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ak logo ak - analyse & kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 430 / 23.9.1999

Globalisierung = Militarisierung = Ramboisierung?

Interview mit Maria Mies zum Krieg gegen Jugoslawien und den Folgen

Über den Krieg gegen Jugoslawien sprach ak-Autor Thomas Klein mit Maria Mies, feministische Wissenschaftlerin und Autorin. Sie interpretiert den Krieg gegen Jugoslawien als Folge neoliberaler Globalisierungspolitik. Unter dem Begriff der "Ramboisierung" versucht sie die Gründe für die wachsende Brutalität der Konfliktführung zu erklären. Diese Gewalt ist nicht allein auf Jugoslawien oder nicht-europäische Staaten begrenzt. Auch in Westeuropa seien die Folgen deutlich sichtbar. Wir bringen das Interview in leicht gekürzter From.

ak: Nach Aussagen von NATO-Vertretern und für den Krieg gegen Jugoslawien verantwortlicher Politiker ging es um die Durchsetzung der Menschenrechte, war es ein Krieg, der sich gegen Verfolgung, Vertreibung und Vergewaltigung der kosovo-albanischen Bevölkerung richtete. Was sagen Sie zu dieser Argumentation, mit der es teils gelungen ist, "humanitäre Intervention" anstelle von Krieg in die öffentliche Debatte einzuführen?

Maria Mies: Das Orwell'sche Newsspeak über "humanitäre Interventionen" ist notwendig zur Akzeptanzförderung von weltweiten Angriffskriegen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts braucht die NATO - und der Militärisch-Industrielle Komplex - eine neue Strategie und eine neue Legitimierung für die weitere Rüstungsproduktion und Kriege. In einem globalen Wirtschaftssystem kann das nicht mehr die nationale oder regionale Verteidigung sein. Vielmehr müssen die Interessen transnational operierender Konzerne geschützt werden. Für solche out-of-area-Einsätze, - jetzt heißen sie schon Krisen-Reaktions-Einsätze - muß man den Leuten und den Soldaten andere, eben "humanitäre" bzw. "zivile" Begründungen liefern. Allerdings nur dann, wenn sich solche "humanitären Kriege" lohnen. Das ist z.B. nicht der Fall in Ruanda oder im Kongo, wo es ähnliche "humanitäre Katastrophen" gibt wie im Kosovo.

Dieses "humanitäre" Newspeak dient nicht nur der Verschleierung der wirklichen Kriegsursachen und der Einführung eines einfachen Schwarz-Weiß-Schemas zur Rechtfertigung von Kriegen, sondern instrumentalisiert auch, das ist besonders infam, menschliches Mitleid und sogar die feministische Empörung über Vergewaltigungen für die Rechtfertigung solcher Kriege.

Das Pentagon betreibt diese ideologische Kriegsführung auch dadurch, daß es ganz offiziell von "Schurkenstaaten" und "Schurken" redet, die von der "guten" USA oder NATO eine Lektion erteilt bekommen müssen. In Deutschland funktioniert dieses Schema besonders gut, wenn man diese "Schurken" mit Hitler vergleicht.

Bei einer Veranstaltung unter dem Motto "Die neue Weltmilitärordnung" lautete der Titel Ihres Vortrages: "Globalisierung - Militarisierung - Ramboisierung: Das Recht zu plündern und zu töten". Mit anderen Worten: Die kapitalistische Weltwirtschaftsordnung, die seit einigen Jahren mit dem Stichwort "Globalisierung" belegt wird, geht gegenwärtig einher mit einer Militarisierung und einer, wie Sie es nennen, "Ramboisierung"?

Der Krieg in Jugoslawien hat nichts mit humanitären Gründen zu tun. Er ist die direkte Folge neoliberaler Globalisierungspolitik, die bereits in vielen Ländern zu ähnlichen sogenannten ethnischen Konflikten, Vertreibungen und Massenmorden geführt hat. Sie sind überall die Folge des Zusammenbruchs der nationalen Wirtschaft. Dieser wiederum wird bewirkt durch die Austeritätspolitik, die die Weltbank und der IMF (International Monetary Found) diesen Ländern zur "Gesundung" ihrer Wirtschaft aufoktroyiert hat. In Somalia, Ruanda, Peru, Kolumbien, aber jetzt auch in Jugoslawien werden sogenannte "ethnische" oder religiöse Gründe genannt, warum plötzlich ein Teil der verarmten Bevölkerung gegen einen anderen Teil losgeht. Genaugenommen sind es die jungen Männer verschiedener Bevölkerungsgruppen, die sich zusammenschließen und anfangen, ihre Mitmenschen zu terrorisieren und sogar zu massakrieren. Diese "Genozide" würden jedoch nicht explodieren, wenn diese jungen Männer keine Waffen hätten und kein Geld bekämen, solche Waffen zu kaufen. Dieses Geld stammt im Fall der UCK z.T. aus dem Drogenhandel und dem organisierten Verbrechen. Die Waffen stammen zum großen Teil aus Deutschland. (siehe: Chossudovsky l999, Eenboom l999).

Diese direkte Aufrüstung der jungen Männer ist begleitet von dem, was Cynthia Enloe die "Ramboisierung" der Männer genannt hat. Das heißt, die Konstruktion der neuen männlichen Identität richtet sich nach dem Modell des Rambo, der sich selbst das Recht zum Töten nimmt, weil er die überlegene Waffe hat. Da Männer in den meisten dieser verarmten Länder nichts gesellschaftlich Nützliches mehr tun können, drückt man ihnen eine Kalaschnikow in die Hand. Dann sind sie wieder "Männer". Bei den NATO-Soldaten in Jugoslawien ist es im Grunde nicht anders. In der globalisierten High-Tech-Wirtschaft gibt es auch für sie kaum noch was Nützliches zu tun. Die mikroelektronische "Revolution" macht sie mehr und mehr überflüssig. Was aber bleibt, ist der Krieg. Krieg schafft Arbeitsplätze und macht aus "Knaben" "Männer". Während der Bombardierungen war immer wieder die Rede davon, daß Deutschland nun durch die Teilnahme am NATO-Krieg "erwachsen" geworden sei.

