um gute Gründe und Argumente gegen diesen Krieg und die immer weiter betriebene Militarisierung der Politik. Die Bundesregierung hat gleich in mehrfacher Hinsicht durch ihre Beteiligung an diesem Krieg gegen Gesetze verstoßen. Das wird vor Gericht geprüft werden müssen. Klagen gegen die Bundesregierung wegen des verbotenen Angriffskrieges sind jedoch damals von der Bundesanwaltschaft kurzerhand abgeschmettert worden. Dieser Krieg verstieß gegen das Völkerrecht, die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland verstieß gegen das Grundgesetz und gegen den Zwei-Plus-Vier-Vertrag.

Menschenrechtlich-demokratische Argumente gegen diesen Krieg gehen noch weit darüber hinaus. Die Art der Kriegsführung, in der Zivilisten und zivile Einrichtungen kollateral oder gezielt zu Objekten der Kampfhandlungen gemacht wurden, widerspricht nicht nur internationalen Vereinbarungen, sondern vor allem den Menschenrechten, in deren Namen dieser Krieg vorgeblich geführt wurde. UNICEF hat kürzlich berichtet, daß 242 Schulen in Zentralserbien durch die Luftangriffe beschädigt oder zerstört worden sind.

Anzuklagen ist ferner die Wahl der Waffen - Grafitbomben, Clusterbomben und Bomben mit abgereichertem Uran - die gegen die Genfer Rot-Kreuz-Konvention verstößt. Die humanitäre Situation im Kosovo ist durch diesen Krieg nur verschlimmert worden. Hilfe war dringend geboten. Der Krieg war jedoch ein völlig ungeeignetes Mittel. Das konnte und mußte man vorher wissen.

Orwell hat doch recht...

Ende März hatte der renommierte Frankfurter Verfassungsrechtler Erhard Denninger in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Spiegel darauf hingewiesen, daß das Grundgesetz nur Einsätze zur Landesverteidigung sowie im Auftrag der Vereinten Nationen im Rahmen des NATO-Verteidigungsauftrages erlaube. Der Krieg gegen Jugoslawien sei jedoch "keiner dieser Fälle". Dennoch hatte Generalbundesanwalt Kay Nehm, auch nachdem mehrere Dutzend Strafanzeigen gegen die verantwortlichen Politiker gestellt wurden, keine Ermittlungen aufgenommen. Grund: Die Beteiligung am Krieg diene der Wiederherstellung des Friedens.

Wo Krieg dem Frieden dient, ist es nur konsequent, wenn Aufforderungen einen von staatlichen Stellen legitimierten Gesetzesbruch nicht mitzumachen nun verfolgt werden. Soviel steht fest: George Orwell könnte mit Blick auf seinen Roman 1984 der deutschen Justiz etwas abgewinnen. Und manche ehemaligen Spontis sicher auch.

Thomas Klein