Wenn nun die NATO "interveniert", um "ethnische Konflikte" zu "befrieden" dann haben wir wieder das alte koloniale Schema vor uns:1. Das Teile- und Herrsche Prinzip, 2. Die Besetzung des Landes als Befriedungs-und Zivilisierungsmission, 3. Die Förderung des Militärisch-Industriellen Komplexes, denn "Krieg ist gut für die Wirtschaft", sagte die Ökonomin Hazel Henderson bereits nach dem Golfkrieg. Dieser Krieg zog die USA aus der Rezession. Vermutlich erwarten Schröder und die deutsche Industrie ähnlich Segensreiches vom Balkankrieg. Erst muß Jugoslawien gründlich zerbombt werden, damit man ihm einen Marshallplan verpassen kann - womit es dann wieder aufgebaut werden kann, von deutschen Firmen, versteht sich. Außerdem wird die "Friedenstruppe" im Kosovo dafür sorgen, daß die neoliberale Agenda für die nächsten 30 Jahre auf dem ganzen Balkan durchgesetzt wird; siehe Rambouillet Vertrag.

Profitieren nicht auch Frauen in den westlichen Ländern, wenn auch in geringerem Maße als die Männer, von einer internationalen Arbeitsteilung, die sich eben in einer deutlich zu beobachtenden politischen, ökonomischen und militärischen Dominanz dieser Länder niederschlägt?

Natürlich "profitieren" auch Frauen der reichen Länder und Klassen von solchen Kolonialkriegen, wie dem jetzigen auf dem Balkan. Das war schon vor hundert Jahren so. Aus diesem Grunde haben auch Frauen Kolonialkriege unterstützt. Allerdings wird immer deutlicher, daß auch die Frauen in den reichen Ländern letzten Endes nichts von der Kombination Globalisierung-Militarisierung-Ramboisierung zu erwarten haben. Nicht nur werden sie, wie die Frauen des Südens und Ostens (der Billiglohnländer) zu "Callgirls des Globalen Marktes" gemacht, sondern sie werden auch mehr und mehr die Ramboisierung im Alltag erleben. In all unseren Ländern hat die "private" Gewalt gegen Frauen zugenommen. Heute zeigt sich deutlicher denn je die Wahrheit unseres Slogans: "Frieden im Patriarchat heißt Krieg gegen Frauen". Die Kriegslogik läßt sich eben nicht klinisch rein auf "out-of-area-Einsätze" einschränken. Viele Frauen berichten, daß ihre Männer viel brutaler waren, wenn sie aus Kriegseinsätzen zurückkamen.

Die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sind für systemoppositionelle Kreise, ja schon für keineswegs notwendigerweise radikale - hier gemeint: an die Wurzel gehende - soziale Bewegungen und für das Engagement an der sogenannten Basis schwierig: Welche Perspektiven ergeben sich angesichts solcher Rahmenbedingungen? Welche Hoffnungen haben Sie trotz einer vielfach beklagten Misere - eine Verdrehung oder ein "Besetzen" von Begriffen, eine zunehmende Entpolitisierung usw. - gewünschte Zuspitzungen erreichen und kritische Debatten anstoßen zu können und dabei Widerhall bei vielen Menschen zu finden?

Einerseits sind die Zeiten schlecht für Systemopposition. Denn wenn die "demokratisch abgesicherte Lizenz zum Plündern" (MAI) ergänzt wird durch die "demokratisch legitimierte" "Lizenz zum Töten" (neue NATO-Strategie), wenn Parteien, die aus der Friedensbewegung und aus dem Kampf für den Sozialismus entstanden sind, völkerrechtswidrige Kriege als "legitim" erklären, dann wird es schwer, noch einen Ort für soziale Protest-Bewegungen zu finden. Die Übernahme der NATO-Kriegspropaganda durch die Medien hat außerdem das zerstört, was wir "kritische Öffentlichkeit" genannt haben.

Andererseits ist ein System, das auf solche Kriege und solche Lügen zurückgreifen muß, nicht nur moralischen sondern auch politisch und ökonomisch am Ende. Das, was Demokratie substantiell bisher bedeutete, ist bereits durch das MAI, aber mehr noch durch den Balkankrieg zerstört worden. Diese Situation zwingt zu einem viel radikaleren Umdenken, als es bisher notwendig war. Sie macht deutlich, daß wir eine grundsätzlich andere Wirtschaft und Politik brauchen. Das wird heute auch Menschen klar, die sich bisher wenig für Politik interessierten. Das Wichtigste ist m.E. zur Zeit eine gründliche Aufklärung über die ökonomischen Hintergründe dieses und anderer Kriege im globalen Kontext. Wir brauchen eine Art ökonomische Alphabetisierung. Es ist notwendig, daß die Menschen verstehen, daß der Kapitalismus von Anfang an auf Kriegslogik beruht. Neu ist nur, daß diese Kriege nun auch (wieder) in Europa auftauchen.

Es ist notwendig, eine neue Öffentlichkeit herzustellen, die nicht mehr von den Interessen großer Konzerne abhängt. Möglich ist dies durch schon bestehende internationale Vernetzungen vieler Bewegungen, die alle eine radikale Abkehr vom Neoliberalismus fordern.

Das Interview führte Thomas Klein